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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 10.08.2007
Aktenzeichen: 9 Sa 303/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 613 a Abs. 1 S. 1
Dem Europäischen Gerichtshof wird gemäß Art. 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Liegt ein Übergang eines Unternehmens- bzw. Betriebsteils auf einen anderen Inhaber im Sinne von Art. 1 Nr. 1 a) und b) der Richtlinie 2001/23/EG nur vor, wenn der Unternehmens- bzw. Betriebsteil bei dem neuen Inhaber als organisatorisch selbständiger Unternehmens- bzw. Betriebsteil fortgeführt wird?
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF BESCHLUSS

9 Sa 303/07

In dem Rechtsstreit

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 10.08.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Heinlein als Vorsitzende sowie den ehrenamtlichen Richter van Beek und die ehrenamtliche Richterin Krüger

beschlossen:

Tenor:

Dem Europäischen Gerichtshof wird gemäß Art. 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Liegt ein Übergang eines Unternehmens- bzw. Betriebsteils auf einen anderen Inhaber im Sinne von Art. 1 Nr. 1 a und b der Richtlinie 2001/23/EG nur vor, wenn der Unternehmens- bzw. Betriebsteil bei dem neuen Inhaber als organisatorisch selbständiger Unternehmens- bzw. Betriebsteil fortgeführt wird?

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der ET Electrotechnology GmbH (ET) gemäß § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB auf die Beklagte übergegangen ist.

Die ET befasste sich mit industrieller Automatisierung sowie Mess- und Regeltechnik. Der Kläger stand zu dieser Gesellschaft seit dem 01.01.1989 in einem Arbeitsverhältnis. Seit dem 01.05.1992 war er Leiter der Abteilung F+E/ET-Systeme/Netzwerk/IBS.

Die ET hat ihr Firmenprofil im Juni 2005 u.a. wie folgt dargestellt:

"Die 1983 gegründete ET Electrotechnology GmbH ist eine der weltweit führenden Ausrüster von Hüttenwerken mit eigenentwickelten metallurgischen Mess- und Regelsystemen, Automatisierungssystemen und EMSR-Technik. Zu unseren Kunden gehören zahlreiche Stahl-, Aluminium- und Kupferhütten in der ganzen Welt

Das im Jahr 1992 eingerichtete Forschungs- und Entwicklungszentrum hat seinen Arbeitsschwerpunkt in der Realisierung PC basierender Mess- und Regelsysteme

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Die Abteilung F+E/ET-Systeme/Netzwerk/IBS bestand aus den Gruppen F+E/ET-Systeme, EDV/Netzwerk/Serversysteme/Datensicherung und Produktion/Schaltschränke/Platinen. Stellvertretender Abteilungsleiter war Herr O.. Dieser leitete zugleich die Gruppe Produktion/Schaltschränke/Platinen. Der Kläger leitete zugleich die Gruppe F+E/ET-Systeme.

In der Abteilung F+E/ET-Systeme/Netzwerk/IBS waren mindestens 10, nach Behauptung der Beklagten 13 Arbeitnehmer beschäftigt. Die in der Abteilung tätigen Ingenieure übernahmen die Entwicklung, Projektplanung, den Service, die Inbetriebsetzung und Dokumentation der PC-basierenden Mess- und Regelsysteme. Fertigungs- und Montageaufgaben wurden von den in der Abteilung tätigen Elektrikern übernommen. Einem Mitarbeiter oblag die Bereitstellung und der Support für die EDV-Arbeitsplätze.

Die Beklagte hat sich auf Messtechnik für die Stahlindustrie spezialisiert.

Am 22.11.2005 schloss die ET mit der Beklagten und deren, in den USA ansässiger Muttergesellschaft ein "Asset and Business Sale and Purchase Agreement" betreffend folgende Produkte und Technologie: ET-DecNT (einschließlich ET-DecNT, ET-DecNT light und ET-DecNT Power Melt), FT7000, ET-TempNet und ET-OxyNet. Vereinbart wurde, dass die Muttergesellschaft der Beklagten alle Rechte an der Eigenprodukt-Software, an Patenten, Patentanmeldungen und Erfindungen sowie an den Produktnamen und dem technischen know-how bezüglich der o.a. Produkte und Technologie erwirbt. Die Beklagte erwarb nach der Vereinbarung die Entwicklungs-Hardware, das Produktmaterial-Inventar, eine Lieferanten- und eine Kundenliste.

