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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.09.1999
Aktenzeichen: 12 Sa 970/99
Rechtsgebiete: BetAVG, RVO


Vorschriften:

BetrAVG § 1
RVO § 1266 a. F.
1. Zur Auslegung einer Versorgungsordnung, die die Anspruchsberechtigungdes hinterbliebenen Ehegatten davon abhängig macht, dass der Verstorbene(Arbeitnehmer/Firmenrentner der Beklagten) den Unterhalt seiner Familieüberwiegend bestritten hat ("Haupternährer-Eigenschaft"); vgl. auch Urteil der 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15.04.1999, 2 (12) Sa 12/99.

2. Zum Gebot der Normenklarheit


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 12 Sa 970/99

Verkündet am: 15.09.1999

In dem Rechtsstreit

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 15.09.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Novak und den ehrenamtlichen Richter Kemmerlings für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 06.05.1999 wird kostenfällig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt eine betriebliche Witwenrente.

Die am 02.07.1947 geborene Klägerin ist die Witwe des Architekten Hermann A.damie. Ihr am 28.05.1936 geborener, schwerbehinderter Ehemann war seit dem 15.11.1965 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin angestellt. Ihm waren Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach der Versorgungsordnung" der Beklagten, die Gegenstand einer am 07.06.1982 geschlossenen Gesamtbetriebsvereinbarung war, zugesagt. Die Versorgungsordnung (nachfolgend: VO) bestimmt u. a. Folgendes:

§ 6 Witwenrente

1. Eine Witwenrente erhält die Ehefrau eines Mitarbeiters oder Firmenrentners, wenn der Verstorbene den Unterhalt seiner Familie

überwiegend bestritten hat (Haupternährer-Eigenschaft).

2. Eine Witwenrente wird nicht gezahlt, wenn ...

...

5. Die Witwenrente wird lebenslänglich, letztmalig für den Sterbemonat, gewährt. Der Anspruch erlischt jedoch mit Ablauf des Monats, in dem die Witwe eine neue Ehe eingeht. In diesem Fall erhält die Witwe eine einmalige Abfindung in Höhe von 24 Monatsbeträgen ihrer Witwenrente. Die Witwe ist verpflichtet, ihre Wiederverheiratung der Firma unverzüglich mitzuteilen.

...

§ 7 Witwerrente § 6 gilt entsprechend für den Witwer einer Mitarbeiterin oder Firmenrentnerin. ...

§ 9 Höhe der Versorgungsleistungen ... 7. Die Witwenrente beträgt 60 % der Firmenrente, die der verstorbene Ehemann bei seinem Tode bezog oder die er bezogen hätte, wenn er am Todestag berufsunfähig geworden und ausgeschieden wäre.

Diese Regelung gilt entsprechend für die Witwerrente.

Nach längeren Krankheitszeiten schied der Ehemann der Klägerin am 30.06.1994 bei der Beklagten aus. Nach 23-monatigem Bezug von Arbeitslosengeld erhielt ab dem 01.06.1996 BfA-Rente. Außerdem gewährte ihm die Beklagte ab diesem Zeitpunkt betriebliche Altersrente in Höhe von DM 820,00. Am 25.08.1998 verstarb der Ehemann der Klägerin.

Die Klägerin ist seit dem Jahr 1982 bei der Firma S.TE angestellt. Nach den Verdienstabrechnungen lag ihr Arbeitsverdienst bis einschließlich 1992 niedriger als der ihres Ehemannes. Ab 1993 überstieg das Einkommen der Klägerin vom Bruttobetrag her die aufgrund der Krankheitszeiten, anschließenden Arbeitslosigkeit und Verrentung verringerten Einkünfte des Ehemannes. Lediglich im Jahr 1994 waren die Einkünfte des Ehemannes aufgrund einer bezogenen Abfindung noch etwas höher. Wegen der Einzelheiten wird auf die Aufstellung vom 23.08.1999 (Bl. 100 der Gerichtsakte), die Verdienstabrechnungen (Bl. 101 ff.) und die Steuerbescheide von 1985 bis 1998 (Bl. 143 ff.) verwiesen.

Die Klägerin hat im März 1999 vor dem Arbeitsgericht Essen Klage erhoben und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie, die Klägerin,

1. für die Zeit vom 01.09.1998 bis 31.03.1999 eine rückständige Witwenrente von 3.444,00 DM nebst jeweils 4 % Zinsen von 492,00 DM seit dem 01.10., 01.11., 01.12.1998 und 01.01., 01.02., 01.03., 01.04.1999, und 2. laufend ab April 1999 eine monatliche Witwenrente von 492,00 DM, zahlbar jeweils am Monatsende, zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Ablebens ihres Ehemannes Haupternährerin" gewesen sei und ihr daher nach § 6 Abs. 1 VO Witwenrente nicht zustehe.

