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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil verkündet am 21.10.2005
Aktenzeichen: 9 Sa 882/05
Rechtsgebiete: RTV vom 04.10.2004


Vorschriften:

RTV vom 04.10.2004 § 9
Flughafentoiletten sind keine öffentlichen Bedürfnisanstalten im Sinne von § 9 RTV.
LANDESARBEITSGERICHT DÜSSELDORF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

9 Sa 882/05

Verkündet am 21. Oktober 2005

In dem Rechtsstreit

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 21.10.2005 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Heinlein als Vorsitzende

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.05.2005 - 9 Ca 6568/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Erschwerniszulage für die Reinigung der am Flughafen Düsseldorf außerhalb des Sicherheitsbereichs liegenden Toiletten nach § 9 des Rahmentarifvertrags für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 04.10.2004 (RTV), der für allgemeinverbindlich erklärt worden ist.

Die Klägerin ist bei der Beklagten als Innenreinigerin beschäftigt. Sie reinigt im Flughafen Düsseldorf an zwei Stunden pro Tag Toiletten, die außerhalb des Sicherheitsbereichs liegen. Der Flughafen Düsseldorf wird von jährlich 15 Millionen Passagieren und einer großen Anzahl von Besuchern und Besucherinnen genutzt. Die Toilettenanlagen stehen 24 Stunden am Tag zur Verfügung.

§ 9 RTV lautet auszugsweise wie folgt:

"Der/die Beschäftigte hat für die Zeit, in der er/sie mit einer der folgenden Arbeiten beschäftigt wird, Anspruch auf den nachstehend jeweils aufgeführten Erschwerniszuschlag, bezogen auf den jeweiligen Lohn des Tätigkeitsbereichs....

2.5 Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z. B. Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, sanitäre Anlagen in Werkstattbereichen, öffentliche Bedürfnisanstalten, Farbspritzanlagen (Spritzkabinen), Fahrbahnen und Werkhallen im Industriebereich (ausschließlich manuelle Tätigkeiten), Inspektionsgruben in Kraftfahrzeugbetrieben, Filteranlagen, Produktionsbereiche der chemischen Industrie, in den Farben, Säuren und Teerprodukte usw. hergestellt oder verarbeitet werden 0,75 Euro/Stunde

Nicht gemeint sind typische Arbeiten der Unterhaltsreinigung in Werkstattbüros, -fluren und -treppen sowie in Kunden- und Besuchertoiletten."

Der RTV ist am 01.04.2004 in Kraft getreten.

§ 9 Ziff. 2.5 des bis zum 31.03.2004 geltenden Rahmentarifvertrages vom 16.08.2000 (RTV 2000) lautete auszugsweise wie folgt:

"Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z. B. Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, sanitären Anlagen in Werkstattbereichen, öffentlichen Toilettenanlagen, die der Anlage nach öffentlichen Bedürfnisanstalten gleichkommen ...

Nicht gemeint sind typische Arbeiten der Unterhaltsreinigung in Werkstattbüros, -fluren und -treppen."

Durch rechtskräftiges Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 20.12.2004 - 10 Sa 1527/04 - wurde die Berufung gegen ein Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf zurückgewiesen, nach dem die Beklagte den Zuschlag nach § 9 Ziff. 2.5 RTV 2000 für die Reinigung der am Flughafen Düsseldorf außerhalb des Sicherheitsbereichs liegenden Toiletten zu zahlen hatte. Bei der in jenem Verfahren durchgeführten Beweisaufnahme hat der Justiziar der Flughafen GmbH ausgesagt, der Flughafen Düsseldorf sei eine öffentliche Infrastruktureinrichtung. Die dortigen Toilettenanlagen könnten von allen Passagieren und Besuchern genutzt werden. Es gebe für die Benutzung des Flughafens keine Hausordnung. Allerdings könne die Flughafen GmbH aufgrund ihres Hausrechts Stadtstreicher und Fixer vom Betriebsgelände verweisen und ein Hausverbot erteilen. Weder die Sicherheitskräfte noch der Reinigungsdienst sei jedoch von der Flughafen GmbH beauftragt, die Toilettenanlage daraufhin zu überprüfen, ob sich dort Stadtstreicher und Drogenabhängige aufhielten.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist in jenem Verfahren zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei den außerhalb des Sicherheitsbereichs liegenden Toiletten des Flughafen Düsseldorf um Toilettenanlagen, die der Anlage nach öffentlichen Bedürfnisanstalten gleichkommen, im Sinne von § 9 Ziff. 2.5 RTV 2000 handelt.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Zahlung der Zulage nach § 9 Ziff. 2.5 RTV für den Monat Mai 2004.

