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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 08.10.2004
Aktenzeichen: 9 Sa 817/04
Rechtsgebiete: Richtlinie 98/50/EG


Vorschriften:

Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 98/50/EG des Rates zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen
Vorlagefragen (gekürzt):

1. Ist es mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/50/EG vereinbar, wenn der nicht tarifgebundene Betriebserwerber an eine Vereinbarung zwischen dem tarifgebundenen Betriebsveräußerer und dem Arbeitnehmer, nach der die jeweiligen Lohntarifverträge, an die der Betriebsveräußerer gebunden ist, Anwendung finden, in der Weise gebunden ist, dass der z.Zt. des Betriebsübergangs gültige Lohntarifvertrag Anwendung findet, nicht aber später in Kraft tretende Lohntarifverträge Anwendung finden?

2. Falls dies zu verneinen ist: Ist es mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/50/EG vereinbar, wenn der nicht tarifgebundene Betriebserwerber nur so lange an nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs in Kraft getretene Lohntarifvertäge gebunden ist, so lange eine solche Bindung für den Betriebsveräußerer besteht?


LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

In Sachen

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 08.10.2004 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Heinlein als Vorsitzende sowie den ehrenamtlichen Richter Klingebiel und den ehrenamtlichen Richter Köchling beschlossen:

Tenor:

Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist es mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen vereinbar, wenn der nicht tarifgebundene Betriebserwerber an eine Vereinbarung zwischen dem tarifgebundenen Betriebsveräußerer und dem Arbeitnehmer, nach der die jeweiligen Lohntarifverträge, an die der Betriebsveräußerer gebunden ist, Anwendung finden, in der Weise gebunden ist, dass der z. Zt. des Betriebsübergangs gültige Lohntarifvertrag Anwendung findet, nicht aber später in Kraft tretende Lohntarifverträge Anwendung finden?

2. Falls dies zu verneinen ist:

Ist es mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/50/EG vereinbar, wenn der nicht tarifgebundene Betriebserwerber nur so lange an nach dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs in Kraft getretene Lohntarifverträge gebunden ist, so lange eine solche Bindung für den Betriebsveräußerer besteht?

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die in einem Tarifvertrag vom 23.05.2002 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vereinbarte Erhöhung des Tariflohns um 2,6 % ab dem 01.06.2003 und eine weitere, in diesem Tarifvertrag vereinbarte Leistung (ERA-Strukturkomponente) an den Kläger zu zahlen. Den Tarifvertrag haben die Industriegewerkschaft Metall (nachfolgend: IGM) und der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen (nachfolgend: AGV) abgeschlossen.

Der Kläger wurde gemäß Arbeitsvertrag vom 1. April 1984 (richtig wohl: 1. April 1985) zum 01.04.1985 von der E. AG als Kunststoffarbeiter zunächst befristet bis zum 31.08.1985 eingestellt. Mit Wirkung vom 01.09.1985 wurde er in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen.

Nach dem Arbeitsvertrag hat der Kläger mit der E. AG vereinbart, dass für das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des Manteltarifvertrages und des jeweils gültigen Lohnabkommens für Arbeiter der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens gelten (Bl. 22 d. A.). Zur Zeit seiner Einstellung war der Kläger nicht Mitglied der IGM. Die E. AG war Mitglied des AGV.

Am 01.04.1999 wurde die E. AG in die T. E. GmbH umgewandelt. Am 01.10.1999 veräußerte die T. E. GmbH einen Teil ihres Betriebes in der L. Straße in E., in dem der Kläger beschäftigt war, an die Beklagte. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging auf diese über. Später wurde der veräußerte Betriebsteil nach X. verlegt.

Die Beklagte ist nicht Mitglied eines Arbeitgeberverbandes, der Tarifverträge abschließt.

Gemäß Betriebsvereinbarung vom 02.08.2001 vereinbarte sie mit dem Betriebsrat ein Raster über die Eingruppierung der Arbeitnehmer in Anlehnung an die für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen. Mit dem Kläger schloss sie am 29.08.2001 eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag, nach der er die Grundvergütung nach der Lohn-/Tarifgruppe 8 und eine tarifliche Leistungszulage erhält (Bl. 20 d. A.).

Eine weitere Betriebsvereinbarung vom 13.08.2001 sah eine Einmalzahlung vor. Mit Schreiben vom 13.08.2001 erklärte der Kläger, gegen Zahlung des sich aus dieser Betriebsvereinbarung für ihn ergebenden Einmalbetrages verzichte er gegenüber der Beklagten unwiderruflich auf alle eventuell noch bestehenden individuellen Ansprüche aus Tariferhöhungen, die sich auf den Zeitraum vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung beziehen (Bl. 21 d. A.).

