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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 24.07.2003
Aktenzeichen: 13 Sa 691/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
Die Vertragsauslegung kann gemäß § 242 BGB nur dahingehend vorgenommen werden, dass nicht die vom Arbeitnehmer bei Eintritt der Erkrankung gewählte Steuerklasse für den Differenzausgleich maßgebend ist, sondern dass die Höhe daran zu bemessen ist, welche Steuerschuld sich aufgrund des unanfechtbaren Einkommenssteuerbescheids für das Kalenderjahr ergibt. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Progressionsvorbehalt nach § 32 b EStG sich dann nachteilig auswirken kann, wenn Eheleute die gemeinsame Veranlagung nach der Splittingtabelle wählen. In diesem Fall wird nach §§ 32 b EStG und 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG der gemeinsamen Veranlagung derjenige Steuersatz zugrunde gelegt, der sich ergeben würde, wenn die Lohnersatzleistung steuerpflichtig wäre. Durch die Wahl des Gestaltungsrechts der getrennten Veranlagung für das Veranlagungsjahr des Bezuges von Lohnersatzleistungen haben die Ehegatten es - gegebenenfalls noch im Einspruchsverfahren - in der Hand, die Verhältnisse zu ihren Gunsten zu gestalten und nach exakter Berechnung der Differenzlage durch die Wahl der getrennten Veranlagung eine niedrigere Steuerschuld herbeizuführen. Auf der Grundlage der Zielsetzung der Vereinbarung, dem Arbeitnehmer den Verlust des Nettoeinkommens im Krankheitszeitraum auszugleichen, kann die Vereinbarung nur dahingehend ausgelegt werden, dass - hätten die Parteien den Umstand bedacht - nur auf das erst nachträglich ermittelbare effektive Nettoeinkommen nach Rechtskraft des Steuerbescheides abzustellen ist.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 13 Sa 691/03

Verkündet am: 24.07.2003

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 24.07.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Funke als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Pielen und den ehrenamtlichen Richter Eckwert

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 14.03.2003 - 5 Ca 3440/02 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision des Klägers wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Auslegung einer Klausel ihres Arbeitsvertrages, die dem Kläger im Falle der Arbeitsunfähigkeit im Anschluss an den gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraum einen Nettoausgleich des Arbeitgebers in Höhe der Differenz zwischen dem höchsten Leistungssatz der Betriebskrankenkasse bzw. sonstiger Leistungsträger der Sozialversicherung und dem unter Berücksichtigung der Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben ermittelten fiktiven Nettogehalt zusagt.

Der Kläger war seit März 2002 fortlaufend arbeitsunfähig und erhielt bis zum Monat Juli 2002 aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung einen Krankengeldzuschuss in Höhe von 270,84 € von der Beklagten. Im August 2002 ließ der Kläger seine Steuerklasse abändern. Während der Kläger und seine Ehefrau bis dahin beide in die Steuerklasse IV eingruppiert waren, wählten die Eheleute nunmehr die Steuerklasse IM für die Ehefrau und die Steuerklasse V für den Kläger. Die Beklagte stellte daraufhin die Zahlung des Krankengeldzuschusses ein, da sie der Meinung ist, Ziffer 5 des Arbeitsvertrages vom 30.07.1989 sei dahingehend auszulegen, dass das im Wege des Lohnsteuerjahresausgleichs zu ermittelnde fiktive Nettogehalt für die Krankengeldzuzahlung des Arbeitnehmers maßgeblich sei. Demgegenüber will der Kläger für die Berechnung des Krankengeldzuschusses auf den Zeitpunkt des Eintritts des Krankheitsfalles abstellen, zu dem das Krankengeld berechnet wird. Insofern richte sich der Krankengeldzuschuss auch nach dem fiktiven Nettoeinkommen zum Zeitpunkt des Eintritts des Krankheitsfalles. Eine spätere Änderung der Steuerklasse habe hierauf keine Auswirkung. Für diese Auslegung der Vertragsklausel streite, dass bei einer Änderung der Steuerklasse von IV in IM die Erhöhung der Nettobezüge den Arbeitgeber zum Ausgleich eines erhöhten Differenzbetrages zwischen dem Krankengeld und dem erhöhten Nettobetrag verpflichte. Um einem solchen missbräuchlichen Verhalten des Arbeitnehmers entgegenzuwirken, sei es zwingend, dass während der gesamten Krankengeldzahlung von der Steuerklasse auszugehen sei, die zum Zeitpunkt des Eintritts des Krankheitsfalles bestanden habe.