Die Beklagte übernahm auch den stellvertretenden Abteilungsleiter O. und die Ingenieure der Gruppe F+E/ET-Systeme I., Dr. U. und Q.. Im Vertrag vom 22.11.2005 ist für den Fall, dass einer der "übertragenen" Angestellten sein Anstellungsverhältnis mit der Beklagten innerhalb von zwei Jahren ab dem Datum des Geschäftsabschlusses beendet, unfähig ist, seine Pflichten zu erfüllen oder von der Beklagten aus gutem Grund gekündigt wird, vereinbart, dass ET die Dienste und Leistungen zeitnah und auf eigene Kosten zur Verfügung zu stellen hat, die zur Erfüllung der Forderungen der Beklagten und deren Kunden oder zur Schulung anderer Personen notwendig sind.

Die Beklagte entwickelt, fertigt und vertreibt neben den von der ET erworbenen Produkten weitere Produkte im Bereich der metallurgischen Messtechnik. Sie hat Herrn O. der Abteilung "Technical Sales Support" zugeordnet, die für die technische Unterstützung des Vertriebs zuständig ist. Herr I. wurde in die Abteilung "Project Manager", die für die Betreuung von Kundenprojekten und Inbetriebnahmen zuständig ist, integriert. Herr Dr. U. wurde in die Forschungs- und Entwicklungsabteilung eingegliedert, Herr Q. in die Abteilungen "Project Manager" und "Technical Support Software", wo er für die Programmierung und Inbetriebnahme zuständig ist. Alle übernommenen Mitarbeiter erledigen bei der Beklagten auch Aufgaben im Zusammenhang mit Produkten, die die Beklagte nicht von der ET erworben hat.

Am 17.07.2006 wurde über das Vermögen der ET das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger hat mit seiner bei dem Arbeitsgericht Wesel erhobenen Klage seine Weiterbeschäftigung als Abteilungsleiter bei der Beklagten verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger,

das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 29.11.2006 - 4 Ca 1826/06 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Abteilungsleiter zu den Bedingungen des unter dem 01.01.1989 mit der ET-Electrotechnology GmbH geschlossenen Anstellungsvertrages weiterzubeschäftigen;

hilfsweise festzustellen, dass zwischen den Parteien seit dem 09.12.2005 ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat die Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen beschlossen. Nach Artikel 234 Abs. 2 EG kann ein Gericht eines Mitgliedsstaats eine Frage u.a. über die Auslegung Europäischer Richtlinien dem EuGH zur Entscheidung vorlegen, wenn das Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, ist dieses Gericht nach Artikel 234 Abs. 3 EG zur Anrufung des EuGH verpflichtet. Auch dann, wenn die Entscheidung des LAG Düsseldorf im vorliegenden Rechtsstreit mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann, steht es nicht in seinem Belieben, ob es ein Vorabentscheidungsverfahren einleitet. In diesem Fall ist vielmehr eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.

1. Eine Vorabentscheidung des EuGH über die ihm vom vorlegenden Gericht gestellte Frage ist nach Artikel 234 EG erforderlich, da es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankommt, ob ein Übergang eines Unternehmens- bzw. Betriebsteils auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung im Sinne von Artikel 1 Nr. 1 a und b der Richtlinie 2001/23/EG voraussetzt, dass der Unternehmens- bzw. Betriebsteil bei dem neuen Inhaber als organisatorisch selbständiger Unternehmens- bzw. Betriebsteil fortgeführt wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind die nationalen Gerichte verpflichtet, das innerstaatliche Recht richtlinienkonform auszulegen. Das bedeutet: Das nationale Gericht muss das innerstaatliche Recht soweit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks einer einschlägigen Richtlinie auslegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen. Das Gebot der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist dem EG-Vertrag immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (EuGH vom 05.10.2004 - C 397/01 - C 403/01 - Pfeiffer u.a. m.w.N., AP Nr. 12 zu EWGRichtlinie Nr. 93/104). Artikel 234 EG berechtigt bzw. verpflichtet die nationalen Gerichte, den EuGH anzurufen, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Frage in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit entscheidungserheblich wird.

