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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 01.03.2007
Aktenzeichen: 13 Sa 1275/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 2
KSchG § 17 Abs. 1
1. Kündigt ein Arbeitgeber, bevor er eine nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet hat, ist die Kündigung unwirksam. Eine Heilung durch eine nachträgliche Anzeige ist nicht möglich.

2. Enthält bei einer ordentlichen Änderungskündigung das Angebot eine Änderung der Arbeitsbedingungen bereits mit Wirkung vor Ablauf der Kündigungsfrist, ist die Kündigung nach § 1 Abs. 2, § 2 KSchG sozial ungerechtfertigt (vgl. BAG 21.09.2006 - 2 AZR 120/06 - DB 2007, 634).


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 Sa 1275/06

Verkündet am 01. März 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 01.03.2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nübold als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Berndsen und den ehrenamtlichen Richter Dannemann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 27. September 2006 - 3 Ca 566/06 - teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 22. Februar und 27. März 2006 nicht aufgelöst ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 1/3, die Beklagte zu 2/3 zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Wesentlichen über die Wirksamkeit zweier beklagtenseits ausgesprochener Änderungskündigungen.

Die 46jährige, verheiratete Klägerin ist bei der Beklagten seit Juli 1986 zuletzt als Produktionsleiterin gegen ein Monatsbruttogehalt von 2.617,-- € angestellt. Die Beklagte beschäftigte zuletzt etwa 25 Arbeitnehmer. Sie produziert eigene Arzneimittel und artverwandte Produkte und in Lohnherstellung Arzneimittel für andere Pharmaunternehmen.

Mit Schreiben vom 22. Februar 2006, welches die Klägerin am 24. Februar 2006 erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. September 2006, bot der Klägerin jedoch an, das Arbeitsverhältnis in H. im Spreewald fortzusetzen. Gleichzeitig sprach die Beklagte auch den anderen Arbeitnehmern Änderungskündigungen aus. Höchstens fünf Arbeitnehmer nahmen das Änderungsangebot an, die Mehrzahl, darunter auch die Klägerin, hingegen nicht.

Am 23. März 2006 zeigte die Beklagte der Bundesagentur für Arbeit gemäß § 17 KSchG Entlassungen an. Auf den Inhalt des als Anlage B 3 zur Klageerwiderung zur Akte gereichten Schreibens (Bl. 30 ff. der Akte) im Einzelnen wird verwiesen. Unter dem 24. März 2006 antwortete die Bundesagentur wie folgt:

Ihre o. g. Anzeige ist hier am 23. März 2006 rechtswirksam eingegangen. Damit können die Kündigungen unmittelbar nach Eingang der Anzeige innerhalb von 30 Kalendertagen ausgesprochen werden.

Nach § 18 Abs. 1 KSchG darf die Wirkung der Kündigungen (Austritt der Arbeitnehmer) dann grundsätzlich erst nach Ablauf eines Monats nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit eintreten. Innerhalb dieser Frist werden Entlassungen nur mit Zustimmung des in § 20 KSchG bezeichneten Entscheidungsträgers wirksam.

Der Entscheidungsträger kann im Einzelfall bestimmen, dass die Entlassungen nicht vor Ablauf von längstens zwei Monaten nach Eingang der Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam werden (§ 18 Abs. 2 KSchG). Die Entscheidung wird Ihnen schriftlich mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 27. März 2006 sprach die Beklagte der Klägerin eine weitere Änderungskündigung "zum 31.10.2006" aus. In dem Schreiben heißt es weiter:

Gleichzeitig bieten wir Ihnen an, das Arbeitsverhältnis ab 01.07.2006 in H. fortzusetzen. Die übrigen Arbeitsbedingungen bleiben unverändert.

Mit ihrer am 14. März 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen die Kündigung vom 20. Februar 2006 gewendet und deren fehlende soziale Rechtfertigung gerügt. Am 3. April 2006 hat sie die Klage auf die zweite Änderungskündigung erstreckt. Mit Schriftsatz vom 16. Mai 2006 hat die Klägerin zusätzlich gerügt, die Kündigung vom 22. Februar 2006 sei unwirksam, weil die Beklagte die erforderliche Massenentlassungsanzeige unterlassen habe.

