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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 20.11.2000
Aktenzeichen: 15 (18) Sa 1117/00
Rechtsgebiete: TVG


Vorschriften:

TVG § 1
Das Vertrauen in die Fortgeltung einer Tarifnorm ist nicht bereits dann beseitigt, wenn der Arbeitgeber sich in einem Kündigungsschutzprozeß auf eine schlechte wirtschaftliche Lage beruft, um eine betriebsbedingte Kündigung zu begründen. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese schlechte wirtschaftliche Lage bereits zu einem Sanierungstarifvertrag geführt hat.( Abgrenzung zu BAG vom 17.05.2000 - 4 AZR 216/1999).
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 15 (18) Sa 1117/00

Verkündet am: 20.11.2000

In dem Rechtsstreit

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 20.11.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schmitz-Scholemann als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Becker und den ehrenamtlichen Richter Kemmerlings für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 19.06.2000 - 3 Ca 909/00 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Abgeltung eines der Höhe nach unstreitigen Arbeitszeitguthabens aus dem Jahre 1998.

Der Kläger trat am 15.08.1966 in die Dienste der Beklagten. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall verarbeitenden Industrie mit Sitz in W.uppert. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat eingerichtet. Sie gehört dem Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW e.V. an. Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Metall. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers, der zuletzt als Leiter der Qualitätssicherung beschäftigt war und eine monatliche Bruttovergütung von 8.035,-- DM in der 35-Stunden-Woche erhielt, fanden die Tarifverträge der Metallindustrie Nordrhein-Westfalens Anwendung. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 30.04.1999 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Nachdem der Kläger Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Wuppertal (5 Ca 2078/99) erhoben hatte, schlossen die ­ jeweils von Verbandsvertretern vertretenen - Parteien am 27.10.1999 einen Vergleich, der, soweit von Interesse, folgenden Wortlaut hatte:

"1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers am 30.11.1999 durch eine fristgerechte betriebsbedingte Kündigung

der Beklagten beendet wird.

2. Die Beklagte hält aus Beweisgründen die gegenüber dem Kläger im Zusammenhang mit der fristlosen Kündigung erhobenen Vorwürfe nicht länger aufrecht.

3. Der Kläger bleibt unter Anrechnung auf seinen Urlaubsanspruch von der

weiteren Arbeitsleistung bezahlt freigestellt.

4. Die Beklagte wird auf das Arbeitsamt und andere Sozialleistungsträger übergegangene Ansprüche bei der Abrechnung der Vergütung des Klägers berücksichtigen.

5. Die Beklagte erteilt dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis.

6. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind alle gegenseitigen Ansprüche der Parteien aus dem beendeten Arbeitsverhältnis ausgeglichen.

..."

Da die wirtschaftliche Lage der Beklagten Anfang 1998 schwierig war, schlossen die Bezirksleitung NRW der IG Metall und der Verband der Metall- und Elektroindustrie NRW e.V. unter dem 16.02.1998 folgenden Tarifvertrag, dessen persönlicher und betrieblicher Geltungsbereich auf die Beschäftigten der Beklagten begrenzt war:

"§ 1

Die Tarifvertragsparteien vereinbaren, dass bei der Firma S.pe die tarifvertraglichen Regelungen für das Zeitguthaben, das aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 16.02.1998 bis zum 31.12.1998 entstanden und nicht ausgeglichen ist, nicht gelten.

§ 2

Es entsteht ein Anspruch auf Gewährung des ursprünglichen Anspruchs, sobald sich die Unternehmenslage nachhaltig verbessert hat. Hinsichtlich des Betrages erhält die IG Metall, Bezirksleitung NRW, ein Leistungsbestimmungsrecht, das sie frühestens ab 01.01.1999 in Abhängigkeit der obigen Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ausüben kann. Dieses wird vom 1. Bevollmächtigten der Verwaltungsstelle W.uppertaausgeübt, soweit durch die Bezirksleitung nichts anderes bestimmt wird. Bei der Ausübung hat die IG Metall zu berücksichtigen: - den Jahresüberschuss, - den Cash-Flow, - die Liquidität, - die Investitionen.

