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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 1297/05
Rechtsgebiete: GG, BetrVG


Vorschriften:

GG Art. 3
BetrVG § 75
Die Regelung in einer Betriebsvereinbarung, Arbeitnehmer von einer Sonderzahlung zum Aufbau einer betrieblichen, zusätzlichen Altersversorgung auszunehmen, sofern sie den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages abgelehnt haben, verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 1297/05

Verkündet am 19. Januar 2006

In dem Rechtsstreit

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 19.01.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Göttling als Vorsitzenden sowie den ehrenamtlichen Richter Dültgen und den ehrenamtlichen Richter Herrmann

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.08.2005 - 9 Ca 3889/05 - werden zurückgewiesen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 600,-- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 7/10, die Beklagte zu 3/10.

5. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Wesentlichen über Ansprüche des Klägers aus einer bei der Beklagten bestehenden Betriebsvereinbarung.

Der am 30.08.1948 geborene Kläger ist seit dem 01.04.1963 bei der Beklagten als kaufmännischer Sachbearbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden unter anderem die Bestimmungen des Tarifvertrages für Versorgungsbetriebe (TV-V) Anwendung. Die Bruttomonatsvergütung des Klägers beträgt derzeit ca. 4.500,00 €.

Bei der Beklagten existierte seit dem 01.07.1994 eine Betriebsvereinbarung über eine Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer (vgl. hierzu Bl. 4 - 9 d. A.). Unter dem 29.09. 2003 schlossen die Betriebspartner eine weitere Betriebsvereinbarung (im Folgenden "BV 27" genannt), die die Betriebsvereinbarung vom 01.07.1994 ablöste.

In § 2 BV 27 heißt es zum Geltungsbereich der Vereinbarung:

"Diese Betriebsvereinbarung gilt für Beschäftigte der Stadtwerke E. AG (Ausnahme: Auszubildende), die zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Anspruchs

- mindestens 1 Jahr in einem ununterbrochenen Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen gestanden haben (hierbei werden Ausbildungszeiten angerechnet),

- in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen,

- nicht in einem befristeten Arbeitsverhältnis bis zur Dauer von zwei Jahren stehen,

- nicht geringfügig beschäftigt sind,

- Anspruch auf Entgelt (TV-V §§ 6, 13, 14) haben.

Die Betriebsvereinbarung gilt ferner nicht für Beschäftigte, die das Angebot der Stadtwerke E. AG auf Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertra-ges nicht angenommen haben.

Schließlich gilt die Betriebsvereinbarung nicht für die Beschäftigten einschließlich der Auszubildenden der E. Consult GmbH."

§ 3 der BV 27 lautet:

" § 3 Umfang und Fälligkeit des Anspruchs

(1) Die unter § 2 genannten Beschäftigten haben Anspruch auf eine Sonderzahlung im November eines jeden Jahres in Höhe von 600 € brutto. Teilzeitkräfte erhalten das Entgelt in der Höhe, die dem Verhältnis bzw. seiner Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit entspricht. Bei Beschäftigten, die in einem Altersteilzeitverhältnis stehen, wird keine Kürzung vorgenommen.

(2) Für Beschäftigte, die diesen Entgeltanspruch vor Fälligkeit zugunsten einer zusätzlichen privaten Altersversorgung nach Maßgabe des TV-EUmw/VKA und der damit in Verbindung stehenden betrieblichen Regelungen umwandeln, erhöht sich der Anspruch um 100 €. Teilzeitkräfte erhalten das Entgelt in der Höhe, die dem Verhältnis ihrer bzw. seiner Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit entspricht. Bei Beschäftigten, die in einem Altersteilzeitverhältnis stehen, wird keine Kürzung vorgenommen.

(3) Eine weitere Erhöhung von 100 € findet statt, wenn der Beschäftigte darüber hinaus im November weiteres sonstiges Entgelt in Höhe von mindestens 200 € nach v. g. Maßgabe umwandelt.

