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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Beschluss verkündet am 26.10.2007
Aktenzeichen: 9 TaBV 54/07
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 27 Abs. 1 S. 5
BetrVG § 29 Abs. 2 S. 3
BetrVG § 38 Abs. 2 S. 8
Wird die Tagesordnung zu den regelmäßigen Sitzungen des Betriebsrats üblicherweise sechs oder sieben Tage vor den Sitzungen versandt, ist die Mitteilung des Tagesordnungspunkts "Abberufung eines Betriebsratsmitglieds von der Freistellung" eineinhalb Tage vor Beginn der Betriebsratssitzung nicht rechtzeitig im Sinne von § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG, sofern keine Eilbedürftigkeit vorliegt.
Tenor:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 25.04.2007 - 15 BV 238/06 - wird abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Abberufung der Antragstellerin durch den Betriebsrat in der Sitzung vom 29.11.2006 unwirksam ist.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Beschluss des Betriebsrats (Beteiligter zu 2.), die Antragstellerin als freigestelltes Mitglied des Betriebsrats abzuberufen, wirksam ist.

Die Antragstellerin kandidierte auf Platz 1 der Liste II bei der bei den beteiligten Arbeitgeberinnen im Jahr 2006 durchgeführten Betriebsratswahlen. Auf die Liste II entfielen die meisten Stimmen. Im Anschluss an die Wahl kam es zu einer Koalitionsbildung zwischen den anderen Listen. Während der konstituierenden Sitzung des Betriebsrats am 28.03.2006 wurde als Vorsitzende des Betriebsrats die Listenführerin der Liste I gewählt.

Die Wahl der freizustellenden Mitglieder des Betriebsrats wurde am 03.04.2006 durchgeführt. Das Betriebsratsmitglied T. schlug die Vorsitzende des Betriebsrats, die Antragstellerin und das Betriebsratsmitglied M. vor. Die Antragstellerin schlug auch Frau I. vor. Sodann schrieb die Vorsitzende des Betriebsrats den Namen der Antragstellerin, ihren eigenen Namen und die Namen M., I. sowie I., C. auf die vorliegenden Stimmzettel für die Wahl von drei freigestellten Betriebsräten. Sodann wurde die Wahl durchgeführt, bei der jedes Betriebsratsmitglied für drei der Kandidatinnen bzw. Kandidaten stimmen konnte. Die Antragstellerin wurde mit den meisten Stimmen gewählt.

Von April 2006 bis November 2006 fanden die regulären Sitzungen des Betriebsrats regelmäßig am Mittwoch, in zwei Fällen am Donnerstag, statt. Die Tagesordnungen zu den Sitzungen wurden entweder am Donnerstag oder am Freitag der Vorwoche den Mitgliedern des Betriebsrats zugeleitet. Lediglich für die Sitzung vom 23.08.2006 erfolgte die Übermittlung der Tagesordnung erst am Montag, den 21.08.2006.

Im Betriebsrat bestanden zu bestimmten Fragen Meinungsverschiedenheiten. Nach einem Redebeitrag der Antragstellerin in einer Betriebsversammlung am 16.11.2006 diskutierten die Mitglieder der koalierenden Listen, ob die Antragstellerin von der Freistellung abberufen wird. Für die für Mittwoch, den 29.11.2006, vorgesehene Betriebsratssitzung wurde am Montag, den 27.11.2006, um die Mittagszeit eine Tagesordnung versandt, nach der Gegenstand der Sitzung die Abberufung der Antragstellerin aus der Freistellung und auch aus allen Ausschüssen sein sollte. Zu Beginn der Sitzung am 29.11.2006 wiesen einige Betriebsratsmitglieder darauf hin, dass sie mit dem Inhalt der Tagesordnung nicht einverstanden seien. Als die Vorsitzende des Betriebsrats an der Tagesordnung festhielt, verließen die Antragstellerin und weitere Mitglieder des Betriebsrats die Sitzung und nahmen an der Abstimmung über die Abberufung nicht teil. Bei der Abstimmung über die Abberufung der Antragstellerin aus der Freistellung wurden acht Ja-Stimmen und eine Enthaltung abgegeben.

Mit einem am 11.12.2006 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Antrag hat die Antragstellerin die Unwirksamkeit der Abberufung aus der Freistellung geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, die Abwahl sei nur mit einer Mehrheit von drei Viertel der Betriebsratsmitglieder möglich gewesen, da es sich bei der Wahl zur Freistellung am 03.04.2006 um eine Verhältniswahl gehandelt habe. Auch sei die Tagesordnung zu spät versandt worden.

Die Antragstellerin hat beantragt,

festzustellen, dass ihre Abberufung aus der Freistellung durch den Betriebsrat in der Sitzung vom 29.11.2006 unwirksam ist.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberinnen haben keinen Antrag gestellt.

Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat durch Beschluss vom 25.04.2007, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, den Antrag zurückgewiesen.

