Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil verkündet am 12.01.2005
Aktenzeichen: 5 Sa 99/02
Rechtsgebiete: 1.RGG, SGB VI, DV PWM, ArbGG, EGZPO, ZPO, EStG, BetrAVG


Vorschriften:

1.RGG § 5 Abs. 3
1.RGG § 10 Abs. 6
1.RGG § 10 Abs. 6 Nr. 1
1.RGG § 10 Abs. 6 Ziffer 1
1.RGG § 10 Abs. 6 Ziffer 2
SGB VI § 35
SGB VI § 36
SGB VI § 37
SGB VI § 38
SGB VI § 39
SGB VI § 40
SGB VI § 41
SGB VI § 42
SGB VI § 77
SGB VI § 236
SGB VI § 237
SGB VI § 237a
DV PWM § 7
DV PWM § 7 Abs. 2
DV PWM § 7 Ziffer 2 Satz 3
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
EGZPO § 26 Nr. 5
ZPO § 256
ZPO § 259
ZPO § 524 Abs. 2 Satz 2
EStG § 64 Abs. 2
BetrAVG § 6
1. § 10 Abs. Ziffer 1 des 1.RGG verlangt für die Berechnung des fiktiven Nettoentgeltes nach Steuerklasse III nur, dass der Versorgungsempfänger am Tag des Beginns der Ruhegeldzahlung einen Anspruch auf Kindergeld hat, nicht die tatsächlichen Inanspruchnahme.

2. Dieser Anspruch kann von der Familienkasse auch rückwirkend festgestellt werden. Rechtskräftige Entscheidungen der Familienkasse und ggf. des Vormundschaftsgerichts binden Zivilgerichte.

3. Wird in einer Dienstvereinbarung die Zahlung einer Vorruhestandsleistung bis zu dem Tag zugesagt, an dem die Voraussetzungen für eine Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung vorliegen, ist damit in der Regel auch die - vorgezogene - Altersrente für langjährig Versicherte i.S.d. § 36 SGB VI erfasst.


Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26. September 2002 - 14 Ca 276/00 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger beginnend mit dem 01. Januar 2000 bis zum 31. Mai 2002 ein monatliches Ruhegeld nach der Dienstvereinbarung vom 22. September 1999 über den anerkannten Betrag von EUR 852,81 (i.W.: Euro achthundertzweiundfünfzig 81/100) hinaus in Höhe von weiteren EUR 169,67 (i.W.: Euro einhundertneunundsechzig 67/100) brutto pro Monat zu zahlen, die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Anschlussberufung des Klägers wird als unzulässig zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 4/5, die Beklagte 1/5.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Berechnung der Höhe eines Vorruhestandsgeldes, in der Berufungsinstanz darüber hinaus um die Frage der Bezugsdauer. Der 1939 geborene Kläger war vom 01. November 1981 bis zum 31. Dezember 1999 bei der Beklagten beschäftigt.

Am 22.9.1999 schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Personalrat eine Dienstvereinbarung über personalwirtschaftliche Maßnahmen im Universitätskrankenhaus E. (Anl. K 1, Bl. 14 ff d.A., im Folgenden: DV PWM). In § 3 - Geltungsbereich - heißt es in Absatz 3:

"Das Regelwerk gilt nicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis endet, weil sie eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Es gilt mit Ausnahme der §§ 4 (Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit) und 5 (Beurlaubung unter Fortfall der Vergütung/des Lohnes) auch nicht für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt einer Maßnahme nach diesem Regelwerk berechtigt sind, eine Rente wegen Alters

- nach den Regelungen der §§ 35 ff SGB IV in der durch Art. 5 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Erstes SGB III - Änderungsgesetz - 1.SGB III-ÄndG) vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2970) geänderten Fassung bzw.

- nach den Regelungen der §§ 35 bis 41 und 236 bis 237a SGB VI, zuletzt geändert durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3843)

oder vergleichbare Leistungen anderer Versicherungsträger oder Institutionen in Anspruch zu nehmen."