Dies gilt nach der Rechtsprechung des EuGH lediglich dann nicht, wenn die gestellte Frage tatsächlich bereits in einem gleichgelagerten Fall Gegenstand einer Vorabentscheidung gewesen ist oder eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt, durch die die betreffende Rechtsfrage gelöst ist oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts so offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (EuGH vom 06.10.1982 - 283/81 - CILFIT, AP Nr. 11 zu Art. 177 EWG-Vertrag). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Streitfall nicht erfüllt (s.u. III).

2. Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verletzt ein letztinstanzliches Hauptsachegericht die danach gewährleistete Zuständigkeitsgarantie, wenn es die Vorlagepflicht nach Art. 234 EG in offensichtlich unhaltbarer Weise handhabt. Hat sich etwa das Gericht hinsichtlich des Europäischen Rechts nicht ausreichend kundig gemacht, verkennt es regelmäßig die Bedingungen für die Vorlagepflicht. Das Gericht hat in seiner Entscheidung die Gründe anzugeben, die dem Bundesverfassungsgericht eine Kontrolle am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ermöglichen (BVerfG, Kammer - Beschluss vom 14.07.2006 - 2 BvR 264/06 - JZ 2007, S. 87 f. m.w.N.). Letztinstanzliches Hauptsachegericht ist auch ein Instanzgericht, wenn seine Entscheidung nicht mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann (str., wie hier: Kerwer, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte, S. 518 m.w.N.).

Auch dann, wenn das erkennende Gericht gegen seine Entscheidung die Revision zum Bundesarbeitsgericht nach § 72 Abs. 2 ArbGG zulässt, hat es nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob es die aus seiner Sicht entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegt. Bei seiner Ermessensentscheidung darf es nicht darauf abstellen, ob die Vorlage mehr Schaden als Nutzen anrichtet (so aber Thüsing, BB 2006, Heft 23, S. 1). Es ist auch nicht seine Aufgabe, die Folgen zu berechnen, die die Vorlage haben könnte (so Thüsing, BB 2007, Heft 25, S. 1). Die Gerichte müssen vielmehr das Recht, auch das Gemeinschaftsrecht, richtig anwenden. Sind sie nicht letztinstanzliche Hauptsachegerichte im Sinne von Art. 234 Abs. 3 EG, liegt die Entscheidung über eine Vorlage an den EuGH in ihrem pflichtgemäßen Ermessen.

Dabei kann für die Gebotenheit der Vorlage neben dem Schwierigkeitsgrad und der Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Frage die Prozessökonomie sprechen. Ist etwa absehbar, dass spätestens in der letzten Instanz vorgelegt werden muss, bietet sich die Vorlage zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen und Kosten bereits in einem frühen Stadium an. Anders stellt sich die Situation dar, wenn die Vorlage in höherer Instanz möglicherweise entbehrlich wird, weil das Rechtsmittelgericht die Entscheidungserheblichkeit anders beurteilt (Kerwer, a.a.O., S. 498 f. m.w.N.). Als weiterer zulässiger Gesichtspunkt bei der Entscheidung über die Vorlage sind auch Bedenken anzusehen, ob die obergerichtliche Judikatur dem Gemeinschaftsrecht hinreichend Rechnung trägt (Kerwer, a.a.O., S. 502 m.w.N.).

Bei Zugrundelegung dieser Kriterien ist die Vorlage an den EuGH durch das vorlegende Gericht geboten. Denn das Bundesarbeitsgericht hat wiederholt entschieden, dass ein Betriebsteil nicht nach § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB übergeht, wenn der Betriebsteil bei dem Erwerber nicht als organisatorisch selbständiger Betriebsteil fortgeführt wird (s.u. II 3). Schon aus Gründen der Prozessökonomie wäre es daher ermessensfehlerhaft, wenn die Einleitung des Vorabentscheidungsverfahrens durch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf unterbliebe.