Mit Urteil vom 06.05.1999 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Gegen das Urteil wendet sich die Beklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie vertieft ihre erstinstanzlichen Rechtsausführungen und beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 06.05.1999 abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat in der Verhandlung vor der Kammer am 15.09.1999 über die Verwendung der von ihr und ihrem Ehemann bezogenen Einkünfte nähere Auskunft gegeben. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift des vorgenannten Tages Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den von den Parteien vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht nach § 6 Nr. 1 VO Witwenrente zu.

1. § 6 Nr. 1 VO grenzt die Anspruchsberechtigung danach ab, ob der Verstorbene den Unterhalt seiner Familie überwiegend bestritten hat oder nicht. An näheren Maßstäben für die Feststellung der Haupternährer-Eigenschaft" lässt es die Bestimmung fehlen. Sie bedarf daher der Auslegung, die ihrerseits, weil es sich bei der VO um eine Gesamtbetriebsvereinbarung handelt, nach den für die Auslegung von Betriebsvereinbarungen geltenden Regeln vorzunehmen ist. Danach ist zunächst der Wortlaut maßgebend. Über den reinen Wortlaut hinaus ist sodann der wirkliche Wille der Betriebspartner und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, soweit die Betriebsvereinbarung, insbesondere der Gesamtzusammenhang der getroffenen Regelungen, diesen Willen und Zweck erkennbar zum Ausdruck bringt (BAG, Urteil vom 15.12.1998, 1 AZR 332/98, ZIP 99, 812, zu 1 der Gründe; vgl. BAG, Urteil vom 16.05.1995, 3 AZR 395/94, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie, zu I 1 [zur Tarifauslegung]).

2. Der Wortlaut des § 6 Nr. 1 VO gibt keinen endgültigen Aufschluss.

Die Begriffe des Bestreitens des Familienunterhalts" bzw. des Ernährers" knüpfen an die zur Verfügung gestellten Mittel, i. e. Geldmittel, an. Mit dem Adverb überwiegend" bzw. dem Präfix Haupt- wird auf den prozentualen Anteil (mehr als 50 %) der zugewendeten Mittel abgestellt. Diese quantitative Festlegung sagt zunächst nichts darüber aus, zu welcher Zeit bzw. in welchem Zeitraum die Haupternährer-Eigenschaft vorgelegen haben muss. Nach allgemeinem Sprachempfinden und Sprachgebrauch wird jedoch als Haupternährer" gerade und nur das Familienmitglied bezeichnet, das bezogen auf einen längeren Zeitraum die überwiegenden Mittel für den Unterhalt bereitgestellt hat. Der Umstand, dass ein anderes Familienmitglied gelegentlich oder kurzzeitig höhere Mittel der Familienkasse hat zufließen lassen, macht dieses Mitglied nicht zum Haupternährer. Aus diesem Grund kann nicht auf die Verhältnisse an einem bestimmten Stichtag", etwa den Monat des Ablebens des Mitarbeiters bzw. Firmenrentners abgestellt werden. Vielmehr ist in der Rückschau für einen repräsentativen Zeitraum die Haupternährer-Eigenschaft festzustellen. Dieser sprachliche Erstbefund lässt offen, welcher Zeitraum maßgebend ist und inwieweit es sich auswirkt, wenn in der Vergangenheit die Haupternährer-Eigenschaft" zwischen den Ehepartnern wechselte. Der Wortlaut des § 6 Abs. 1 VO lässt immerhin die Berücksichtigung eines solchen Wechsels zu und macht nicht ohne weiteres den während der gesamten Dauer der Ehe, des Arbeits- und/oder Ruhestandsverhältnisses geleisteten finanziellen Unterhalt zum Maßstab.

3. Zweck der betrieblichen Altersversorgung ist es, als Teil der Gesamtversorgung zur Erhaltung des Lebensstandardes des Firmenrentners beizutragen. Indem die Präambel zur VO (Abschnitt I a. E.) diesen Zweck benennt, beschreibt sie die genuine Zwecksetzung jeder betrieblichen Altersversorgung. Des Weiteren hat das Bundesarbeitsgericht erkannt, dass in der Regel auch die Betriebstreue gefördert und belohnt werden soll (z. B. BAG, Urteil vom 22.11.1994, 3 AZR 349/94, AP Nr. 24 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B III 2, Urteil vom 09.12.1997, 3 AZR 661/96, AP Nr. 40, zu B II 2 a; vgl. BAG, Urteil vom 03.11.1998, 3 AZR 454/97, ZIP 99, 1145, zu B II). Dies gilt auch für die VO, die den Anspruch auf Firmenrente und deren Höhe von der Firmenzugehörigkeit und der Versorgungsgruppe abhängig macht (§§ 9 bis 11 VO).

