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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 26.06.2003
Aktenzeichen: 16 Ta 47/03
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BetrVG


Vorschriften:

ArbGG § 85 Abs. 1
ZPO § 890
BetrVG § 23 Abs. 3
1. Eine Unterlassungsverpflichtung des Arbeitgebers in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren (§ 2 a ArbGG) und einem darin geschlossenen Vergleich, in dem es heißt: Die Antragsgegnerin verpflichtet sich, es zu unterlassen, für Arbeitnehmer in ihrem Betrieb in D. Mehrarbeit anzuordnen oder duldend entgegenzunehmen, ohne den Betriebsrat ordnungsgemäß zu beteiligen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, ist hinreichend bestimmt und hat einen vollstreckungsfähigen Inhalt.

2. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach §§ 85 Abs. 1 ArbGG, 890 ZPO. § 23 Abs. 3 BetrVG stellt keine die allgemeine Zwangsvollstreckung nach § 85 ArbGG ausschließende Sonderregelung dar.

3. Für die Verhängung der Zwangsmittel, insbesondere die Höhe des Ordnungsgeldes, gelten die Einschränkungen aus § 23 Abs. 3 BetrVG.


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 16 Ta 47/03

In dem Zwangsvollstreckungsverfahren aus dem Beschlussverfahren

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf am 26.06.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kaup

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin vom 12.12.2002 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Duisburg vom 21.10.2002 - 2 BV 44/00 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Nach einem vom Betriebsrat (Gläubiger) eingeleiteten Beschlussverfahren haben die Beteiligten am 08.03.2001 einen Vergleich geschlossen, in dem es heißt:

Die Antragsgegnerin verpflichtet sich, es zu unterlassen, für Arbeitnehmer in ihrem Betrieb in E. Mehrarbeit anzuordnen oder duldend entgegenzunehmen, ohne den Betriebsrat ordnungsgemäß zu beteiligen gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG.

Nach entsprechendem Androhungsbeschluss vom 10.05.2001 hat das Arbeitsgericht mit Beschluss zunächst vom 25.02.2002 wegen Verstoßes gegen die Unterlassungsverpflichtung aus dem Vergleich vom 08.03.2001 gegen die Schuldnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 7.000,00 € festgesetzt. Der Beschluss ist rechtskräftig.

Am 21.06. und 24.06.2002 ließ die Schuldnerin unter Hinweis auf dringende Terminarbeiten in insgesamt 18 Fällen sowohl von Stammmitarbeitern als auch von Leiharbeitnehmern Arbeiten über die betriebsübliche Arbeitszeit hinaus ohne Zustimmung des Betriebsrats durchführen, ebenso am 21.07.2002 für eine weitere Mitarbeiterin. Auf entsprechende Anträge des Gläubigers vom 19.07. und 21.08.2002 setzte das Arbeitsgericht mit erneutem Beschluss vom 21.10.2002 - 2 BV 44/00 -, der Schuldnerin zugestellt am 06.12.2002, ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 7.000,00 € fest. Hiergegen wendet sich die Schuldnerin mit der am 16.12.2002 eingegangenen sofortigen Beschwerde, der das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 04.02.2003 nicht abgeholfen hat.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig: Sie ist an sich statthaft (§§ 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, 793 ZPO) sowie form- und fristgerecht (§ 569 ZPO) eingelegt worden.

2. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Der angefochtene Ordnungsgeldbeschluss ist auch aus der Sicht des Beschwerdegerichts zutreffend.

a) Gemäß § 890 ZPO i. V. m. § 85 Abs. 1 Satz 3 ArbGG kann gegen einen Schuldner ein Ordnungsgeld festgesetzt werden, wenn dieser der Verpflichtung zuwiderhandelt, eine näher bezeichnete Handlung zu unterlassen. Als Vollstreckungstitel kommen gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht nur rechtskräftige Beschlüsse der Arbeitsgerichte, sondern auch gerichtliche Vergleiche in Betracht.

b) Nach § 890 Abs. 2 ZPO hat der Festsetzung eines Ordnungsgeldes eine entsprechende Androhung vorauszugehen. Diese ist hier mit Beschluss des Arbeitsgerichts vom 10.05.2001 erfolgt.