3. Der deutsche Gesetzgeber hat die Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG, die Änderungsrichtlinie 98/50/EG und die Richtlinie 2001/23/EG durch § 613 a BGB in nationales Recht umgesetzt. § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt Folgendes:

"Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein."

Das Bundesarbeitsgericht definiert den Begriff "Betriebsteil" als Teilorganisation, in der sächlich und organisatorisch abgrenzbare Teilzwecke erfüllt werden, bei denen es sich um bloße Hilfsfunktionen handeln kann. Es muss sich um eine organisatorisch selbständige Untergliederung handeln (BAG, Urteil vom 17.04.2003 - 8 AZR 253/02 - AP Nr. 253 zu § 613 a BGB).

Nach einigen neueren Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts geht ein Betriebsteil dann nicht auf einen neuen Inhaber über, wenn der Erwerber den Betriebsteil nicht im wesentlichen unverändert unter Wahrung seiner Identität fortführt. Das ist nach diesen Entscheidungen dann der Fall, wenn der Betriebsteil beim Erwerber als organisatorisch selbständiger Betriebsteil erhalten bleibt, während ein Betriebsteil nicht übergeht, wenn er vollständig in die eigene Organisationsstruktur des anderen Unternehmens eingegliedert oder die Aufgabe in einer deutlich größeren Organisationsstruktur durchgeführt wird (vgl. Urteil vom 25.09.2003 - 8 AZR 421/02 - AP Nr. 261 zu § 613 a BGB; Urteil vom 16.02.2006 - 8 AZR 204/05 - AP Nr. 300 zu § 613 a BGB; Urteil vom 06.04.2006 - 8 AZR 249/04 - AP Nr. 303 zu § 613 a BGB; Urteil vom 14.08.2007 - 8 AZR 1043/06 - Pressemitteilung Nr. 60/07).

Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei der Abteilung F+E/ET-Systeme/Netzwerk/IBS der ET um einen Betriebsteil im Sinne von § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB, der wegen des Erwerbs der wesentlichen materiellen Betriebsmittel sowie der diesbezüglichen Kunden- und Lieferantenliste und der Übernahme eines Teils der im Betriebsteil beschäftigten know-how-Träger durch die Beklagte sowie des Erwerbs der Rechte an den wesentlichen Produkten und Technologien durch deren Muttergesellschaft auf die Beklagte übergegangen ist, sofern für den Übergang nicht auch erforderlich ist, dass die organisatorische Selbständigkeit des Betriebsteils bei der Beklagten erhalten blieb. Das war tatsächlich nicht der Fall, denn die Beklagte hat die übernommenen Arbeitnehmer in verschiedene Abteilungen eingegliedert und die übernommenen Aufgaben werden nunmehr im Rahmen einer anderen Organisationsstruktur wahrgenommen. Ob das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte übergegangen ist, hängt somit von der Antwort auf die Vorlagefrage ab.

III.

Für die richtlinienkonforme Auslegung des § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB kommt es insbesondere auf die Auslegung von Art. 1 Nr. 1 a und b der Richtlinie 2001/23/EG an, für die wiederum der Inhalt der Erwägungsgründe 7 und 8 von Bedeutung ist.

Letztere lauten wie folgt:

"(7) Die Richtlinie 77/187/EWG wurde nachfolgend geändert unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Binnenmarktes, der Tendenzen in der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Sanierung von Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17.02.1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen sowie der bereits in den meisten Mitgliedstaaten geltenden gesetzlichen Normen.

(8) Aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz war es erforderlich, den juristischen Begriff des Übergangs unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu klären. Durch diese Klärung wurde der Anwendungsbereich der Richtlinie 77/187/EWG gemäß der Auslegung durch den Gerichtshof nicht geändert."

Artikel 1 Nr. 1 a und b der Richtlinie 2001/23/EG lautet wie folgt:

"Artikel 1

1. a) Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.

b) Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit."

Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 der Richtlinie 2001/23/EG gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.

Da nach Erwägungsgrund 8 der Begriff des Übergangs in der Richtlinie 2001/23/EG gegenüber der Richtlinie 77/187/EWG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH nicht geändert werden sollte, dürfte es für die Auslegung von Art. 1 Nr. 1 a und b der Richtlinie 2001/23/EG auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu den Voraussetzungen des Übergangs von Unternehmen, Betrieben und Unternehmens- bzw. Betriebsteilen ankommen.