(4) Die zugunsten einer Versorgungszusage der Altersversorgung umgewandelten Entgeltansprüche des bzw. der Beschäftigten gemäß der Absätze 2 bis 3 werden auf den Anspruch der Entgeltumwandlung gemäß § 3 Abs. 1 TV-EUmw/KVA angerechnet"

Nach Bekanntmachung der BV 27 wandte sich die spätere Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 22.12.2003 an die Beklagte und bat um Übersendung diverser Unterlagen, um Ansprüche des Klägers in Höhe von 800,00 € zu prüfen. Am 30.01.2004 lehnte die Beklagte etwaige Ansprüche des Klägers aus der BV 27 vom 29.09.2003 ab. Der Kläger wandte sich daraufhin erneut mit Schreiben vom 15.09.2004 (Bl. 22 u. 23 d. A.) an die Beklagte und verlangte die rückwirkende Nachzahlung der sich aus der BV 27 ergebenden Sonderzahlungen. Dies wiederum wurde von der Beklagten am 20.10.2004 endgültig - auch mit Hinweis auf die Verfallfrist des § 20 TV-V - abgelehnt.

Im Übrigen bot die Beklagte dem Kläger am 16.12.2002, am 23.05.2003 und letztmalig am 15.02.2005 jeweils einen Altersteilzeitvertrag an. Alle Angebote wurden vom Kläger abgelehnt.

Mit seiner am 03.06.2005 beim Arbeitsgericht Düsseldorf anhängig gemachten Klage hat der Kläger von der Beklagten die Sonderzahlungen für die Jahre 2003 und 2004 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, dass er die in der BV 27 aufgestellten Voraussetzungen vollständig erfüllt hätte. Zwar habe er die ihm gemachten Altersteilzeitangebote in der Vergangenheit mehrfach abgelehnt. Indessen verstieße es gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn er deswegen von dem Geltungsbereich der BV 27 ausgeschlossen würde.

Der Kläger hat schließlich die Meinung vertreten, dass ihm auch die Erhöhungsbeträge gemäß § 3 BV 27 zustünden, weil er einen entsprechenden Rentenversicherungsantrag gestellt hätte.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.06.2005 zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Kläger nicht allein deshalb nicht vom Geltungsbereich umfasst wird, weil er ein Altersteilzeitangebot abgelehnt hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass dem Kläger insgesamt kein Anspruch auf etwaige Sonderzahlungen zustünde. So wäre sein Anspruch auf Zahlung von 600,00 € für das Jahr 2003 verfallen, weil er ihn nicht innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 20 TV-V geltend gemacht hätte.

Ansprüche für das Jahr 2004 bestünden nicht, weil der Kläger mehrere Angebote auf Abschluss von Altersteilzeitverträgen abgelehnt hätte. Insofern liege auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Zweck der BV 27 sei nämlich zum einen gewesen, den jüngeren Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, eine eigene Altersversorgung aufzubauen, weil bei ihnen beträchtliche Versorgungslücken zu erwarten wären. Dies sei beim Kläger, der einem rentennahen Jahrgang angehöre, dagegen nicht zu befürchten. Zum anderen sollte mit der BV 27 aber auch ein Anreiz geschaffen werden, in Altersteilzeit zu gehen, um damit Arbeitsplätze sozialverträglich abbauen zu können. Jedenfalls stehe dem Kläger aber, so die Beklagte weiter, keine zusätzliche Zahlung von 200 € pro Jahr zu, weil er eben keine zusätzliche private Rentenversicherung abgeschlossen hätte.

Der Kläger hat erwidert, durch die BV 27 würden andere, bisher bestehende Sozialleistungen ersetzt, was zu einer Ungleichbehandlung auch der älteren Mitarbeiter führe. Im Übrigen orientiere sich die BV 27 ja gerade nicht an irgendwelchen Altersgruppen.