Des Weiteren ist anzuerkennen, dass einerseits die Hinterbliebenenversorgung auf dem Arbeitsverhältnis des verstorbenen Arbeitnehmers beruht und seinem Interesse an einer angemessenen Versorgung seiner Familienangehörigen Rechnung trägt, andererseits der Arbeitgeber überhaupt keine Hinterbliebenenversorgung versprechen muss und ein finanzielles Interesse an der Begrenzung der Versorgungslasten hat (BAG, Urteil vom 28.03.1995, 3 AZR 343/94, AP Nr. 14 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung, zu II 2, Urteil vom 16.04.1997, 3 AZR 28/96, AP Nr. 16, zu II 3 b). Aus diesen allgemeinen Erwägungen lassen sich indessen keine konkreten Folgerungen für die Auslegung des § 6 Abs. 1 VO ableiten. Die Beklagte hat keine Witwenversorgung versprechen müssen; sie hat dies aber getan. Dabei hat sie ihre Versorgungsleistung nicht an der individuellen Bedürftigkeit des Firmenrentners oder seiner Witwe ausgerichtet, sondern eine generalisierende und typisierende Regelung geschaffen (vgl. BAG, Urteil vom 07.03.1995, 3 AZR 282/94, AP Nr. 26 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B II 2 d ee). Hieran muss sie sich festhalten und messen lassen.

Bei diesem Ansatz liegt dem Differenzierungsmerkmal des Haupternährers" zum einen die Vorstellung zugrunde, dass das Arbeitseinkommen bzw. die Gesamtversorgung (vgl. § 9 Nr. 6 VO) des Mitarbeiters/Firmenrentners zu dessen Lebzeiten im Wesentlichen den Unterhalt der Familie sicherstellten und dieser Versorgungsgrad, wenn auch verringert und begrenzt (§ 6 Nr. 3 bis 5, § 8, § 9 Nr. 7 VO), dem überlebenden Ehegatten und Kind erhalten bleiben sollte. Zum anderen stellt § 6 Nr. 1 VO auf die Erwerbstätigkeit des Haupternährers, seinem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten, deshalb ab, weil typischerweise nur dieses Arbeitsverhältnis als Altersversorgungsgrundlage in Betracht kommt, wohingegen die Ehefrau als Nebenernährerin" aus Berufstätigkeit keine oder nur geringe Versorgungsansprüche erwirbt (vgl. BArbBl. 98, 21). Mit der zugesagten Gesamtversorgung wird auf den Lebensstandard des Mitarbeiters vor dem Eintritt in den Ruhestand angeknüpft. Die versprochene Versorgungsleistung soll die Lücke verringern, die sich mit dem Eintritt des Versorgungsfalls zwischen dem durch die letzten aktiven Bezüge begründeten Lebensstandard und der sozialversicherungsrechtlichen Grundversorgung auftut. Die Witwenrente hat, indem auf den Wegfall des Haupternährers abgestellt wird, dieselbe lückenfüllende Funktion.

Der so verstandene Versorgungszweck legt es nahe, dass in die Beurteilung der Haupternährer-Eigenschaft die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ablebens des Mitarbeiters oder Firmenrentners" (§ 6 Nr. 1 VO) einzubeziehen sind. Dies bedeutet ­ entgegen der Auffassung der Beklagten ­ freilich nicht, dass aus Gründen der klaren und einfachen Ermittlung es nur auf die Verhältnisse am Tag bzw. im Monat des Ablebens ankommt und diese Verhältnisse den (konkreten) Versorgungsbedarf der Witwe ergeben (Seite 4 des Schriftsatzes vom 01.09.1999). Die Beklagte übersieht zum einen, dass eine solche punktuelle Betrachtung Zufälligkeiten und Einflussmöglichkeiten der Begünstigten Raum gäbe (vgl. BAG, Urteil vom 17.02.1998, 3 AZR 578/96, AP Nr. 38 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu II 3 b) und die Witwenrente nicht davon abhängt, ob ein tatsächlicher Versorgungsbedarf besteht, sondern dass Witwenrente zu gewähren ist, sofern die statuierten Voraussetzungen vorliegen, also auch bei fehlender Bedürftigkeit der Witwe.