c) Der Zwangsvollstreckung aus §§ 85 Abs. 1 ArbGG, 890 ZPO steht hier auch nicht die Regelung in § 23 Abs. 3 BetrVG entgegen. Abgesehen davon, dass § 23 Abs. 3 BetrVG einen "groben" Verstoß des Arbeitgebers voraussetzt sowie eine dazu ergangene rechtskräftige gerichtliche Entscheidung (zu den Meinungsunterschieden hierzu bei Vergleichen: Siehe Nachweise bei GK-BetrVG Oetker, § 23 Rdn. 201; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG 7. Aufl., § 23 Rdn. 97; GK-ArbGG/Vossen, § 85 Rdn. 17), schließt diese Regelung weitere Ansprüche des Betriebsrats und deren Vollstreckung nicht aus. § 23 Abs. 3 BetrVG stellt keine die allgemeine Zwangsvollstreckung nach § 85 ArbGG ausschließende Sonderregelung dar (Däubler/Kittner/Klebe, a. a. O. Rdn. 135; GK-ArbGG/Vossen, a. a. O. Rdn. 15; LAG Düsseldorf vom 26.04.1993 - 7 Ta 316/92 - LAGE § 23 BetrVG 1972 Nr. 30). Auch bei einem Vergleich in einem Verfahren nach § 23 Abs. 3 BetrVG kann auf die allgemeinen Vollstreckungsmöglichkeiten der §§ 85 Abs. 1 ArbGG, 890 ZPO mit den Einschränkungen aus § 23 Abs. 3 BetrVG zurückgegriffen werden. Auf die Begründung hierzu in der Beschwerdeentscheidung vom 26.04.1993 - 7 Ta 316/92 - (a. a. O. sowie Beschl. LAG Düsseldorf vom 15.08.2002 - 7 Ta 303/02 - m. w. N.; ebenso LAG Köln vom 29.08.1994 - 10 Ta 165/94 - LAGE, a. a. O. Nr. 36, zu II 3 der Gründe) wird verwiesen.

d) Der Vergleich vom 08.03.2001 sowie die darin enthaltene Unterlassungsverpflichtung der Schuldnerin sind auch hinreichend bestimmt und haben einen vollstreckungsfähigen Inhalt. Zwar spricht die Regelung, den Betriebsrat "ordnungsgemäß" zu beteiligen, zunächst dagegen. Was noch oder nicht mehr "ordnungsgemäß" ist, bedarf häufig nicht nur der Auslegung, sondern ist vielfach unbestimmt. Nicht aus einem Vollstreckungstitel zu klärende Unbestimmtheiten sind indes nicht im Vollstreckungsverfahren aufzuklären, sondern gehören in ein Erkenntnisverfahren (Zöller/Stöber, ZPO 23. Aufl., § 704 Rdn. 5). Bereits aus rechtsstaatlichen Gründen muss der Schuldner Klarheit darüber haben, in welchen Fällen er durch Verhängung eines Ordnungsgeldes bestraft werden kann (BAG vom 28.02.2003 - 1 AZB 53/02 - NZA 2003, 516 m. w. N.).

Gleichwohl kann durch vorzunehmende Auslegung (vgl. Zöller/Stöber, a. a. O.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 60. Aufl., Grundz. § 704 Rdn. 21; LAG Düsseldorf vom 01.02.2002 - 7 Ta 455/01 -) im vorliegenden Fall der Titel als noch hinreichend bestimmt angesehen werden. Es war erklärtes Ziel des Betriebsrats, eine Unterlassungsverpflichtung der Schuldnerin zu erwirken, für Arbeitnehmer im Betrieb E. Mehrarbeit ohne Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG anzuordnen oder entgegenzunehmen. Das Wort "ordnungsgemäß" verweist lediglich zusätzlich auf den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ohne gesonderte inhaltliche Ergänzung. Bei diesem Verständnis des Vergleichstextes und entsprechender Auslegung des Titels ist ein vollstreckungsfähiger Inhalt hier (noch) zu bejahen.

