Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 10.10.2007
Aktenzeichen: 12 Sa 921/07
Rechtsgebiete: TVG, Sanierungs-Tarifvertrag-Karstadt


Vorschriften:

TVG § 1
Sanierungs-Tarifvertrag-Karstadt § 11
1. Sieht ein Sanierungs-Tarifvertrag in einem Gesamtpaket u. a. die Reduzierung einer "freiwilligen Sozialleistung" vor, ist die vom Arbeitgeber auf den Freiwilligkeitsvorbehalt gestützte völlige Streichung der Sozialleistung unwirksam.

2. Weil es keinen "eindeutigen" Wortlaut gibt (vgl. Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum 1844: "Was er sagt, ist nicht das Gemeinte und was er meint, ist unsagbar"), sind sowohl bei der Gesetzes- als auch der Vertragsauslegung über die Wortlautauslegung hinaus die übrigen, allgemeinen anerkannten Auslegungskriterien einzubeziehen (vgl. BAG v. 18.04.2007, NZA 07, 965 ff.).


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

12 Sa 921/07

Verkündet am 10. Oktober 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 29.08.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Novak und den ehrenamtlichen Richter Alsdorf

für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Essen vom 15.03.2007 wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin € 10.625,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.04.2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. Hiervon ausgenommen sind die durch die Anrufung des Arbeitsgerichts Leipzig entstandenen Mehrkosten, die der Klägerin auferlegt werden.

Die Revision wird zugelassen.

A. Die Klägerin verlangt von der Beklagten ein betriebliches Sterbegeld.

Der Ehemann der Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 13.04.1981 als Betriebshandwerker beschäftigt. Zuletzt war er in der Niederlassung des Facility Managements P. tätig und verdiente monatlich Euro 2.376,65 brutto.

Nr. 6 a des Arbeitsvertrages der Parteien vom 30.08.1991 erklärt "die Betriebsordnung (zum) Inhalt des Anstellungsvertrages."

Die Betriebsordnung der Beklagten (Stand vom 01.05.1991) bestimmt, soweit hier von Interesse, in Abschnitt "C. Freiwillige Sozialleistungen" folgendes:

"Die Firma L. gewährt ihren Mitarbeitern folgende freiwillige Sozialleistungen: ....

5. Weiterzahlung der Bezüge in Sterbefällen

Hinterlässt ein Betriebsangehöriger einen Ehegatten und/oder unterhaltsberechtigte Kinder, die sich noch nicht in der Berufsausbildung befinden oder bei denen die Berufsausbildung noch nicht beendet ist und die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, so haben die Angehörigen gemeinsam Anspruch auf Weiterzahlung des Gehalts bzw. Lohnes für den Sterbemonat und darüber hinaus nach folgender Staffelung:

Nach ununterbrochener Betriebszugehörigkeit

von 1 Jahr für 1 Monat

von 3 Jahren für 2 Monate

von 5 Jahren für 3 Monate

von 10 Jahren und länger für 4 Monate

Hinterlässt ein Betriebsangehöriger weder einen Ehegatten noch unterhaltsberechtigte Kinder, so steht noch lebenden Eltern oder einem Elternteil der vorstehende Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge des verstorbenen Betriebsangehörigen nur dann zu, wenn dieser gegenüber den Eltern unterhaltspflichtig war. ...

9. Schlussbestimmungen

Diese Richtlinien gelten ab 01.01.1986. Auf diese freiwilligen, jederzeit widerruflichen Leistungen besteht kein Rechtsanspruch, auch wenn sie in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren unter dem Vorbehalt der freiwilligen Gewährung gezahlt wurden."