Zum anderen ist zu bedenken, dass die Witwenrente bis zum Tod gezahlt wird (§ 6 Nr. 5 VO), also der Versorgungsbedarf auf eine Zeitspanne bezogen wird, für den eigene Einkünfte der Witwe nicht feststehen und, falls vorhanden, stark variieren können, z. B. bei Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Erreichen der Altersgrenze. Das Einkommen der Witwe zum Zeitpunkt des Todes ihres Ehemannes oder in dessen letzten Lebensjahren indiziert nicht, dass ihr künftiger Versorgungsbedarf abgedeckt wird. Dieser Einsicht trägt auch § 6 Nr. 5 Satz 2 VO durch die pauschalisierte Abgeltung der Rentenansprüche bei Wiederheirat Rechnung.

Sind daher die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Ablebens des Mitarbeiters bzw. Firmenrentners für den künftigen Versorgungsbedarf der Witwe nicht ohne weiteres aussagekräftig, kommt in Betracht, die Haupternährer-Eigenschaft" nach der gesamten Dauer der Ehe, soweit ein Arbeitsverhältnis bzw. Ruhestandsverhältnis zur Beklagten bestanden hat, festzustellen (so LAG Hamm, Urteil vom 08.12.1998, 6 Sa 674/98, zu 3 c, LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.04.1999, 2 (12) Sa 12/99, zu II). Dafür spricht der Entgeltcharakter der Versorgung, die dem Arbeitnehmer als Gegenleistung für Arbeitsleistung und Betriebstreue eine über die sozialversicherungsrechtliche Grundsicherung hinausgehende Versorgung gewähren will. Bei dieser Betrachtung ist der Ehemann der Klägerin Haupternährer", weil er in mindestens 8 von insgesamt 12 1/2 Jahren aufgrund höherer Einkünfte den Lebensunterhalt der Familie überwiegend" bestritt. Die Klägerin hatte höhere Brutto-Einkünfte in den Jahren 1993, sowie 1995 bis 1998, was allerdings nicht zwangsläufig bedeutet, dass ihre Netto-Einkünfte die weitgehend steuerfreien Einkünfte des Ehemannes in dieser Zeit überstiegen. Danach kann offen bleiben, ob eine vom nicht mehr berufstätigen Ehemann geleistete Haushaltsführung zu berücksichtigen wäre und inwieweit es sich auswirkt, dass der Ehemann an seinen Sohn monatlichen Unterhalt von ca. DM 600,00 leistete, während mit dem übrigen Gesamtverdienst nicht nur der bloße Unterhalt" bestritten wurde, sondern auch darüber hinausgehende Ausgaben getätigt wurden.

4. Die Auslegung des § 6 Nr. 1 VO darf schließlich nicht übergehen, dass die Bestimmung an § 1266 RVO ( Witwerrente erhält der Ehemann nach dem Tod seiner versicherten Ehefrau, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie überwiegend bestritten hat ") angelehnt ist. Zu § 1266 RVO war anerkannt, dass die versicherte Ehefrau den Unterhalt der Gesamtfamilie (einschließlich aller unterhaltsberechtigten Kinder, vgl. BSGE 63, 79, BSG NJW 81, 1008) überwiegend bestritten haben musste, es auf den tatsächlich geleisteten Unterhalt nach dem Nettoeinkommen ankam und nicht nur finanzielle Aufwendungen, sondern auch Haushaltstätigkeit der Eheleute zu berücksichtigen waren. In zeitlicher Hinsicht waren die für den Unterhalt bzw. die Unterhaltskasse erbrachten Leistungen während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes vor dem Tod der Versicherten maßgebend. § 1266 RVO ist, weil verfassungsrechtlich obsolet, durch Artikel 1 Nr. 28 HEZG gestrichen worden und gelangt nicht mehr zur Anwendung, wenn die versicherte Ehefrau vor dem 01.01.1986 verstorben ist (vgl. nunmehr § 46 SGB VI).

Regelungsinhalt und Schicksal des § 1266 RVO sind freilich für die Auslegung von § 6 Nr. 1 (§ 7) VO nicht maßgebend. Der Gesetzgeber handelte aus sozialpolitischen Gründen, knüpfte an das gesetzliche Versicherungsverhältnis, ein überkommenes Verständnis von der Rolle der Frau und der Familienhalt an und bestimmte auch nach familienfreundlichen Gesichtspunkten das Maß der Versorgung. Die Intentionen und Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung könne nicht Rechtfertigung für betriebliche Altersversorgungsregelungen sein. Zwar dient, wie ausgeführt, die betriebliche Altersversorgung auch der Versorgung der begünstigten Arbeitnehmer und ihrer Hinterbliebenen. Sie ist jedoch zugleich Entgelt für die im Unternehmen erbrachte Betriebstreue (BAG, Urteil vom 16.03.1993, 3 AZR 389/92, AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Teilzeit, zu 3, Urteil vom 12.11.1994, a. a. O., zu B III 3).

