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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 11.04.2008
Aktenzeichen: 9 Sa 1950/07
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.08.2007 - 10 Ca 2526/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in erster Linie über die Wirksamkeit einer von der Beklagten erklärten betriebsbedingten Kündigung.

Der Kläger (geboren 23.07.1970) wurde von der Beklagten zum 07.01.1991 als Produktionsmitarbeiter eingestellt. Infolge diverser technischer Änderungen differenzierte die Beklagte die Aufgabenprofile der Produktionsmitarbeiter im Jahre 2005 in Anlagenassistenten und Anlagenfachkräfte. Der Kläger wurde als Anlagenassistent weiterbeschäftigt.

Die Beklagte beschäftigt sich u. a. mit der Herstellung von Druckfarben für Verpackungen. In diesem Bereich waren nach der Änderung der Aufgabenprofile vier Anlagenfachkräfte und sechs Anlagenassistenten eingesetzt.

Im Jahr 2005 wurden bei der Beklagten 226 to Druckfarben in Chargengrößen von 5 bis 500 kg produziert. Die Beklagte plante, einen Großteil der Produktion zu einer Schwestergesellschaft in Hull/Großbritannien zu verlegen. Jedoch sollten Kleinchargen in den Größen 5 bis 50 kg mit gewünschten Lieferzeiten unter acht Tagen weiterhin am Standort der Beklagten in I. gefertigt werden. Das Auftragsvolumen für diesen Anteil an der Produktion betrug im Jahr 2005 18,5 to.

Um den verbleibenden Mitarbeiterbedarf für Versand, Administration und Produktion bei einer Fertigung von 18,5 to Kleinchargen in den Größen 5 bis 50 kg mit gewünschten Lieferzeiten unter acht Tagen festzustellen, nahm die Beklagte im Bereich Druckfarben Zeitmessungen sowie eine Analyse der Kundenaufträge vor. Auf der Basis der hierbei gefundenen Ergebnisse errechnete sie einen Bedarf von 2.690 Stunden, den sie auf Einspruch des Betriebsrats auf 2.831 Stunden erhöhte. Die Jahresarbeitszeit pro Mitarbeiter beträgt nach ihren Berechnungen unter Berücksichtigung des Urlaubs, der Feiertage, einer Krankheitsquote von 4 % sowie sonstiger Abwesenheitszeiten 1.334 Arbeitsstunden.

Die Beklagte arbeitet im Bereich Druckfarben in zwei Schichten zu je 7,5 Stunden. Dies ist dem Berufungsgericht durch das Parallelverfahren C. ./. J. - 9 Sa 1772/07 - bekannt geworden.

Mit Schreiben vom 26.03.2007 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat, dass sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30.09.2007 zu kündigen. Zur Begründung wird in dem Schreiben ausgeführt, durch den Wegfall der Produktionsmengen fielen acht Arbeitsplätze weg. Da von den insgesamt im Druckfarbenbereich beschäftigten Arbeitnehmern zwei Kündigungsschutz durch aktuelle bzw. vergangene Zugehörigkeit zum Betriebsrat hätten, sollten diese zur Erledigung der verbleibenden Produktion von Druckfarben im Unternehmen verbleiben. Damit entfielen sechs Funktionen "Anlagenassistent" und zwei Funktionen "Anlagenfachkraft".

Mit Schreiben vom 03.04.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.09.2007. Hiergegen richtet sich die vorliegende Kündigungsschutzklage, die am 16.04.2007 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangen ist.

Dieses hat durch Urteil vom 08.08.2007 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 03.04.2007 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Anlagenassistent weiterzubeschäftigen. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das ihr am 24.09.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 18.10.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.12.2007 - mit einem am 19.12.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Auf die von der Beklagten im Parallelverfahren C. ./. J. vorgelegten Aufstellungen über Stundensalden wird Bezug genommen (Bl. 539 bis 543 der dortigen Akten).