Die IG Metall legt fest, ob und in welcher Höhe das Arbeitszeitguthaben gemäß § 1 in Freizeit gewährt oder abgegolten wird. Sollte bis zum 31.01.1999 eine Auszahlung aufgrund dieses Paragraphen nicht möglich sein, verpflichten sich die Beteiligten, über diesen Vertragsstand erneut zu beraten und ihn abschließend zu regeln. Bis zur abschließenden Regelung wird auf die Einreden der tariflichen Verfallfrist sowie der Verjährung verzichtet.

Bei Einleitung eines Vergleiches oder Insolvenzverfahrens kann die IG Metall ihr Leistungsbestimmungsrecht auch schon vor dem 01.01.1999 ausüben.

Nach Vorliegen der jährlichen von dem Wirtschaftsprüfer testierten Bilanz und GuV hat die IG Metall ein Einsichtsrecht spätestens bis zum 30.06. des Folgejahres. Erforderlichenfalls kann die IG Metall die vorstehend genannten Unterlagen durch Sachverständige eigener Wahl prüfen lassen.

§ 3

Scheiden Beschäftigte aus dem Unternehmen betriebsbedingt aus, so lebt der Anspruch auf den Betrag zum Zeitpunkt des Ausscheidens wieder auf. Verstirbt ein Anspruchsberechtigter vor einer etwaigen Auszahlung, erfolgt eine spätere Zahlung nach § 2 in analoger Anwendung des § 22 MTV Metall NRW.

Entsprechend wird gemäß § 2 verfahren, wenn ein Arbeitnehmer infolge Rentenbezugs ausscheidet.

§ 4

Es besteht Einigkeit darüber, dass AT-Angestellte, leitende Angestellte und Geschäftsführer entsprechend dieses Vertrages bzw. äquivalent behandelt werden.

§ 5

Streitigkeiten aus der Auslegung und aus dem Vollzug dieses Vertrages entscheidet verbindlich die tarifliche Einigungsstelle nach § 24 MTV Metall NRW. Dies gilt nicht für etwaige Streitigkeiten darüber, ob die IG Metall das Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 2 nach billigem Ermessen ausgeübt hat oder nicht.

§ 6

Dieser Vertrag tritt mit seiner Unterzeichnung in Kraft und bleibt solange in Kraft, bis die für 1998 nicht ausgezahlten Beträge vollständig an die Beschäftigten ausgezahlt worden sind, es sei denn, dass eine abschließende Vereinbarung nach § 2 getroffen wurde. Dieser Vertrag kann betrieblich nur nach Zustimmung des Betriebsrats angewandt werden."

Ebenfalls am 16.02.1998 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat die folgende Betriebsvereinbarung ab:

"1. Diese Betriebsvereinbarung gilt ab 01.02.1998 für alle tariflichen Mitarbeiter.

2. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt für die vollzeitbeschäftigten Arbeiter und Tarifangestellten 40 Stunden pro Woche. Zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat wird in der letzten Woche eines Monats überprüft, ob genügend Aufträge für den Folgemonat vorhanden sind. Sonst wird die Arbeitszeit entsprechend angepasst.

Die Arbeitszeit kann entsprechend den bestehenden betrieblichen Vereinbarungen gleichmäßig oder ungleichmäßig verteilt werden. Der Zeitausgleich kann auch durch freie Tage erfolgen.

3. Für die Mitarbeiter i.S. der Ziffer 1. wird ein Arbeitszeit-Konto eingerichtet.

Diesem Konto werden alle Arbeitsstunden über 35 pro Woche gutgeschrieben.

Der Ausgleich auf dem Arbeitzeitskonto ist bis zum 31. Dezember 1998 durchzuführen.

4. Das monatliche Entgelt wird auf der Basis der tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden durchgezahlt.

5. Wenn bis zum Ende des Ausgleichszeitraumes kein Zeitausgleich gewährt werden konnte, treten die Bestimmungen des Tarifvertrages vom 16.02.1998 in Kraft.