Am 14.10.2004 schlossen die Beklagte, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war, und die Gewerkschaft ver.di einen "Tarifvertrag zur Sanierung und Beschäftigungssicherung". Der Tarifvertrag sieht im Gegenzug zu einer Beschäftigungs- und Standortsicherung Einschnitte in tarifliche und betriebliche Leistungen vor. In dem Sanierungs-TV heißt es wörtlich:

"Teil C. § 11 Reduzierung außer-/übertariflicher Leistungen

L. erklärt, dass es folgende Maßnahmen ergreifen wird:

a) Streichung der Zusatzurlaube gemäß Betriebsordnung in den Jahren 2005 - 2007.

b) L. wird die übertariflichen Zahlungen in den Jahren 2005 - 2007 um ein Gesamtvolumen von 30 Mio. EUR. reduzieren.

c) L. wird die Leistungsentlohnung/prämien in den Jahren 2005 - 2007 um jeweils 3 Mio. EUR. pro Jahr, in einem Gesamtvolumen von 9 Mio. EUR. reduzieren.

d) L. wird den Kasinozuschuss in den Jahren 2005 - 2007 um jeweils 4 Mio. EUR. pro Jahr, in einem Gesamtvolumen von 12 Mio. EUR. reduzieren.

e) L. wird das Sterbegeld in den Jahren 2005 - 2007 um jeweils 0,3 Mio. EUR. pro Jahr, in einem Gesamtvolumen von 0,9 Mio. EUR. reduzieren.

f) L. wird die Ergebnisbeteiligungen der Abteilungsleiter in den Jahren 2005 - 2007 um jeweils 2 Mio. EUR. pro Jahr, in einem Gesamtvolumen von 6 Mio. EUR. reduzieren. g) L. wird den Personalrabatt im Zeitraum 2005 - 2007 um jeweils 5 Mio. EUR pro Jahr, in einem Gesamtvolumen von 15 Mio. EUR reduzieren.

Die Kriterien, nach denen die Reduzierungen gemäß b) bis f) erfolgen, werden unter Beachtung der Mitbestimmung des GBR/der BRe vereinbart; der GBR wird auf die Kündigungsfrist entsprechender Gesamtbetriebsvereinbarungen verzichten, soweit dies einer Neuregelung zum 01.01.2005 entgegensteht.

Es besteht Einigkeit darüber, dass die hier genannten Maßnahmen für die Dauer vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2007 befristet sind.

Der Gesamtbetriebsrat erklärt sich zu einer unverzüglichen Aufhebung der betrieblichen Regelung über die Gewährung von Jubiläumsgeld ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist und ohne jegliche Nachwirkung bereit, sofern L. dieses Ansinnen bis zum 31.01.2005 schriftlich äußert."

Mit Rundschreiben vom 23.12.2004 an die Filialen gab die Beklagte bekannt, dass sie sich entschlossen habe, den Anspruch auf Sterbegeld gem. Teil C Ziff. 5 der Betriebsordnung für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2007 auszusetzen. Ob das Rundschreiben in der Filiale M. ausgehängt wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Das Arbeitsgericht hat hierüber durch Zeugenvernehmung Beweis erhoben (Sitzungsprotokoll vom 15.03.2007, Bl. 164 ff. GA).

Der Ehemann der Klägerin verstarb am 14.02.2006 im Krankenhaus in M., nachdem er auf dem Weg zwischen zwei Betriebsstätten einen Schwächeanfall erlitten hatte.

Nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung des "Sterbegeldes" in Höhe von vier Monatsgehältern hat die Klägerin im Juli 2007 vor dem Arbeitsgericht Leipzig Zahlungsklage erhoben. Mit Beschluss vom 28.07.2006 hat das Arbeitsgericht Leipzig sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Essen verwiesen.