Die Klägerin hat - nach dem Tatbestand der angefochtenen Entscheidung - zuletzt beantragt

1. festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2006, zugegangen am 24. Februar 2006, aufgelöst wird,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30. September 2006 hinaus fortbesteht,

3. die Beklagte für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen als Produktionsleiterin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag zu 1 weiter zu beschäftigen,

4. festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 27. März 2006 aufgelöst wird,

5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31. Oktober 2006 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, ihre Gesellschafter hätten sich in verschiedenen Versammlungen im Zeitraum April bis Juni 2005 darauf verständigt, den Beschäftigungsbetrieb der Klägerin in P. nach H. in Brandenburg zu verlagern. Nach den entsprechenden Vorbereitungen und Umbaumaßnahmen werde der Betrieb in P. im Juni 2006 geschlossen und zum 1. Juli 2006 in H. die Produktion aufgenommen. Da die Kündigungsfrist für die Klägerin lediglich sechs Monate betrage, sei die Kündigung vom 27. März 2006 dahingehend auszulegen, dass eine Kündigung zum 30. September 2006 gewollt sei.

Mit Urteil vom 27. September 2006 hat das Arbeitsgericht Oberhausen die Klage abgewiesen. Es hat angenommen, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung der Beklagten aus Februar 2006 zum 30. September 2006 aufgelöst worden. Dem stehe die fehlende Massenentlassungsanzeige nicht entgegen, da die Klägerin den entsprechenden Unwirksamkeitsgrund nicht rechtzeitig gerügt habe. Im Übrigen sei die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt, da die Beklagte zur Überzeugung der Kammer die unternehmerische Entscheidung nachgewiesen habe, den Betriebssitz von P. nach H. zu verlegen. Die zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochene Kündigung vom 27. März 2006 gehe ins Leere, so dass die diesbezügliche erhobene Kündigungsschutzklage ebenfalls keinen Erfolg haben könne. Die Klageanträge zu Ziffern 2 und 4 seien mangels Rechtsschutzinteresses abzuweisen.

Gegen das ihr am 25. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24. November 2006 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. Januar 2007 - mit einem am 12. Januar 2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie rügt unter Hinweis auf § 6 KSchG, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht die Rüge der unterbliebenen Massenentlassungsanzeigen als verspätet angesehen. Das unstreitig vorliegende Unterlassen der Anzeige führe zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dementsprechend gehe die später ausgesprochene Kündigung nicht ins Leere.

Die Klägerin beantragt,

das am 27. September 2006 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen, Aktenzeichen 3 Ca 566/06, abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Selbst wenn die Klägerin prozessual nicht gehindert sei, die Rüge der fehlenden Massenentlassungsanzeige zu erheben, folge hieraus nicht die Unwirksamkeit der Kündigung. Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht bewirke lediglich eine Entlassungssperre. Soweit sie in der Änderungskündigung aus März 2006 das Angebot aufgenommen habe, das Arbeitsverhältnis bereits ab dem 1. Juli 2006 in H. fortzusetzen, handele es sich um ein offensichtliches Versehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zu einem geringen Teil bereits unzulässig; im Übrigen ist sie zulässig und überwiegend begründet.

A.

I.

Bezogen auf die allgemeinen Feststellungsanträge zu 2 und 4 ist die Berufung unzulässig.

1.

Dabei kann dahinstehen, ob das Arbeitsgericht - wofür die Protokollierung der Antragstellung im Kammertermin vom 13. September 2006 spricht - über diese Anträge entschieden hat, obwohl die Klägerin sie gar nicht gestellt hatte. Einen derartigen Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO hat die Berufung jedoch nicht gerügt, so dass als Gegenstand des Berufungsverfahrens die erstinstanzlich beschiedenen Anträge anzusehen sind.

2.