Auch darüber hinaus bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine Vollstreckungsfähigkeit der im Vergleich vom 08.03.2001 abgegebenen Unterlassungsverpflichtung der Schuldnerin. Vergleichbare Unterlassungsanträge in Beschlussverfahren sind ebenfalls zulässig (vgl. BAG vom 27.11.1990 - 1 ABR 77/89 - AP Nr. 41 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BAG vom 22.02.1983 - 1 ABR 27/81 - AP Nr. 2 zu § 23 BetrVG 1972; BAG vom 10.03.1992 - 1 ABR 31/91 - AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Regelungsabrede, zur Zulässigkeit sog. "Globalanträge").

e) Auch soweit die Schuldnerin geltend macht, dass für die beanstandeten Arbeiten neben eigenen Arbeitnehmern zu einem Teil Leiharbeitnehmer eingesetzt waren, führt die sofortige Beschwerde nicht zum Erfolg. Zum einen spricht die Unterlassungsverpflichtung im Vergleich vom 08.03.2001 generell von Arbeitnehmern im Betrieb der Schuldnerin, ohne zwischen eigenen Arbeitnehmern und Leiharbeitnehmern zu unterscheiden. Zum anderen fallen auch Leiharbeitnehmer unter den Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG für den Entleiherbetrieb, wenn der Entleiher die mitbestimmungspflichtige Entscheidung trifft (BAG vom 19.06.2001 - 1 ABR 43/00 - AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Leiharbeitnehmer). Dies war hier unstreitig der Fall. Ebenso wie der Normzweck des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG es verlangt, dass der Betriebsrat des Entleiherbetriebs das Mitbestimmungsrecht auch für die Leiharbeitnehmer wahrnimmt (BAG vom 15.12.1992 - 1 ABR 38/92 - AP Nr. 7 zu § 14 AÜG, zu B II 3 der Gründe), gilt dies für § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG jedenfalls in den Fällen, in denen der Entleiherbetrieb die mitbestimmungspflichtige Handlung vornimmt und das dem Entleiher zustehende Weisungsrecht eine betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung der Leiharbeitnehmer auch zum Entleiherbetrieb erforderlich macht (a. A. wohl Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG 21. Aufl. 2002, § 87 Rdn. 137 einerseits und Rdn. 129 andererseits). Insoweit ergänzt § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG lediglich die dortige Nr. 2 (ebenso ErfK/Hanau/Kania, 2. Aufl., § 87 BetrVG Rdn. 31 sowie Rdn. 5; Däubler/Kittner/Klebe, a. a. O. § 87 Rdn. 6 m. w. N.). Im Übrigen ist auch die Schuldnerin selbst offensichtlich von einem Mitbestimmungsrecht ausgegangen, da sie die Leiharbeitnehmer in ihren Antrag an den Betriebsrat ausdrücklich einbezogen hat.

f) Soweit die Schuldnerin auf tarifliche Regelungen verweist, macht dies die Beteiligung des Betriebsrats nicht entbehrlich und die Zuwiderhandlung der Schuldnerin nicht gegenstandslos. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass hier mit "Mehrarbeit" (eigentlich nur: Überschreitung der gesetzlich vorgeschriebenen Höchstarbeitszeit, vgl. Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG 20. Aufl., § 87 Rdn. 143) "Überarbeit" im Sinne von Überstunden gemeint ist, was vielfach der in der Praxis gebräuchlichen Terminologie entspricht (vgl. Fitting u. a., Rdn. 137). Diese wurden von der Schuldnerin in ihren Anträgen an den Betriebsrat vom 21.06. und 24.06.2002 auch als solche genannt und aufgelistet. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist insoweit einschlägig.

g) Ebenso wenig schließen etwaige Eilfälle das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG aus (BAG vom 17.11.1998 - 1 ABR 12/98 - AP Nr. 79 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit).

h) Für die Verhängung des Ordnungsgeldes fehlt es auch nicht an einem Verschulden (hierzu Zöller/Stöber, § 890 Rdn. 5) der Schuldnerin. Die erforderliche Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG war, wie das der Zwangsvollstreckung zugrundeliegende Beschlussverfahren sowie die wiederholten Anträge der Schuldnerin auf Zustimmung des Betriebsrats zeigen, zu keinem Zeitpunkt zweifelhaft.

3. Gegen die Höhe des vom Arbeitsgericht festgesetzten Ordnungsgeldes bestehen keine Bedenken. Den Ausführungen des Arbeitsgerichts hierzu schließt sich das Beschwerdegericht an.

Eine Kostenentscheidung entfällt. Auch das Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 85 Abs. 1 ArbGG zählt noch zu den Beschlussverfahren des § 2 a Abs. 1 ArbGG, für die nach § 12 Abs. 5 ArbGG keine Kosten erhoben werden (GK-ArbGG/Vossen § 85 Rdn. 30; LAGE Düsseldorf vom 18.01.2001 - 7 Ta 549/00 -).

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nach §§ 83 Abs. 5, 78 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i. V. m. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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