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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.03.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 774/05
Rechtsgebiete: TV Soz Sich vom 31.08.1971


Vorschriften:

TV Soz Sich vom 31.08.1971 § 4
1. Anknüpfungsleistung für die Gewährung einer Überbrückungsbeihilfe an ehemalige Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte nach § 4 Ziffer 1 b) des Tarifvertrages vom 31.08.1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Soz Sich) kann der Bezug von Arbeitslosengeld II sein.

2. Es ist unzulässig, die Überbrückungsbeihilfe in diesem Falle unter Einbeziehung aller an die Bedarfsgemeinschaft, der der anspruchsberechtigte Arbeitnehmer angehört, erbrachten Leistungen (ALG II / Sozialgeld) zu berechnen. 3. Zur Berechnung der Überbrückungsbeihilfe gemäß § 4 Ziffer 2 a) TV Soz Sich (Einzelfall)


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 Sa 774/05

Verkündet am 16. März 2006

In Sachen

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 16.02.2006 durch den Richter am Arbeitsgericht Schneider als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Murach und den ehrenamtlichen Richter Wiertz

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 03.05.2005 - Az.: 5 Ca 989/05 - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 904,86 € (in Worten: neunhundertvier 86/100 Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus je 301,62 € (in Worten: dreihunderteins 62/100 Euro) seit dem 01.02.2005, dem 01.03.2005 und dem 01.04.2005 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien zu je 1/2.

3. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung von Überbrückungsbeihilfe.

Die am 29.11.1957 geborene Klägerin war von 1973 bis zum 31.03.2002 bei den britischen Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland (Standort C. der RAF) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin fanden der Tarifvertrag für die Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 16.12.1966 (TVAL II) sowie der Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31.08.1971 (TaSS) Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete wegen Personaleinschränkung infolge einer Verringerung der Truppenstärke.

Die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis heute arbeitslose Klägerin bezog ab April 2002 zunächst Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe, welche im Dezember 2004 19,57 € pro Kalendertag betrug. Auch ihr ebenfalls arbeitsloser Ehemann erhielt Arbeitslosenhilfe. Zusätzlich zu den tatsächlichen Monatsleistungen der Bundesanstalt zahlte die Beklagte der Klägerin gemäß § 4 TaSS eine Überbrückungsbeihilfe in Höhe von monatlich zwischen 400,46 € und 418,08 €. Wegen der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe wird auf die entsprechenden Bescheide der Beklagten (Anlagen K1 und K2 zur Klageschrift) Bezug genommen.

Ab dem 01.01.2005 erhält die Klägerin, die mit ihrem Ehemann und der gemeinsamen, am 12.09.1994 geborenen Tochter U. in einem Haushalt lebt und eine Bedarfsgemeinschaft bildet, Leistungen nach dem SGB II. Ausweislich der Anlage zum Bescheid vom 18.02.2005 (Anlage K4 zur Klageschrift) wurden im ersten Quartal des Jahres 2005 monatlich geleistet:

- an die Klägerin Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für erwerbsfähige Hilfsbedürftige in Höhe von 311,00 € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung von 249,45 €,

- an den Ehemann der Klägerin Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für erwerbsfähige Hilfsbedürftige in Höhe von 311,00 € und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 249,46 € und

- an die Tochter der Klägerin ein Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Hilfsbedürftige von 207,00 € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung von 249,46 €.

Mit Abrechnung vom 16.02.2005 (Anlage K 3 zur Klageschrift) setzte die Beklagte den Nettogrundbetrag zur Bestimmung der Überbrückungsbeihilfe auf monatlich 1.054,32 € fest, rechnete auf diesen Betrag jedoch die Gesamtleistungen der an die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin nach dem SGB II erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 1.577,37 € an; die Abrechnung endete folgerichtig mit einem Auszahlungsbetrag von 0,00 €. Auf das Geltendmachungsschreiben der Klägerin vom 28.02.2005 hin (Anlage K 5 zur Klageschrift) verwies die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Vorgehensweise auf eine Verfahrensanweisung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) hinsichtlich der Zahlung von Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen nach dem SGB II (Anlage 1 zur Klageerwiderung, Bl. 23 f. d. A.) und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 4 Ziffer 2 a) Abs. 1 TaSS.