6. Durchführungsbestimmungen

a) Bei der Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sind die Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes sowie sonstige gesetzliche oder tarifliche Arbeitszeitbestimmungen einzuhalten.

b) Im Krankheitsfalle, an Feiertagen und im Falle bezahlter Freistellungen erfolgt eine Gutschrift von einem Fünftel der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto. c) Nach rechtzeitiger Abstimmung mit dem Betriebsrat kann auch Mehrarbeit vereinbart werden. Mehrarbeit ist die vom Vorgesetzten ausschließlich angeordnete und innerhalb des Arbeitszeitrahmens vom Mitarbeiter geleistete Arbeitszeit. Sie wird mit den üblichen Zuschlägen bezahlt. Mehrarbeitsstunden werden nicht auf dem Zeitkonto geführt, sondern auf einem separaten Mehrarbeitskonto. 7. Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung vom 01.02.1998 in Kraft und gilt befristet ohne Nachwirkung bis zum 31.12.1998."

Am 03.12.1999 schlossen die IG Metall Bezirksleitung NRW und der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V. in Ergänzung des firmenbezogenen Verbandstarifvertrages vom 16. Februar 1998" eine Abschließende Vereinbarung", die folgenden Wortlaut hat:

"1. Die Tarifvertragsparteien stimmen überein, dass sich die Unternehmenslage nicht nachhaltig verbessert hat und ein Anspruch auf Gewährung des ursprünglichen Anspruchs gemäß § 2 des Firmentarifvertrages vom 16. Februar 1998 nicht entstanden ist.

2. Das Leistungsbestimmungsrecht der IG Metall kann daher nicht ausgeübt werden.

3. Dementsprechend findet für alle im Jahre 1998 erworbenen Zeitguthaben im Sinne des § 1 des o.a. Tarifvertrages kein Ausgleich in Zeit oder Geld statt.

4. Dies gilt auch für die in § 3 des Tarifvertrages vom 16. Februar 1998 genannten Fälle, soweit sie während des Jahres 1999 eingetreten sind.

5. Der Tarifvertrag vom 16. Februar 1998 endet ohne Nachwirkung."

Der Kläger forderte die Beklagte ­ unstreitig innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfristen ­ zur Abgeltung des ihm seiner Meinung nach zustehenden Zeitguthabens in rechnerisch unstreitiger Höhe von 12.139,40 DM auf. Die Beklagte lehnte ab.

Mit der am 01.03.2000 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, der erhobene Anspruch ergebe sich aus § 3 des Tarifvertrages vom 16.02.1998. Durch die Ausgleichsklausel des Vergleichs werde der Anspruch nicht berührt, da, sofern man in der Klausel einen Verzicht sehe, dieser gem. § 4 Abs. 4 TVG unwirksam sei. Der Vergleich beseitige den Anspruch auch nicht etwa deshalb, weil der Kläger damals von der IG Metall vertreten worden sei; nur die Bezirksleitung der IG Metall könne einem Verzicht im Sinne des § 4 Abs. 4 TVG zustimmen. Der Tarifvertrag vom 03.12.1999 habe den zu diesem Zeitpunkt bereits entstandenen Anspruch nicht beseitigen können. Der Kläger verstoße mit der Geltendmachung des Anspruchs auch nicht gegen Treu und Glauben. Er habe sich im Kündigungsschutzverfahren zwar nicht auf den Anspruch berufen; dies aber nur deshalb, weil das Bestehen des Anspruchs für ihn außer Zweifel gestanden habe.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.139,40 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: Falls man annehme, ein Anspruch des Klägers auf Ausgleich des Zeitguthabens sei überhaupt entstanden, so müsse er jedenfalls als durch den Vergleich erledigt angesehen werden, zumal der Kläger in erheblichem Umfang bezahlt freigestellt worden sei. Der im Vergleich etwa liegende Verzicht sei, da der Kläger durch die IG Metall vertreten worden sei, auch von der Gewerkschaft genehmigt worden. In Wahrheit sei aber ein Anspruch nicht entstanden, wie sich aus Punkt 3 des Tarifvertrages vom 03.12.1999 ergebe. Letztlich verstoße der Kläger, der durch sein Verhalten nicht unerheblich zur schlechten wirtschaftlichen Lage der Beklagten beigetragen habe, gegen Treu und Glauben, wenn er nun, nachdem die Beklagte sich auf Zureden des Gerichts zum Vergleichsabschluss habe bewegen lassen, die angeblichen Ansprüche verfolge.