Mit seiner Klage verlangt der Kläger den Differenzbetrag zwischen dem sich aus dem Tarifvertrag vom 23.05.2002 ab dem 01.06.2003 für ihn ergebenden Tariflohn und der an ihn von der Beklagten gezahlten Grundvergütung für die Monate Juni bis September 2003 sowie die weitere tarifliche Leistung.

Er hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 228,24 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Klagezustellung zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 88,22 € brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Wuppertal hat durch Urteil vom 07.01.2004 - 6 Ca 5351/03- 3 - die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Im Berufungsverfahren verfolgt der Kläger seine Forderungen weiter.

Er behauptet, er sei seit Dezember 1985 Mitglied der IGM.

II.

Eine Vorabentscheidung des EuGH über die ihm vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen ist nach Art. 234 EG erforderlich, da fraglich ist, ob der Kläger bei einer mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts übereinstimmenden Auslegung des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB Anspruch auf die mit der Klage geforderte Vergütung hat.

1. Nach dem nationalen Tarifvertragsrecht besteht ein solcher Anspruch nicht. Tarifverträge regeln nach § 1 Abs. 1 TVG die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien und enthalten Rechtsnormen, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können. Tarifverträge, die die Höhe der Vergütung von Arbeitnehmern regeln, betreffen den Inhalt von Arbeitsverhältnissen.

Rechtsnormen von Tarifverträgen, die den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen. Nach § 3 Abs. 1 TVG sind die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist, tarifgebunden. Tarifvertragsparteien sind nach §2 Abs. 3 TVG Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern. Ist ein Tarifvertrag von einer Gewerkschaft mit einer Vereinigung von Arbeitgebern abgeschlossen, sind somit die Mitglieder der Gewerkschaft und der Arbeitgebervereinigung tarifgebunden.

Erforderlich ist beiderseitige Tarifgebundenheit. Da die Beklagte nicht Mitglied des AGV ist, ist sie tarifrechtlich nicht an den Tarifvertrag vom 23.05.2002 gebunden. Es reicht nicht aus, dass der Kläger möglicherweise Mitglied der IGM ist.

Aufgrund Allgemeinverbindlichkeit (§ 5 TVG) kommt der Tarifvertrag ebenfalls nicht zur Anwendung, da er nicht für allgemeinverbindlich erklärt ist.

2. Ebenso wenig kann der Kläger die mit der Klage geforderte Vergütung nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB verlangen.

§ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt Folgendes:

"Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein."

§ 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB lautet:

"Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages oder einer Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden."

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB die tarifvertraglichen Regelungen mit dem Inhalt, den sie im Zeitpunkt des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs haben, Bestandteil des Arbeitsvertrages werden, und spätere tarifvertragliche Änderungen hieran nicht teilnehmen (BAG, Urteil vom 29.08.2001, AP Nr. 17 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG, Urteil vom 20.06.2001, AP Nr. 18 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG, Urteil vom 24.11.1999, AP Nr. 34 zu § 4 TVG Nachwirkung; BAG, Urteil vom 13.11.1985, AP Nr. 46 zu § 613 a BGB). Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm. Denn § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB schreibt nicht die Fortgeltung der Tarifnorm als einer auf das Arbeitsverhältnis einwirkenden Bestimmung vor, sondern den Eingang des Regelungsgehaltes in das Arbeitsverhältnis. Ein Anspruch auf Teilnahme an der dynamischen Fortentwicklung der Tarifregelung lässt sich hieraus nicht ableiten (BAG, Urteil vom 20.06.2001, a.a.O.).

Der so in § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB angelegte Bestandsschutz ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch deshalb statisch, weil damit verfassungsrechtliche Bedenken vermieden werden können, die sich unter dem Gesichtspunkt der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG ergeben, wenn der tarifungebundene neue Betriebsinhaber faktisch an künftige Tarifentwicklungen in den kraft Betriebsübergangs übergegangenen Arbeitsverhältnissen gebunden wäre. Der nicht tarifgebundene Betriebsübernehmer hätte keine Möglichkeit, sich von der faktisch zwingenden Wirkung künftiger Tarifentwicklungen durch Verbandsaustritt oder durch Kündigung des Firmentarifvertrages zu lösen (BAG, Urteil vom 20.06.2001, a.a.O.).

3. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts enthält auch § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB keine Grundlage für den Vergütungsanspruch des Klägers. Der Kläger hat mit der Rechtsvorgängerin des Betriebsteilveräußerers vereinbart, dass für das Arbeitsverhältnis die jeweils gültigen Lohnabkommen für Arbeiter der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens gelten. Nach dieser Vereinbarung sollen also die Lohntarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie in Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweiligen Fassung Anwendung finden (dynamische Verweisung).