Das Arbeitsgericht Essen hat durch Urteil vom 15.03.2007 die Klage abgewiesen.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Klägerin das Urteil, auf das hiermit zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an. Sie hält an der Ansicht fest, dass der in Ziffer 9 der Betriebsordnung niedergelegte Widerrufsvorbehalt nach § 307 BGB unwirksam sei. Die Klägerin beanstandet die erstinstanzliche Beweiswürdigung und meint, dass das Rundschreiben nicht dadurch, dass es am Schwarzen Brett im Personalkasino ausgehängt worden sei, ihrem Ehemann, der damals lediglich an vier Tagen in der Filiale M. eingesetzt gewesen sei, zugegangen sei. Sie bestreitet, dass die Beklagte aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage veranlasst gewesen sei, das Sterbegeld zu streichen. Allenfalls hätte sie, nach der (allerdings unterlassenen) Beteiligung des Gesamtbetriebsrats oder der örtlichen Betriebsräte, das Sterbegeld reduzieren dürfen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 15.03.2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin, 10.625,50 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.04.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sie das im Wege der Gesamtzusage der Belegschaft in Teil "C. Freiwillige Sozialleistungen" der Betriebsordnung zugestandene Sterbegeld ohne Beteiligung des (Gesamt-)Betriebsrats habe widerrufen dürfen. Nach der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung berechtige Ziffer 9 zum Leistungswiderruf, wenn das Unternehmen, wie es Ende 2004 der Fall gewesen sei, in eine äußerst angespannte wirtschaftliche Situation geraten sei. Das Rundschreiben vom 23.12.2004 sei am Schwarzen Brett in der Filiale M. ausgehängt worden und hätte an vier Februar-Tagen, an denen der Ehemann der Klägerin ganztägig mit einer einstündigen Pause dort tätig gewesen sei, von ihm zur Kenntnis genommen werden können.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen. Die Kammer hat nach einem Hinweis vom 27.08.2007 mit den Parteien die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert.

B. Die Klage ist begründet.

I. Die Klägerin erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für das nach Teil C, Ziffer 5 der Betriebsordnung gewährte "Sterbegeld". Das ist zwischen den Parteien ebenso außer Streit wie die Höhe des Anspruchs, Euro 10.625,00.

II. Der Widerruf des Sterbegeldes ist unwirksam.

1. Allerdings befand die Beklagte sich im Jahr 2004 in einer wirtschaftlich angespannten Lage.

Zwar ist zweifelhaft, ob, wie die Vorinstanz angenommen hat, "die allgemein zugänglichen und gerichtsbekannten Presseberichte" sowie der Abschluss eines Sanierungstarifvertrages die Feststellung tragen, dass die Existenz der Betriebe auf dem Spiel gestanden habe. Indessen wird die Feststellung, dass die Beklagte sich in einer wirtschaftlich prekären Situation befand, durch den Konzern-Geschäftsbericht 2004 belegt, der neben einer negativen Umsatzentwicklung auch im Einzelhandelsbereich und einer negativen Ertragslage ein Minus von 1,63 Mrd. Euro auswies. Hiermit war einher gegangen, dass sich "die Finanzierungssituation im Herbst bedrohlich zuspitzte" (Vorwort des Vorstandes). Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die aus den Geschäftsberichten ersichtliche negative Entwicklung der Beklagten nicht in Abrede stellen können. Ihr nachträglicher Vortrag, dass die Beklagte im Jahr 2006 einen Gewinn von 306 Mio. Euro verbucht habe, ändert nichts an dem Befund, dass im Herbst 2004 bzw. Winter 2004/2005 die wirtschaftliche Lage der Beklagten sehr angespannt war und Restrukturierungs- und Kostenreduzierungsmaßnahmen erforderlich machte.

Teil C, Ziffer 9 Betriebsordnung, der den formellen Anforderungen von § 308 Nr. 4, § 307 BGB nicht gerecht wird, ist einer Vertragsergänzung gemäß § 157 BGB zugänglich. Hiernach ist die Aufrechterhaltung des Widerrufsvorbehalts bei einer derart wirtschaftlich prekären Lage, wie sie die Beklagte zu Ende 2004 zu bestehen hatte, als allgemeine Lösung angemessen (vgl. BAG, Urteil vom 11.10.2006, 5 AZR 721/05, ZTR 2007, 202, Urteil vom 25.04.2007, 5 AZR 627/06 ZIP 2007, 1673).

2. Das Arbeitsgericht ist nach Zeugenvernehmung zu der Auffassung gelangt, dass die Widerrufserklärung dem Ehemann der Klägerin zugegangen ist. Es hat nach der Beweisaufnahme festgestellt, dass der Ehemann der Klägerin am 01.02.2005 sowie jedenfalls am 08., 09. und 10.02.2005 ganztägig in der Filiale in M. tätig gewesen sei und eine Stunde Pause gehabt habe.

