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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 02.12.2004
Aktenzeichen: 13 Sa 897/04
Rechtsgebiete: KSchG, BAT


Vorschriften:

KSchG § 2
BAT § 22
Die Rechtsprechung des BAG zur Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien nach den fuer Tarifvertraege geltenden Massstaeben bezieht sich nur auf den Fall, dass Tarifvertragsregelungen ganz oder mit im Wesentlichen gleichen Inhalt uebernommen werden. Sie schliesst die Verbindlichkeit einer individualvertraglichen Verguetungsabrede unter "ergaenzender analoger" Inbezugnahme der AVR nicht aus. In diesem Falle kann der Arbeitgeber eine korrigierende Rueckgruppierung nicht darauf stuetzen, dass die mitgeteilte Eingruppierung nur deklaratorische Bedeutung habe, ohne dass es einer Aenderungskuendigung beduerfe.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 Sa 897/04

Verkündet am 02. Dezember 2004

In Sachen

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 02.12.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Funke als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Claus und den ehrenamtlichen Richter Kirschall

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 26.03.2004 - 5 Ca 3680/03 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist bei dem Beklagten als examinierte Familienpflegerin beschäftigt. Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer vom Beklagten ausgesprochenen Änderungskündigung mit dem Ziel einer korrigierenden Rückgruppierung. Die Mitarbeitervertretung hat der beabsichtigten Änderungskündigung widersprochen. Die Klägerin hat die Annahme unter Vorbehalt gemäß § 2 KSchG erklärt.

Der Dienstvertrag der Klägerin vom 02.08.1995 sieht unter anderem vor, dass die Richtlinien für die Einrichtung des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung finden und bestimmt die Eingruppierung der Klägerin in die "Vergütungsgruppe Kr 4 Ziffer 3 analog der Anlage 2 a zu den AVR". Die Berufsbezeichnung "Familienpflegerin" wird in den AVR nicht aufgeführt. In der Folgezeit wurde die Klägerin infolge eines Bewährungsaufstiegs in die Vergütungsgruppe Kr 5 und zuletzt Kr 5 a - jeweils "analog" - eingruppiert und entsprechend entlohnt. Die Klägerin wird in der Gerontopsychiatrie eingesetzt und übt im Wesentlichen die gleiche Tätigkeit aus wie eine examinierte Altenpflegerin.

Mit Schreiben vom 25.11.2003, der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2004 mit dem gleichzeitigen Angebot, das Arbeitsverhältnis ab dem 01.04.2004 zu geänderten Bedingungen fortzusetzen. Die vorgesehene Modifizierung bezog sich ausschließlich auf die Vergütungsgruppe. Die Klägerin sollte anstelle der bisherigen Vergütung nach Kr 5 a nunmehr lediglich ein Arbeitsentgelt nach Maßgabe von Kr 5 erhalten, was eine Negativdifferenz in Höhe von monatlich 66,56 € zur Folge gehabt hätte.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Änderung der Arbeitsbedingungen sei sozial ungerechtfertigt und daher unwirksam. Es lägen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor, welche dies rechtfertigen könnten. Von einer irrtümlichen bzw. fehlerhaften Eingruppierung der Klägerin könne nicht gesprochen werden. Vielmehr sei diese als Individualabsprache im ursprünglichen Arbeitsvertrag und auch später bei der Höherstufung bewusst vereinbart worden. Die ausdrücklich "analog" erfolgte Einordnung zeige deutlich, dass man sich durchaus darüber einig und im Klaren war, dass die Qualifikation der Klägerin der einer examinierten Altenpflegerin entspreche und mangels Regelung in den AVR auf diese Weise eine Gleichbehandlung durch Bestimmung einer entsprechenden Vergütung herbeigeführt werden sollte. Der seitens der Beklagten angeführte Sparzwang allein sei vorliegend nicht geeignet, eine Änderungskündigung zu rechtfertigen. Eine Absenkung des Lohnniveaus könne allenfalls dann eine verhältnismäßige Maßnahme darstellen, wenn eine akute Gefährdung des Arbeitsverhältnisses bei Beibehaltung des bisherigen Entgeltes im Raum stünde und auf diesem Wege eine Beendigungskündigung zu verhindern wäre.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 25.11.2003 unwirksam ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat die Auffassung vertreten, die ausgesprochene Änderungskündigung sei wirksam. Dringende betriebliche Erfordernisse lägen im Gebot der sparsamen Haushaltsführung und dem Postulat der Tariftreue. Es habe ein offenbarer Irrtum vorgelegen, der zur Deklaration einer übertariflichen Vergütung im Arbeitsvertrag geführt habe. Eine korrigierende Rückgruppierung sei zulässig. Die Klägerin hätte über den Bewährungsaufstieg maximal die Vergütungsgruppe Kr 5 Ziffer 4 erreichen können, da sie über keine staatliche Anerkennung als Altenpflegerin verfüge. Nach Maßgabe der Anlage 1, I c zu den AVR wäre sie daher als Mitarbeiterin, die zwar die Tätigkeit der Vergütungsgruppe ausübt, aber die vorgesehene Ausbildung nicht absolviert hat, richtigerweise eine Vergütungsgruppe niedriger als im Vergütungsgruppenverzeichnis vorgesehen, einzugruppieren gewesen und die höchste Stufe des Bewährungsaufstiegs in Kr 5 a Ziffer 5 ihr verwehrt geblieben. Die Angabe der Vergütungsgruppe im Dienstvertrag habe lediglich deklaratorische Bedeutung. Eine konstitutive Individualabrede sei nicht gewollt gewesen.