Mit der vorliegenden, am 24.03.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin den Anspruch auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe bis zum Ablauf des Anspruchszeitraums im März 2005 gerichtlich geltend gemacht. Sie hat gemeint, ihr stehe auch weiterhin dem Grunde nach Überbrückungsbeihilfe zu. Bei den in § 4 Ziffer 1 b) TaSS genannten Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit handele es sich nur um Beispielsfälle, so dass die Beihilfe auch in Ergänzung des Arbeitslosengeldes II zu zahlen sei. Die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe durch die Beklagte sei unrichtig, weil es keine Grundlage dafür gebe, die zur Sicherung des Grundbedarfs des Ehemanns und der Tochter der Klägerin nach Maßgabe des SGB II in Erfüllung von deren gesetzlichen Ansprüchen erbrachten Leistungen zu Lasten der Klägerin anzurechnen. Das Vorgehen der Beklagten führe dazu, dass der Erhalt von Überbrückungsbeihilfe umso unwahrscheinlicher werde, je mehr Personen die Bedarfsgemeinschaft bildeten, und Überbrückungsbeihilfe praktisch nur noch an Alleinstehende zu zahlen sei. Das sei mit dem Ausgleichs- und Sicherungszweck der tarifvertraglichen Leistung nicht in Einklang zu bringen. Anzurechnen sei vielmehr lediglich die an die Klägerin erbrachte Regelleistung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Das führe rechnerisch dazu, dass die Beklagte eine monatliche Überbrückungsbeihilfe von 668,99 € netto schulde.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.006,97 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 668,99 € seit dem 01.02.2005, aus weiteren 688,99 € seit dem 01.03.2005 und aus weiteren 668,99 € seit dem 01.04.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Klage für unbegründet gehalten. Zwar könne Überbrückungsbeihilfe dem Grunde nach in Ergänzung zu Arbeitslosengeld II gezahlt werden. Bei ihrer Berechnung sei jedoch auf das an die Bedarfsgemeinschaft insgesamt geleistete ALG II/Sozialgeld anzuknüpfen. Auch bisher schon sei diese fiktiv nach der ungekürzten Arbeitslosenhilfe des ehemaligen Arbeitnehmers zu bestimmen gewesen, obwohl der Lebensunterhalt der Familie tatsächlich nur von der möglicherweise gekürzten Arbeitslosenhilfe und der Überbrückungsbeihilfe zu bestreiten war. Im Übrigen seien die Bezieher von Überbrückungsbeihilfe schon dadurch privilegiert, dass diese nicht ihrerseits als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigt werden dürfe (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 der ALG II-Verordnung)

Mit Urteil vom 09.05.2005 hat das Arbeitsgericht Krefeld die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

§ 4 TaSS stelle seinem Wortlaut nach keine Grundlage für einen Zahlungsanspruch der Klägerin dar, weil darin nicht geregelt sei, wie die Überbrückungsbeihilfe im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld II zu berechnen sei. Da dies den Tarifvertragsparteien im Jahre 1971 auch gar nicht habe bewusst sein können, liege eine unbewusste, nachträglich entstandene Regelungslücke vor. Diese könne vorliegend jedoch nicht im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden, weil der TaSS keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür enthalte, wie die Tarifvertragsparteien den Anspruch auf Überbrückungsbeihilfe neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II geregelt hätten. Arbeitslosengeld II und die frühere Arbeitslosenhilfe wiesen strukturelle Unterschiede auf. Der Begriff der Bedürftigkeit und die Grundsätze der Anrechenbarkeit anderweitiger Einkünfte sei durch die Schaffung des Begriffs der "Bedarfsgemeinschaft" in § 7 SGB II völlig neu definiert worden. Aufgrund der Bandbreite denkbarer Berechnungsformeln für die Überbrückungsbeihilfe müsse diese Problematik einer - ggf. rückwirkenden - Neuregelung durch die Tarifvertragsparteien vorbehalten bleiben.

