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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 15.02.2005
Aktenzeichen: 16 Sa 1695/04
Rechtsgebiete: BETV für die Chemische Industrie, Richtlinie 96/34 EG v. 03.06.1996, 2002/73 EG v. 23.09.2002


Vorschriften:

BETV für die Chemische Industrie § 8 Abs. 2 b
BETV für die Chemische Industrie § 8 Abs. 3
Richtlinie 96/34 EG v. 03.06.1996
2002/73 EG v. 23.09.2002
1. Die Steigerung des tariflichen Entgelts nach "Tätigkeitsjahren" in § 8 Abs. 3 BETV gilt nicht für den Zeitraum eines Arbeitsverhältnisses, das wegen Erziehungsurlaubs/Elternzeit ruht.

2. Dem stehen auch europarechtliche Regelungen nicht entgegen.

3. Die Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts über die Zahlung einer Zulage an Grundwehrdienstleistende analog § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPISchG (Urt. v. 28.06.1994 - 3 AZR 988/93 -) sind auf Zeiten des Erziehungsurlaubs (Elternzeit) nicht übertragbar.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 Sa 1695/04

Verkündet am 15. Februar 2005

In dem Rechtsstreit

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 15.02.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kaup als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Göllner und den ehrenamtlichen Richter Eckwert

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 26.08.2004 - 3 Ca 2397/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Streitwert: unverändert (848,00 €).

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen tariflichen Differenzlohnbetrag aus dem Zeitraum 01.09.2003 bis 30.04.2004.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der chemischen Industrie. Sie beschäftigt an ihrem Standort F. ca. 1.400 Arbeitnehmer. Die Klägerin, geboren am 09.02.1975, ist dort seit September 1992 als Chemikantin tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung. Die Vergütung der Klägerin, zuletzt ca. 2.650,00 € brutto pro Monat, erfolgt nach Entgeltgruppe E 6 des Bundesentgelt-Tarifvertrags für die Chemische Industrie West (BETV). Nach § 8 Abs. 3 BETV beträgt der Anfangssatz der Entgeltgruppe E 6 100 % des Tarifentgelts. Nach zwei Tätigkeitsjahren erhöht sich das Tarifentgelt auf 106 %, nach vier Tätigkeitsjahren auf 111 % und "nach 6 Tätigkeitsjahren" auf 116 % des Anfangssatzes.

Die Klägerin befand sich in der Zeit von August 2000 bis August 2003 im Erziehungsurlaub bzw. in Elternzeit. Mit Schreiben vom 13.06.2001 teilte die Beklagte ihr mit, dass sie die Klägerin in der Entgeltgruppe E 06/04 führe (Entgeltgruppe 06, 3. Stufe). Die Klägerin nahm ihre Tätigkeit im September 2003 wieder auf. Nachdem sie sich im Januar 2004 zunächst an den Betriebsrat gewandt hatte, machte sie mit Schreiben an die Beklagte vom 29.04.2004 geltend, dass ihr ab Juni 2003 die Endstufe aus ihrer Entgeltgruppe (E 06/6) zustehe. Die Beklagte zahlte die Vergütung aus der beanspruchten Entgeltgruppe E 06/6 mit Wirkung vom 01.05.2004. Der monatliche Differenzbetrag zur vorangegangenen Vergütung beläuft sich auf 106,00 € brutto.

Mit der vorliegenden Klage, die am 01.06.2004 beim Arbeitsgericht Essen eingegangen ist, macht die Klägerin die Zahlung des monatlichen Differenzbetrags für den Zeitraum 01.09.2003 bis 30.04.2004 in Höhe von insgesamt (8 x 106,00 € =) 848,00 € brutto geltend. Hierzu hat sie vorgetragen:

Für die Zeit ihres ruhenden Arbeitsverhältnisses, um die sich wegen ihres Erziehungsurlaubs ihr (tariflicher) Zeitaufstieg verzögert habe, habe sie entsprechend den Ausführungen im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.06.1994 - 3 AZR 988/93 - eine Zulage in Höhe des Differenzbetrages zu dem tatsächlich gezahlten Tarifentgelt zu beanspruchen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 848,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (05.06.2004) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist dem Vorbringen der Klägerin mit Rechtsausführungen entgegengetreten.