Das Arbeitsgericht Wuppertal (3 Ca 909/00) hat durch Urteil vom 21.06.2000 nach dem Klageantrag erkannt, die Beklagte in die Kosten verurteilt und den Streitwert auf 12.139,40 DM festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Indem der Tarifvertrag vom 16.02.1998 die Auszahlung des Zeitguthabens an betriebsbedingt ausscheidende Arbeitnehmer vorsehe, habe er dem Aspekt der Beschäftigungssicherung Rechnung getragen. Da der Kläger ausweislich des Vergleiches vom 27.10.1999 betriebsbedingt ausgeschieden sei, gehöre er zu dem in § 3 des Tarifvertrages angesprochenen Personenkreis. Zweifelhaft sei, ob der Vergleich einen Anspruchsverzicht enthalte, da sich aus ihm die Verpflichtung der Beklagten zur ordnungsgemäßen Abrechnung ergebe. Außerdem handele es sich um einen tariflichen Anspruch, für den § 4 Abs. 4 TVG gelte. Eine Anrechnung des Arbeitszeitguthabens auf die unfreiwillige Freistellung sei nicht vereinbart worden.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten am 3. Juli 2000 zugestellt worden. Mit der am 3. August 2000 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und am 4. September 2000 (Montag) begründeten Berufung trägt die Beklagte unter Wiederholung ihrer erstinstanzlichen Ausführungen vor: Aus den tarifvertraglichen Regelungen ergebe sich, dass ein tariflicher Anspruch nicht entstanden sei, was insbesondere aus den Regelungen im Firmentarifvertrag vom 03.12.1999 hervorgehe. Auf § 3 des Tarifvertrages vom 16.02.1998 könne sich der Kläger nicht stützen; diese Vorschrift gelte nämlich, was durch die Betriebsvereinbarung und durch den Tarifvertrag vom 03.12.1999 bestätigt werde, nur für solche Arbeitnehmer, die innerhalb des Jahres 1998 betriebsbedingt ausgeschieden seien. Das Arbeitsgericht habe auch nicht beachtet, dass rückwirkende Lohnsenkungen in Tarifverträgen zulässig seien; auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen, da ihm die schlechte wirtschaftliche Lage der Beklagten zumindest aus den Schriftsätzen der Beklagten im Kündigungsschutzprozess bekannt sei. Das Arbeitsgericht habe schließlich auch übersehen, dass es sich bei dem Vergleich vom 26.10.1999 um einen Tatsachenvergleich handele.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 19.06.2000 (3 Ca 909/00) abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil und macht unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend: Im Tarifvertrag vom 16.02.1998 stehe an keiner Stelle und lasse sich auch sonst nicht daraus ableiten, dass unter § 3 nur im Laufe des Jahres 1998 betriebsbedingt ausscheidende Arbeitnehmer fielen. Rückwirkend habe der Anspruch des Klägers nicht beseitigt werden können, weil aus Sicht des Klägers keinerlei Anzeichen für eine seinen Anspruch beseitigende Neuregelung bestanden hätten.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung des der Höhe nach unstreitigen Betrages verurteilt. Auf die zutreffenden Erwägungen in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

1. Richtig ist, dass in §§ 1, 2 des Tarifvertrages vom 16.02.1998 die Abgeltung des Zeitguthabens für das Jahr 1998 aufgrund der allgemeinen tarifvertraglichen Vorschriften ausgeschlossen ist.

a) Ausgenommen von diesem Ausschluss sind aber gem. § 3 TV vom 16.02.1998 solche Beschäftigte, die betriebsbedingt aus dem Unternehmen ausscheiden.

aa) Für eine Auslegung dieser in § 3 getroffenen Regelung im Sinne der Beklagten, dass sie sich nämlich nur auf das Jahr 1998 beziehen soll, sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Wortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG v. 21. Juli 1993 - BAGE 73, 364; BAG v. 17. Mai 2000 - 4 AZR 298/99, st. Rspr.). Es muss berücksichtigt werden, dass der normative Teil des Tarifvertrages Recht setzt für Personen, die typischerweise nicht an den Verhandlungen teilgenommen haben. Eine Auslegung darf den tarifvertraglichen Vorschriften deshalb nicht einen Sinn beimessen, der aus dem verkörperten Vertragstext für Normunterworfene nicht erkennbar ist.