5. Hielte man § 6 Nr. 1 VO gleichwohl mit dem Inhalt für auslegungsfähig, dass es auf die Haupternährer-Eigenschaft während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes" ankommt, wäre die danach vorzunehmende Unterscheidung zwischen begünstigten und nicht begünstigten Witwen zu undifferenziert und sachwidrig. Bei beiden Gruppen ist der künftige Versorgungsbedarf ungewiss. Die zuletzt inne gehabte Haupternährer-Eigenschaft besagt nichts darüber, dass die Witwe, wenn sie ihre Erwerbsquelle (Arbeitsverhältnis) verliert, der zusätzlichen Versorgung durch die Witwenrente nicht bedarf. Wenn die Beklagte die Witwenrente von dem Versorgungsbedarf abhängig machen wollte, hätten ihr andere angemessene Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden, etwa die Anrechnung von anderweitigem Arbeitseinkommen oder sonstigen Bezügen (vgl. BAG, Urteil vom 22.11.1994, a. a. O.). Das Kriterium der Haupternährer-Eigenschaft vor bzw. beim Ableben des Mitarbeiters bzw. Firmenrentners erfasst nicht sachgerecht den künftigen Versorgungsbedarf, sondern führt in seiner praktischen Anwendung zu einer offenbaren Ungleichbehandlung. Dieser Befund hat zur Folge, dass die Einschränkung des § 6 Nr. 1 VO ( wenn ...") unwirksam ist. Die Teilnichtigkeit führt nicht zur Nichtigkeit der gesamten Witwenversorgung. Weil nach § 6 Nr. 1 VO jedenfalls die Witwen der Haupternährer" Anspruch auf Versorgung haben, können die ausgeschlossenen Witwen nach § 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG Gleichbehandlung und damit ebenfalls Witwenrente verlangen (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.1997, 3 a. a. O., zu III 1).

6. Dieselbe Rechtsfolge ergibt sich im Übrigen daraus, dass die Einschränkung des § 6 Nr. 1 VO gegen das Gebot der Normenklarheit (vgl. BAG, Urteil vom 04.12.1997,2 AZR 809/96, AP Nr. 143 zu § 4 TVG Ausschlussfristen, zu B II 3, Beschluss vom 29.01.1980, 1 ABR 45/79, AP Nr. 22 zu § 5 BetrVG 1972, zu B V 1 a) verstößt. Unklarheiten ergeben sich nicht nur hinsichtlich des maßgeblichen Beurteilungszeitraums, sondern auch der zu berücksichtigenden Mittel (Arbeitseinkommen, Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, aus Kapitalvermögen usw.) hinsichtlich dessen, was einerseits Unterhalt", andererseits (erhöhter) Lebensstandard und Luxus ist, inwieweit es auf die Brutto- oder Nettoeinkünfte und die Steuerklassenwahl ankommt, wie zu verfahren ist, wenn von den Arbeitseinkünften des einen Ehegatten der Unterhalt bestritten wird, während die (höheren) Einkünfte des anderen Ehegatten oder dessen Vermögen etwa für Luxusausgaben oder für die Ansparung von Vermögen verwendet werden. Ebenso ist unklar, wie der von den Ehegatten unterschiedlich geleistete Anteil der Haushaltsführung festzustellen, zu berücksichtigen und zu bewerten ist. Hinzu kommt die gemeinschaftsrechtliche Problematik des Merkmals der Haupternährer-Eigenschaft", auf die die 2. Kammer des LAG Düsseldorf im Urteil vom 15.04.1999 hingewiesen hat.

Die Gerichte können zwar nicht ohne weiteres eine unklare" Regelung kassieren, sondern haben zunächst im Wege der Auslegung die Klärung des Regelungsinhalts zu versuchen. Vorliegend ist jedoch eine solche Klärung mit den anerkannten Auslegungsmethoden nicht möglich. Vielmehr würde den Gerichten praktisch abverlangt, die Regelungsdefizite durch eigene Rechtssetzung zu beseitigen. Dies übersteigt nach Auffassung der Kammer die Aufgabe der Gerichte. Daher müssen es die Beteiligten hinnehmen, dass einer unklaren und nicht mehr auslegungsfähigen Regelung die Anerkennung der Rechtswirksamkeit versagt wird.

II.

Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung hat die Beklagte als unterlegene Partei zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache für die Beklagte die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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