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 08.08.2007 - 10 Ca 2526/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

1. die Berufung zurückzuweisen;

2. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf Wiedereinstellung ab dem 01.10.2007 zu den bisherigen Arbeitsbedingungen, d. h. als Anlagenassistent bei Anrechnung der bisherigen Betriebszugehörigkeit seit dem 07.01.1991 anzunehmen und weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (§§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b und c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO), jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 03.04.2007 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtswirksamkeit der Kündigung verurteilt.

1. Dem Arbeitsgericht ist darin zu folgen, dass die Kündigung nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG).

a) Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG entsteht das inner- oder außerbetrieblich veranlasste Erfordernis für eine Kündigung in aller Regel nicht unmittelbar und allein durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (z. B. Produktionsrückgang), sondern aufgrund einer durch wirtschaftliche oder technische Entwicklungen veranlassten Entscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung). Diese Entscheidung begründet ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn es sich konkret auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirkt. Zwar muss nicht ein bestimmter Arbeitsplatz entfallen sein. Voraussetzung ist aber, dass die Organisationsentscheidung ursächlich für den vom Arbeitgeber behaupteten Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ist (BAG vom 22.05.2002, AP Nr. 128 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

Ist eine derartige unternehmerische Entscheidung getroffen worden, so ist sie nach der Rechtsprechung des BAG nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen (Menge der zu erledigenden Arbeit) als auch das diesem zugeordnete Arbeitskraftvolumen (Arbeitnehmerstunden) und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen (BAG vom 06.07.2006, AP Nr. 82 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl). Dagegen obliegt es den Gerichten für Arbeitssachen, nachzuprüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung überhaupt getroffen wurde und ob sie sich betrieblich dahingehend auswirkt, dass der Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer entfallen ist. Trifft der Arbeitgeber etwa die Entscheidung, eine Abteilung seines Betriebes zu schließen, kann die unternehmerische Organisationsentscheidung selbst nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit geprüft werden. Voll nachzuprüfen ist aber, ob durch die innerbetriebliche Umsetzung dieser Unternehmerentscheidung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen ist (BAG vom 07.05.1998, AP Nr. 94 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).

Da für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte Organisationsentscheidung die Vermutung spricht, sie sei aus sachlichen Gründen erfolgt, Rechtsmissbrauch also die Ausnahme ist, hat im Kündigungsschutzprozess grundsätzlich der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und im Streitfall zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene innerbetriebliche Strukturmaßnahme offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Wenn allerdings die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne nähere Konkretisierung praktisch deckungsgleich sind, kann nicht in jedem Fall von vornherein die Vermutung greifen, die Unternehmerscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber daher konkrete Angaben dazu machen, wie sich die Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten auswirkt und in welchem Umfang durch die Organisationsentscheidung ein Überhang an Arbeitsvolumen entsteht (BAG vom 17.06.1999, AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG vom 29.11.2007 - 2 AZR 388/06 - juris).

b) Nach diesen Grundsätzen ist nicht ersichtlich, dass die unternehmerische Entscheidung der Beklagten, in ihrem Betrieb in I. im Bereich Druckfarben nur noch Kleinchargen in den Größen 5 bis 50 kg mit gewünschten Lieferzeiten unter acht Tagen zu produzieren, offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Sie führt aber nicht dazu, dass die Beklagte keinen Bedarf mehr an der Arbeitsleistung des Klägers hat. Im Bereich Druckfarben waren bei der Beklagten sechs Anlagenassistenten und vier Anlagenfachkräfte beschäftigt. Die Beklagte hat ihre Entscheidung, einen Großteil der Produktion nach Hull zu verlagern, zum Anlass genommen, die Arbeitsverhältnisse mit allen Anlagenassistenten und zwei Anlagenfachkräften zu kündigen. Das verbleibende Produktionsvolumen von 18,5 to Kleinchargen soll nach ihrem Unterrichtungsschreiben an den Betriebsrat vom 26.03.2007 und ihren Darlegungen im vorliegenden Rechtsstreit in Zukunft mit den beiden verbleibenden Anlagenfachkräften erledigt werden. Diese Zahl von Arbeitnehmern genügt jedoch nicht zur Ausführung der im Bereich Druckfarben verbleibenden Arbeitsaufgaben, wenn berücksichtigt wird, dass die Beklagte in diesem Bereich unstreitig in zwei Schichten zu je 7,5 Stunden arbeiten lässt und die Anlagenfachkräfte, deren Arbeitsverhältnis nicht gekündigt wurde, nicht während des gesamten Jahres, wenn im Betrieb gearbeitet wird, zur Arbeitsleistung zur Verfügung stehen.