Das Bundesarbeitsgericht legt eine solche Verweisungsklausel in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Vertrag dann, wenn der Arbeitgeber im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden ist, typischerweise als Gleichstellungsabrede aus. Dabei stellt es entscheidend auf den Zweck der vertraglichen Bezugnahme ab.

Dieser liegt regelmäßig in der Anwendung derjenigen Arbeitsbedingungen, die für die tarifgebundenen Arbeitnehmer nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend gelten, auch auf die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer. Ihnen soll typischerweise der Anlass genommen werden, die normative Geltung der Tarifregelungen durch einen Gewerkschaftsbeitritt herbeizuführen, nicht aber unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers eine dauernde Teilhabe an der Tarifentwicklung gewährt werden (BAG, Urteil vom 19.03.2003, NZA 2003, S. 1207 ff.; BAG, Urteil vom 16.10.2002, AP Nr. 22 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG, Urteil vom 29.08.2001, a.a.O.; BAG, Urteil vom 26.09.2001, AP Nr. 21 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG, Urteil vom 24.11.1999, a.a.O.; ablehnend zur Auslegung als Gleichstellungsabrede u.a. LAG Düsseldorf, Urteil vom 25.07.2001 - 12 Sa 636/01 -; Stein, AuR 2003, S. 361 ff.; zustimmend u.a. LAG Berlin, Urteil vom 25.10.2002 - 17 Sa 1250/02 -; Hennsler/Heiden, RdA 2004, S. 241 ff.).

Das Bundesarbeitsgericht leitet hieraus ab, dass der Arbeitnehmer, der mit einem tarifgebundenen Arbeitgeber eine Gleichstellungsabrede abgeschlossen hat, auch im Falle eines Betriebsübergangs oder Betriebsteilübergangs nicht anders gestellt wird als ein tarifgebundener Arbeitnehmer. Da (falls nicht beiderseitige Tarifbindung nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG besteht) nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB die tarifvertraglichen Regelungen mit dem Inhalt fortgelten, den sie im Zeitpunkt des Betriebs- oder Betriebsteilübergangs haben, und spätere tarifvertragliche Änderungen hieran nicht teilnehmen, gilt nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts im Fall der Gleichstellungsabrede nichts anderes (BAG, Urteile vom 29.08.2001, 20.06.2001 und 24.11.1999, a.a.O.; BAG, Urteil vom 04.08.1999, AP Nr. 14 zu § 1 TVG Tarifverträge: Papierindustrie).

Wie dargelegt, kann der Kläger nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nicht die Vergütung nach dem Tarifvertrag vom 23.05.2002 verlangen. Aus dem mit der E. AG geschlossenen Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich ebenfalls kein Anspruch auf die Vergütung nach diesem Tarifvertrag, sofern der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu folgen ist.

III.

1. Die Richtlinie 98/50/EG des Rates vom 29. Juni 1998 zur Änderung der Richtlinie 77/187/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist am 17.07.1998 in Kraft getreten (Art. 9 i. V. m. Veröffentlichung im Amtsblatt Nr. L 201vom 17.07.1998). Die nachfolgende Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben, Unternehmens- oder Betriebsteilen (2001/23/EG) datiert vom 12. März 2001. Die T. E. GmbH hat den Betriebsteil, in dem der Kläger beschäftigt war, am 01.10.1999 an die Beklagte veräußert. Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass die dem EuGH gestellten Fragen nach der Richtlinie 98/50/EG zu beurteilen sind.

2. Teil II Art. 3 der Richtlinie 98/50/EG bestimmt u.a. Folgendes:

"Wahrung der Ansprüche und Rechte der Arbeitnehmer

(1) Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über."

In Deutschland wurden die Richtlinien 77/187/EWG, 98/50/EG und 2001/23/EG insbesondere durch § 613 a BGB und die ihn ändernden Gesetze in nationales Recht umgesetzt.

Nach der Rechtsprechung des EuGH obliegen die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen (jetzt Art. 249 EG), sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen (jetzt Art. 10 EG), allen Trägern öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten. Daraus folgt, dass ein nationales Gericht, soweit es bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses Recht auszulegen hat, seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten muss, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (EuGH, Urteil vom 13.11.1990 - Rs. C-106/89 - Marleasing, zit. nach Kerwer, Das europäische Gemeinschaftsrecht und die Rechtsprechung der deutschen Arbeitsgerichte, S. 191).