§ 7 - Versetzung in den Ruhestand - der DV PWM lautet im hier interessierenden Zusammenhang:

(1) Unkündbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bis zum Ende der Laufzeit dieser Dienstvereinbarung des 55. Lebensjahr vollenden, können unter Gewährung eines Ruhegeldes in entsprechender Anwendung von § 5 Abs. 3 des Ersten Ruhegeldgesetzes (1.RGG) zu einem zwischen dem UKE und der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer zu vereinbarenden Zeitpunkt in den Ruhestand versetzt werden; das Ruhegeld wird wie ein Ruhegeld wegen Erwerbsunfähigkeit berechnet. Im Übrigen finden die Vorschriften des 1.RGG in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.

(2) Das Ruhegeld steht nicht zu für Zeiten, für die der ehemaligen Arbeitnehmerin oder dem ehemaligen Arbeitnehmer Krankengeld oder Übergangsgeld nach dem Sozialgesetzbuch gewährt wird. Arbeitslosengeld ist auf das Ruhegeld anzurechnen, jedoch wird mindestens das Mindestruhegeld gewährt. Das Ruhegeld endet, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllt, diese jedoch nicht als Vollrente in Anspruch nimmt..."

Am 8. Dezember 1999 schlossen die Parteien auf der Grundlage der DV PWM einen "Aufhebungsvertrag in Verbindung mit Ruhestand" zum 31.12.1999 (Aufhebungsvertrag, Anlage K 7, Bl. 40 d.A.).

Gemäß Ziffer 2 des Aufhebungsvertrages erhielt der Kläger - neben der Zahlung eines Übergangsgeldes in Höhe von DM 12.769,17 - ab dem 01. Januar 2000 Ruhegeld in Anwendung des § 5 Abs. 3 des Ersten Ruhegeldgesetzes; das Ruhegeld wird berechnet wie ein Ruhegeld wegen Erwerbsunfähigkeit.

Das für die Berechnung des Ruhegeldes maßgebliche fiktive Nettoarbeitsentgelt ist gemäß § 10 Abs. 6 des Ersten Ruhegeldgesetzes dadurch zu ermitteln, dass von den ruhegeldfähigen Bezügen

1. bei einem am Tag des Beginns der Ruhegeldzahlung nicht dauernd getrennt lebenden verheirateten Versorgungsempfänger sowie bei einem Versorgungsempfänger, der an diesem Tag Anspruch auf Kindergeld oder eine entsprechende Leistung hat, der Betrag, der an diesem Tag als Lohnsteuer (ohne Kirchenlohnsteuer) nach Steuerklasse III/0 zu zahlen wäre,

2. bei allen übrigen Versorgungsempfängern der Betrag, der am Tag des Beginns der Ruhegeldzahlung als Lohnsteuer (ohne Kirchenlohnsteuer) nach Steuerklasse I zu zahlen wäre,

abgezogen werden. In der Anwendung dieser Steuerklassen liegt der Streit der Parteien über die Berechnung der Höhe der Ruhegeldzahlung, die sich ergebenden verschiedenen Beträge sind der Höhe nach nicht im Streit und entsprechen dem Klagantrag.

Die Beklagte hat das fiktive Nettoarbeitsentgelt gemäß § 10 Abs. 6 Ziffer 2 unter Zugrundelegung der Steuerklasse I errechnet.

Im Ruhegeldantrag vom 16. Dezember 1999 (Anlage B1, Bl. 109 d.A.) hatte der Kläger, der Vater von zwei 1977 geborenen Mädchen ist, angegeben, dass Kindergeld und Sozialzuschlag nicht bezahlt werden könnten, da die Ausbildungsvergütung den Grundbetrag übersteige.