Der Kläger hat zudem gemeint, er sei auch deshalb zu Unrecht aus dem Geltungsbereich der BV 27 ausgeschlossen worden, weil er bei Annahme des Altersteilzeitvertrages mit erheblichen Renteneinbußen hätte rechnen müssen. Dann aber könne es ihm nicht verwehrt werden, die Altersteilzeitverträge abzulehnen; die damit einhergehenden finanziellen Einbußen stellten eine unrechtmäßige Sanktion seines berechtigten Verhaltens dar.

Mit Urteil vom 18.08.2005 hat die 9. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf - 9 Ca 3889/05 - die Beklagte zur Zahlung von 600,00 € verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, Ansprüche des Klägers für das Jahr 2003 seien nach § 20 TV-V verfallen. Hinsichtlich des Jahres 2004 stehe dem Kläger eine Sonderzahlung in Höhe von 600,00 € zu. Dem könne die Beklagte die Ablehnung der Altersteilzeitangebote vom 16.12.2002 und 23.05.2003 nicht entgegenhalten, weil es zu dieser Zeit die anspruchsbegründende BV 27 noch gar nicht gegeben hätte. Eine Erhöhung der Sonderzahlung um 200,00 € stehe dem Kläger hingegen nicht zu, da er den Abschluss eines privaten Rentenversicherungsvertrags nicht nachgewiesen hätte. Schließlich habe auch das Feststellungsbegehren des Klägers keinen Erfolg, da es insoweit an einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO fehle.

Der Kläger hat gegen das ihm am 03.09.2005 zugestellte Urteil mit einem am 04.10.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.12.2005 - mit einem am 05.12.2005 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Er wiederholt im Wesentlichen seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und meint, dass ein Verfall der Ansprüche für 2003 nicht eingetreten sei, weil zum damaligen Zeitpunkt klar gewesen wäre, was mit dem Aufforderungsschreiben vom 22.12.2003 angemahnt wurde. Auch sei die Beklagte zur Zahlung weiterer 200,00 € verpflichtet, weil sie insoweit ihre arbeitgeberseitigen Pflichten grob verletzt hätte. Schließlich müsse entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts auch ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO angenommen werden.

Der Kläger beantragt unter Erweiterung seiner Klage auf die Sonderzahlung für das Jahr 2005,

1. die Beklagte unter Abänderung des am 18. August 2005 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf - Az.: 9 Ca 3889/05 - zu verurteilen, an den Kläger 1.600,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.06.2005 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Kläger nicht allein deshalb nicht vom Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung Nr. 27 erfasst wird, weil er ein Altersteilzeitangebot abgelehnt hat,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 800,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erhebt darüber hinaus unselbständige Anschlussberufung und beantragt insoweit, das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 18.08.2005 - 9 Ca 3889/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt, soweit sie obsiegt hat, das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug. Sie meint, dass die Ablehnung der Altersteilzeitangebote durch den Kläger auch schon Wirkung für die erst später fällig werdende Sonderzahlung erzeugt hätte, obwohl die BV 27 erst später abgeschlossen worden sei.

Der Kläger beantragt,

die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

1. Die Berufung des Klägers ist zulässig.

Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

2. Auch die Anschlussberufung der Beklagten ist statthaft, zulässig sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 524, 519, 520 ZPO).

II.

In der Sache selbst hatten beide Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der Kläger hat gemäß §§ 2, 3 BV 27 einen Anspruch auf Zahlung von 600,00 € als Sonderzahlung für das Jahr 2004 gegen die Beklagte. Die weitergehenden Ansprüche für die Jahre 2003 und 2004 sind dagegen unbegründet. Der umfassende Feststellungsantrag erweist sich als unzulässig, weil ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO nicht gegeben ist.