Sie hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 28,50 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 09.09.2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage durch Urteil vom 19.05.2005, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Gegen das ihr am 02.06.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 30.06.2005 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.08.2005 - mit einem am 23.08.2005 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie ist der Auffassung, der Begriff "Bedürfnisanstalt" sei die behördenübliche Bezeichnung für den Begriff "Toilette". Bei den außerhalb des Sicherheitsbereichs liegenden Toiletten des Flughafen Düsseldorf handle es sich um öffentliche Toiletten. Dies ergebe sich aus der Aussage des Justiziars der Flughafen GmbH in dem Rechtsstreit vor der 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 19.05.05 - 9 Ca 6568/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 28,05 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab dem 09.09.04 zu zahlen.

Im Verhandlungstermin vor der Berufungskammer war die Beklagte säumig.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (§§ 64 Abs. 1, Abs. 2 a , 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO), jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Diese ist unbegründet. Mit dem Arbeitsgericht ist die Berufungskammer der Auffassung, dass es sich bei den von der Klägerin gereinigten Toilettenanlagen nicht um "öffentliche Bedürfnisanstalten" im Sinne von § 9 Ziff. 2.5 RTV handelt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden (vgl. BAG, Urteil vom 21.03.2001, AP Nr. 75 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel).

Der Klägerin ist darin zu folgen, dass der Begriff "Bedürfnisanstalt" ein Begriff der Amtssprache ist und dem Begriff der "öffentlichen Toilette" entspricht. Der Begriff "öffentliche" Bedürfnisanstalt bedeutet insoweit nur eine Verstärkung des Begriffs der Bedürfnisanstalt, da diese bereits den Begriff der Öffentlichkeit umfasst (BAG, Urteil vom 28.01.1987, AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Gebäudereinigung). Entscheidend dafür, ob der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Zuschlag zusteht, ist daher, ob sie am Flughafen Düsseldorf "öffentliche" Toiletten bzw. "öffentliche" Bedürfnisanstalten im Sinne von § 9 Ziff. 2.5 RTV gereinigt hat. Das ist zu verneinen.

Der allgemeine Sprachgebrauch ist allerdings nicht eindeutig. Danach ist bei öffentlichen Anlagen der Begriff "öffentlich" im Sinne von "allgemein, allen zugänglich, für die Allgemeinheit bestimmt" zu verstehen (vgl. Nachweis bei BAG, Urteil vom 28.01.1987, a. a. O.). Während es bei einer "für die Allgemeinheit bestimmten" Anlage darauf ankommt, ob sie aufgrund entsprechender Widmung und Zweckbestimmung für jeden zur Verfügung gestellt wird, reicht es bei einer "allen zugänglichen" Anlage aus, dass faktisch jeder zu ihr Zugang hat.

Welche dieser beiden möglichen Wortbedeutungen nach dem Willen der Tarifvertragsparteien der Regelung in § 9 Ziff. 2.5 RTV zugrunde liegt, ergibt sich auch nicht aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. Denn die Tarifvertragsparteien haben zwar mit der Neuregelung der Tarifnorm klargestellt, dass Kunden- und Besuchertoiletten nicht gemeint sind. Was unter Kunden- und Besuchertoiletten zu verstehen ist, bedarf jedoch ebenfalls der Auslegung, bei der sich auch die Frage stellt, ob aufgrund entsprechender Widmung und Zweckbestimmung nur Kunden- und Besucher zu den Toiletten Zugang haben sollen, oder ob es auf die praktische Handhabung ankommt.