Gegen das ihr am 19.05.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld hat die Klägerin mit am 08.06.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Sie hält das Urteil des Arbeitsgerichts für rechtsfehlerhaft. Der TaSS gebe genügend Anhaltspunkte dafür, wie die hinsichtlich der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe neben Arbeitslosengeld II bestehende Regelungslücke zu schließen sei. Nach Sinn und Zweck solle die Überbrückungsbeihilfe die Einkommenseinbußen des früheren Arbeitnehmers ausgleichen, so dass es grundsätzlich nur auf dessen Einkommen ankommen könne und nicht auf das der "Bedarfsgemeinschaft". Schließlich habe bis Ende 2004 auch nicht die an den Ehepartner gezahlte Arbeitslosenhilfe den Anspruch der Klägerin aus § 4 TaSS geschmälert. Unter der Neuregelung des SGB II erhalte jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft eigene Leistungen, wie § 7 Abs. 2 SGB II verdeutliche. Im Übrigen ergäben sich bei Anrechnung aller Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft die bereits erstinstanzlich skizzierten Wertungswidersprüche. Anzurechnen sei daher nur die Regelleistung zur Sicherung des Unterhalts der Klägerin, nicht hingegen die (anteiligen) Kosten für Unterkunft und Heizung. Dieser Teil der Sozialleistung komme aus dem Topf der Kommunen wie das frühere Wohngeld, welches gerade nicht als Einkommen bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe berücksichtigungsfähig gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 09.05.2005 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.006,97 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus 668,99 € seit dem 01.02.2005, aus weiteren 688,99 € seit dem 01.03.2005 und aus weiteren 668,99 € seit dem 01.04.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf dessen Argumentation sowie den eigenen erstinstanzlichen Sachvortrag. Sie verweist ergänzend darauf, dass sich die Anrechnung aller Leistungen nach dem SGB II an die Bedarfsgemeinschaft, dessen Mitglied der ehemalige Arbeitnehmer sei, auch dem Rechtsgedanken des § 5 TaSS entnehmen lasse.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Rechtszüge verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B.

Die Berufung ist auch teilweise begründet. Die Klägerin kann gemäß § 4 Nr. 1 b), Nr. 2 a) Abs. 1, Nr. 4, Nr. 5 b) TaSS für den Zeitraum zwischen Januar und März 2005 die Zahlung einer monatlichen Überbrückungsbeihilfe von 301,62 € netto von der Beklagten verlangen.

I.

Nach § 4 Nr. 1 b) TaSS, dessen allgemeine Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 2 in der Person der Klägerin unstreitig gegeben sind, wird Überbrückungsbeihilfe gezahlt zu den "Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlass von Arbeitslosigkeit oder beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld)". Bemessungsgrundlage ist in diesen Fällen die um die gesetzlichen Lohnabzüge verminderte tarifvertragliche Grundvergütung nach § 16 Nr. 1 a) TVAL II für die regelmäßige Arbeitszeit im Kalendermonat im Zeitpunkt der Entlassung (§ 4 Nr. 3 b) i. V. m. § 4 Nr. 3 a Abs. 1 TaSS). Nach § 4 Nr. 4 Satz 1 TaSS beträgt die Überbrückungsbeihilfe im ersten Jahr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses 100 %, ab dem zweiten Jahr 90 % des Unterschiedsbetrages zwischen der Bemessungsgrundlage und den in § 4 Nr. 1 und 2 TaSS bezeichneten Anknüpfungsleistungen. Die maximale Anspruchsdauer hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer, die nicht gemäß § 4 Nr. 5 a) TaSS zeitlich unbegrenzt Überbrückungsbeihilfe verlangen können, bestimmt sich aus § 4 Nr. 5 b) TaSS und betrug im Falle der Klägerin drei Jahre, die (erst) am 31.03.2005 vollendet waren.

II.

