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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 16.08.2007
Aktenzeichen: 15 Sa 630/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 613 a Abs. 1 S. 3
Eine tarifliche Regelung kann durch eine betriebsverfassungsrechtliche Regelung nicht nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB verdrängt werden (Ablehnung der sog. "Über-Kreuz-Ablösung").
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

15 Sa 630/07

Verkündet am 16. August 2007

In dem Rechtsstreit

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 16.08.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Stoltenberg als Vorsitzende sowie den ehrenamtlichen Richter Becker und den ehrenamtlichen Richter Gräwe

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 28.02.2007 - 15 Ca 6612/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Mehrarbeitsvergütung und insoweit insbesondere über die Frage, ob der zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr geschlossene Haustarifvertrag weiterhin Anwendung findet. Der Kläger trat mit Wirkung zum 15.02.2000 in die Dienste der E. Worldwide Express GmbH ein und wurde als D. Service Agent im D. Service Center in N. beschäftigt, zuletzt nach dem Zusatz zum Arbeitsvertrag vom 02.12.2002 mit einer regulären Arbeitszeit von 37,5 Stunden pro Woche und einem Bruttostundenlohn von 11,96 €.

In § 6 des zuletzt maßgeblichen Arbeitsvertrages des Klägers vom 14.03.2001 (Bl. 6 ff. d. A.) bzw. 26.04.2001 (Bl. 156 ff. d. A.) ist unter der Überschrift "Überstunden" folgendes geregelt:

"Durch die in § 4 zu zahlende Bruttovergütung sind etwaige genehmigte Überstunden nicht abgegolten. Überstunden bedürfen der vorherigen Zustimmung durch den Vorgesetzten. Die Vergütung richtet sich nach dem Haustarifvertrag."

Der Kläger war Mitglied der Gewerkschaft ÖTV (später ver.di). Diese schloss mit der E. Worldwide Express GmbH unter dem 22.08.2000 einen Manteltarifvertrag ab (im Folgenden MTV-E.), welcher nach seinem Geltungsbereich auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung fand. In § 3 des MTV-E. war bestimmt worden:

"1.

Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 37,5 Stunden für Vollzeitbeschäftigte, ausschließlich der Pausen; sie wird regelmäßig auf maximal 5 zusammenhängende Werktage pro Woche verteilt. Dabei sind regelmäßig mindestens zwei zusammenhängende freie Tage zu gewähren.

2.

Die Verteilung der Arbeitszeit und die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen - seien es feste oder flexible Arbeitszeiten - unterliegt der Mitbestimmung der Betriebsräte.

3.

Die Regelarbeitszeit beträgt täglich 7,5 Stunden an fünf zusammenhängenden Werktagen pro Woche."

In § 14 Abs. 1 des MTV-E. wurde die "Mehrarbeit" definiert wie folgt:

"Mehrarbeit ist die Zeit, die über die tarifliche Arbeitszeit hinaus geht. Die tarifliche Arbeitszeit ist entweder die Zeit von 7,5 Stunden pro Tag - bei Teilzeitmitarbeitern entsprechend anteilig - oder die mit dem Betriebsrat anders verteilte Arbeitszeit."

Für die Ableistung von Mehrarbeit erhält der Arbeitnehmer nach § 15 Abs. 1 MTV-E. einen Zuschlag in Höhe von 50 %, wobei sich der Mehrarbeitszuschlag nach dem auf die Arbeitsstunden entfallenden Anteil der Monatsvergütung errechnet. Der Ausgleich der Mehrarbeit kann nach § 15 Abs. 3 MTV-E. je nach Wunsch des Mitarbeiters in Freizeit oder finanziell erfolgen.

§ 16 MTV-E. enthält Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung:

"A)

Im Sinne der nachstehenden Arbeitsflexibilisierung für vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter kann die Arbeitszeit nur durch Betriebsvereinbarung abweichend von der Regelarbeitszeit vereinbart werden. Dabei stellt die Überschreitung der Arbeitszeit von 8,5 Stunden pro Tag bzw. 42,5 Stunden pro Woche zuschlagspflichtige Mehrarbeit dar.