Nach § 520 Abs. 3 ZPO muss die Berufungsbegründung über die Berufungsanträge hinaus die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung in der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Es bedarf insoweit einer auf den Einzelfall abgestimmten Auseinandersetzung. Bezieht sich die Berufung auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Lediglich eine Berufung gegen einen Anspruch, der von einem mit der Berufung angegriffenen anderen Anspruch abhängt, braucht nicht mit einer eigenen Begründung versehen zu werden (st. Rspr., vgl. nur BAG 16. März 2004 - 9 AZR 323/03 - NZA 2004, 1047; zur Revisionsbegründung zuletzt BAG 9. November 2006 - 2 AZR 532/05 -).

3.

Danach ist die Berufung zu den Anträgen zu 2 und 4 unzulässig. Mit der Argumentation des Arbeitsgerichts, den allgemeinen Feststellungsanträgen fehle das Rechtsschutzinteresse, setzt sie sich nicht auseinander. Zu diesen Anträgen fehlt jegliches Vorbringen.

II.

Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B.

Die Berufung ist begründet, soweit die Klägerin die Abweisung der Kündigungsschutzanträge angreift. Bezogen auf den Weiterbeschäftigungsantrag ist sie als unbegründet zurückzuweisen.

I.

Die Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2006 ist wegen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam.

1.

Nach der seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27. Januar 2005 (- C - 188/03 Junk, NZA 2005, 213) ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist unter Entlassung iSd. § 17 KSchG der Ausspruch einer Kündigung zu verstehen (grundlegend BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - NZA 2006, 971). Entsprechend ist auch für die Frist von 30 Kalendertagen nicht auf die Kündigungstermine, sondern auf den Zeitpunkt der Erklärung der Kündigungen abzustellen (KR-Weigand, 8. Aufl., § 17 KSchG Rn. 52). Änderungskündigungen können dann eine Anzeigepflicht auslösen, wenn sie mangels Annahme durch den Arbeitnehmer die Wirkung einer Beendigungskündigung haben (KR-Weigand, aaO, Rn. 41).

Die fragliche Kündigung unterfiel danach der Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG. Die Beklagte beschäftigte im Betrieb P. mehr als 20 Arbeitnehmer. Da sie Ende Februar 2006 allen Arbeitnehmern eine Änderungskündigung ausgesprochen hat, welche unstreitig jedenfalls nicht mehr als fünf Arbeitnehmer angenommen haben, war die Grenze des § 17 Abs. 1 Nr. 1 KSchG weit überschritten.

2.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine unter Verstoß gegen die Anzeigepflicht ausgesprochene Kündigung unwirksam. Anders als die Beklagte meint, kann ein Verstoß auch nicht durch eine nachträgliche Anzeige geheilt werden.

a)

Das Bundesarbeitsgericht hat bislang offen gelassen, welche Rechtsfolge ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht hat (BAG 16. Juni 2005 - 6 AZR 451/04 -; 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - NZA 2006, 971; 13. Juli 2006 - 6 AZR 198/06 - NZA 2007, 25). Es hat einerseits die Frage aufgeworfen, ob der Verstoß gegen § 17 KSchG geheilt werden kann, wenn die Agentur für Arbeit auf eine nachträgliche Anzeige der Entlassung zustimmt (BAG 13. Juli 2006 - 6 AZR 198/06 -NZA 2007, 25). Andererseits hat es formuliert, eine nachträgliche Anzeige könne an einem Verstoß des Arbeitgebers gegen § 17 Abs. 1 KSchG nichts ändern (BAG 21. September 2006 - 2 AZR 284/06 - juris).

b)