Die Kammer tritt der erstinstanzlichen Beweiswürdigung bei (§ 69 Abs. 2 ArbGG) und geht mit dem Arbeitsgericht auch davon aus, dass der Arbeitgeber das in einer Gesamtzusage vorbehaltene Widerrufsrecht grundsätzlich per Aushang erklärt werden konnte (vgl. BAG vom 21.01.2003, 9 AZR 546/01, ARST 2003, 224 ff.). Die Vorgehensweise, Erklärungen und Informationen (auch) durch einen Aushang am Schwarzen Brett bekannt zu geben, ist im Arbeitsleben üblich, eröffnet die generelle Möglichkeit einer Kenntnisnahme und trägt dem Umstand Rechnung, dass etwa postalische Zustellungen misslingen können. Daher ist die Mitteilung dem Adressaten zugegangen, wenn deren Kenntnisnahme am Schwarzen Brett von ihm nach den gewöhnlichen Umständen erwartet werden kann. Es kommt auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme an und nicht darauf an, ob der Erklärungsempfänger vom Inhalt der Erklärung tatsächlich Kenntnis genommen, d. h. sie gelesen hat. Danach wäre unerheblich, ob der Ehemann der Klägerin Aushänge am Schwarzen Brett wahrgenommen hat oder nicht.

Gleichwohl steht in Frage, ob die Widerrufserklärung dem Ehemann der Klägerin im Sinne von § 130 Abs. 1 BGB zugegangen ist. Dabei braucht nicht vertieft zu werden, ob ein Arbeitnehmer, der - wie der Kläger - typischerweise in wechselnden Betriebsstätten eingesetzt wird, "nach den gewöhnlichen Umständen" erwarten kann, dass ihm eine Änderung von Arbeitsbedingungen in der selben Form, die der Arbeitgeber für die Vereinbarung gewählt hatte, mitgeteilt wird. Insoweit mochte es sich, weil die Betriebsordnung explizit zum Inhalt des Arbeitsvertrages gemacht wurde, dem Kläger nicht aufdrängen, dass Änderungen der Betriebsordnung allein am Schwarzen Brett bekannt gegeben würden. Klärungsbedürftig ist jedenfalls, wann bzw. wie oft "nach den gewöhnlichen Umständen" von Mitarbeitern zu erwarten ist, dass sie sich zum Schwarzen Brett begeben und die angebrachten Aushänge (mit dem Verständnis der konkret vertragsändernden Wirkung) lesen. Wenn man von Mitarbeitern nicht erwartet, dass sie jeden Tag die Aushänge am Schwarzen Brett durchlesen, bliebe festzulegen, in welchem Turnus ihnen dies obliegt, ob der Ehemann der Klägerin an den drei oder vier Arbeitstagen, an denen er in der Filiale M. eingesetzt war, die Arbeitspause dazu hätte nutzen müssen, die Aushänge am Schwarzen Brett zu lesen, das hier vor dem Eingang zum Personalcasino angebracht war. Anders liegen die Dinge, wenn - was vorliegend nicht der Fall war - das Schwarze Brett (auch) am Betriebstor oder im Bereich der Sozial- und Umkleideräume angebracht ist: Dann hätte ein Mitarbeiter "nach den gewöhnlichen Umständen" Gelegenheit, auch dort vor Dienstbeginn oder nach Dienstende Aushänge zur Kenntnis nehmen.

Die Kammer kann hier offen lassen, ob das Rundschreiben vom 23.12.2004 dem Ehemann der Klägerin im Sinne von § 130 Abs. 1 BGB zugegangen ist und ob die vorübergehende "Aussetzung" des Sterbegelds als Widerruf i. S. v. Ziffer 9 der Betriebsordnung zu verstehen ist (§ 133 BGB). Denn der Widerruf erweist sich jedenfalls aus anderem Rechtsgrund als unwirksam.

