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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 12 TaBV 117/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 75
BetrVG § 87
BetrVG § 112
Die Betriebsparteien streiten über die Höhe eines Sonderfonds, der im Zusammenhang mit einem Sozialplan errichtet und nach vom Betriebsrat festzulegenden Kriterien zu verteilen ist. Nach der Betriebsvereinbarung wird der Fonds durch "aus dem Sozialplan resultierende Abfindungszahlungen" vermindert. Die Arbeitgeberin will ebenfalls Abfindungen, zu deren Zahlung sie gemäß § 75 BetrVG i.V.m. dem Sozialplan verurteilt worden ist, in Abzug bringen. Dem widersetzt sich der Betriebsrat.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

12 TaBV 117/06

Verkündet am 28. Februar 2007

In dem Beschlussverfahren

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Anhörung vom 28.02.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Plüm als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Specht und den ehrenamtlichen Richter Rabiega

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 17.10.2006 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A. Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Fonds, der im Zusammenhang mit einem Sozialplan errichtet worden und nach vom Betriebsrat festzulegenden Verteilungskriterien zu verwenden ist.

Aus Anlass der Stillegung des Betriebes I. kam zwischen dem dort gewählten Betriebsrat und der Arbeitgeberin am 18.05.2005 ein Interessenausgleich und ein Sozialplan zustande. Der Sozialplan gewährt betriebsbedingt gekündigten Mitarbeitern einen Abfindungsanspruch, der sich im Fall vorzeitiger Eigenkündigung auf einen Pauschalbetrag ermäßigt und bei Ablehnung einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ganz entfällt. Die in Nr. 8 des Sozialplans aufgenommene "Salvatorische Klausel" bestimmt:

"Sollten einzelne Bestimmungen dieses Sozialplanes unwirksam sein oder werden bzw. im Widerspruch zu gesetzlichen oder tariflichen Regelungen stehen, so bleiben die übrigen Regelungen bestehen. Die unwirksamen bzw. im Widerspruch stehenden Regelungen sind durch solche Regelungen zu ersetzen, die der von den Vertragsparteien ursprünglich gewollten Regelung am nächsten kommt. Dies gilt auch für eine eventuelle Regelungslücke."

Außerdem schlossen die Betriebsparteien am 18.05.2005 eine "Vereinbarung über die Einrichtung eines Fonds" (nachfolgend: VEF), die wie folgt lautet:

"1. Die E. Hydraulik GmbH richtet im Rahmen des Interessenausgleichs und Sozialplans vom 18.08.2005 einen Fonds ein.

2. Dieser Fonds hat auf der Basis der Berechnungen vom 18.07.2005 ein Volumen von 5.500.000,- € brutto abzüglich der aus dem Sozialplan resultierenden Abfindungszahlungen. Zu diesen Abfindungszahlungen gehören nicht die Abfindungen nach Ziffer 6.1 des Sozialplanes vom 18.08.2005.

3. Die Regelung von Verteilungskriterien erfolgt durch den Betriebsrat, wobei die finanziellen Mittel auch für die Einrichtung einer Beschäftigungsgesellschaft nach §§ 216 ff SGB III verwandt werden können."

Das Volumen des Fonds beläuft sich auf ca. 1,2 Mio. Euro. Mit Aushang vom 11.04.2006 gab der Betriebsrat die von ihm festgelegten Verteilungsgrundsätze bekannt.