Die Beklagte war darüber hinaus zur Zahlung weiterer 600,00 € für das Jahr 2005 zu verurteilen, weil sie insoweit gemäß §§ 2, 3 BV 27 i. V. mit § 75 BetrVG und i. V. mit Art. 3 GG aus Gleichbehandlungsgrundsätzen verpflichtet ist, die in der genannten Betriebsvereinbarung ausgewiesene Sonderzahlung auch an den Kläger auszukehren.

1. Das Arbeitsgericht hat in seiner erstinstanzlichen Entscheidung mit zutreffenden Erwägungen und insgesamt überzeugenden Argumenten festgestellt, dass eine Zahlungspflicht hinsichtlich der im ersten Rechtszug anhängigen Klageforderungen nur hinsichtlich der Sonderzahlungen für das Jahr 2004 besteht. Dem schließt sich die erkennende Berufungskammer auch im Ergebnis vorbehaltlos an und verzichtet zur Vermeidung von Wiederholungen auf eine erneute Darstellung der Entscheidungsgründe.

2. Lediglich zur Ergänzung und bei gleichzeitiger Würdigung des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug ist insoweit noch auf folgendes hinzuweisen:

2.1 Die Ansprüche des Klägers für das Jahr 2003 sind gemäß § 20 TV-V verfallen, weil sie nicht innerhalb der dort vorgesehenen Sechsmonatsfrist geltend gemacht worden sind.

Ausschlussfristen bezwecken, dass sich der Anspruchsgegner auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offenen Forderungen rechtzeitig einstellt, Beweise sichert oder vorsorglich Rücklagen bilden kann. Die verspätete Geltendmachung oft zweifelhafter oder rückwirkend schwer feststellbarer Ansprüche soll vermieden werden. Zur Geltendmachung im Sinne tariflicher Ausschlussfristen gehört, die andere Seite zur Erfüllung des Anspruchs aufzufordern. Der Anspruchsinhaber muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass er Inhaber einer bestimmten Forderung ist und auf deren Erfüllung besteht. Die Geltendmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass der Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und die Höhe des Anspruchs, sowie der Zeitraum, für den er verfolgt wird, mit der für den Schuldner notwendigen Deutlichkeit ersichtlich gemacht wird. Deshalb müssen die Art des Anspruchs sowie die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, erkennbar sein. Eine rechtliche Begründung ist nicht erforderlich (BAG, Urteil vom 03.08.2005 - 10 AZR 559/04 - DB 2005, 2751; BAG, Urteil vom 22.04.2004 - 8 AZR 652/02 - AP Nr. 28 zu §§ 22, 23 BAT-O). Die an den Arbeitgeber gerichtete schriftliche Bitte des Angestellten "um Prüfung", ob die Voraussetzungen eines näher bezeichneten Anspruchs vorliegen, erfüllen nicht das Tatbestandsmerkmal der Geltendmachung dieses Anspruchs im Sinne einer tariflichen Vorschrift (BAG, Urteil vom 10.12.1997 - 4 AZR 228/96 - AP Nr. 234 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

Hiernach kann das Schreiben des Klägers vom 22.12.2003 gerade nicht als rechtzeitiges Geltendmachungsschreiben angesehen werden. In diesem Schreiben lässt der Kläger nur um die Übersendung der dort genannten Unterlagen bitten, um Ansprüche in Höhe von 800,00 € zu prüfen. Er stellt in diesem Zusammenhang weder klar, dass er sich als Inhaber einer bestimmten Forderung fühlt und deren Erfüllung verlangt. Es ist auch nicht hinreichend deutlich gemacht, in welcher Gesamthöhe der Anspruch besteht. Weiter wird nicht klar, für welchen Zeitraum etwaige Ansprüche verfolgt werden. Insgesamt war für die Beklagte zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise erkennbar, worauf sie sich einstellen musste, ob sie Beweise sichern oder vorsorglich Rücklagen bilden musste.