Der Kläger machte zunächst einen Schadensersatzanspruch auf Zahlung eines höheren Ruhegeldes mit der Begründung geltend, die Beklagte habe ihm eine fehlerhafte Auskunft über die Höhe des ihm zustehenden Ruhegeldes erteilt.

Der Kläger hatte auf entsprechende Bekanntmachung der Beklagten bereits Anfang 1998 sein Interesse an einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand nach der noch abzuschließenden Dienstvereinbarung bekundet. Mit Schreiben vom 19. Mai 1998 (Anlage K 3, Bl. 24 d.A.) übersandte die Beklagte dem Kläger eine Vorausberechnung der Versorgungsbezüge vom 07. Mai 1998 (Anlage K 4, Bl. 25 d.A.) über eine monatliche Versorgung von DM 1.864,45 ab 01. Juli 1998. Die Versorgungsauskunft vom 07. Mai 1999 (Anlage K 5, Bl. 26 d.A.) weist eine Gesamtversorgung per 01. November 2001 in Höhe von DM 2.304,79 aus.

Vor Abschluss des Aufhebungsvertrages fand dann ein Gespräch statt - nach Vortrag des Klägers am 2. oder 3. Dezember 1999, nach Vortrag der Beklagten am 10. November 1999 -, in dem Herr M. von der Besoldungs- und Versorgungsstelle der Beklagten dem Kläger Auskunft über die Höhe des zu erwartenden Ruhegeldes erteilte. Der genaue Inhalt des Gespräches ist im Einzelnen streitig.

Im Verlauf des Verfahrens machte der Kläger weiter geltend, dass ihm das von Herrn M. errechnete und mitgeteilte Ruhegeld in Höhe von DM 1.999,80 auch deshalb zustehe, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt Anspruch auf Kindergeld gehabt habe und deshalb die Berechnung nach § 10 Abs. 6 Nr. 1 Ruhegeldgesetz zu erfolgen habe.

Mit Schreiben vom 08. Oktober 2001 (Anlage B 2, Bl. 148 d.A.) teilte das Arbeitsamt Hamburg - Familienkasse - dem Kläger mit, dass Anspruch auf Kindergeld für das Kind S. für die Zeit von Oktober 1998 bis Juli 2001 bestehe, da sich S. in Schulausbildung befunden und die Einkommensgrenze nicht erreicht habe; eine Entscheidung, an wen das Kindergeld zu zahlen sei, stehe derzeit noch aus, da weder Vater noch Mutter das Kind in den Haushalt aufgenommen hätten, keiner der Elternteile Unterhalt leiste oder eine Berechtigtenbestimmung abgegeben hätte.

Mit Beschluss vom 26. November 2001 (Anlage K 14, Bl. 150 d.A.) bestimmte das Amtsgericht Hamburg-Harburg den Kläger zum Kindergeldberechtigten.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2002 (Anlage K 15, Bl. 158 d.A.) setzte das Arbeitsamt Hamburg - Familienkasse - den Anspruch des Klägers auf Kindergeld für seine Tochter S. für die Zeit von Oktober 1998 bis Juli 2001 fest.

Der Kläger hat nach Vollendung des 63. Lebensjahres im Juni 2002 trotz Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren keine vorgezogene Altersrente in Anspruch genommen. Erst ab dem 31.5.2004 erhält er die gesetzliche Altersversorgung (Anl. K 16, Bl. 259 d.A.)