Den Mitarbeitern K. und W., die selbst das Arbeitsverhältnis gekündigt hatten, war von der Arbeitgeberin der nach dem Sozialplan verringerte Abfindungsbetrag von Euro 2.500,00 bzw. von Euro 2.000,00 zugestanden worden. Der Mitarbeiter K. erhob daraufhin Klage auf die Abfindung in "voller" Höhe von Euro 27.264,08. Durch Urteil vom 02.03.2006, 5 (12) Sa 8/06, gab das LAG Düsseldorf der Klage aus dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 75 BetrVG) i. V. m. dem Sozialplan statt. Der Mitarbeiter W. erstritt mit derselben Begründung ein erstinstanzliches Zahlungsurteil über die Abfindung in "voller" Höhe von Euro 9.539,87 (ArbG Düsseldorf 3 (8) Ca 2346/06); Berufungsrücknahme der Arbeitgeberin, LAG Düsseldorf 5 Sa 1302/06). Dem Mitarbeiter K., dem wegen Ablehnung eines Weiterbeschäftigungsangebotes die Sozialplanabfindung verweigert wurde, wurde auf seine Zahlungsklage hin eine Abfindung in Höhe von Euro 17.602,16 zuerkannt (ArbG Düsseldorf 11 Ca 2015/06). Dem Mitarbeiter L. wurde durch Urteil des LAG Düsseldorf vom 19.01.2007 (9 Sa 1159/06) ein zusätzlicher Abfindungsbetrag (Kinderzuschlag) von Euro 1.080,00 zugesprochen.

Die Beteiligten streiten darum, ob die gerichtlich zuerkannten Abfindungsansprüche nach Nr. 2 Satz 1 VEF auf den Fonds anzurechnen sind. Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass auch diese Ansprüche "aus dem Sozialplan resultieren" und der Betriebsrat nicht die Erweiterung des für den Nachteilsausgleich gesetzten Dotierungsrahmen von insgesamt Euro 5,5 Mio. verlangen könne. Der Betriebsrat widersetzt sich der Anrechnung der nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz zuerkannten Abfindungsansprüche auf den Fonds und meint, dass der Wortlaut der VEF entgegen stünde. Bei Abschluss der Betriebsvereinbarungen vom 18.05.2005 sei nur die tatsächliche Unsicherheit, wie viele Mitarbeiter unter den Sozialplan fielen, in Kauf genommen worden, nicht jedoch die rechtliche Unsicherheit über die Wirksamkeit des Ausschlusses bzw. der Einschränkung von Abfindungsansprüchen.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat durch Beschluss vom 17.10.2006 die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Beschwerde greift der Betriebsrat den Beschluss an. Mit den zuletzt gestellten Anträgen will er unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Düsseldorf festgestellt wissen, dass das Sozialplanvolumen in Höhe von Euro 5,5 Mio. nicht durch die den Mitarbeitern K., W., K. und L. gerichtlich zusätzlich zugesprochenen Abfindungsbeträge belastet werden dürfe.

Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

B. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Abfindungen, die aus dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 75 BetrVG) i. V. m. dem Sozialplan vier Mitarbeitern der Arbeitgeberin gerichtlich zuerkannt wurden, auf das Fondsvolumen von 5,5 Mio. anzurechnen sind. Die Kammer folgt den zutreffenden Gründen des erstinstanzlichen Beschlusses.

I. Die Feststellungsanträge des Betriebsrats sind zulässig. Sie sind - jedenfalls aufgrund der im Beschwerdeverfahren erfolgten Änderung und Präzisierung der Anträge - hinreichend bestimmt. Das Feststellungsinteresse des Betriebsrats (§ 256 ZPO) ergibt sich aus Nr. 2 Satz 1, Nr. 3 VEF: Der Umfang der vom Betriebsrat zu verteilenden Fondsmittel hängt von der Anrechenbarkeit der von der Arbeitgeber "zusätzlich" zum Sozialplan zu zahlenden Abfindungsbeträge ab.

II. Die Kammer hat erhebliche Bedenken, ob durch die VEF dem Betriebsrat ein Fonds zur "freien" Verteilung an die von der Betriebsänderung betroffenen Mitarbeiter wirksam überlassen werden konnte.