2.2 Auch soweit der Kläger - inzwischen in beiden Rechtszügen - eine erhöhte Sonderzahlung von insgesamt 800,00 € für das Jahr 2004 und nunmehr auch für das Jahr 2005 geltend gemacht hat, erweist sich sein Anspruch in Höhe von jeweils 200,00 € als unbegründet. Der Kläger hat in keiner Weise substantiiert dargelegt und unter Beweis gestellt, dass er die nach § 3 Abs. 2 u. 3 BV 27 geforderte private Altersversorgung abgeschlossen hätte. Allein sein Hinweis darauf, dass er einen entsprechenden Rentenantrag bei der Beklagten eingereicht hätte, reicht hierfür nicht aus. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich die Beklagte bei der Bearbeitung des Rentenantrags, der nach eigenem Bekunden des Klägers zunächst liegengelassen werden sollte, rechtswidrig und schadensersatzverpflichtend verhalten haben könnte. Die diesbezüglichen Ausführungen des Klägers sind insgesamt - auch im zweiten Rechtszug - substanzlos und damit unschlüssig geblieben.

2.3 Soweit der Kläger - nunmehr auch in zweiter Instanz - die Feststellung begehrt, dass er nicht allein deshalb vom Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung Nr. 27 erfasst wird, weil er ein Altersteilzeitangebot abgelehnt habe, bleibt dieser Antrag unzulässig. Dem Kläger ist es, worauf unten näher einzugehen sein wird, unbenommen und möglich, auf Leistung zu klagen. Im Rahmen dieser Leistungsklage, die der Kläger auf das Jahr 2005 gerichtet hat, muss das erkennende Gericht die mit der Feststellungsklage angesprochene Problematik als Vorfrage klären. Dann aber kann von einem eigenständigen Feststellungsinteresse i. S. des § 256 ZPO nicht gesprochen werden.

2.4 In Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts meint auch die Berufungskammer schließlich, dass es der Beklagten verwehrt ist, sich hinsichtlich des Anspruchs auf Sonderzahlung für das Jahr 2004 auf die abgelehnten Altersteilzeitangebote zu berufen. Unabhängig von der Frage, ob ein derartiger Ausschlusstatbestand mit dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz überhaupt korrespondiert, ist hinsichtlich der beiden Altersteilzeitangebote aus dem Jahre 2002 und 2003 zu beachten, dass diese zeitlich vor Abschluss der BV 27 lagen. Demgemäß ist nicht auszuschließen, dass der Kläger bei Kenntnis der in der BV 27 vereinbarten Ausschlusswirkung intensivst überlegt hätte, dann doch die Altersteilzeitangebote anzunehmen, um nicht weitere negative Einbußen hinnehmen zu müssen. Dies wäre möglicherweise bis Ende des Jahres 2003 schon deshalb zu überlegen gewesen, weil danach eine gesetzliche Verschiebung des Renteneintrittsalters auch im Falle der Inanspruchnahme von Altersteilzeit eingetreten ist. Gerade unter diesem Aspekt kann dann aber auch im Rückblick nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass der Kläger sich zum Abschluss des Altersteilzeitvertrages entschlossen hätte. Jedenfalls handelt die Beklagte treuwidrig, wenn sie dem Kläger hinsichtlich seines Zahlungsbegehrens für das Jahr 2004 Ausschlusstatbestände entgegenhält, die im Jahre 2002 und 2003 noch gar nicht existierten und von denen der Kläger naturgemäß keine Kenntnis haben konnte.

3. Dem Kläger steht gegen die Beklagte für das Jahr 2005 ein weiterer Anspruch in Höhe von 600,00 € nebst Zinsen zu. Dieser, mit der Klageerweiterung im Berufungsrechtszug geltend gemachte Anspruch folgt letztlich aus § 2 BV 27 i. V. mit § 72 Abs. 1 Satz 2 BetrVG und dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