Der Kläger hat vorgetragen, in der Besprechung im Dezember 1999 habe Herr M. auf einem gelben Klebezettel mit Filzschreiber ausgerechnet, dass der Kläger DM 1.999,80 nach dem 1. Ruhegeldgesetz erhalten würde. Herr M. habe ihm erklärt, er könne den Aufhebungsvertrag unter Zugrundelegung der von ihm errechneten Ruhegeldzahlung beruhigt unterzeichnen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm beginnend mit dem 01. Januar 2000 ein monatliches Ruhegeld über den anerkannten Betrag von DM 1.667,95 hinaus in Höhe von weiteren DM 331,85 brutto pro Monat zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, während des Beratungsgespräches habe Herr M. routinemäßig den Kläger nochmals nach den maßgeblichen Berechnungsgrößen gefragt, u. a. auch nach der aktuellen maßgeblichen Steuerklasse. Der Kläger habe die Lohnsteuerklasse I angegeben. Daraufhin habe Herr M. ihn ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass seine Berechnungen auf der Lohnsteuerklasse III beruhten und damit falsch seien und dass sich die Versorgungsbezüge um ca. 300 bis 400 DM verminderten. Herr M. habe dem Kläger angeboten, eine Neuberechnung vorzunehmen, dies sei aus Sicht des Klägers jedoch nicht erforderlich gewesen. Dem Beschluss des Amtsgerichts komme keine rückwirkende Wirkung zu. Da der Kläger für seine Tochter Unterhaltsleistungen in der Vergangenheit nicht erbracht habe, könne dem durch die Zahlung eines erhöhten Ruhegeldes vom Gesetzgeber verfolgten Zweck auch keine Rechnung getragen werden.

Durch das der Beklagten am 30.9.2002 zugestellte Urteil vom 26.9.2002, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach Vernehmung des Zeugen, Herrn M., der Klage stattgegeben. Hinsichtlich der Bekundungen des Zeugen wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 21.9.2001 (Bl. 135 ff d.A.).

Hiergegen richtet sich die am 30.10.2002 eingelegte und mit am 15.1.2003 beim Landesarbeitsgericht Hamburg eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten, nachdem die Berufungsbegründungsfrist am 2.12.2002 bis zum 17.1.2003 verlängert worden war. Die Berufungsbegründungsschrift wurde dem Kläger am 21.1.2003 zugestellt.

Die Beklagte wiederholt ihre Rechtsauffassung, wonach die Tatbestandvoraussetzungen des § 10 Abs. 6 Ziffer 1 1.Ruhegeldgesetz nicht erfüllt seien, da dem Kläger am Tag des Beginns der Ruhegeldzahlung kein Anspruch auf Kindergeld oder eine entsprechende Leistung zugestanden habe. Der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 26.11.2001 wirke auch nicht auf den Tag des Beginns der Ruhegeldzahlung zurück. Das erstinstanzliche Urteil sei insbesondere insofern abzuändern, als es dem Kläger einen unbefristeten Anspruch auf ein monatliches Ruhegeld zuspreche. Nach der DV PWM stünde dem Kläger der begehrte Anspruch allenfalls solange zu, bis er die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfülle. Eine vorzeitige Inanspruchnahme der Regelaltersrente wäre ihm aber mit Vollendung des 63. Lebensjahres, mithin ab dem 12.5.2002, möglich gewesen. Herr M. habe in dem Gespräch im Dezember 1999 auch nicht ausdrücklich eine Berechnung des Ruhegeldes bis zum 65. Lebensjahr durchgeführt.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26.9.2002 - 14 Ca 276/00 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und den mit am 10.5.2004 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz angekündigten Antrag, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 26.9.2002 - 14 Ca 276/00 - die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger in der Zeit vom 1.1.2000 bis zum 31.5.2004 monatlich einen Betrag von EUR 169,67 brutto nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den jeweiligen Betrag ab Fälligkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Berechnung des Ruhegeldes mit Rechtsausführungen. Hinsichtlich einer etwaigen Befristung seines Anspruchs trägt er vor, dass es in § 7 Ziffer 2 Satz 3 der DV PWM ausdrücklich heiße, dass das Ruhegeld nur ende, wenn bei Vorliegen der Voraussetzungen der betroffene Arbeitnehmer die Altersrente nicht als "Vollrente" in Anspruch nehme. Er sei zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass er bereits mit Vollendung des 63. Lebensjahres die Rente für langjährige Versicherte in Anspruch hätte nehmen müssen. Aus der Nichtinanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente könne ihm kein Nachteil erwachsen. Zu keinem Zeitpunkt der Verhandlungen über die Dienstvereinbarung sei problematisiert worden, dass die Arbeitnehmer die theoretische Möglichkeit hätten, eine vorgezogene Altersrente zu beziehen und dieses auch tun müssten. Herr M. habe in dem Gespräch im Dezember 1999 ausdrücklich eine Berechnung des Ruhegeldes bis zum 65. Lebensjahr durchgeführt. Auch Herr M. habe also auf den Zeitpunkt der Regelaltersrente abgestellt und nicht auf einen früheren Zeitpunkt. Er hätte das Angebot aus der Dienstvereinbarung nicht angenommen, wenn er dadurch gezwungen worden wäre, frühzeitig Altersrente zu beziehen.