Die Beklagte räumt auch ein, dass Mitarbeiter anderer Bereiche die Anlagenfachkräfte, deren Arbeitsverhältnis nicht gekündigt wurde, vertreten, wenn diese - etwa wegen Urlaub oder Krankheit oder Tätigkeit für den Betriebsrat - an der Arbeitsleistung verhindert sind. Wenn aber das im Bereich Druckfarben nach der Verlagerung eines Großteils des Produktionsvolumens noch verbleibende Produktionsvolumen auch durch Mitarbeiter anderer Bereiche erledigt werden muss, dann führt die unternehmerische Entscheidung, im Betrieb in I. im Bereich Druckfarben nur noch bestimmte Kleinchargen zu produzieren, allein nicht dazu, dass das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung von acht Arbeitnehmern entfällt. Der Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers kann vielmehr nur dann entfallen sein, wenn zusätzliche innerbetriebliche oder außerbetriebliche Umstände vorliegen, die dazu führen, dass das bei Vertretungen der im Druckfarbenbereich verbleibenden zwei Anlagenfachkräfte anfallende Arbeitsvolumen von Arbeitnehmern anderer Bereiche mit erledigt werden kann.

Dazu hat die Beklagte keine hinreichenden Tatsachen vorgetragen. Sie hat weder dargelegt, dass die in anderen Bereichen anfallende Arbeit durch außerbetriebliche Umstände, etwa einen Rückgang an Aufträgen, so zurückgegangen ist, dass die dort beschäftigten Arbeitnehmer im Bereich Druckfarben für Vertretungsaufgaben eingesetzt werden können, noch hat sie dargelegt, dass sie eine unternehmerische Organisationsentscheidung getroffen hat, die etwa zu einer Rationalisierung der Arbeitsabläufe in anderen Bereichen geführt hat, so dass dort beschäftigte Arbeitnehmer möglicherweise nicht voll ausgelastet sind. Ihr Vorbringen, es sei geplant worden, die verbleibenden Arbeits- und Prozessabläufe zu optimieren, ist gänzlich unsubstantiiert. Fehlt es aber an einer unternehmerischen Organisationsentscheidung, kann auch nicht die Vermutung greifen, es bestehe ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn sie sich konkret auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers auswirkt. Hinzu kommt, dass auch die Berechnung des gesamten Zeitbedarfs von 2831 Stunden für den Bereich Druckfarben nicht nachvollzogen werden kann, da sich bei 15 Mitarbeiterstunden täglich bei 250 Arbeitstagen, von denen auch die Beklagte ausgeht, 3750 Mitarbeiterstunden ergeben.

Auf den Umfang der von der Beklagten im Verhandlungstermin vor der Berufungskammer vorgetragenen Stundensalden in ihren Bereichen kommt es mithin nicht an. Vielmehr kann nicht festgestellt werden, dass das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung des Klägers entfallen ist, weil sich aus der Verlagerung eines Großteils der Produktion von Druckfarben nach Hull nicht ergibt, dass in diesem Bereich nur noch Bedarf an zwei vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern besteht und weitere dringende betriebliche Erfordernisse für die Kündigung von der Beklagten nicht vorgetragen wurden.

2. Damit ist die Beklagte auch verpflichtet, den Kläger bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtswirksamkeit der Kündigung als Anlagenassistent weiterzubeschäftigen. Das Berufungsgericht folgt hierzu den zutreffenden Gründen der Entscheidung des Arbeitsgerichts und sieht von einer Wiederholung ab (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht zu entscheiden war (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) und die Voraussetzungen für eine Divergenzrevision nicht ersichtlich sind (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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