Das Arbeitsgericht Duisburg hat durch Urteil vom 26.03.2004 der Klage stattgegeben. Gegen seine Entscheidung richtet sich die Berufung des Beklagten. In zwei gleichgelagerten Fällen haben die Parteien Unterwerfungsvergleiche geschlossen.

Die Berufung des Beklagten wendet sich gegen die Annahme der Vorinstanz, durch die Verwendung des Begriffes "analog" im Zusammenhang mit der vertraglichen Eingruppierung habe der Beklagte zu erkennen gegeben, dass er die Klägerin wie eine examinierte Altenpflegerin vergütungsmäßig behandeln wolle.

Die Berufung hält die angefochtene Entscheidung für fehlerhaft.

Einzuräumen sei, dass zum Zeitpunkt der Verabschiedung der AVR die Familienpfleger mit staatlicher Anerkennung als Berufsbild in der Vergütungsgruppenbeschreibung noch nicht vorgesehen waren. Der zuständige Personalleiter der Beklagten habe einen nach seiner Auffassung adäquate tarifliche Eingruppierung gewählt und hierbei die Bestimmung der Anlage 1, I c AVR übersehen. Der Beklagte habe sich gerade tariftreu verhalten wollen. Die vorgenommene Eingruppierung sei nicht außertariflich, sondern ausdrücklich als tariflich gewollt gewesen. Eine bewusste Abweichung von der Tariftreue habe nicht vorgelegen und könne auch aus dem Wort "analog" nicht geschlossen werden. Die Tariftreue sei als Regel, die individuelle Abweichung als Ausnahmetatbestand anzusehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Beklagtenschriftsatz vom 18.06.2004 (Bl. 68 - 72 d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt nunmehr,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Duisburg vom 26.03.2004, Aktenzeichen 6 Ca 3680/03, zugestellt am 26.04.2004, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, hatte jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Kammer folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung und nimmt auf diese Bezug (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit der zutreffenden Begründung stattgegeben, dass die Voraussetzungen für eine korrigierende Rückgruppierung der Klägerin nicht vorliegen, weil zwischen den Parteien eine Individualvereinbarung der Vergütung unter Bezugnahme auf eine analoge Anwendung des Tarifvertrags ähnlichen Regelungswerks der AVR besteht. Diese Vereinbarung hat der Beklagte nicht rechtswirksam gekündigt. Ein rechtlich relevanter Irrtum des Beklagten bei Abschluss des Arbeitsvertrags der Klägerin liegt entsprechend den Ausführungen der Vorinstanz nicht vor. Auf einen Irrtum könnte sich der Beklagte - wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - nur beim Auseinanderfallen von wahrem Willen und nach außen hin wirksam gewordener Erklärung berufen. Der Beklagte hat in der Tat jedoch genau das erklärt, was er auch erklären wollte. Die Klägerin sollte entsprechend der jeweils genannten Vergütungsgruppe der AVR - die ihr Berufsbild nicht vorsah - eingestuft und entlohnt werden. Auf einen Rechtsfolgenirrtum kann der Beklagte sich nicht berufen. Ein dringendes betriebliches Erfordernis, auf das die Änderung der Vergütung der Klägerin gestützt werden könnte und welches diese sozial rechtfertigen würde, ist nicht ersichtlich.

Die Rügen der Berufung gehen fehl und finden nach der Überzeugung der Kammer auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Stütze.

Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf die Rechtsprechung des BAG zur korrigierenden Rückgruppierung im Bereich des § 22 BAT berufen. Die AVR enthalten soweit ersichtlich - keine dem § 22 BAT entsprechende Bestimmung. Die Tarifvertragsregelungen des BAT sind auch nicht ganz oder mit im Wesentlichen gleichen Inhalt übernommen, so dass die Voraussetzungen gegeben wären, unter denen das BAG annimmt, dass die Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsrichtlinien nach den für Tarifverträge geltenden Maßstäben mit Wirkung für das Arbeitsverhältnis der Parteien vollzogen werden könnte (vgl. BAG Urteil vom 06.11.1996 - 5 AZR 394/95 -).

Es bedarf daher einer differenzierenden Betrachtungsweise, wie sie die Vorinstanz im Ergebnis zutreffend vorgenommen hat.

Die Bestimmungen der AVR Caritas entfalten für das einzelne Arbeitsverhältnis unmittelbar keine normative Wirkung, sondern sind nur kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarungen anzuwenden (vgl. Rechtsprechungsnachweise in der vorzitierten Entscheidung des BAG).