Der Wortlaut des § 3 enthält keinerlei zeitliche Begrenzung. Aus dem systematischen Zusammenhang ergibt sich ebenfalls kein Anhaltspunkt: Im Gegenteil regelt § 6 des Tarifvertrages seine Laufzeit ausdrücklich dahin, dass er so lange gilt, bis alle Zeitguthaben für 1998 ausgezahlt sind oder eine abschließende Vereinbarung gem. § 2 getroffen wird. Irgendeine zeitliche Begrenzung ist hier nicht vorgesehen. Da die Zeitguthaben für 1998 letztlich gar nicht ausgezahlt wurden und die abschließende Vereinbarung am 03.12.1999 getroffen wurde, ergibt sich auch hieraus keine Begrenzung auf das Jahr 1998. Vielmehr galten die Regelungen des Tarifvertrages bis zum 02.12.1999, wovon auch Ziffer 4. des TV vom 03.12.1999 ausgehen muss, weil die Regelung ansonsten überflüssig wäre.

Dass die Betriebsvereinbarung vom 16.02.1998 sich nur auf das Jahr 1998 bezieht, führt nicht zu einer anderen Beurteilung: Der Tarifvertrag regelt das Zeitguthaben aus dem Jahre 1998, und die Betriebsvereinbarung enthält die begleitenden Arbeitszeitregelungen. Sie sagt aber nichts darüber, was nach 1998 mit den entstandenen Zeitguthaben zu geschehen hat. Eben dies regelt der Tarifvertrag, aus dessen § 2 sich übrigens deutlich genug ergibt, dass mit einer Auszahlung vor 1999 ohnehin nicht gerechnet werden konnte.

Unterstrichen wird dieses Ergebnis durch die vom Arbeitsgericht bereits angestellte Überlegung, dass nämlich der Tarifvertrag vom 16.02.1998 der Beschäftigungssicherung dienen sollte: Diejenigen Arbeitnehmer, für die sich das Beschäftigungsrisiko realisiert, das der Tarifvertrag durch Anspruchsverzicht abwenden sollte, sollen nicht neben dem Arbeitsplatzverlust auch noch den Verzicht erbringen müssen, der gerade dem Erhalt des Arbeitsplatzes dienen sollte. Dann aber ist es nur konsequent, § 3 des Tarifvertrages vom 16.02.1998 dahin zu verstehen, dass solche Arbeitnehmer, bei denen sich das Beschäftigungsrisiko eben verwirklicht hat, nicht noch zusätzlich mit dem ­ nicht unbeträchtlichen ­ Vergütungsverzicht zu belasten.

bb) Der Kläger ist aus betriebsbedingten Gründen ausgeschieden. Dies haben die Parteien im Vergleich vom 26.10.1999 so festgelegt.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, dem Kläger sei auch aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt worden, versteht das Gericht dies nicht in dem Sinne, dass die Vereinbarung, der Kläger sei aus betriebsbedingten Gründen ausgeschieden, nur zum Schein erfolgt wäre. Die Beklagtenvertreterin hat auch im Termin vor dem Berufungsgericht erklärt, es sei durchaus auch eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen worden, was sich auch daraus ergebe, dass der Betriebsrat dazu angehört worden sei. Wenn dies so war ­ und der Kläger hat es nicht bestritten ­ dann haben die Parteien mit dem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich klargestellt, dass eben andere als betriebsbedingte Gründe die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.1998 nicht rechtfertigten. Dass sich in diesen betriebsbedingten Kündigungsgründen im übrigen eben die wirtschaftlichen Schwierigkeiten darstellten und fortsetzten, die zum Tarifvertrag vom 16.02.1998 geführt haben, steht außer Streit und wird nicht zuletzt durch den Tarifvertrag vom 03.12.1999 bestätigt.