3. Die vollständige Streichung des Sterbegeldes verstößt gegen § 11 Abs. 1 Buchst. e Sanierungs-TV.

a) Das Arbeitsgericht hat angenommen, dass dahinstehen könne, ob im Sanierungstarifvertrag eine Absenkung oder Streichung des Sterbegeldes vorgesehen sei, weil der Sanierungstarifvertrag jedenfalls insoweit rechtlich keine Auswirkung auf das Arbeitsverhältnis mit dem Ehemann der Klägerin gehabt habe. Es habe, weil der Sanierungstarifvertrag nicht die Mitbestimmungsrechte habe erweitern wollen, auch nicht der Zustimmung des Gesamtbetriebsrats oder eines lokalen Betriebsrats bedurft.

Dieser Auffassung vermag die Kammer nicht beizupflichten.

b) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach höchstrichterlicher Spruchpraxis (BAG, Urteil vom 23.05.2007, 10 AZR 363/06) den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.

Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt.

(11) Nimmt man zum Ansatzpunkt, dass bei eindeutigem Wortlaut der Vorschrift für eine Heranziehung weiterer Auslegungskriterien kein Bedarf besteht (vgl. BAG, Urteil vom 18.04.2007, 4 AZR 652/05, z. V. v.), lässt der Wortlaut des § 11 Abs. 1 Buchst. e Sanierungs-TV die globale Streichung des Sterbegeldes nicht zu. Dies folgt aus dem Wort "reduzieren" und der Begrenzung auf ein (Reduzierungs-)Volumen von 0.3 Mio Euro pro Jahr und Gesamtvolumen von 0,9 Mio. Euro für alle L.-Betriebsstellen im Bundesgebiet.

(22) Geht man davon aus, dass der Wortlaut nur selten eindeutig ist ("Was er sagt, ist nicht das Gemeinte, und was er meint, ist unsagbar" - Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum, 1844), führen die Berücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs und des daraus ersichtlichen Sinn und der Zweck der Tarifnorm zu keinem anderen Auslegungsergebnis.

- Die Tarifvertragsparteien haben das Wort "reduzieren" nicht im Sinne von "streichen" verwendet. Das geht schon daraus hervor, dass sie in § 11 Abs. 1 Sanierungs-TV zwischen "Streichung" (Buchst. a) und "reduzieren" (Buchst. b - g) unterscheiden. Des weiteren macht die zeitlich abgestufte, auf drei Jahre befristete und volumenmäßige Begrenzung der zur Reduzierung vorgesehenen Sozialleistungen keinen Sinn, wenn die Beklagte freie Hand haben sollte und die enumerativ benannten Leistungen in Gänze streichen durfte. Es spricht nichts dafür, dass die Tarifvertragsparteien in § 11 eine wirkungslose Vorschrift schaffen wollten.

- § 11 Abs. 2, der auf "die Reduzierungen gemäß b) bis f)" verweist, bestätigt den Befund, dass die Sozialleistungen, darunter das Sterbegeld, lediglich verringert werden sollten. Anders als die generelle Streichung einer freiwilligen Leistung, löst die Reduzierung grundsätzlich die Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG aus (BAG, Beschluss vom 28.02.2006, 1 ABR 4/05, ZTR 2007, 111 f.). Die Mitbestimmung hat der örtliche Betriebsrat oder, soweit die Anlegung unternehmenseinheitlicher in Verteilungsmaßstäbe und damit eine betriebsübergreifende Regelung erforderlich ist, der Gesamtbetriebsrat wahrzunehmen.