Eine wichtige Aufgabe der richtlinienkonformen Auslegung ist es daher, das vom nationalen Gesetzgeber im Sinne einer Richtlinie erlassene Recht auch bei seiner späteren Anwendung in dem von der Richtlinie vorgegebenen Rahmen zu halten (Kerwer, a.a.O., S. 177).

3. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/187/EWG, der wörtlich mit Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/50/EG übereinstimmt, soll die Richtlinie dadurch die Wahrung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens gewährleisten, dass sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu den gleichen Bedingungen fortzusetzen, wie sie mit dem Veräußerer vereinbart waren.

Daraus hat der EuGH hergeleitet, dass der Erwerber bei der Berechnung finanzieller Rechte wie einer Abfindung oder von Lohnerhöhungen alle von dem übernommenen Personal geleisteten Dienstjahre zu berücksichtigen hat, soweit sich diese Verpflichtung aus dem Arbeitsverhältnis zwischen diesem Personal und dem Veräußerer ergab, und gemäß den im Rahmen dieses Verhältnisses vereinbarten Modalitäten. Weiter hat der EuGH daraus gefolgert, dass das Arbeitsverhältnis in demselben Umfang geändert werden kann, wie dies gegenüber dem Veräußerer möglich war, der Unternehmensübergang als solcher jedoch keinesfalls einen Grund für eine solche Änderung darstellt (Urteil vom 14.09.2000 - Rs. C-343/98 - Collino, Chiappero, AP Nr. 29 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187; Urteil vom 06.11.2003 - Rs. C-4/01 - Serene Martin, Rohit Daby und Brian Willis/South Bank University, NZA 2003, S. 1325 ff.).

Nach dem Urteil des EuGH vom 06.11.2003 (a.a.O.) hängt eine Änderung des Arbeitsverhältnisses mit dem Unternehmensübergang zusammen, wenn der Erwerber die bisherigen Arbeitsbedingungen schlicht und einfach denjenigen anpassen will, die bisher für dessen andere Beschäftigten galten, so dass in einem solchen Fall der Unternehmensübergang den Grund der nachteiligen Änderung der Arbeitsbedingungen darstellt.

4. Deshalb hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob die Auffassung, dass der Arbeitnehmer, der mit einem tarifgebundenen Arbeitgeber vereinbart hat, dass für das Arbeitsverhältnis die jeweils gültigen Lohntarifverträge, die von einer Vereinigung von Arbeitgebern, der der Arbeitgeber als Mitglied angehört, mit einer Gewerkschaft abgeschlossen werden, Anwendung finden, nicht an Tarifentwicklungen nach Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils teilnimmt, mit dem Wortlaut und Zweck des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/50/EG vereinbar ist (Frage 1).

Aus dem Wortlaut des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich nicht, dass der Arbeitnehmer, der mit einem tarifgebundenen Arbeitgeber eine solche, als Gleichstellungsabrede auszulegende Vereinbarung abgeschlossen hat, im Falle eines Betriebs- oder Betriebsteilübergangs nicht anders zu stellen ist als ein tarifgebundener Arbeitnehmer nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB.

Möglicherweise hängt es mit dem Betriebs- oder Betriebsteilübergang als solchem zusammen, wenn der Erwerber Vergütungstarifverträge, die nach dem Tag des Übergangs in Kraft treten, bei den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis übergegangen ist, nicht mehr anwendet. Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Beklagte den übernommenen Arbeitnehmern mitgeteilt, dass es ihr nicht möglich sei, sie nach der Jahresfrist des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB zu den E.-Bedingungen weiterzubeschäftigen (Bl. 18 d. A.).

Möglicherweise erfordern aber Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/50/EG und auch § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB, dass der Betriebserwerber, falls er nicht von den gesetzlichen Möglichkeiten der Vertragsänderung (Änderungsvereinbarung, Änderungskündigung) Gebrauch macht, die Lohntarifverträge, deren Geltung vereinbart wurde, solange anzuwenden hat wie der Betriebsveräußerer (Frage 2).

Dieser ist gemäß § 3 Abs. 3 TVG nach Beendigung seiner Mitgliedschaft in der tarifschließenden Vereinigung von Arbeitgebern nur noch an die zur Zeit der Beendigung der Mitgliedschaft bestehenden Tarifverträge gebunden, während neu abgeschlossene Tarifverträge für den Ausgetretenen nicht gelten (BAG, Urteil vom 26.09.2001, a.a.O.; BAG, Urteil vom 13.12.1995, AP Nr. 15 zu § 1 TVG Rückwirkung).

IV.

Bis zur Entscheidung der Vorlagefrage wird das Ausgangsverfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt.



Ende der Entscheidung

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