Die in ihrer Auslegung strittige Vertragsklausel lautet wie folgt:

"Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall erhalten Sie jeweils nach Beendigung der gesetzlichen Gehaltszahlungspflicht einen Nettoausgleich in Höhe der Differenz zwischen dem höchsten Leistungssatz unserer Betriebskrankenkasse bzw. sonstiger Leistungsträger der Sozialversicherung und Ihrem unter Berücksichtigung der Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben ermittelten fiktiven Nettogehalt für die Dauer von

3 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit bis zu 5 Jahren,

6 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit über 5 bis zu 10 Jahren,

9 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit über 10 bis zu 15 Jahren,

12 Mo. bei einer Werkszugehörigkeit über 15 Jahre."

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen seine Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen ursprünglichen Rechtsstandpunkt weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt nunmehr,

unter Abänderung des am 14.03.2003 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Duisburg, Az. 5 Ca 3440/02 die Beklagte zu verurteilen, für die Monate August 2002 bis April 2003 einen rückständigen Krankengeldzuschuss in Höhe von monatlich 270,84 €, mithin insgesamt 2.437,56 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und verweist darauf, dass der Krankengeldzuschuss die Finanzlücke zwischen dem durch die Krankenkasse gezahlten Krankengeld und dem durchschnittlichen Netto schließen solle.

Der Kläger verweist demgegenüber auf die Handhabung, die schon bei der Rechts- bzw. Namensvorgängerin der Beklagten, der U. L. Stahl AG, bestanden habe, ausweislich deren Schreiben vom 04.03.2003 (Bl. 66 der Akte) der Krankengeldzuschuss auf Nettobasis ermittelt worden sei und um die darauf entfallenden Steuern erhöht worden sei, wobei der so errechnete kalendertägliche Anspruch für die gesamte Dauer des Bezugs von Krankengeld bestanden habe und auch im Falle einer Änderung der Steuermerkmale des Mitarbeiters nicht neu berechnet worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Weiteren Sachvortrag haben die Parteien auf Nachfrage der Kammer ausdrücklich ausgeschlossen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, hatte aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zutreffend und auch mit weitgehend zutreffender Begründung abgewiesen.

Nach dem der Entscheidung zugrundezulegenden Sachverhalt ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, aus der der Kläger für den streitbefangenen Zeitraum den vertraglichen Ausgleich zwischen dem gesetzlichen Krankengeld und einem nach Nr. 5 des Arbeitsvertrages ermittelten fiktiven Nettogehalt verlangen könnte.

Nach der Überzeugung der Kammer bedarf die Vereinbarung der Parteien der - ergänzenden - Vertragsauslegung. Diese kann jedoch nicht ohne die Berücksichtigung steuerrechtlicher Folgen geschehen, die gegebenenfalls noch vom Kläger im Rahmen der Einkommenssteuererklärung innerhalb der Einspruchsfrist des ergangenen Steuerbescheids für 2002 gestaltend beeinflusst werden können.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

Nach dem unzweifelhaften Sinn der Vereinbarung sollte der vom Arbeitgeber gewährte "Krankengeldzuschuss" die Finanzlücke zwischen dem durch die Krankenkasse gezahlten Krankengeld und dem durchschnittlichen Netto schließen. Der Kläger sollte also für die in Ziffer 5 des Vertrages vorgesehene Dauer nicht schlechter gestellt werden, als wenn er während der Krankheit sein bisheriges Nettoeinkommen weiter bezogen hätte. Angesichts der Eigentümlichkeiten des Steuerrechts und der Sozialgesetzgebung, die die Parteien bei Abschluss der Zusage nach der Überzeugung der Kammer nicht bedacht haben, kann die Vertragsklausel - ergänzend - nur in dem Sinne ausgelegt werden, dass das letztlich für das Kalenderjahr maßgebliche über den Lohnsteuerjahresausgleich ermittelte Nettoeinkommen des Arbeitnehmers Berechnungsgrundlage für die vom Arbeitgeber geschuldete jeweilige monatliche Zuzahlung sein muss. Dies gilt auch, wenn die nach dem Schreiben vom 04.03.2003 (Bl. 66 der Akten) gepflogene Handhabung der Vergangenheit und der Wortlaut der Klausel dem widersprechen sollten. Eine derartige Auslegung, die auf das letztlich erzielte versteuerte Nettoeinkommen des Arbeitnehmers abstellt, schließt auch die von der einen wie der anderen Seite aufgezeigten möglichen missbräuchlichen Gestaltungen durch Änderung der Steuerklasse zu Lasten des Arbeitgebers von vornherein aus.

Die jeweilige Steuerklasse ist in der vertraglichen Zusage des Arbeitgebers als Berechnungsfaktor nicht erwähnt. Sie ist hierfür auch ungeeignet, denn sie stellt lediglich eine vorläufige Grundlage für die Berechnung der monatlichen Lohnsteuer dar und kann zweimal im Jahr nach Belieben geändert werden. Die Jahressteuerschuld bei zusammen veranlagten Ehegatten unterscheidet sich nicht, ob die Ehegatten nun zunächst die Steuerklasse IV und IV wählen oder III und V oder ob sie im Laufe des Jahres die Steuerklassen III und V untereinander tauschen, was üblicherweise dann geschieht, wenn ein Ehegatte erheblich geringere Einkünfte hat (auf die er nach Steuerklasse V den höheren Lohnsteuersatz zahlt) und der andere Ehegatte auf seine höheren Bruttoeinkünfte die günstigere Steuerklasse III anwendet, die zu einer höheren monatlichen Nettoauszahlung führt.