B)

Die Teilnahme an der Arbeitszeitflexibilisierung für Mitarbeiter, die vor Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung im Unternehmen beschäftigt sind, ist freiwillig. Änderungskündigungen in diesem Zusammenhang sind unzulässig. Die Teilnahme wird durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber eingegangen bzw. gekündigt. Für Mitarbeiter die nach Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung neu ins Unternehmen eintreten, ist die Teilnahme an der Arbeitszeitflexibilisierung zunächst verbindlich."

Mit Wirkung zum 1. Januar 2005 wurde der Bereich D. Service Center, Betrieb N., der E. Worldwide Express Deutschland GmbH auf die Beklagte übertragen. Diese Maßnahme war Teil der Bündelung der Call-Center Aktivitäten des Konzerns Deutsche Post AG, wegen der eine Konzernbetriebsvereinbarung, Bl. 9 ff. d. A. geschlossen wurde.

Infolge des Betriebsübergangs wechselte der Kläger von der E. Worldwide Express GmbH mit Wirkung zum 01. Januar 2005 zur Beklagten. Dort ist er nach wie vor als D. Service Agent tätig.

Zwischen der Beklagten und dem bei ihm bestehenden Gesamtbetriebsrat wurde unter dem 10. Juni 2005 eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit in den Call-Centern der DP D. GmbH geschlossen. Durch diese wurde ein neues Arbeitszeitmodell eingeführt, welches von einem "Ampelprinzip" ausgeht, bei dem es ausgleichspflichtige Mehr- oder Minderleistungen, aber keine zuschlagspflichtige Überzeit gibt. Insofern ist in § 4 unter der Überschrift "Flexibilisierung der Arbeitszeit der einzelnen Mitarbeiter" folgendes geregelt:

"(1) Bezahlungsgrundsätze

Die Bezahlung erfolgt unabhängig von dem tatsächlichen Umfang der monatlich geleisteten Arbeitsstunden in Form eines konstanten Monatsentgeltes auf der Grundlage der einzelvertraglich bzw. tarifvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit.

(2) Grundsätze für die Gestaltung der Arbeitszeit; Ausgleich von Überzeit Für alle Arbeitnehmer werden auf eine Woche bezogene Dienstpläne aufgestellt (s. u.). Grundlage für die Verteilung der Arbeitszeit in den Dienstplänen ist die tarifvertraglich bzw. einzelvertraglich vereinbarte Wochenarbeitszeit. Überschreitungen der täglichen dienstplanmäßigen Arbeitszeit werden als nicht zuschlagspflichtige Mehrleistungen, Unterschreitungen als Minderleistungen erfasst (...)."

Die Beklagte verhandelt bereits seit einiger Zeit mit der Gewerkschaft ver.di über den Abschluss eines neuen Haustarifvertrages. Ein solcher wurde bisher nicht abgeschlossen.

Seit dem 01. Juni 2006 wendet die Beklagte in Bezug auf die Arbeitszeit des Klägers ausschließlich die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 10. Juni 2005 an und zahlte für Überschreitungen der dienstplanmäßigen Arbeitszeit keinen 50 %igen Zuschlag mehr.

Der Kläger erbrachte im Monat Juli 2005 Mehrarbeit im Umfang von 30 Minuten, im August im Umfang von 135 Minuten, im September im Umfang von 195 Minuten, im Oktober im Umfang von 180 Minuten und im November 2006 im Umfang von 60 Minuten.

Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger die Vergütung der von ihm geleisteten Überstunden geltend. Er hat die Ansicht vertreten, die Gesamtbetriebsvereinbarung finde auf ihn keine Anwendung, da diese gegen § 16 des MTV-E. verstoße und zudem im Vergleich zu § 15 MTV-E. ungünstigere Regelungen enthalte. Die Anwendbarkeit des MTV-E. folge bereits aus § 6 des Arbeitsvertrages.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 59,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 01. Dezember 2006 zu zahlen;

2. festzustellen, dass ihm bis zum Inkrafttreten eines Haustarifvertrages eine Mehrarbeitsvergütung gemäß § 15 des zwischen E. Worldwide Express und der ÖTV geschlossenen Manteltarifvertrags vom 20. August 2000 zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, dass die Regelungen des MTV-E. durch die Regelungen der GBV verdrängt worden seien. Soweit zunächst die Regelungen des Manteltarifvertrages im Wege des Betriebsüberganges Inhalt des Einzelarbeitsvertrags geworden seien, seien diese durch die GBV verdrängt worden. Jedenfalls handele es sich bei der GBV um "die mit dem Betriebsrat anders verteilte Arbeitszeit" im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 2 MTV-E.. Die Neuregelung der Arbeitszeit durch die GBV sei auch nicht ungünstiger, da der einzelne Arbeitnehmer durch die neuen Bestimmungen zusätzliche Flexibilität gewinne.

Mit Urteil vom 28.02.2007 hat das Arbeitsgericht unter Zulassung der Berufung der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger Mehrarbeitsvergütung gemäß § 15 des MTV-E. vom 22.08.2000 bis zum Inkrafttreten eines neuen Haustarifvertrages zustehe, da diese Bestimmung gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB weiterhin für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelte und auch nicht durch § 4 der Gesamtbetriebsvereinbarung (im Folgenden GBV) verdrängt werde. Die (Über-Kreuz-)Ablösung von ursprünglich durch Tarifverträge begründeten Rechten und Pflichten durch eine Betriebsvereinbarung sei nicht möglich. Im Übrigen fände § 15 MTV-E. auch aufgrund der ausdrücklichen Verweisung auf diesen Tarifvertrag in § 6 des Arbeitsvertrages vom 14.03.2001 weiterhin Anwendung. Bei den Bestimmungen der Gesamtbetriebsvereinbarung handele es sich auch nicht um "mit dem Betriebsrat anders verteilte Arbeitszeit" im Sinne des § 14 Abs. 1 MTV-E.. § 14 Abs. 1 Satz 2 MTV-E. beziehe sich nach seinem Wortlaut und der Systematik des Tarifvertrages nur auf die Verteilung der Arbeitszeit in der Woche, d. h. über die einzelnen Wochentage. Die wöchentlich zu erbringende Gesamtarbeitszeit von 37,5 Stunden für Vollzeitbeschäftigte sei in § 3 MTV-E. bzw. dem Individualarbeitsvertrag festgeschrieben und könne durch den Betriebsrat nicht geändert werden. Die Gesamtbetriebsvereinbarung könne zudem gemäß § 16 MTV-E. nicht zur Anwendung kommen, da dieser ausdrücklich vorschreibe, dass die Teilnahme an der Arbeitszeitflexibilisierung für Mitarbeiter, die vor Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung im Unternehmen beschäftigt sind, was beim Kläger der Fall gewesen sei, freiwillig sei.

Gegen das ihr am 05.04.2007 zugestellte Urteil richtet sich die am 13.04.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.07.2007 am 03.07.2007 begründete Berufung der Beklagten.

Im Rahmen ihrer Berufung vertritt die Beklagte weiterhin die Ansicht, dass die an sich durch § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB angeordnete individualrechtliche Weitergeltung des MTV-E. gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB durch die bei der Beklagten bestehende GBV und insbesondere durch § 4 GBV ausgeschlossen worden sei. Nach zutreffender Meinung sei der Ausschluss der Transformation für einen beim Betriebsveräußerer geltenden Tarifvertrag durch eine bei dem Erwerber geltende Betriebsvereinbarung zulässig. Die vom Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 22.03.2005 vertretene Auffassung, wonach die Über-Kreuz-Ablösung zu systematischen Widersprüchen führe, sei verfehlt, da im Falle des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB beim Erwerber keine Regelungen mit Tarifvertragscharakter existieren, die durch eine Betriebsvereinbarung abgelöst würden. Entweder bestünden bei dem Erwerber nunmehr individualrechtliche Regelungen, die nur bei dem Veräußerer Tarifvertragscharakter hatten oder die beim Erwerber geltende Betriebsvereinbarung findet sofort bei Betriebsübergang Anwendung, ohne dass es überhaupt zu der Transformation der bei dem Betriebsveräußerer geltenden tariflichen Regelungen gekommen wäre.