Das Arbeitsgericht Essen hat die Klage mit Urteil vom 26.08.2004 - 3 Ca 2397/04 - abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass es nach den Tarifregelungen auf "Tätigkeitsjahre" ankomme und nicht auf den bloßen Bestand eines ruhenden Arbeitsverhältnisses. Ebenso wenig sei ein Anspruch auf Zahlung einer Zulage gegeben.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Berufung, die sie zu den im Sitzungsprotokoll vom 15.02.2005 genannten Zeitpunkten eingelegt und begründet hat und mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Ergänzend beruft sie sich auf Bestimmungen in den Richtlinien 96/34 EG vom 03.06.1996 sowie 2002/73 EG vom 23.09.2002. Die Beklagte beantragt demgegenüber die Zurückweisung der Berufung. Auf das Berufungsvorbringen beider Parteien wird Bezug genommen, ebenso wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf den übrigen Akteninhalt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig: Sie ist nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes an sich statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 11 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG).

II.

In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen. Das Berufungsvorbringen der Klägerin führt nicht zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

1. Für den Zeitraum 01.09.2003 bis 31.12.2003 kann zunächst dahingestellt bleiben, ob der von der Klägerin geltend gemachte Zahlungsanspruch entstanden ist. Jedenfalls wäre ein für diesen Zeitraum entstandener Anspruch verfallen. Nach § 17 Abs. 2 MTV Chemische Industrie West müssen Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Hier sind die aus dem Zeitraum bis 31.12.2003 streitigen Differenzlohnansprüche erst unter dem 29.04.2004, mithin nach Ablauf von drei Monaten ab Fälligkeit, schriftlich geltend gemacht worden, somit nach Fristablauf. Soweit die Klägerin hierzu vorträgt, sie habe ihr Anliegen bereits vorher an den Betriebsrat herangetragen und ein Betriebsratsmitglied habe mit dem Personalleiter der Beklagten hierüber gesprochen, führt dies nicht weiter. Zum einen fehlt die nach dem Tarifvertrag erforderliche schriftliche Geltendmachung. Zum anderen ist der Betriebsrat nicht der nach dem Tarifvertrag zuständige Adressat. Besondere Umstände, wonach die Beklagte sich angesichts dieser Gegebenheiten auf den Eintritt der Ausschlussfrist nicht berufen dürfte (§ 17 Abs. 2 Satz 3 MTV), sind hieraus nicht erkennbar.

2. Darüber hinaus sind die von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsansprüche auch im Übrigen insgesamt unbegründet.

a) Nach § 8 Abs. 2 b und Abs. 3 BETV wird die Endstufe der Entgeltgruppe E 6 (116 %) "nach 6 Tätigkeitsjahren" in dieser Entgeltgruppe erreicht. Die Beklagte hat dies im Falle der Klägerin ab dem 01.05.2004 bejaht (Entgeltgruppe "E 06/6"). Soweit die Klägerin demgegenüber die Auffassung vertritt, die tariflichen Voraussetzungen für die Endstufe in der Entgeltgruppe E 06/6 seien bereits zum Zeitpunkt der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit erfüllt gewesen, da die Zeiten ihres Erziehungsurlaubs bzw. ihrer Elternzeit einzubeziehen seien, ist dem nicht zu folgen. Während des Erziehungsurlaubs bzw. der Elternzeit (§ 15 BErzGG) ruht das Arbeitsverhältnis. Zwar besteht es fort, jedoch als ruhendes und nicht als aktives Arbeitsverhältnis. § 8 Abs. 2 b und Abs. 3 BETV setzen indessen für den Entgeltaufbau bei den Steigerungsstufen näher bezeichnete "Tätigkeitsjahre" voraus, die während des ruhenden Arbeitsverhältnisses der Klägerin gerade nicht gegeben waren.