Zur Überzeugung der Kammer ist eine Kündigung unheilbar unwirksam, wenn der Arbeitgeber trotz Erforderlichkeit einer Massenentlassungsanzeige diese unterlässt (so auch KR-Weigand, 8. Aufl., § 17 KSchG Rn. 101 ff; aA wohl HWK-Pods/Molkenbur § 17 KSchG Rn. 42). Dass diese Frage überhaupt aufgeworfen wird, lässt sich angesichts des klaren Wortlauts nur dadurch erklären, dass unter dem Begriff der Entlassung zunächst nicht die Kündigungserklärung verstanden wurde. Es erscheint wenig konsequent, auf der Tatbestandsseite des § 17 KSchG den Begriff der Entlassung als Kündigung auszulegen, die Rechtsfolge hingegen der nunmehr aufgegebenen Rechtsprechung zu entnehmen. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob der Zweck der Regelung die Unwirksamkeitsfolge gebietet (vergleiche BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 -NZA 2006, 971). Vielmehr ist zu fragen, ob der Wortlaut wenigstens Anhaltspunkte für eine differenzierte Betrachtung gibt. § 17 Abs. 1 KSchG verpflichtet den Arbeitgeber jedoch, die Anzeige zu erstatten, "bevor" er die Arbeitnehmer entlässt, in der neueren Auslegung also, bevor er kündigt. Auch spricht das Gesetz in dem nach § 17 Abs. 2 und 3 KSchG der Massenentlassungsanzeige vorgeschalteten Konsultationsverfahren von "beabsichtigten" und "geplanten" Entlassungen, also Kündigungen. Zudem heißt es in § 17 Abs. 3 S. 4 KSchG, die Anzeige müsse Angaben über die "Gründe für die geplanten Entlassungen" und die "zu entlassenden ... Arbeitnehmer" enthalten. Anderes folgt auch nicht aus § 18 KSchG. Wie sich aus dessen Abs. 4 ergibt, muss die Kündigung innerhalb von 90 Tagen nach dem gemäß den Abs. 1 und 2 zulässigen Zeitpunkt ausgesprochen werden. § 18 Abs. 1 letzter Halbsatz KSchG bestimmt insoweit als frühestmöglichen Zeitpunkt den Tag der Antragstellung. Damit verlangt das Gesetz eindeutig die Anzeige vor Ausspruch der Kündigung. Auch das Bundesarbeitsgericht erklärt in der grundlegenden Entscheidung vom 13. März 2006, es folge der Auslegung der Massenentlassungs-Richtlinie durch den Europäischen Gerichtshof; auch habe der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der Richtlinie in das deutsche Kündigungsschutzrecht umsetzen wollen. Der Europäische Gerichtshof kommt in Auslegung der Richtlinie jedoch zu dem Ergebnis, die Entscheidung des Arbeitgebers, die sich in der Kündigungserklärung manifestiere, dürfe vor der Anzeige noch nicht gefallen sein. Für eine zwischen der privatrechtlichen Wirksamkeit der Kündigung und der "Entlassungsmöglichkeit" differenzierende Auffassung, wie sie das Bundesarbeitsgericht in früherer Rechtsprechung vertreten hat (vgl. zB BAG 13. April 2000 - 2 AZR 215/99 - AP Nr. 13 zu § 17 KSchG 1969 = NZA 2001, 144) findet sich daher nach der Änderung des Merkmals der Entlassung im Gesetz keine Stütze mehr. Die einzig verbliebene Möglichkeit, anstelle einer Unwirksamkeit eine völlige Folgenlosigkeit eines Verstoßes anzunehmen, lässt sich nach Ansicht der Kammer weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem von der MassenentlassungsRichtlinie intendierten Sinn und Zweck vereinbaren.

c)

Die Unwirksamkeitsfolge lässt sich auch nicht durch eine nachträgliche Anzeige bei der Agentur für Arbeit heilen. Der oben dargelegte Wortlaut insbesondere von § 18 Abs. 1 letzter Halbsatz, Abs. 4 KSchG steht einer derartigen Auffassung entgegen. Im Übrigen ist im Kündigungsschutzrecht für die Wirksamkeit einer Kündigung der Zeitpunkt ihres Ausspruchs maßgebend. Ließe man eine rückwirkende Heilung der Verletzung der Anzeigepflicht zu, wäre für den Arbeitnehmer das Schicksal der Kündigung für eine unter Umständen nicht unerhebliche Dauer ungewiss. Eine solche schwebende Unwirksamkeit ist bei der Kündigung als einer Gestaltungserklärung nicht hinnehmbar.

3.

Selbst wenn das Gesetz eine nachträgliche Zustimmung der Agentur für Arbeit zulassen würde, läge eine solche hier nicht vor. Der Erklärungsinhalt der Mitteilung der Agentur für Arbeit vom 24. März 2006 kann über den Inhalt des beklagtenseits gestellten Antrags nicht hinausgehen. In ihrem Antrag formuliert die Beklagte jedoch selbst, die Kündigungen sollten in der 13. Kalenderwoche, also ab dem 27. März 2006, ausgesprochen werden. Das schließt es aus, dem Antrag das Begehren auf Genehmigung bereits ausgesprochener Kündigungen zu entnehmen.