Im Übrigen sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts die Verweisung auf den Haustarifvertrag in § 6 Satz 3 des Arbeitsvertrages vom 26.04.2001 als eine Gleichstellungsabrede zu verstehen. Da sowohl die E. Worldwide Express GmbH als auch der Kläger tarifgebunden gewesen sein, habe § 6 Satz 3 des Arbeitsvertrages vom 26.04.2001 deshalb lediglich einen Hinweis auf die für den Kläger ohnehin geltende Regelung des MTV-E. hinsichtlich des Mehrarbeitszuschlages enthalten. Da § 6 Satz 3 des Arbeitsvertrages lediglich deklaratorische Bedeutung gehabt habe, gestalte die Vertragsklausel das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht. Im Übrigen verweise § 6 Satz 3 des Arbeitsvertrages nur hinsichtlich der Mehrarbeitsvergütung auf den Haustarifvertrag, nicht aber hinsichtlich der inhaltlichen Festlegung dessen, wann Mehrarbeit vorliegt. Ausweislich des § 3 des Arbeitsvertrages werde dies vielmehr dem Betriebsrat überlassen. Die Beklagte und der bei ihr eingerichtete Gesamtbetriebsrat hätten von der ihr eröffneten Regelungskompetenz Gebrauch gemacht und die Einzelheiten zur Arbeitszeit in der GBV festgelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 28. Februar 2007 - 15 Ca 6612/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Berufungsklägerin zurückzuweisen.

Der Kläger verweist im Wesentlichen auf seine erstinstanzlich bereits vertretene Rechtsansicht sowie darauf, dass bei der Auslegung des § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB auch die Bestimmungen des § 77 Abs. 3 BetrVG zu berücksichtigen seien. Im Übrigen verteidigt er das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die im Übrigen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen wird, stattgegeben.

1. Die Klage ist zulässig. Die Zulässigkeit des Feststellungsantrags ergibt sich aus § 256 ZPO.

Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken - sogenannte Elementenfeststellungsklage. Auch die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrages oder Tarifwerkes auf ein Arbeitsverhältnis kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein (BAG vom 15.03.2006 - 4 AZR 75/05 - AP Nr. 38 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag m. w. N.).

2. Die Klage ist auch begründet.

a) Die hier einschlägigen Bestimmungen zur Arbeitszeit und zur Mehrarbeit des MTV-E. sind mit dem Betriebsübergang Inhalt des Arbeitsverhältnisses gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB oder gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB geblieben bzw. geworden. Sie sind nicht durch § 4 der Gesamtbetriebsvereinbarung verdrängt worden.