Der Zeuge Herr M. wurde erneut vernommen. Hinsichtlich des Beweisthemas und der Bekundungen des Zeugen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 1.11.2004 Bezug genommen (Bl. 273 ff d.A.). Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien, ihrer Beweisantritte und der von ihnen überreichten Unterlagen sowie ihrer Rechtsausführungen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und im Übrigen form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden und damit zulässig (§§ 64 Abs. 6, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO). Der Zahlungsantrag des Klägers vom 7.5.2004 stellt sich als Klagerweiterung oder Klageänderung dar, die grundsätzlich auch im Wege der Anschlussberufung eingelegt werden kann (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1987 - V ZR 42/86 - NJW-RR 1988, 185). Die Anschlussberufung war jedoch wegen der Versäumung der Frist gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO i.V.m. § 524 Abs.2 Satz 2 ZPO i.d.F. vom 27.7.2001 als unzulässig zu verwerfen. Dem Kläger wurde rechtliches Gehör gewährt.

II. Mit ausführlicher, überzeugender Begründung hat das Arbeitsgericht der Klage hinsichtlich der Berechnung des Ruhegeldanspruchs stattgegeben. Dem folgt das Berufungsgericht. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Lediglich ergänzend und auf den neuen Vortrag der Parteien eingehend wird Folgendes ausgeführt:

1. Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zulässig, obwohl eine Leistungsklage, ggf auf zukünftige Leistung gemäß § 259 ZPO, möglich gewesen wäre, denn es ist anzunehmen, dass die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts einem rechtskräftigem Urteil Folge leisten wird (Zöller, ZPO, 24. Aufl. 2004, Nr. 8 zu § 256 m.w.N.).

2. Der Kläger hatte nach der DV PWM Anspruch auf Zahlung des Ruhegeldes in Höhe des Betrages von DM 1.999,80 monatlich, also wie auf der Grundlage der Steuerklasse III unstreitig rechnerisch zutreffend ermittelt.

Da der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen des § 10 Abs. 6 Ziffer 1 Erstes Ruhegeldgesetz erfüllt, hat das Arbeitsgericht zu Recht die Frage einer Schadensersatzpflicht der Beklagten und die Würdigung der hierzu erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme nicht mehr vertieft.

Anspruchsvoraussetzung für eine Berechnung nach Steuerklasse III ist allein das Bestehen eines Anspruches auf Kindergeld am Tag des Beginns der Ruhegeldzahlung. Der Wortlaut des § 10 Abs. 6 Ziffer 1 1.RGG ist eindeutig und lautet: "der an diesem Tag Anspruch auf Kindergeld hat". "Dieser Tag" ist der Beginn der Rentenzahlung. An diesem Tag muss ein Anspruch bestehen, und der Anspruch besteht unabhängig von der Antragstellung. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob und gegebenenfalls wie lange noch Kindergeld tatsächlich bezogen wird und ob überhaupt Unterhalt von dem Kindergeldberechtigten tatsächlich geleistet wird.