Ebenso wenig wie die Parteien bezweifelt die Kammer, dass nach Maßgabe des § 4 Nr. 1 b) TaSS Überbrückungsbeihilfe dem Grunde nach neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II zu gewähren ist. Dabei bedarf es in der hier vorliegenden Fallkonstellation keiner näheren Erörterung, ob dieses Ergebnis erst aus einer ergänzenden Auslegung der Tarifvertragsbestimmung folgt. Tatsache ist, dass die Klägerin im ersten Quartal 2005 aus Anlass ihrer Arbeitslosigkeit Leistungen der Bundesagentur für Arbeit erhalten hat, die an die Stelle der zuvor bezogenen Arbeitslosenhilfe getreten sind, auf deren Weitergewährung die Klägerin in Anbetracht ihrer fortbestehenden Bedürftigkeit gemäß § 190 SGB III wiederum Anspruch gehabt hätte, wenn der Gesetzgeber das Leistungssystem durch Einführung des Arbeitslosengeldes II nicht grundsätzlich reformiert hätte. Stellte man in dieser Situation darauf ab, dass es entgegen dem Wortlaut des § 4 Nr. 1 b) TaSS die Bundesanstalt für Arbeit nunmehr nicht mehr gibt und das Arbeitslosengeld II in der - eh nur beispielhaften - Leistungsaufzählung nicht erwähnt ist, erhielte der Gesetzgeber die Möglichkeit, durch das bloße Auswechseln von Begrifflichkeiten tarifvertragliche Ansprüche der ehemaligen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften zu unterlaufen. Demgegenüber kommt es entscheidend darauf an, dass im Falle der Klägerin der vom Gesetzgeber verfolgte Leistungszweck von Arbeitslosengeld II und früherer Arbeitslosenhilfe unverändert geblieben ist und der Sinn und Zweck des § 4 TaSS, arbeitslosen ehemaligen Arbeitnehmern der Stationierungsstreitkräfte eine zeitlich begrenzte finanzielle Hilfeleistung zur "Überbrückung" ihrer Arbeitslosigkeit und Erleichterung der Wiedereingliederung ins Arbeitsleben zu gewähren (vgl. hierzu etwa BAG, Urteil vom 05.08.1999, 6 AZR 56/98, AP Nr. 1 zu § 16 TVAL II), eine Zahlung von Überbrückungsbeihilfe neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II gebietet.

III.

§ 4 TaSS enthält keine ausdrückliche Regelung, wie die Überbrückungsbeihilfe zu berechnen ist, wenn neben dem ehemaligen Arbeitnehmer weitere Angehörige, mit denen der Arbeitnehmer in sog. Bedarfsgemeinschaft lebt, Leistungen nach dem SGB II beziehen. § 4 Nr. 2 a) TaSS bestimmt lediglich, dass die Überbrückungsbeihilfe in den Fällen des § 44 Abs. 4, der §§ 115, 121, 123, 126, 233 Abs. 2 AFG nach dem ungekürzten Arbeitslosen- bzw. Unterhaltsgeld zu berechnen ist; entsprechendes gilt für die Arbeitslosenhilfe. Das dadurch niedergelegte Berechnungssystem passt auf die Leistungsgewährung nach dem SGB II nicht direkt, weil sich diese nicht mehr - wie noch bei der Arbeitslosenhilfe der Fall - am Nettoeinkommen des Arbeitnehmers aus dem beendeten Arbeitsverhältnis orientiert, sondern die Leistungshöhe nach einer Art Baukastenprinzip anhand des tatsächlichen Bedarfs des Leistungsempfängers "von unten nach oben" bestimmt wird. Dennoch erschließt sich durch eine mögliche und erforderliche ergänzende Tarifvertragsauslegung, welche Bestandteile der Leistungen nach dem SGB II bei der Bestimmung der Überbrückungsbeihilfe anrechnungsfähig sind.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind tarifvertragliche Regelungen einer ergänzenden Auslegung zugänglich, soweit damit kein Eingriff in die durch Art 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verbunden ist. Sie kommt daher nicht in Betracht, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst ungeregelt lassen und diese Entscheidung höherrangigem Recht nicht widerspricht. Demgegenüber haben die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich die Pflicht, eine unbewusste Tariflücke zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben. Zwar haben diese in eigener Verantwortung darüber zu befinden, ob sie eine von ihnen geschaffene Ordnung beibehalten oder ändern. Solange sie daran festhalten, hat sich eine ergänzende Auslegung an dem bestehenden System und dessen Konzeption zu orientieren. Diese Möglichkeit scheidet jedoch aus, wenn den Tarifvertragsparteien ein Spielraum zur Lückenschließung bleibt und es ihnen wegen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie überlassen bleiben muss, die von ihnen angemessene Lösung zu finden (Grundsätze aus BAG, Urteil vom 29.04.2004, 6 AZR 101/03, NZA 2005, 57).