3.1 Die Klageerweiterung war zulässig, weil das Berufungsgericht sie für sachdienlich erachtet hat, §§ 263, 525 ZPO.

Die Sachdienlichkeit einer Klageänderung ist im allgemeinen erst dann zu verneinen, wenn in der Berufungsinstanz ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt wird, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann. Würde man Klageerweiterungen in der Berufungsinstanz im arbeitsrechtlichen Verfahren auf solche weiteren Streitgegenstände beschränken, die sich im Wesentlichen als unmittelbare Folge der Beurteilung des bisherigen Prozessstoffes ergeben, so wäre damit z. B. im Kündigungsschutzprozess die Möglichkeit einer Klageerweiterung in der Berufungsinstanz praktisch auf der Höhe nach unstreitige Restansprüche beschränkt. Eine solch restriktive Auslegung widerspricht indessen dem berechtigten Interesse der Parteien und führt zu einer unsachgemäßen Prozesshäufung. Besteht zwischen mehreren Streitgegenständen ein innerer rechtlicher oder tatsächlicher Zusammenhang, so ist es regelmäßig sachdienlich, diese Streitgegenstände auch in einem Verfahren zu erledigen (BAG, Urteil vom 06.12.2001 - 2 AZR 733/00 - AP Nr. 3 zu § 263 ZPO).

Hiernach war die Sachdienlichkeit der erst im Berufungsrechtszug erfolgten Klageerweiterung unzweifelhaft zu bejahen. Die Begründetheit des klägerischen Anspruchs hängt allein noch von der Frage ab, ob die Regelungen zur Sonderzahlung in der BV 27 gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Diese Frage ist zwischen den Parteien aber schon umfänglich in zwei Instanzen diskutiert worden, und zwar im Zusammenhang mit den Ansprüchen des Klägers für die Jahre 2003 und 2004. Es wurde demgemäß kein völlig neuer Streitstoff in den Prozess eingeführt, es bedarf keiner weiteren Sachaufklärung und keiner Berücksichtigung neuer rechtlicher Gesichtspunkte. Darüber hinaus kann das Ergebnis der bisherigen Prozessführung auch hier verwendet werden, so dass es insgesamt auch aus prozesswirtschaftlichen Gründen geboten ist, die Sachdienlichkeit i. S. des § 263 ZPO zu bejahen.

3.2 Der Kläger hat in materieller Hinsicht einen Anspruch auf Zahlung weiterer 600,00 € für das Jahr 2005, weil sein Ausschluss aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten gemäß § 2 Abs. 2 BV 27 gegen § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG und den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt.

3.2.1 Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Der Arbeitgeber verletzt diesen Grundsatz, wenn sich für die unterschiedliche Behandlung kein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund finden lässt. Bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers heißt dies, dass der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abzugrenzen hat, dass Arbeitnehmer des Betriebes nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich frei, den Personenkreis abzugrenzen, dem er freiwillige Leistungen zukommen lassen will, also Gruppen zu bilden, wenn diese Gruppenbildung nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt und rechtlich zulässig ist. Die sachliche Rechtfertigung dieser Gruppenbildung kann dabei nur am Zweck der freiwilligen Leistung des Arbeitgebers gemessen werden. Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltende Leistung (BAG, Urteil vom 12.10.2005 - 10 AZR 640/04 - AP Nr. 261 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, Urteil vom 15.02.2005 - 9 AZR 116/04 - AP Nr. 15 zu § 612 a BGB).

Hiernach erweist sich die Regelung der BV 27, Arbeitnehmer von der Sonderzahlung auszunehmen, die das Angebot der Beklagten auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages nicht angenommen haben, als sachfremd und damit willkürlich.