Den Kreis der Anspruchsberechtigten stellt im Verwaltungsweg die Familienkasse fest. An diese Feststellung sind die Zivilgerichte gebunden (OLG Hamm, Beschluss vom 16. Januar 1997 - 15 W 226/96). Der Bescheid der Familienkasse wurde am 8.10.2001 getroffen und zwar rückwirkend auf den Monat Oktober 1998 (Anl. B 2, Bl. 148d.A.). Eine Entscheidung darüber, an wen das Kindergeld zu zahlen war - und wer damit Anspruchsinhaber i.S.d. § 10 Abs. 6 Ziffer 1 1.RGG war - wurde noch nicht getroffen, dies oblag wiederum gemäß § 64 Abs. 2 EStG der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts. Die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts seinerseits bindet die Familienkasse (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10. April 2000 - 5 K 2268/98 - DstRE 2001, 134; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. September 2000 - 2 AR 42/00 - FamRZ 2001, 551) und damit auch die Arbeitsgerichtsbarkeit.

Der Beschluss des Amtsgerichtes Hamburg-Harburg hat - wie das Arbeitsgericht zutreffend ausführt - damit auch rückwirkende Kraft, sodass das Arbeitsamt Hamburg das Kindergeld auch rückwirkend an den Kläger ausgezahlt hat. Zunächst war das Kindergeld weder an den Kläger noch an die Mutter des Kindes ausgezahlt worden, da kein Elternteil einen Antrag gestellt hatte und die Eltern auch keine Bestimmung untereinander getroffen hatten. War ein Anspruch auf Kindergeld noch nicht erfüllt, ist auch für die Vergangenheit eine Rechtsgestaltung möglich (vgl. Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht vom 31. März 1999, III 1493/98, EFG 1999, 786, Zitierung nach Juris).

Dieser rechtskräftige Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg ist bindend, und die vom Amtsgericht geprüften Anspruchsvoraussetzungen sind vom Arbeitsgericht nicht erneut zu überprüfen. Der Kläger hat somit mit der Vorlage dieses gerichtlichen Beschlusses und des darauf beruhenden Bewilligungsbescheids des Arbeitsamtes seine Anspruchsberechtigung zum Zeitpunkt des Beginns der Ruhegeldzahlung ausreichend nachgewiesen. Dass der Kläger den Bescheid des Arbeitsamtes nicht unverzüglich beschafft hat, um ihn nachreichen zu können (s. hierzu den Hinweis im Abschnitt "Kindergeldbezug" in der Anlage B 1), sondern im Gegenteil durch seine Angaben die Berechnung auf der Grundlage der Steuerklasse I veranlasst hat, ist für die Anspruchsberechtigung rechtlich ohne Bedeutung; insbesondere sieht das Erste Ruhegeldgesetz auch - abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 32 - keine Fristen vor, die zur Vermeidung von Rechtsnachteilen einzuhalten sind.

Hinsichtlich der Berechnung der Ruhegehaltshöhe war daher die Berufung zurückzuweisen.

III. Das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg war allerdings hinsichtlich der Frage der Dauer der Bezugsberechtigung abzuändern. Für das Arbeitsgericht bestand aufgrund des Vortrages der Parteien und des Zeitablaufs keine Veranlassung, diese Frage zu problematisieren. Erst in der Berufungsinstanz hat die Beklagte auf dieses Problem hingewiesen und konnte den unbefristet ausgesprochenen Feststellungsantrag zur Überprüfung in zeitlicher Hinsicht stellen.

1. Aus § 7 Abs. 2 der DV PWM ist zu entnehmen, dass der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung des Ruhegeldes endete, als erstmals die Voraussetzungen für eine Altersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung vorlagen, das war gemäß § 36 SGB VI für den im Mai 1939 geborenen Kläger der Monat Juni 2002, wenn auch mit einem Abschlag in Höhe von 7,2 % (vgl. Lilge imGesamtkomm. Sozialversicherung, Losebl., Anlage zu § 36 SGB VI). Dies folgt aus der Auslegung § 7 Abs. 2 der DV PWM.