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob den AVR-Caritasrichtlinien mit Rücksicht auf Artikel 140 GG, Artikel 137 III WRV normativer Charakter zukommt. Denn auch dann bedarf es des Abschlusses eines Arbeitsvertrags, durch den die Anwendung der AVR Caritas auf das Arbeitsverhältnis vereinbart wird.

Arbeitsvertragsrichtlinien entstehen - wie das BAG formuliert hat - auf dem "dritten Weg". Es handelt sich bei ihnen nicht um Tarifverträge, sondern um eigenständige Regelungen, im Falle der Caritas beschließt die auf Kirchenverfassungsrecht gegründete arbeitsrechtliche Kommission Arbeitsvertragsrichtlinien als eigene Regelungswerke. Aus der Tatsache, dass Arbeitsvertragsrichtlinien für einen Arbeitsvertrag nur Gültigkeit erlangen, soweit ihre Geltung im Arbeitsvertrag vereinbart ist, folgt, dass die Vereinbarung sich auch auf eine ergänzende Inbezugnahme neben einer individualvertraglichen Vergütungsvereinbarung beschränken kann. Letzteres ist nach Überzeugung der Kammer im Fall des Arbeitsvertrages der Klägerin anzunehmen.

Lediglich - soweit die Arbeitsvertragslinien eine einschlägige tarifvertragliche Regelung insgesamt übernehmen -, kann die Inhaltskontrolle nach den für Tarifverträge geltenden Maßstäben im Sinne der ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Betracht kommen.

Für eine derartige Übernahme ergibt sich aus dem Text der Caritas AVR aber nach den Feststellungen der Kammer nichts. Die Parteien waren daher nicht gehindert, für das in der AVR nicht vorgesehene Berufsbild der Klägerin eine individualvertragliche Vergütungsvereinbarung zu treffen und die Richtlinien ergänzend in Bezug zu nehmen, was sie durch den Zusatz "analog" getan haben. Für eine abweichende Auslegung der vertraglichen Erklärungen gibt es in Übereinstimmung mit der Auffassung der Vorinstanz keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Es fehlt daher entgegen der Annahme des Beklagten auch an der Möglichkeit, entsprechend der im BAT vorhandenen Regelung eine erneute tarifvertragliche Zuordnung der zu bewertenden Tätigkeit auch zu Lasten des Arbeitnehmers (sogenannte korrigierende Rückgruppierung) vorzunehmen. Von einer objektiven Fehlerhaftigkeit der in der Vertragsurkunde mitgeteilten Vergütungsgruppe kann unter den gegebenen Umständen keine Rede sein. Der Beklagte hätte eine solche darzulegen und zu beweisen. Er hätte darzulegen, dass er von der Annahme einer nach den Richtlinien erforderlichen Voraussetzung für die Eingruppierung irrtümlich ausgegangen ist, die bei der Klägerin nicht vorhanden war. Lediglich in diesem Fall könnte er sich auf die irrtümliche Annahme berufen, dass der Klägerin eine höhere Vergütung als beabsichtigt zuerkannt wurde, weil die aufseiten des Beklagten Vertragsschließenden die Anlage I c zur Eingruppierung bei nicht erfüllter Ausbildungsvoraussetzung übersehen hätten und der Klägerin irrtümlich eine Vergütungsgruppe zugebilligt hätten, die eine bestimmte Ausbildung voraussetzt, die sie für die ausgeübte Tätigkeit nicht hat.

Angesichts zweier kompetenter Vertreter des Beklagten, die die Vereinbarung mit der Klägerin gegengezeichnet haben, spricht für eine derartige Annahme nichts. Es lässt sich auch der Zusatz "analog" bei der Vergütungsvereinbarung aus dem seitens des Beklagten eingenommenen Rechtsstandspunkt nicht erklären.

Es mag daher durchaus sein, dass die AVR über die Bezugnahme in jedem Einzeldienstvertrag wie ein Tarifvertrag bei Tarifbindung wirken. Diese Wirkung erfasst im Fall der Vereinbarung mit der Klägerin allerdings nicht die als individualrechtliche Vereinbarung einzustufende Vergütungsabrede.

Umgekehrt hat die Rechtsprechung weitgehend vertreten, dass eine individualrechtliche Vergütungsabrede im Arbeitsvertrag nicht dadurch ausgeschlossen und zugunsten des Arbeitnehmers verändert wird, dass ergänzend auf die individualrechtlich vereinbarten Bestimmungen eines Tarifvertrages verwiesen wird.

Der Beklagte kann sich nach allem entgegen seiner Annahme nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Angabe der Vergütungsgruppe im Vertrag der Klägerin lediglich deklaratorische Bedeutung habe. Eine Abänderung der getroffenen Individualabrede hinsichtlich der Vergütung der in den AVR nicht vorgesehenen Tätigkeit der Klägerin konnte der Beklagte daher nur im Wege einer sozialgerechtfertigten Änderungskündigung erreichen, deren Voraussetzungen er aber, wie bereits das Arbeitsgericht erkannt hat, nicht dargelegt hat.

Nach allem war die Berufung - wie geschehen - mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

Wegen der über die Rechtsbeziehung der Parteien hinausreichenden grundsätzlichen Bedeutung hat die Kammer die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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