2. Im vorliegenden Fall bedarf es keiner Entscheidung, ob alle denkbaren Probleme, die die Einführung des Arbeitslosengeldes II für die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe mit sich gebracht hat, durch eine ergänzende Auslegung des § 4 TaSS lösbar sind. Jedenfalls dann, wenn neben dem ehemaligen Arbeitnehmer auch dessen (in Bedarfsgemeinschaft lebender) Ehegatte vom Arbeitslosenhilfe- in den Arbeitslosengeld-II-Bezug übergegangen ist, bietet die Tarifvertragssystematik hinreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des mutmaßlichen Willens der Tarifvertragsparteien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - wie oben ausgeführt - es nur um das Wie der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe geht, dessen Ob hingegen (siehe oben II.) außer Zweifel steht. Diese Wertung darf durch die ergänzende Tarifvertragsauslegung nicht in Frage gestellt werden. Von daher hält es die Kammer für höchst problematisch, allein wegen der Existenz mehrerer denkbarer Rechenwege gänzlich von einer ergänzenden Vertragsauslegung abzusehen, wie das Arbeitsgericht es getan hat. Das kommt im vorliegenden Fall nämlich einer Lückenschließung im Sinne der Beklagten gleich, mit der die von den Tarifvertragsparteien getroffene Grundentscheidung für eine Gewährung von Überbrückungsbeihilfe unterlaufen wird.

Vorliegend sind Bestandteil der Anknüpfungsleistung:

a) Die der Klägerin fiktiv zustehende "ungekürzte" Regelleistung des § 20 Abs. 2 SGB II zur Sicherung des Lebensunterhalts von 345,00 €.

Zwar hat die Klägerin gemäß § 20 Abs. 3 SGB II tatsächlich lediglich 90 % dieses Betrages monatlich als Regelleistung ausgezahlt erhalten. Grund hierfür ist jedoch, dass nach Einschätzung des Gesetzgebers im Falle der Vollendung des 18. Lebensjahres durch zwei Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft - hier: der Klägerin und ihres Ehemanns - der Grad der Bedürftigkeit des einzelnen um je 10 % vermindert ist. Für die in § 4 Nr. 2 a) TaSS angeordnete "entsprechende" Anwendung der Regelung über die Anknüpfung an gekürzte Leistungen auf die Arbeitslosenhilfe war indes anerkannt, dass die für diese geltende weitergehende Abhängigkeit von der Bedürftigkeit des Leistungsempfängers berücksichtigt werden musste (BAG, Urteil vom 05.08.1999, a. a. O). Das spricht dafür, vorliegend auch den Umstand zu beachten, dass die Regelleistung an die Klägerin gerade wegen der gleichzeitigen Zahlung an ihren Ehegatten geringer ausfiel. Andernfalls würde die Einbuße der Klägerin hinsichtlich des Arbeitslosengeldes II durch ein entsprechendes Mehr an Überbrückungsbeihilfe ausgeglichen, ohne dass die Klägerin nach Maßgabe des SGB II als uneingeschränkt bedürftig einzustufen war.

b) Die Hälfte der von der Klägerin und ihrem Ehemann zu tragenden und gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erstattenden Kosten für Unterkunft und Heizung, das heißt 374,19 €.

Anzurechnen sind weiterhin die (hier unstreitig angemessenen) Kosten für Unterkunft und Heizung, denn sie bestimmen gemeinsam mit der Regelleistung von 345,00 €/311,00 € gemäß § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II die "als Arbeitslosengeld II" zu beanspruchende monatliche Leistung der Klägerin. Unerheblich für die Frage der Anrechenbarkeit ist, welche Gebietskörperschaft (Bund, Kommunen) für die Kosten dieses Leistungsbestandteils aufzukommen hat, denn hiervon hängt der Rechtscharakter der Leistung nicht ab. Die von der Klägerin gezogene Parallele zum Wohngeldbezug verfängt ebenfalls nicht, weil die Klägerin oder ihr Ehemann ein solches auch zu Zeiten des gemeinsamen Arbeitslosenhilfebezugs nicht erhalten haben, sondern die Unterkunfts- und Heizungskosten eben von der Arbeitslosenhilfe beider zu bestreiten war. Aus diesem Grunde kann schließlich keine Rolle spielen, dass die Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß §§ 9 Abs. 2 Satz 3, 28 Abs. 1 Satz 2 SGB II anteilig auf die minderjährige Tochter der Klägerin umgelegt worden sind. Wäre diese gegriffene Aufteilung der Kosten verbindlich, die die tatsächlich bestehenden zivilrechtlichen Kostentragungspflichten unberücksichtigt lässt, und müsste die Klägerin sich nur die auf sie rechnerisch entfallenden 249,45 € anrechnen lassen, führte dies zu dem paradoxen Ergebnis, dass die Überbrückungsbeihilfe höher ausfallen würde, wenn die Klägerin und ihr Ehemann im selben Wohnobjekt mit zwei oder drei Kindern leben würde, sprich die Bedarfsgemeinschaft mehr Köpfe umfasste.