Dienstvereinbarungen und Betriebsvereinbarungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BAG wie Tarifverträge, diese wie Gesetze auszulegen (Urteil vom 9. März 1983 - 4 AZR 61/80 - BAGE 42, 86 = AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 13. Juni 1985 - 2 AZR 410/84 - BB 1986, 1437-1439; Urteil vom 8. August 1985 - 2 AZR 464/84 - AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; Urteil vom 19. Oktober 1999, - 1 AZR 816/98 - n.v.). Es ist daher maßgeblich auf den in der Dienstvereinbarung durch deren Wortlaut selbst zum Ausdruck gelangten Willen der die Vereinbarung abschließenden Parteien abzustellen. Außerdem ist wie bei Tarifverträgen der von den Vertragsschließenden beabsichtigte Sinn und Zweck der Normen mit zu berücksichtigen, allerdings nur soweit und sofern er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat, denn die zur Tarifvertragsauslegung entwickelten Grundsätze gelten für die Betriebsvereinbarung entsprechend (BAG Urteile vom 19. April 1963 - 1 AZR 160/62 - AP Nr. 3 zu § 52 BetrVG; 30. August 1963 - 1 ABR 12/62 - AP Nr. 4 zu § 57 BetrVG). Raum für die Feststellung eines vom Wortlaut abweichenden Parteiwillens - etwa mit Hilfe von Zeugenaussagen - besteht darüber hinaus nicht (Urteil vom 20. Dezember 1961- 4 AZR 213/60 - BAGE 12, 143 = AP Nr. 7 zu § 59 BetrVG; Urteil vom 21. März 1968 - 5 AZR 299/67 - AP Nr. 33 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; Urteil vom 11. Juni 1975 - 5 AZR 217/74 - BAGE 27, 187 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung). Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelungen, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern kann. Bleiben im Einzelfall gleichwohl noch Zweifel, können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, wie etwa auf die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung der Regelung in der Praxis. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 22. Juli 2003 - 1 AZR 496/02 - BAG Report 2003, 334; 12. November 2002 - 1 AZR 632/01 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 155 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 2 mwN; 16. Juni 1998 - 5 AZR 728/97 - BAGE 89, 119, 123; 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 - BAGE 89, 95, 101 mwN). Weiter ist folgender allgemeiner Auslegungsgrundsatz zu beachten: Verwenden die Tarifvertragsparteien in einem Tarifvertrag einen Begriff, der in der Rechtsterminologie eine bestimmte Bedeutung hat, so ist davon auszugehen, dass er im Tarifvertrag dieselbe Bedeutung haben soll, soweit sich nicht aus dem Tarifvertrag selbst etwas anderes ergibt (BAG Urteil vom 30. Mai 1984 - 4 AZR 512/81 - BAGE 46, 61, 66 = AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969; 24. April 1996 - 5 AZR 798/94 - AP Nr. 96 zu § 616 BGB).

Übertragen auf vorliegenden Rechtsstreit bedeutet dies folgendes: Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 2 DV PWM endet der Anspruch auf Zahlung des Ruhegeldes unter zwei Voraussetzungen:

a. Der Anspruch endet, wenn die Voraussetzungen für eine Altersrente erfüllt sind. Das ist der Fall. Der Begriff "Altersrente" ist ein gesetzlicher Begriff, der sich beispielsweise in § 6 BetrAVG und in § 77 SGB VI findet, insbesondere aber auch in § 36 SGB VI, der Altersrente für langjährig Versicherte. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Betriebsparteien hier von einem anderen Sinn des Wortes "Altersrente" ausgingen, als er damit im Wortlaut seinen Niederschlag gefunden hat.