b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Zahlung einer entsprechenden Zulage in Höhe des Differenzbetrags zwischen dem ihr gezahlten und dem von ihr beanspruchten Tarifentgelt. Soweit sie sich hierfür auf die vorgelegte Kommentierung (der IG Bergbau, Chemie, Energie, Stand: April 2002) und auf das dort zitierte Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 28.06.1994 - 3 AZR 988/93 - (AP Nr. 6 zu § 6 ArbPlatzSchutzG = NZA 1995, 433) beruft, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Zutreffend hat das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung zunächst klargestellt, dass für den Entgeltanspruch aus dem betreffenden Tarifvertrag nicht der Ablauf bestimmter Zeiten ausreiche, sondern eine tariflich vorausgesetzte tatsächliche Tätigkeit erforderlich sei. Soweit das Bundesarbeitsgericht dem dortigen Kläger gleichwohl eine Zulage in Höhe des Differenzbetrags zuerkannt hatte, beruhte dies auf einer entsprechenden Anwendung des § 6 Abs. 4 Satz 2 ArbPlSchG und den daraus abzuleitenden Besonderheiten für Grundwehrdienstleistende in Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht. Dies ist auf Arbeitsunterbrechungen infolge Erziehungsurlaubs/Elternzeit nicht übertragbar. Das Bundeserziehungsgeldgesetz enthält keine dem § 6 Abs. 4 ArbPlSchG entsprechende Regelung und beinhaltet im Übrigen auch keine zwangsweise Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit, wie dies bei Grundwehrdienstleistenden der Fall ist.

c) Ebenso wenig kann die Klägerin sich auf eine angebliche Ungleichbehandlung seitens der Tarifvertragsparteien berufen. Unabhängig von der Frage, inwieweit Tarifvertragsparteien als Vereinigung privaten Rechts grundrechtsgebunden sind und bei ihrer Normsetzung den allgemeinen Gleichheitssatz zu beachten haben (vgl. BAG vom 27.05.2004 - 6 AZR 129/03 - AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung = MDR 2005, 154), liegt eine Ungleichbehandlung hier bereits im Tatsächlichen nicht vor. Der vorliegende Entgelt-Tarifvertrag enthält in seinen Regelungen über den Entgeltaufbau nach Tätigkeitsjahren keine unterschiedliche Behandlung der davon betroffenen Arbeitnehmer.

3. Auch die von der Klägerin in der Berufungsinstanz zusätzlich geltend gemachten europarechtlichen Erwägungen sowie die Ausführungen über einen vermeintlichen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot führen nicht zu einem Erfolg der Klage. Die Klägerin beruft sich insoweit im Wesentlichen auf Regelungen in den Richtlinien 96/34 EG vom 03.06.1996 und 2002/73 EG vom 23.09.2002, die indessen das Klagebegehren ebenfalls nicht rechtfertigen. Zum einen scheidet eine unmittelbare - horizontale - Wirkung von Richtlinien des Gemeinschaftsrechts im Verhältnis von Privatrechtssubjekten zueinander aus (vgl. hierzu im Einzelnen BAG vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 - AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitsbereitschaft, zu B IV 4 b der Gründe = DB 2003, 1387). Zum anderen ergibt sich der von der Klägerin aus den vorbezeichneten Richtlinien abgeleitete Anspruch hieraus auch nicht. In § 2 Abs. 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 EG des Rates vom 03.06.1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub heißt es:

Die Rechte, die der Arbeitnehmer zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bleiben bis zum Ende des Elternurlaubs bestehen. Im Anschluss an den Elternurlaub finden diese Rechte mit den Änderungen Anwendung, die sich aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten ergeben.

Die vorbezeichneten Regelungen sehen also ausdrücklich die Anwendung der Rechte vor, wie sie sich unter anderem aus einzelstaatlichen Tarifverträgen ergeben. Hieran hat sich auch nichts durch die nachfolgende Richtlinie 2002/73 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.09.2002 geändert. Nach Art. 1 Abs. 2 Ziff. 7 dieser Richtlinie bleiben die Bestimmungen der Richtlinie 96/34 EG vom 03.06.1996 unberührt. Zudem läuft die Umsetzungsfrist der Richtlinie 2002/73 EG nach deren Art. 2 bis 05.10.2005. Im Übrigen verbieten es nach der Rechtsprechung sowohl im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.10.1999 - Rs C 333/97 - (AP Nr. 14 zu Art. 119 EG-Vertrag) als auch im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 12.01.2000 - 10 AZR 840/98 - (AP Nr. 223 zu § 611 BGB Gratifikation) weder Art. 119 EG-Vertrag (jetzt: Art. 141 EG) noch der § 2 Abs. 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 EG vom 03.06.1996, in den vergleichbaren Fällen einer Gratifikationszahlung einer Frau im Erziehungsurlaub die Gewährung einer solchen Gratifikation zu verweigern, wenn die Gewährung dieser Gratifikation nur von der Voraussetzung abhängt, dass sich der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Gewährung im aktiven Beschäftigungsverhältnis befindet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert blieb unverändert. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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