3.2.2 Nach § 1 der BV 27 ist Ziel der Betriebsvereinbarung und der dort angesprochenen Sonderzahlung, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Beklagten den Aufbau einer ergänzenden, zusätzlichen Altersversorgung zu ermöglichen. Nach Darstellung der Beklagten hat sie dies zusätzlich mit dem Zweck verbunden, vor allem jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern diese zusätzliche Altersversorgung zu ermöglichen, weil bei ihnen schon jetzt abzusehen ist, dass nicht unwesentliche Versorgungslücken auftreten werden. Selbst wenn man diesem Zweck zu Gunsten der Beklagten als zusätzliche Zielrichtung der BV 27 anerkennt, ist es ihr dennoch verwehrt, von der Sonderzahlung nur die Mitarbeiter auszuschließen, die einen Altersteilzeitarbeitsvertrag nicht abgeschlossen haben. Die Beklagte wählt hier eine willkürliche Differenzierung, weil die den Aspekt des Alters und der Rentennähe gerade nicht bzw. nicht konsequent umgesetzt hat. In der BV 27 finden sich keinerlei Regelungen, die die Rentennähe eines Arbeitnehmers als anspruchsausschließend bezeichnen. Dann aber werden die Mitarbeiter, die wie der Kläger einen Altersteilzeitvertrag abgelehnt haben, willkürlich ungleich gegenüber den Mitarbeitern behandelt, die ebenfalls zu einem rentennahem Jahrgang gehören, ohne dass ihnen ein derartiger Vertrag offeriert wurde.

3.2.3 Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung des Klägers auch nicht auf den von ihr formulierten Zweck berufen, gleichzeitig einen sozialverträglichen Arbeitsplatzabbau durchzuführen.

In diesem Zusammenhang erscheint bereits fraglich, ob dieser, in der BV 27 nicht zum Ausdruck gekommene Zweck der Sonderzahlung überhaupt Berücksichtigung finden kann (vgl. auch hierzu: BAG, Urteil vom 12.10.2005, a. a. O.). Selbst wenn man dies jedoch zu Gunsten der Beklagten unterstellt, rechtfertigt auch dieses Ziel der BV 27 nicht den Ausschluss des Klägers aus der Sonderzahlung.

In diesem Zusammenhang ist vor allen Dingen von Bedeutung, dass die Beklagte praktisch ohne effektive Kontrollmöglichkeit in der Lage ist, den Kreis der Anspruchsberechtigten selbst zu bestimmen. Sie hat es nämlich in der Hand, frei auszuwählen, wem ein Altersteilzeitangebot unterbreitet werden soll. Dabei ist sie an keine irgendwie gearteten Vorgaben gebunden, weil die Gruppe der potenziellen "Altersteilzeitler" überhaupt nicht und jedenfalls nicht nach generellen Kriterien beschrieben worden ist. In diesem Zusammenhang wird dann erneut deutlich, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen ein Altersteilzeitangebot unterbreitet worden ist, im Ablehnungsfalle gegenüber den Arbeitnehmern ungleich behandelt werden, die zum selben Jahrgang gehören und sich damit in Rentennähe befinden. Eine solche Abgrenzung dürfte darüber hinaus dem Rechtsgedanken des § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zuwider laufen, weil Arbeitnehmer, die sich in einer bestimmten Altersstufe befinden (hier: 55 Lebensjahre) auch gegenüber jüngeren ungleich behandelt werden, ohne dass es hierfür einen sachlichen und anerkennenswerten Grund gibt.

3.2.4 Da der Kläger darüber hinaus alle sonstigen Voraussetzungen der BV 27 erfüllt, hat er aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz einen unmittelbaren Anspruch auf die vorenthaltene Leistung.

3.2.5 Dies gilt allerdings nur insoweit, als der Grundbetrag von 600,00 € pro Jahr betroffen ist. Darüber hinaus stehen dem Kläger auch für das Jahr 2005 keine weiteren Zahlungen in Höhe von 200,00 € zu, da er die in der BV 27 beschriebenen Voraussetzungen insoweit nicht erfüllt. Es wird auf die Ausführungen oben zu Ziff. 2.2 verwiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 ZPO.

Die Kammer hat, soweit die Beklagte unterlegen war, das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bejaht und die Revision für die Beklagte zugelassen.

Ende der Entscheidung

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