b. Zusätzlich erforderlich ist, dass diese Altersrente nicht als Vollrente in Anspruch genommen wird. Auch das ist der Fall, der Kläger hat im Juni 2002 die Altersrente nicht als Vollrente in Anspruch genommen. "Vollrente" ist ebenfalls ein gesetzlich klar definierter Begriff und bedeutet nicht, dass eine Vollrente nicht gegeben ist, weil ein Abschlag bei vorgezogener Rente in Kauf genommen wird. Das Gegenteil einer Vollrente ist vielmehr die Teilrente, § 42 SGB VI, bei der der Versicherte einerseits einen Teil der ihm zustehenden Altersrente in Anspruch nimmt, andererseits weiter innerhalb bestimmter Grenzen hinzuverdient (vgl. Lilge im Gesammtkomm. Nr. 1 zu § 42 SGB VI). Auch hier ist davon auszugehen, dass die Betriebsparteien den gesetzlichen Begriff in diesem Sinne verwandt haben, denn gesetzliche Regelungen aus dem SGB VI finden in der DV PWM ausdrücklich Erwähnung, insbesondere gilt dies auch für die §§ 35 ff SGB IV und damit für die vorgezogene Altersrente.

Auch aus dem weiteren Zusammenhang der Regelung und seinem Sinn ergibt sich nichts anderes. Entscheidungserheblich kommt es allein darauf an, dass und wann der Kläger berechtigt ist, die gesetzliche Altersrente zu beziehen. Dafür, dass die Betriebsparteien, wie der Kläger meint, den Begriff Altersrente im Sinne einer ungekürzten Altersrente verstanden hätten, liegen nicht die geringsten Anhaltspunkte vor. Bei Vorruhestandsleistungen handelt es sich nicht um Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, sondern um Leistungen als Ausgleich für die vorzeitige Aufgabe des Arbeitsplatzes. Wenn Vorruhestandsleistungen kraft der Definition als Ausgleich für die vorzeitige Aufgabe des Arbeitsplatzes angesehen werden müssen, können sie in der Regel nur bis zum Zeitpunkt des frühestmöglichen Eintritt der gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden, wenn entsprechende Dienstvereinbarungsregelungen wie vorliegend existieren. Sinn und Zweck der Leistung und der Inhalt der beabsichtigten Leistungen verbieten eine Auslegung im Sinne des Klägers und beschränken die Leistungen bis zum Zeitpunkt der Vollendung des 63. Lebensjahres. Im Übrigen stellt auch die Abfindung, die der Kläger erhalten hat, eine Kompensation für etwaige Imponderabilien gerade in Bezug auf Vorruhestandsregelungen bzw. gesetzliche Rentenansprüche dar (LAG Berlin, Urt. Vom 11. Januar 1999 - 9 Sa 113/98 - NZA-RR 1999, 262).

Letztlich konnten die Betriebsparteien davon ausgehen, dass eine Einbuße bei der gesetzlichen Rentenhöhe jedenfalls teilweise nach der damaligen Rechtslage durch erhöhte Leistungen nach dem 1.RGG ausgeglichen worden wäre, wie es auch der Zeuge Herr M. bekundet hat.

2. Dem Kläger steht nach der DV PWM auch kein über den Monat Juni 2002 hinausgehender Anspruch nach den zur Zeit des Vertragschlusses geltenden Regelungen der positiven Forderungsverletzung im Wege des Schadenersatzes zu. Dies wäre etwa bei einer fehlerhaften Auskunft der Beklagten zu erwägen. Die Kammer hat hierzu den vom Kläger benannten Zeugen, Herrn M., erneut gehört. Der Zeuge hat nicht ausgesagt, er habe den Kläger unter der Voraussetzung eines Eintritts der Rente mit Vollendung des 65. Lebensjahres beraten. Im Gegenteil: Er hat bekundet, ausdrücklich auf die vorzeitige Inanspruchnahme von Rente gedrängt zu haben, weil dies sogar Vorteile mit sich bringen könnte.

IV. Hinsichtlich der Bezugsdauer des Ruhegeldes war deshalb das erstinstanzliche Urteil abzuändern. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Ende der Entscheidung

Zurück