Allerdings ist die Einrichtung von "Härtefonds" in Sozialplänen nicht unüblich. Sie trägt dazu bei, besonderen Gegebenheiten im Einzelfall (§ 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 u. 2 BetrVG), die in die pauschalierende Abfindungsbemessung keinen Eingang finden können, zu berücksichtigen. Dass die Entscheidung über die Verteilung von finanziellen Mitteln durchweg einer paritätischen Kommission (§ 28 Abs. 2 BetrVG) überantwortet wird (Löwisch/Kaiser, BetrVG, 5. Aufl., § 112, Rz. 34 ff., DKK-Däuber, BetrVG, 10. Aufl., §§ 112, 112a Rz. 108 ff.), schließt nicht die Alleinverwaltung der Sozialeinrichtung "Härtefonds" durch den Betriebsrat aus (vgl. BAG, Urteil vom 24.04.1986, 6 AZR 607/83, AP Nr. 7 zu § 87 BetrvG 1972 Sozialeinrichtung, Richardi/Annuß, BetrVG, 10. Aufl., § 112 Rz. 100, Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., [1987], § 112, Rz. 26 b [60 a]). Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 12.02.1985, 1 AZR 40/84 AP Nr. 25 zu § 112 BetrVG 1972) sind die Betriebsparteien einerseits nicht gehalten, im Sozialplan selbst auszuweisen, aufgrund welcher Kriterien und auf welche Weise sie zu den einzelnen Abfindungsbeträgen gekommen sind, sondern können Sozialplanleistungen auch individuell festlegen. Andererseits müssen sie den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 BetrVG) beachten und nach dem Zweck von Sozialplanleistungen mit einem begrenzten Volumen möglichst allen von der Entlassung betroffenen Arbeitnehmern eine verteilungsgerechte Überbrückungshilfe bis zu einem ungewissen neuen Arbeitsverhältnis oder bis zum Bezug von Altersrente zu ermöglichen (BAG, Urteil vom 05.10.2000, 1 AZR 48/00, AP Nr. 141 zu § 112 BetrVG 1972). Damit macht die transparente Darstellung des sach- und verteilungsgerecht durchgeführten Nachteilsausgleichs in der Praxis die Festlegung von Verteilungskriterien selten verzichtbar. Das gilt nach Auffassung der Kammer jedenfalls dann, wenn - wie vorliegend - nicht mittels eines "Härtefonds" einzelnen Härtefällen Rechnung getragen werden soll, sondern ein "Sonderfonds" geschaffen wird, der aufgrund seines relativen und absoluten Umfangs grundsätzlich allen von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern zum Ausgleich oder zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile zugute kommen muss und nicht von vornherein für bestimmte Gruppen oder Einzelfälle reserviert werden darf. Hinzu kommt folgende Erwägung: Die in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG statuierte Normsetzungsbefugnis fällt beiden Betriebsparteien zu. Der damit verbundenen gemeinsamen Regelungsaufgabe entäußern sie sich, wenn Nachteilsausgleichregelungen ganz oder teilweise zur freien Disposition einer Betriebspartei gestellt werden. Mit einer solchen Blankettermächtigung geben sie es zudem aus der Hand, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz und der Zweck von Sozialplanleistungen verlässlich beachtet werden.

III. Die den Mitarbeitern K., W., K. und L. zu zahlenden Abfindungen sind "aus dem Sozialplan resultierende Abfindungszahlungen" und daher gemäß Nr. 2 Satz 1 VEF von dem Gesamtvolumen von 5,5 Mio Euro abzuziehen.

1. Nach höchstrichterlicher Spruchpraxis (BAG, 18.07.2006, 1 AZR 521/05, n.v., Urteil vom 27.06.2006, 1 AZR 322/05, AP Nr. 180 zu § 112 BetrVG 1972) ist bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen, namentlich von Sozialplänen, zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn auszugehen. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Von besonderer Bedeutung ist ferner der Sinn und Zweck der Regelung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt. Der tatsächliche Wille der Betriebsparteien ist zu berücksichtigen, sofern er in dem Regelungswerk seinen Niederschlag gefunden hat. Hat ihr abweichender Wille bei Abschluss der Betriebsvereinbarung keinen hinreichenden Ausdruck gefunden, muss er hingegen unberücksichtigt bleiben (BAG, Urteil vom 15.12.1998, 1 AZR 332/98, AP Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972).