Gegen den ihr am 18.05.2007 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin mit einem am 14.06.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese - nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 20.08.2007 - mit einem am 15.08.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 25.04.2007 - 15 BV 238/06 - abzuändern und festzustellen, dass die Abberufung der Antragstellerin durch den Betriebsrat in der Sitzung vom 29.11.2006 unwirksam ist.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 87 Abs. 1, 89 Abs. 1 und 2, 87 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 Abs. 3 ZPO) und begründet.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin genügte für den Abberufungsbeschluss zwar die Mehrheit der Stimmen der in der Betriebsratssitzung anwesenden Mitglieder des Betriebsrats. Die Beschwerde hat jedoch Erfolg, weil den Betriebsratsmitgliedern die Tagesordnung für die Betriebsratssitzung nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist.

1. Der Antrag ist zulässig.

Der Antrag bedarf allerdings der Auslegung. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Wahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG durch ein einzelnes oder mehrere Betriebsratsmitglieder angefochten werden (BAG vom 20.04.2005, AP Nr. 30 zu § 38 BetrVG 1972 m.w.N.). Gleiches gilt für die Abberufung. Das Bundesarbeitsgericht hat für den Fall der Abberufung aus dem Gesamtbetriebsrat entschieden, sie sei ebenso wie die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat in entsprechender Anwendung des § 19 BetrVG einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich (BAG vom 16.03.2005, AP Nr. 14 zu § 47 BetrVG 1972). Entscheidungen über die Abberufung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds sind, damit vergleichbar, betriebsratsinterne Wahlbeschlüsse, so dass hier keine anderen Erwägungen maßgeblich sein können.

Die gerichtliche Entscheidung aufgrund einer Wahlanfechtung, mit der eine Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG für ungültig erklärt wird, hat rechtsgestaltenden Charakter und wirkt nur für die Zukunft (BAG vom 13.11.1991, AP Nr. 3 zu § 27 BetrVG 1972). Nach seinem Wortlaut ist der von der Antragstellerin gestellte Antrag jedoch darauf gerichtet, die Unwirksamkeit der Abberufung festzustellen. Dennoch handelt es sich um einen Wahlanfechtungsantrag, denn die Antragstellerin hat in der Antragsschrift erklärt, sie habe die Frist für die Anfechtung ihrer Abwahl entsprechend § 19 BetrVG eingehalten. Daraus ergibt sich hinreichend deutlich, dass sie ihre Abberufung anfechten will und ihr Antrag in diesem Sinn auszulegen ist.

Die Zwei-Wochen-Frist entsprechend § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG hat die Antragstellerin eingehalten. Der Beschluss wurde am 29.11.2006 gefasst. Noch vor Ablauf der Frist am 11.12.2006 ist die Antragsschrift bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangen.

2. Der Antrag ist begründet.

a) Nach § 38 Abs. 2 S. 1 BetrVG werden die freizustellenden Betriebsratsmitglieder nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, erfolgt die Wahl nach § 38 Abs. 2 S. 2 1. Halbsatz BetrVG nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl. Für die Abberufung gilt nach § 38 Abs. 2 S. 8 BetrVG § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG entsprechend.

§ 27 Abs. 1 S. 1 und 2 BetrVG regelt die Bildung des Betriebsausschusses, § 27 Abs. 1 S. 3 und 4 BetrVG die Wahl der neben dem Vorsitzenden des Betriebsrats und seinem Stellvertreter zu wählenden weiteren Ausschussmitglieder. § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG bestimmt, dass die Abberufung durch Beschluss des Betriebsrats erfolgt, der in geheimer Abstimmung gefasst wird und eine Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats bedarf, wenn die weiteren Ausschussmitglieder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt sind. Der Beschluss des Betriebsrats, die Antragstellerin aus der Freistellung abzuberufen, hätte daher nach § 38 Abs. 2 S. 8 i.V.m. § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG einer Mehrheit von drei Vierteln der Stimmen der Mitglieder des Betriebsrats bedurft, wenn sie nach den Grundsätzen der Verhältniswahl als freizustellendes Betriebsratsmitglied gewählt worden wäre.

Tatsächlich hat der Betriebsrat die freizustellenden Betriebsratsmitglieder jedoch im Wege der Mehrheitswahl gewählt. Wann eine Verhältniswahl, wann eine Mehrheitswahl vorliegt, erschließt sich aus § 14 Abs. 2 BetrVG. Danach erfolgt die Wahl des Betriebsrats grundsätzlich nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl erfolgt sie, wenn nur ein Wahlvorschlag eingereicht wird oder der Betriebsrat im vereinfachten Wahlverfahren nach § 14 a BetrVG zu wählen ist. Eine Verhältniswahl findet daher statt, wenn mehrere Wahlvorschlagslisten (§ 6 WO) eingereicht wurden (BAG vom 16.11.2005, AP Nr. 7 zu § 28 BetrVG 1972). Dies trifft für die vom Betriebsrat am 03.04.2006 für die Wahl der freigestellten Betriebsratsmitglieder durchgeführte Wahl nicht zu. Denn die vier für die Freistellung kandidierenden Betriebsratsmitglieder wurden in einen einheitlichen Wahlvorschlag aufgenommen und standen als Einzelpersonen zur Wahl. Demgegenüber wird bei der Verhältniswahl die Liste als solche gewählt bzw. nicht gewählt.