Es kann indessen aus der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags entnommen werden, dass eine öffentliche Bedürfnisanstalt im Sinne von § 9 Ziff. 2.5 RTV nur vorliegt, wenn sie für die Allgemeinheit aufgrund entsprechender Widmung und Zweckbestimmung bestimmt ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann aus der Verwendung von Formulierungen, die in der Vergangenheit zu einer bestimmten Interpretation durch höchstrichterliche Rechtsprechung geführt haben, der Schluss gezogen werden, dass die Tarifvertragsparteien die sich aus der bisherigen Tarifnorm ergebende Rechtslage festschreiben wollten (BAG, Urteil vom 07.09.1989, EzA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 64). Dies trifft hinsichtlich des Begriffs "öffentliche Bedürfnisanstalt" in § 9 Ziff. 2.5 RTV zu.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 28.01.1987 (a. a. O.), die einen Anspruch auf Erschwerniszuschlag bei Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z. B. öffentliche Toilettenanlagen, nach § 25 des Rahmentarifvertrages für das Gebäudereinigerhandwerk vom 17.07.1984 (RTV 1984) betrifft, entschieden, dass der Begriff "öffentliche Toilettenanlagen" im Sinne dieser Tarifbestimmung solche Toilettenanlagen umfasst, die aufgrund entsprechender Widmung und Zweckbestimmung für jedermann zur Verfügung gestellt werden. Wenn daher die Tarifvertragsparteien in Abweichung von der in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2000 verwandten Formulierung in § 9 Ziff. 2.5 RTV einen Begriff gewählt haben, der mit dem Begriff "öffentliche Toilettenanlage" in § 25 RTV 1984 übereinstimmt, ist hieraus zu folgern, dass sie ihn auch in dem Sinn gemeint haben, den ihm das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 28.01.1987 beigemessen hat.

Danach kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Flughafen GmbH oder der Reinigungsdienst kontrollieren, ob die Benutzer der Toilettenanlagen außerhalb des Sicherheitsbereichs berechtigt sind, diese zu benutzen, sondern darauf, welche Zweckbestimmung die Flughafen GmbH mit der Einrichtung von Toiletten im Flughafen Düsseldorf verfolgt. Nur dann, wenn die Toiletten errichtet sind, um jedermann zur Verfügung zu stehen, sind sie der Allgemeinheit gewidmet und haben den Zweck, allen zur Verfügung zu stehen. Diesen Zweck haben die Flughafentoiletten - auch außerhalb des Sicherheitsbereichs - jedoch nicht. Vielmehr dienen sie den Passagieren, deren Begleitung und den Personen, die den Flughafen zur Besichtigung besuchen. Dabei handelt es sich zwar um eine Vielzahl konkret nicht bestimmter Menschen. Dennoch folgt daraus nicht, dass die Toiletten der Allgemeinheit gewidmet sind (BAG, Urteil vom 28.01.1987, a. a. O.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Flughafen und die Toilettenanlagen auch während der Nacht geöffnet sind. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 28.01.1987 ausgeführt, öffentliche Toilettenanlagen stünden meist weniger unter Aufsicht als andere Toilettenanlagen und seien in der Regel rund um die Uhr geöffnet, so dass sie nachts auch z. B. als Aufenthaltsort und Schlafstelle für Stadtstreicher und Drogenabhängige dienen könnten, während diese erfahrungsgemäß Toiletten in anderen Gebäuden, z. B. Kaufhäusern oder Behörden, nicht als Aufenthaltsort benutzten. Aus dieser Beschreibung lässt sich aber nicht folgern, alle Toiletten, die auch während der gesamten Nacht zugänglich sind, seien öffentlich. Abzustellen ist vielmehr auf die Zweckbestimmung. Nach dieser handelt es sich bei den Toilettenanlagen des Flughafens außerhalb des Sicherheitsbereichs um Passagier- und Besuchertoiletten, deren Reinigung nicht zuschlagspflichtig ist.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf den Erschwerniszuschlag nach § 9 Ziff. 2.5 RTV, weil sie Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung erledigt hat. Denn hierauf stützt sie ihren Anspruch im Berufungsverfahren nicht mehr.

3. Als unterliegende Partei hat die Klägerin die Kosten der Berufung zu tragen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 97 Abs. 1 ZPO).

Da die Klage nicht begründet ist, war die Berufung trotz Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer zurückzuweisen (§§ 64 Abs. 6 ArbGG, 525, 331 Abs. 2 ZPO). Die Entscheidung hatte nach § 64 Abs. 7 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 4 durch die Vorsitzende allein zu ergehen.

Die Revision wurde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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