2. Ausgehend von diesen Auslegungsmaximen hat die Vorinstanz überzeugend ausgeführt, dass die aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 BetrVG) i.V.m. dem Sozialplan zugesprochene Abfindung i. S. v. Nr. 2 Satz 1 VEF "aus dem Sozialplan resultiert". Die Kammer macht sich die Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses zu eigen. Mit ihren Angriffen verkennt die Beschwerde, dass die Betriebsparteien den "aus dem Sozialplan resultierenden Abfindungszahlungen" auch jene Ansprüche zugeordnet haben, die sich aus der Ersetzung rechtsunwirksamer oder Ergänzung lückenhafter Vorschriften ergeben (Nr. 8 des Sozialplans). Damit stellt sich die von der Beschwerde reklamierte, ohnehin gekünstelte Abgrenzung der (vorhanden gewesenen) tatsächlichen von möglichen rechtlichen Unsicherheiten als untaugliches Differenzierungsmerkmal dar. Im übrigen spricht alles dafür, dass - ausgenommen die hier nicht relevanten Abfindungszahlungen nach Nr. 2 Satz 2 VEF, Nr. 6.1 des Sozialplans - mit dem in Nr. 2 Satz 1 VEF angegebenen "Volumen von 5,5 Mio. Euro brutto" die finanzielle Gesamtausstattung des Nachteilsausgleichs bezeichnet und der dem Betriebsrat erkennbaren Interessenlage der Arbeitgeberin entsprochen werden sollte, die finanzielle Belastung auf dieses Volumen zu begrenzen und den Fonds gerade und nur mit den Mitteln zu dotieren, die sich aus der Differenz zwischen dem Betrag von 5,5 Mio. Euro und der Summe aller Abfindungszahlungen ergeben würden.

Ohne Erfolg weist der Betriebsrat auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitgerichts hin, wonach die mit der gerichtlichen Korrektur von Sozialplanregelungen mittelbar verbundene Ausdehnung des vereinbarten Finanzvolumens hinzunehmen sei, solange nur einzelne Arbeitnehmer benachteiligt werden und die Mehrbelastung des Arbeitgebers durch die Korrektur im Verhältnis zum Gesamtvolumen des Sozialplans nicht ins Gewicht falle (BAG, Urteil vom 21.10.2003, 1 AZR 407/02, AP Nr. 163 zu § 112 BetrVG 1972, Urteil vom 17.02.1981, 1 AZR 290/78, AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972, vgl. Richardi/ Oetker, BetrVG, 8. Aufl., § 112, 112 a Rz. 285). Diese Judikatur bezieht sich allein auf Individualprozesse, nicht jedoch auf Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betriebspartnern über die Mindest- oder Höchstdotierung eines Sozialplans oder über die für einen Sonder- oder einen Härtefonds bereit zu stellenden Finanzmittel.

3. In Anwendung dieser Grundsätze verringern die den Mitarbeitern K. und W. aus dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 75 Abs. 1 BetrVG) i.V.m. dem Sozialplan vom 18.05.2005 zusätzlich zugesprochenen Abfindungsbeträge das Fondsvolumen nach Nr. 2 VEF. Gleiches gilt erst recht für die den Mitarbeitern K. und L. zuerkannten Abfindungsbeträge: Insoweit stand von vornherein nicht die "Ausdehnung" des Sozialplans auf Mitarbeiter, die selbst das Arbeitsverhältnis gekündigt haben, in Rede, sondern lediglich die Erfüllung der - sich unter Auslegung des Sozialplans ergebenden - Anspruchsvoraussetzungen.

C. Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nach § 92 Abs. 1 Satz 2, § 72 Abs. 2 ArbGG nicht veranlasst. Wegen der Nichtzulassungsbeschwerde wird der Betriebsrat auf die Voraussetzungen nach § 92 a ArbGG hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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