Damit sind die Anspruchsvoraussetzungen gegeben.

2. Der Anspruch des Klägers ist nicht durch den Vergleich beseitigt worden. Der Vergleich enthält keinen Verzicht des Klägers auf entstandene Vergütungsansprüche.

a) Zwar heißt es unter Ziff. 6 des Vergleichs, es seien alle gegenseitigen Ansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis ausgeglichen; indes soll dies nach dem weiteren Wortlaut der Ziff. 6. doch erst mit Erfüllung dieses Vergleichs" der Fall sein. Was die Erfüllung betrifft, so haben die Parteien unter Ziff. 3 geregelt, dass der Kläger bezahlt freigestellt" bleibe. Das bedeutet, dass ihm die ihm zustehenden Vergütungsansprüche erhalten werden sollten; folglich können die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erst nach Ausgleich der dem Kläger zustehenden Vergütungsansprüche ausgeglichen sein. Da es sich bei dem Anspruch auf Abgeltung des Zeitguthabens um einen Vergütungsanspruch handelte, der zum Zeitpunkt des Ausscheidens, also mit dem 30.11.1999, wieder auflebte, tritt der Ausgleich aller Ansprüche erst mit Erfüllung auch des Anspruchs auf Abgeltung des Zeitguthabens ein.

b) Auf die weitere Frage, ob ein etwa erklärter Verzicht gem. § 4 Abs. 4 TVG wirksam werden konnte, braucht deshalb nicht eingegangen zu werden.

c) Auch die bezahlte Freistellung des Klägers hat nichts daran geändert, dass dem Kläger die streitgegenständlichen Abgeltungsansprüche zustehen.

Die Parteien haben lediglich die Anrechnung der Urlaubsansprüche auf die ­ wie das Arbeitsgericht hervorgehoben hat: unfreiwillige ­ Freistellungszeit vereinbart. Es entspricht der Praxis, dann, wenn weitere Freistellungsansprüche erledigt werden sollen, dies ausdrücklich zu vereinbaren. Das ist hier aber gerade nicht geschehen, möglicherweise, weil die Parteien daran nicht gedacht haben, die Prozessbevollmächtigten vielleicht auch gar nicht darüber unterrichtet waren, dass ein unabgegoltenes Arbeitszeitguthaben bestand. Das mag aber auf sich beruhen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass ein Urlaubsanspruch durch eine ­ bezahlte Freistellung von der Arbeit nur erfüllt wird, wenn erkennbar Urlaub gewährt werden soll (BAG v. 31. Mai 1990 - BAGE 65, 171). Für die Freistellung zum Ausgleich von Arbeitszeitguthaben kann nichts anderes gelten.

3. Der Anspruch des Klägers ist nicht durch den Tarifvertrag vom 03.12.1999 beseitigt worden.

Zwar erfasst der Tarifvertrag vom 03.12.1999 unter Ziff. 4. seinem Wortlaut nach auch den Anspruch des Klägers. Richtig ist auch, dass Tarifverträge grundsätzlich auch bereits entstandene tarifvertragliche Ansprüche reduzieren oder ganz aufheben können. Indes ist dies doch nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, die hier nicht vorliegen.