Ob eine tarifliche Regelung durch eine betriebliche Regelung nach § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB verdrängt werden kann (sogenannte "Über-Kreuz-Ablösung"), ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bislang zwar noch nicht entschieden worden. Erkennbar geworden ist insoweit jedoch bereits, dass das Bundesarbeitsgericht einer "Über-Kreuz-Ablösung" eher ablehnend gegenüber steht wegen der sich insoweit ergebenden systematischen Widersprüche, da sich außerhalb des Anwendungsbereiches des § 613 a Abs. 1 Satz 3 die ungünstigere Regelung einer Betriebsvereinbarung weder gegenüber einzelvertraglichen Abreden noch gegenüber tarifvertraglichen Regelungen durchzusetzen vermag (BAG vom 22.03.2005 - 1 ABR 64/03 - AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich). Den Bedenken des Bundesarbeitsgerichts gegen die Möglichkeit einer "Über-Kreuz-Ablösung" schließt sich die erkennende Kammer an. § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB enthält eine Spezialregelung, welche die Anwendung des Günstigkeitsprinzips ausschließt. Dabei hat das Bundesarbeitsgericht an anderer Stelle (BAG vom 11.05.2005 - 4 AZR 315/04 - AP Nr. 30 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz) die Frage, ob die in § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB angeordnete Anwendung des Ablösungsprinzips anstelle des Günstigkeitsprinzips gleichwertige Kollektivnormen voraussetzt, indirekt bereits beantwortet, indem es darauf hinweist, dass der Gesetzgeber bei dieser Regelung von der qualitativen Gleichwertigkeit aller Tarifverträge im Rechtssinne ausgeht, also auch der alten und neuen Tarifregelungen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang. Davon, dass eine Betriebsvereinbarung gegenüber einem Tarifvertrag gleichwertig wäre und eine entsprechend starke Legitimationsgrundlage bildet, kann nicht die Rede sein - schon gar nicht, wenn es um eine freiwillige Betriebsvereinbarung geht (vgl. dazu LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 23.05.2006 - 5 Sa 385/05 -; LAG Brandenburg vom 08.12.2005 - 9 Sa 324/05 -).

Ist hier mithin davon auszugehen, dass § 4 der Gesamtbetriebsvereinbarung die einschlägigen Bestimmungen des MTV-E. zur Arbeitszeit und zur Mehrarbeit nicht hat verdrängen können, kommt es auf die weitergehende Frage, ob die Gesamtbetriebsvereinbarung wegen § 77 Abs. 3 BetrVG überhaupt rechtswirksam zustande gekommen ist (zu § 77 Abs. 3 BetrVG im Falle von Firmentarifverträgen vgl. BAG vom 22.03.2005 a. a. O.; BAG vom 21.03.2003 - 1 ABR 9/02 - AP Nr. 1 zu § 21 a BetrVG 1972) ebenso wenig an, wie auf die Frage, ob auch im Falle wechselseitiger Tarifbindung ein arbeitsvertraglich in Bezug genommener Tarifvertrag nur deklaratorisch oder konstitutiv (weiter-)wirkt (offenlassend BAG vom 27.11.2002 - 4 AZR 540/01 - AP Nr. 29 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).

b) Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte schließlich darauf, dass den Betriebsräten im MTV-E. eine Regelungsbefugnis eingeräumt und von dieser die mit dem Gesamtbetriebsrat getroffene Regelung des § 4 GBV gedeckt sei. Zu Recht hat insoweit bereits das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass nach dem Wortlaut und der Systematik des Tarifvertrages die Regelungsbefugnis des Betriebsrats nur auf die Verteilung der Arbeitszeit in der Woche, d. h. über die einzelnen Wochentage, bezogen sei. Selbst die in § 16 MTV-E. enthaltenen Regelungen zur Arbeitszeitflexibilisierung geben den Bezugsrahmen einer wöchentlichen bzw. arbeitstäglichen Regelarbeitszeit nicht auf. Nach diesem Bezugsrahmen bestimmt sich, was zuschlagspflichtige Mehrarbeit ist. Letzteres wurde in der Gesamtbetriebsvereinbarung aufgegeben. Die Dauer der individuellen oder tariflichen Arbeitszeiten ist danach maßgeblich nur noch für die Frage, wie viele Stunden vom Arbeitnehmer geschuldet werden, nicht aber für die Frage, ab wann zuschlagspflichtige Mehrleistungen vorliegen. Diese Frage stellt sich nach der Gesamtbetriebsvereinbarung nicht mehr, da sie mit Aufgabe eines diesbezüglichen zeitmäßigen Bezugsrahmens schlicht abgeschafft wurden. Für die Abschaffung eines mehrleistungsrelevanten arbeitszeitmäßigen Bezugsrahmens geben aber weder der Arbeitsvertrag des Klägers noch der MTV-E. dem Gesamtbetriebsrat eine Regelungsbefugnis.

Nach alledem konnte der Berufung der Beklagten kein Erfolg beschieden sein.

III.

Die Kosten der Berufung hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

IV.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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