3. Nicht Bestandteil der Anknüpfungsleistung sind hingegen die sonstigen Leistungen, die nach dem SGB II an die weiteren mit der Klägerin in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen erbracht werden. Für die Anrechenbarkeit dieser Leistungen bietet der TaSS keine hinreichenden Anhaltspunkte:

(1) An keiner Stelle regelt der TaSS, dass das Vermögen oder Einkünfte Dritter unmittelbar die an den ehemaligen Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte zu zahlende Überbrückungsbeihilfe mindern. Derartige Umstände sind gemäß § 4 Nr. 2 a) bis c) TaSS nur insoweit relevant, als sie Auswirkungen auf die dem ehemaligen Arbeitnehmer zustehende Anknüpfungsleistung haben. Bezog dieser etwa wegen anzurechnenden Einkommens des Ehepartners eine nur geringe Arbeitslosenhilfe, so war bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe auf deren ungekürzte Höhe anzustellen, um zu verhindern, dass der Arbeitnehmer trotz geringerer Bedürftigkeit eine höhere Überbrückungsbeihilfe erhielt (BAG, Urteil vom 05.08.1999, a. a. O.). Mit dieser Systematik ist nicht zu vereinbaren, nunmehr das auch an andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II aus eigenem Recht zu zahlende Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Wäre das richtig, hätte man bis Ende 2004 schon die an den Ehemann der Klägerin geleistete Arbeitslosenhilfe verrechnen müssen. Der von der Beklagtenvertretung in der mündlichen Verhandlung argumentativ herangezogene § 5 TaSS bestätigt im Übrigen das gefundene Ergebnis eher als dass er es in Frage stellte, weil es dort nur um die Anrechnung anderweitiger Leistungen geht, auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des Bezuges von Überbrückungsbeihilfe Anspruch hat.

(2) Zutreffend verweist die Klägerin darauf, dass bei Anrechnung der Leistungen an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft eine Zahlung von Überbückungsbeihilfe umso unwahrscheinlicher wird, je größer die Bedarfsgemeinschaft ist, und in vielen Fällen Überbrückungsbeihilfe nur von Alleinstehenden beansprucht werden kann. Für eine derartige Ungleichbehandlung ist ein sachlicher Grund nicht ersichtlich. Allein der Hinweis auf eine in der Bedarfsgemeinschaft höhere Gesamtzahlung von Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld verfängt nicht, weil davon schließlich eine entsprechend größere Anzahl von Personen ihren Lebensunterhalt bestreiten muss. Gegen den im Rahmen der ergänzenden Auslegung des § 4 TaSS zu ermittelnden mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien zur Gesamtanrechnung spricht in diesem Zusammenhang im Übrigen, dass sich ein gewisses Spannungsverhältnis zum in Art. 6 Abs. 1 GG normierten Schutzgebot von Ehe und Familie auftut. Bedarfsgemeinschaften werden nämlich häufig von Verheirateten und ihren Kindern gebildet werden. Zugleich kann nicht verkannt werden, dass die von der Beklagten präferierte Anrechnungspraxis einen finanziellen Anreiz zur Aufspaltung der Bedarfsgemeinschaft und damit unter Umständen von Ehe und Familie schafft.

IV.

Im Ergebnis steht der Klägerin daher monatlich zu:

 Netto-Bemessungsgrundlage1.054,32 €
./. "ungekürzte" Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts345,00 €
./. hälftige Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung374,19 €
es verbleiben335,13 €
hiervon 90% (§ 4 Nr. 4 TaSS), entsprechend./. 33,51 €
ergeben301,62 €.

Für die drei Monate Januar bis März 2005 beträgt der Gesamtanspruch der Klägerin damit 904,86 €. Die Zinsforderung ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 2, 288 Abs. 1 BGB begründet. Weitergehende Ansprüche hat die Klägerin nicht.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für beide Parteien zugelassen.

Ende der Entscheidung

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