a) Tarifliche Regelungen enthalten auch während ihrer Laufzeit den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen; diese genießen keinen Sonderschutz gegen rückwirkende Änderungen (BAG Urteil v. 23. November 1994 - AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung; BAG v. 20. April 1999 AP Nr. 12 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt). Der Rückwirkung von Tarifverträgen sind aber die gleichen Grenzen gesetzt wie der Rückwirkung von Gesetzen (BAG v. 23. November 1994, a.a.O.; entsprechend für die Rückwirkung von Betriebsvereinbarungen BAG v. 19. September 1995 - AP Nr. 61 zu § 77 BetrVG 1972). Eine echte Rückwirkung kommt danach nur in Betracht, wenn der Normadressat im Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Norm keinen hinreichenden Vertrauensschutz auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage mehr genießt. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn er mit einer abweichenden Neuregelung rechnen musste, ferner wenn die geltende Regelung unklar oder verworren war, schließlich wenn er sich (z.B. wegen widersprüchlicher Rechtsprechung) nicht auf eine bestimmte Auslegung der Norm verlassen durfte (BAG Urteil vom 23. November 1994, a.a.O., m.w.N.). In diesem Sinne entfällt der Vertrauensschutz in den Fortbestand einer tariflichen Regelung etwa dann, wenn die Tarifvertragsparteien eine "gemeinsame Erklärung" über den Inhalt der Tarifänderung und den beabsichtigten Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vor Abschluss des Tarifvertrages abgeben und diese den betroffenen Kreisen bekannt gemacht wird (BAG Urteil vom 23. November 1994, a.a.O.). Eine solche gemeinsame Erklärung" ist zwar nicht zwingende Voraussetzung für den Wegfall des schutzwürdigen Vertrauens (BAG v. 17. Mai 2000 ­ 4 AZR 216/2000); fehlt es an einer solchen gemeinsamen Erklärung", müssen und können auch andere Umstände des Einzelfalles vorliegen, die den Wegfall schutzwürdigen Vertrauens bewirken.

b) Diese Voraussetzungen einer Rückwirkung liegen im Streitfall nicht vor. Irgendwelche Erklärungen seitens der Tarifvertragsparteien ­ wie etwa in dem der Entscheidung des BAG vom 17. Mai 2000 zugrundeliegenden Fall: Flugblatt der ÖTV ­ über den eventuellen Wegfall von § 3 des Tarifvertrages vom 16.02.1998 hat es nicht gegeben. Insbesondere Äußerungen (Schriften oder Handlungen) der Gewerkschaft, aus denen auf eine Gefährdung der Ansprüche nach § 3 des Tarifvertrages vom 16.02.1998 hätten geschlossen werden können, sind nicht erkennbar. Dass dem Kläger, wie die Beklagte vorträgt, aus dem Vorprozess und auch aus sonst erworbenem Wissen über die Verhältnisse der Beklagten die schlechte wirtschaftliche Lage der Beklagten bekannt sein musste, ist sicher richtig. Indes hatten die Tarifvertragsparteien nicht nur in Kenntnis, sondern gerade wegen dieser Lage den Tarifvertrag vom 16.02.1998 geschlossen, der eben den Anspruch auf Abgeltung des Zeitguthabens ausdrücklich vorsah. Weshalb mit noch darüber hinausgehenden Anspruchsbeschränkungen zu rechnen gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich.

4. Der Kläger verstößt nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), indem er seinen Abgeltungsanspruch verfolgt. Es ist bereits nicht erkennbar, unter welchem Gesichtspunkt der Kläger hier illoyal sich verhalten haben sollte. Es mag zwar sein, dass die Beklagte durch die Erhebung des Anspruchs überrascht worden ist, weil sie an den Abgeltungsanspruch nicht gedacht hatte oder vielleicht an ihn gedacht, aber gleichzeitig geglaubt hatte, der Kläger werde darauf nicht zurückkommen.

Entscheidend ist aber, dass der Anspruch zu der Zeit, als die Parteien den Vergleich schlossen, noch gar nicht entstanden war: Er lebte ja erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses wieder auf. Darüber hinaus war bei Vergleichsschluss auch gar nicht sicher, dass der Anspruch überhaupt entstehen würde: Es hätte ohne weiteres sein können, dass die Tarifvertragsparteien eine der Regelung vom 03.12.1999 entsprechende Regelung vor dem 30.11.1999 geschlossen hätten, wodurch sich dann die Frage der Rückwirkung anders gestellt hätte. Ebenso hätten es die Tarifvertragsparteien in der Hand gehabt, Erklärungen über die Gefährdung des Abgeltungsanspruchs nach § 3 des Tarifvertrages vom 16.02.1998 abzugeben, wodurch die Rückwirkungsfrage ebenfalls in ein anderes Licht gerückt worden wäre. Da es aber niemandem zum Vorwurf gemacht werden kann, einen Anspruch nicht vor dessen Entstehen bzw. Fälligkeit gegenüber dem möglichen Anspruchsgegner zu erwähnen, ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht ersichtlich.

5. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 284, 288 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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