4.

Die Beklagte kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu § 17 KSchG war bei Ausspruch der fraglichen Kündigung bereits seit langem bekannt. Ausweislich der Änderung der DA KSchG 7/2005 folgte auch die Bundesagentur für Arbeit schon seit Juli 2005 der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (KR-Weigand, 8. Aufl., § 17 KSchG Rn. 6k; zur Information der Öffentlichkeit über die Umstellung der Verwaltungspraxis durch Pressemitteilungen im Februar und April 2005 siehe KR-Weigand aaO, Rn. 109). Die Beklagte hat sich auch selbst nicht darauf berufen, die Massenentlassungsanzeige unterlassen zu haben, weil sie auf die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertraut habe. Die Beklagte musste auch damit rechnen, dass eine unter Verletzung der Anzeigepflicht ausgesprochene Kündigung unwirksam ist. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht wie erläutert die durch die Rechtsprechungsänderung entstandene Rechtsunsicherheit durch das Offenlassen der Folgen eines Verstoßes nur unvollständig beseitigt. Dennoch trifft die Beklagte die von der Berufungskammer angenommene Rechtsfolge nicht überraschend.

5.

Rechtsfehlerhaft hat das Arbeitsgericht angenommen, das Unterlassen der Massenentlassungsanzeige bleibe ohne Wirkung, da die Klägerin diese Rüge erst verspätet erhoben habe. Das Arbeitsgericht hat den Inhalt der Regelung des § 4 KSchG verkannt. Allerdings ist der Arbeitnehmer seit der Neuregelung des Kündigungsschutzgesetzes mit Wirkung ab dem 1. Januar 2004 gezwungen, binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auch dann zu erheben, wenn er die Unwirksamkeit einer Kündigung nicht aus deren fehlender sozialer Rechtfertigung herleitet, sondern aus anderen Gründen. Wie sich aus § 6 KSchG ergibt, konnte die Klägerin sich aufgrund der fraglos rechtzeitig erhobenen Klage jedoch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz noch auf weitere, nicht innerhalb der Klagefrist geltend gemachte Unwirksamkeitsgründe berufen (vergleiche nur BAG 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - NZA 2006, 971).

II.

Die Änderungskündigung vom 27. März 2006 ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam gemäß § 1 Abs. 1 und 2, § 2 des gemäß § 23 Abs. 1, § 1 Abs. 1 fraglos anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes.

1.

Eine wie hier betriebsbedingte Änderungskündigung ist nur wirksam, wenn sich der Arbeitgeber bei einem an sich anerkennenswerten Anlass darauf beschränkt hat, lediglich solche Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Im Rahmen der §§ 1, 2 KSchG ist nach ständiger Rechtsprechung dabei zu prüfen, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den betreffenden Arbeitnehmer zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist (BAG 18. Mai 2006 - 2 AZR 230/05 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 83; 18. November 1999 - 2 AZR 77/99 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 104; 24. April 1997 - 2 AZR 352/96 - BAGE 85, 358). Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat (st. Rspr. des BAG, siehe nur 19. Mai 1993 - 2 AZR 584/92 - BAGE 73, 151). Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle Vertragsänderungen vorliegen (BAG 3. Juli 2003 - 2 AZR 617/02 - BAGE 107, 56), dh. es sind alle vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Vertragsänderungen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 642/04 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 81 = EzA KSchG § 2 Nr. 54; 6. März 1986 - 2 ABR 15/85 - BAGE 51, 200). Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung, dh. die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom Inhalt des bisherigen Arbeitsverhältnisses entfernen, als zur Erreichung des angestrebten Zieles erforderlich ist (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 642/04 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 81 = EzA KSchG § 2 Nr. 5). Eine ordentliche (Änderungs-) Kündigung wirkt erst zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Daran hat sich auch das Änderungsangebot des Arbeitgebers zu orientieren. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, auf einen Teil der ihm zustehenden Kündigungsfrist zu verzichten und vorzeitig in eine Vertragsänderung mit aus seiner Sicht nachteiligen Arbeitsbedingungen einzuwilligen (BAG 21. April 2005 - 2 AZR 244/04 - AP KSchG 1969 § 2 Nr. 80 = EzA KSchG § 2 Nr. 52). Für die Dauer der Kündigungsfrist genießt der Arbeitnehmer gegenüber einer ordentlichen Kündigung nicht nur Beendigungs-, sondern auch Vertragsinhaltsschutz. Eine ordentliche Änderungskündigung, die auf eine vor Ablauf der Kündigungsfrist des betreffenden Arbeitnehmers wirksam werdende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zielt, ist deshalb nach § 1 Abs. 2, § 2 KSchG sozial ungerechtfertigt (BAG 21. September 2006 - 2 AZR 120/06 - zVv.; ArbG Düsseldorf 30. September 1992 - 4 Ca 3104/92 - unveröffentlicht; Bröhl BB 2007, 437).