Danach ist das entscheidende Kriterium für die Antwort auf die Frage, ob es sich um einen Übergang im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG handelt, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt. Für die Feststellung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der Übergang oder Nichtübergang der materiellen Aktiva wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva zum Zeitpunkt des Übergangs, die Übernahme oder Nichtübernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der Übergang oder Nichtübergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen der vor und der nach dem Übergang verrichteten Tätigkeit und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Diese Umstände sind Teilaspekte der vorzunehmenden globalen Bewertung und können deshalb nicht isoliert beurteilt werden (EuGH vom 18.03.1986 - 24/85 - Spijkers, EAS-RL 77/187/EWG Art. 1 Nr. 2; EuGH vom 12.11.1992 - C 209/91 - AP Nr. 5 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; EuGH vom 19.05.1992 - C 29/91 - AP Nr. 107 zu § 613 a BGB; EuGH vom 11.03.1997 - C 13/95 - Süzen, AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; EuGH vom 10.12.1998 - C 173/96 und C 297/96 - Hildalgo/Ziemann, NZA 1999, S. 189 ff.; EuGH vom 26.09.2000 - C 175/99 - Mayer, AP Nr. 30 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; EuGH vom 24.01.2002 - C 51/00 - Temco, AP Nr. 32 zu EWG-Richtlinie Nr. 177/187).

Aus der Rechtsprechung des EuGH entnimmt das vorlegende Gericht, dass eine Einheit, um übergehen zu können, hinreichend strukturiert und selbständig sein muss (Urteil vom 10.12.1998, a.a.O.) und ferner nicht auszuschließen ist, dass unter bestimmten Umständen Merkmale wie die Organisation, die Arbeitsweise, die Finanzierung, die Leitung und die anwendbaren Rechtsvorschriften eine wirtschaftliche Einheit in solcher Weise kennzeichnen, dass eine Änderung dieser Merkmale aufgrund des Übergangs dieser Einheit zu einem Wechsel ihrer Identität führt (Urteil vom 26.09.2000, a.a.O.). Stets dürfte jedoch zur Beurteilung der Identitätswahrung eine Gesamtbetrachtung erforderlich sein. Die Auffassung, dass ein Betriebsteil nicht übergeht, wenn er beim Erwerber nicht als organisatorisch selbständiger Betriebsteil fortgeführt wird, könnte damit nicht in Einklang stehen.

Das könnte sich auch aus Art. 6 Nr. 1 Abs. 1 Richtlinie 2001/23/EG ergeben, in dem es heißt:

"Sofern das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil seine Selbständigkeit behält, bleiben die Rechtsstellung und die Funktion der Vertreter oder der Vertretung der vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer unter den gleichen Bedingungen erhalten, wie sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs aufgrund von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder aufgrund einer Vereinbarung bestanden haben, sofern die Bedingungen für die Bildung der Arbeitnehmervertretung erfüllt sind."

Wäre es stets erforderlich, dass das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil ihre Selbständigkeit behalten, um übergehen zu können, wäre der erste Halbsatz dieser Regelung ("sofern ... behält") überflüssig. Der Richtliniengeber dürfte daher davon ausgegangen sein, dass Unternehmen, Betriebe, Unternehmens- bzw. Betriebsteile auch auf einen Erwerber übergehen können, wenn sie ihre organisatorische Selbständigkeit nicht behalten. Dafür spricht auch Art. 6 Nr. 1 Abs. 4 der Richtlinie, in dem es heißt:

"Behält das Unternehmen, der Betrieb oder der Unternehmens- bzw. Betriebsteil seine Selbständigkeit nicht, so treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit die vom Übergang betroffenen Arbeitnehmer, die vor dem Übergang vertreten wurden, während des Zeitraums, der für die Neubildung oder Neubenennung der Arbeitnehmervertretung erforderlich ist, im Einklang mit dem Recht oder der Praxis der Mitgliedstaaten weiterhin angemessen vertreten werden."

IV.

Bis zur Entscheidung der Vorlagefrage wird das Ausgangsverfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt.

Ende der Entscheidung

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