Damit findet § 38 Abs. 2 S. 8 i.V.m. § 27 Abs. 1 S. 5 BetrVG auf die Abberufung der Antragstellerin keine Anwendung. Nach § 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG konnte der Abberufungsbeschluss vielmehr mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst werden.

b) Die Abberufung ist jedoch ungültig, weil den Mitgliedern des Betriebsrats die Tagesordnung für die Sitzung am 29.11.2006 nicht rechtzeitig mitgeteilt worden ist.

Nach § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG hat der Vorsitzende des Betriebsrats die Mitglieder des Betriebsrats rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung zu den Sitzungen zu laden. Die Einhaltung dieser Vorschrift ist unverzichtbare Voraussetzung für die Wirksamkeit eines in der Sitzung gefassten Betriebsratsbeschlusses (BAG vom 24.05.2006, AP Nr. 6 zu § 29 BetrVG 1972). Soll etwa ein Tagesordnungspunkt in einer Betriebsratssitzung behandelt werden, obwohl er vorher den Betriebsratsmitgliedern nicht mitgeteilt wurde, kann der Mangel geheilt werden, wenn der vollständig versammelte Betriebsrat einstimmig sein Einverständnis erklärt (BAG vom 24.05.2006, a.a.O.). Entsprechendes gilt, wenn ein Tagesordnungspunkt zwar vor der Sitzung des Betriebsrats mitgeteilt wurde, dies aber nicht rechtzeitig geschehen ist.

Die Mitteilung, dass auf der Betriebsratssitzung am 29.11.2006 über die Abberufung der Antragstellerin als freigestelltes Betriebsratsmitglied entschieden werden sollte, ist den Mitgliedern des Betriebsrats nicht rechtzeitig zugegangen, da sie ihnen erst am 27.11.2006 um die Mittagszeit zugeleitet wurde. Abgesehen von einem Eilfall, der im vorliegenden Streitfall nicht gegeben war, gilt nach § 29 Abs. 2 S. 3 BetrVG, dass die Tagesordnung für eine Betriebsratssitzung den Betriebsratsmitgliedern so zeitig zugehen muss, dass sie sich auf die Sitzung einrichten und notwendige Vorberatungen führen können (Fitting/Engels/ Schmidt, Betriebsverfassungsgesetz, 23. Aufl., § 29 Rdz. 44 m.w.N.).

Zur Bestimmung, was rechtzeitig bedeutet, kommt es in erster Linie auf die übliche Praxis des Betriebsrats an. Denn diese indiziert, wie viel Zeit das Betriebsratsmitglied nach eigener Beurteilung des Betriebsrats normalerweise für die Vorbereitung auf die Sitzung des Betriebsrats benötigt. Üblich war bei dem beteiligten Betriebsrat die Zuleitung der Tagesordnung sechs oder sieben Tage vor Beginn der Sitzung, während hinsichtlich der Abberufung der Antragstellerin nur eineinhalb Tage bis zum Beginn der Sitzung verblieben.

Diese kurzfristige Information kann auch nicht deshalb als noch rechtzeitig angesehen werden, weil es tatsächlich keiner oder nur einer geringfügigen Vorbereitung auf den Tagesordnungspunkt bedurft hätte. Vielmehr war die Abberufung einerseits für die Antragstellerin selbst von erheblicher Bedeutung, denn von der Entscheidung des Betriebsrats hing es ab, ob sie wieder zur Arbeitsleistung verpflichtet und für Aufgaben des Betriebsrats dann nur unter den Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 BetrVG freizustellen war. Andererseits war sie von erheblicher Bedeutung für die über den Wahlvorschlag II gewählten Betriebsratsmitglieder sowie die Wählerinnen und Wähler dieses Wahlvorschlages, denn die Abberufung betraf ihre Listenführerin und schmälerte damit das Gewicht der den Wahlvorschlag II tragenden Gruppierung im Betriebsrat. Bei einer derart wichtigen Entscheidung wird für die Vorberatungen der Betroffenen untereinander ausreichend Zeit benötigt; auch für die etwaige Einholung von Rechtsrat muss Zeit verbleiben. Die Zeitspanne von eineinhalb Tagen ist dafür zu kurz bemessen.

Eine Heilung des Mangels ist nicht eingetreten, da sich in der Betriebsratssitzung nicht alle Betriebsratsmitglieder damit einverstanden erklärt haben, den Tagesordnungspunkt dennoch zu behandeln, sondern einige Mitglieder dies abgelehnt und die Sitzung verlassen haben.

3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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