2.

Die durch die Beklagte ausgesprochene ordentliche Änderungskündigung ist danach gemäß § 1 Abs. 2, § 2 KSchG unwirksam. Unabhängig von der Frage, ob eine Änderung der Arbeitsbedingungen zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist sozial gerechtfertigt wäre, ist das Angebot der Beklagten, die Klägerin solle schon vor Ablauf der Kündigungsfrist statt in P. in H. arbeiten, sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 KSchG).

a)

Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich das Kündigungsschreiben nicht dahingehend auslegen, sie habe der Klägerin gegen den Wortlaut die Tätigkeit in H. nicht bereits ab dem 1. Juli 2006, sondern erst nach dem 31. Oktober 2006 angeboten. Im Kündigungsschreiben selbst findet diese Ansicht keine Stütze. Dem Hinweis der Beklagten, es handle sich um ein offensichtliches Versehen, vermochte sich die Kammer nicht anzuschließen. Der beklagtenseits insofern angeführte Umstand, das Versehen resultiere daraus, bei den übrigen Arbeitnehmern habe aufgrund der kürzeren Beschäftigungsdauer die Änderungskündigung zum Zeitpunkt der Betriebsverlagerung ausgesprochen werden können, war der Klägerin nicht bekannt. Im Übrigen hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer einschränkend erklärt, dies habe lediglich für die meisten der anderen Arbeitnehmer gegolten. Wesentlich für die objektiv aus Sicht der Klägerin vorzunehmende Auslegung ist vielmehr, dass die Beklagte im Kündigungsschreiben vom 22. Februar 2006 das Angebot zur Weiterarbeit in H. nicht ausdrücklich datumsmäßig festgelegt, sondern lediglich die Fortsetzung im Anschluss an das gekündigte Arbeitsverhältnis angeboten hatte. Wenn sie hingegen im zweiten Kündigungsschreiben für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in H. ausdrücklich das Datum des 1. Juli 2006 nennt, musste die Klägerin sie insoweit beim Wort nehmen, zumal ihr bekannt war, dass die Beklagte sich auf eine Verlagerung des Betriebs per 1. Juli 2006 berief. Im Vergleich zur ersten Kündigung hätte ein Änderungsangebot zum 1. November 2006 einen weiteren Monat Vergütung ohne Gegenleistung sowie das entsprechend längere Freihalten eines Arbeitsplatzes in H. bedeutet. Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus den Schriftsätzen der Klägerin nichts anderes. Soweit die Klägerin hierin auf den 31. Oktober 2006 abstellt, ist dies dadurch begründet, dass es sich hierbei um den Kündigungstermin handelt. Bemerkenswerterweise hat zudem die Beklagte sich erstinstanzlich noch auf den Standpunkt gestellt, die Kündigung sei ersichtlich zum 30. September 2006 ausgesprochen worden, da dieses Datum der gesetzlichen Kündigungsfrist entspreche.

b)

Das Angebot der Beklagten, die Arbeitsbedingungen schon vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zu ändern, kann auch nicht allgemein als Angebot ausgelegt werden, die neuen Arbeitsbedingungen bei Unzulässigkeit der vorfristigen Änderung erst mit dem Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist eintreten zu lassen. Anders als bei Beendigungskündigungen ist eine solche Auslegung bei einer ordentlichen Änderungskündigung nicht möglich (BAG 21. September 2006 - 2 AZR 120/06 - zVv.).

c)

Das Prozessverhalten der Beklagten kann auch nicht als wirksame Korrektur des fraglichen Datums gewertet werden. Eine nachträgliche Veränderung des Angebotsinhalts ist im Fall einer Änderungskündigung nicht möglich. § 2 KSchG fordert, dass der Arbeitgeber das Angebot im Zusammenhang mit der Kündigung unterbreitet. Die auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Erklärung und das Änderungsangebot müssen als Einheit angesehen werden. Deshalb muss das Angebot spätestens bei Zugang der Kündigung in annahmefähiger Form, also konkret und vollständig vorliegen.

d)

Letztlich scheidet auch eine Umdeutung des vorfristigen Angebots in ein der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechendes aus. Voraussetzung einer Umdeutung nach § 140 BGB ist die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts. Abgesehen davon, dass ein bloßes Angebot kein Rechtsgeschäft darstellt, ist ein vorfristiges Angebot für sich genommen nicht unwirksam. Insbesondere kann der Arbeitnehmer es mit oder ohne Vorbehalt annehmen. Im Übrigen widerspräche die Annahme einer Umdeutungsmöglichkeit dem Erfordernis der Rechtssicherheit und liefe damit dem Schutzzweck des § 2 KSchG entgegen (BAG 21. September 2006 - 2 AZR 120/06 - zVv.).

e)

Es bedarf vorliegend keiner Stellungnahme der Kammer, ob - wie in der Literatur (Hohenstatt/Kock NZA 2004, 524) diskutiert - die Möglichkeit einer ordentlichen Änderungskündigung mit einem sofort wirkenden Änderungsangebot für den Fall anzunehmen ist, dass der Arbeitgeber den anderweitigen Arbeitsplatz nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freihalten kann. Wie sich aus ihrer Ansicht, das Änderungsangebot sei als ein solches nach Ablauf der Kündigungsfrist auszulegen, unmissverständlich ergibt, beruft sich die Beklagte selbst nicht auf eine derartige Konstellation.

f)

Die Klägerin ist auch nicht nach § 6 KSchG gehindert, sich auf die erst nach dem entsprechendem Hinweis der Berufungskammer diskutierte Vorfristigkeit des Angebots zu berufen. Wie dargelegt führt dieser Mangel zur klägerseits bereits erstinstanzlich gerügten Sozialwidrigkeit der Kündigung.

III.

Der Weiterbeschäftigungsantrag war abzuweisen.

Zwar hat nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Februar 1985 (- GS 1/84 - AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = NZA 1985, 702) der im Kündigungsschutzprozess obsiegende Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Dies gilt jedoch nicht, wenn Umstände vorliegen, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen.

Die Klägerin verlangt eine Beschäftigung zu unveränderten Bedingungen. Ihr Begehren kann sich damit nur auf eine Tätigkeit in P. richten. Jedenfalls im Berufungsrechtszug hat die Klägerin jedoch nicht mehr bestritten, dass die Beklagte seit dem 1. Juli 2006 dort keinen Betrieb mehr führt. Trotz der bereits erfolgten Betriebsverlagerung der Klägerin eine Beschäftigung in P. zu ermöglichen, ist der Beklagten nicht zumutbar.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat für die Beklagte die Revision zugelassen. Bezogen auf die Kündigung aus Februar 2006 hat sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zugemessen, da die Auswirkungen einer Verletzung der Anzeigepflicht nach der Rechtsprechungsänderung zur Auslegung des § 17 KSchG noch nicht höchstrichterlich entschieden sind. Entsprechendes hat die Kammer - fälschlich - für die bei der Kündigung aus März 2006 bedeutsame Frage eines vorfristigen Änderungsangebots angenommen, da die einschlägige Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus September 2006 bei Schluss der mündlichen Verhandlung noch nicht veröffentlicht war.

Ende der Entscheidung

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