Aus dem Vorhergehenden ergibt sich auch, dass die Spekulation der Vorinstanz im letzten Absatz ihres Urteils auf S. 6 unzutreffend ist, dass dem Kläger bei einer Gesamtbetrachtung der offenkundig gemeinsam mit seiner Ehefrau gewählten steuerlichen Veranlagung kaum ein Nachteil, sondern wohl eher noch ein Vorteil entstehe. Der Vorteil liegt allenfalls in einem Zinsvorteil durch die höhere Nettoauszahlung während des Steuerjahres. Gravierender ist jedoch die Tatsache, dass das Krankengeld der gesetzlichen Krankenkasse nach § 47 Abs. 2 SGB V der Höhe nach immer an die Berechnung des Regelentgelts anknüpft, das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum erzielt wurde und gemäß § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V 70 v. H. des erzielten regelmäßigen Bruttoentgelts höchstens aber 90 v. H. des bei entsprechender Anwendung des Abs. 2 berechneten Nettoarbeitsentgeltes beträgt, wobei sich Unterschiede aus der Berücksichtigungsfähigkeit von Kindern ergeben können.

Auf der anderen Seite kann das nach Maßgabe der Vereinbarung der Parteien als Berechnungsgrundlage für den Zuschuss maßgebende fiktive Nettoeinkommen (unter Berücksichtigung der Pauschbeträge für Werbungskosten und Sonderausgaben des Arbeitnehmers) erst dann festgestellt werden, wenn die Höhe seiner Steuerschuld für das Kalenderjahr aufgrund eines unanfechtbaren Einkommenssteuerbescheides feststeht. Hierbei ist die offenbar weder von den Parteien des Arbeitsvertrages noch von der Vorinstanz gesehene gravierende Auswirkung des Progressionsvorbehalts nach § 32 b EStG zu berücksichtigen. Bei der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung von Eheleuten führt der Progressionsvorbehalt des § 32 b Abs. 1 Ziffer 1 b dazu, dass wegen des an sich nicht steuerpflichtigen Bezuges von Lohnersatzleistungen wie Krankengeld etc. beim einen Ehegatten auf das nach § 32 a Abs. 1 zu versteuernde gemeinsame Einkommen der Eheleute ein besonderer Steuersatz anzuwenden ist, nämlich derjenige, der sich ergibt, wenn die Splittingtabelle auf das um die Lohnersatzleistung erhöhte Arbeitseinkommen des anderen Ehegatten angewandt wird. Es wird also - widersinniger Weise - aufgrund des Progressionsvorbehalts (§ 32 b EStG und 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG) der gemeinsamen Veranlagung derjenige Steuersatz zugrundegelegt, der sich ergeben würde, wenn die Lohnersatzleistung steuerpflichtig wäre.

Durch die Wahl des Gestaltungsrechts der getrennten Veranlagung für das Veranlagungsjahr des Bezugs von Lohnersatzleistungen haben die Ehegatten es jedoch in der Hand - ggf. noch im Einspruchsverfahren - die Verhältnisse zu ihren Gunsten zu gestalten und nach exakter Berechnung der Differenzlage durch die Wahl der getrennten Veranlagung eine niedrigere Steuerschuld herbeizuführen. Es kann in diesem Spezialfall also die Wahl der getrennten Veranlagung unter Ehegatten durchaus günstiger sein als der Splittingvorteil aus der gemeinsamen Veranlagung.

Dieser Umstand zeigt nach der Überzeugung der Kammer, dass die Vereinbarungen der Parteien nach Treu und Glauben so auszulegen sind, wie sie ihre Verhältnisse gestaltet hätten, wenn sie die Absonderlichkeiten des Steuer- und Sozialversicherungsrechts gekannt und bedacht hätten. Auf der Grundlage der Zielsetzung, dem Arbeitnehmer den Verlust des Nettoeinkommens im Krankheitszeitraum auszugleichen, hätten sie nur auf das erst nachträglich ermittelbare effektive Nettoeinkommen nach Rechtskraft des Steuerbescheids abstellen können. Für diese im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu gewinnende Lösung streitet zugleich, dass sie die Möglichkeit missbräuchlicher Gestaltungen mit dem Ziel der Erlangung eines höheren nach dem Zweck der Vereinbarung nicht zu beanspruchenden Arbeitgeberzuschusses von vornherein ausschließt.

Da die demnach maßgebliche Berechnungsgrundlage des Nettoeinkommens des Klägers weder bekannt war, noch feststand, ob noch von der Wahl des Gestaltungsrechts der getrennten Veranlagung mit der Folge einer niedrigeren Gesamtbesteuerung des Einkommens der Eheleute Gebrauch gemacht werden kann und von Klägerseite auch keine Bereitschaft zu einem entsprechenden Sachvortrag bestand, fehlt es nach der Überzeugung der Kammer an einem Anspruchselement für die vom Kläger aufgemachte Forderung nach einem weiteren Differenzausgleich.

Die Berufung musste daher mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückgewiesen werden.

Die Kammer hielt es für geboten, die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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