- Es ist die typische Regelungsaufgabe von Sanierungstarifverträgen, die vom Arbeitgeber gegebenen Garantien zur Beschäftigungs- und Standortsicherung auszutarieren mit dem (Teil-)Verzicht der Arbeitnehmerseite auf tarifliche und betriebliche Leistungen. Daher geht regelmäßig der Wille der Tarifvertragsparteien dahin, dass die getroffenen Festlegungen zu Art, Volumen und Zeitraum der abzusenkenden Entgelt- und Sozialleistungen, die mit Tarifeinschnitten und/oder Aufhebung von Betriebsvereinbarungen einher gehen können (so auch § 11 Abs. 2, 2. Halbsatz, Abs. 4 Sanierungs-TV), verbindliche Vorgaben darstellen und der Arbeitgeber die benannten Vergütungsleistungen und Sonderzuwendungen nicht einseitig unter das tariflich ausgehandelte Maß reduzieren oder gar in Wegfall bringen kann. Insbesondere lässt sich die tarifschließende Gewerkschaft auf eine Sonderregelung für ein wirtschaftlich bedrängtes Unternehmen erkennbar nur unter der Prämisse ein, dass die Last der Einsparungen nicht übermäßig und unbegrenzt auf die Belegschaft überbürdet wird und vereinbarte Grenzen der Leistungsreduzierungen vom Arbeitgeber eingehalten werden. Insoweit implizieren die Vereinbarungen zu Sanierungszweck und Sanierungseignung eine Begrenzung der Leistungseinschnitte und machen die jeweiligen, im einzelnen konkretisierten Einsparungen auch für den Arbeitgeber zu verbindlichen Bestandteilen des im Sanierungstarifvertrag vereinbarten Sanierungsbeitrags: Dass womöglich (und so auch nach § 11 Sanierungs-TV) das im Sanierungstarifvertrag Vereinbarte in einer zweiten Stufe der weiteren tarifvertraglichen Ausführung oder der Umsetzung durch kollektiv- und individualrechtliche Maßnahmen bedarf, ändert nichts an der Verbindlichkeit der im Sanierungstarifvertrag getroffenen Festlegungen.

Dafür, dass die Gewerkschaft ver.di und die Beklagte mit § 11 Sanierungs-TV eine andere Regelungsvorstellung verbanden, fehlen hinreichende Anhaltspunkte. In der Tarifnorm hat insbesondere nicht Niederschlag gefunden, dass die Beklagte berechtigt sein sollte, das Sterbegeld gänzlich zu streichen. Dass den Tarifvertragsparteien geläufig war, dass das Sterbegeld nicht überall tariflich geregelt, sondern nach der Betriebsordnung als freiwillige Sozialleistung gewährt wurde, folgt schon aus ihrer Sachnähe, darüber hinaus aus den Formulierungen in § 11, namentlich der Überschrift "Reduzierung außer-/über-tarif-licher Leistungen" und der Erwähnung der Betriebsordnung in Abs. 1 Buchst. a.

(33) Der Rechtswirksamkeit des § 11 Sanierungs-TV steht schließlich nicht entgegen, dass der in Teil C Ziffer 9 der Betriebsordnung niedergelegte arbeitgeberseitige Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt für die Jahre 2005 bis 2007 im Sinne der festgelegten Reduzierungen eingeschränkt wurde und insoweit widerrufliche Leistungen "tariffest" gemacht wurden. Die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien umfasst die Absicherung freiwilliger Sozialleistungen. Daher ist unerheblich, dass das Sterbegeld im Beschäftigungsbetrieb des Ehemannes der Klägerin keine tarifliche Leistung, sondern eine "freiwillige Sozialleistung" war.

c) Mangels anderer Anhaltspunkte auch im Vortrag der Parteien ist davon auszugehen, dass die Beklagte ohne Rücksicht auf die in § 11 Abs. 1 Buchst. e Sanierungs-TV vorgeschriebene volumenmäßige Begrenzung das Sterbegeld generell gestrichen und weder den konkret zuständigen Betriebsrat noch den Gesamtbetriebsrat beteiligt hat. Die Kammer hat auch diesen Punkt in der mündlichen Verhandlung erörtert, ohne dass die Beklagte zu erkennen gegeben hat, dass sie einen anderen Sachvortrag bringen könne oder wolle.

4. Nach allem ist die Berufung der Klägerin begründet, so dass der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben ist.

C. Die durch Anrufung des örtlich unzuständigen Arbeitsgerichts Leipzig entstandenen Kosten hat die Klägerin zu tragen, § 17 b Abs. 2 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG. Im übrigen sind die Kosten des Rechtsstreits der unterlegenen Beklagten aufzuerlegen, § 91 Abs. 1 ZPO.

Weil der Sanierungs-TV bundesweit gilt und die Auslegung des § 11 entscheidungserheblich ist, hat die Kammer der Sache grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG beigemessen und für die Beklagte die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück