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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Urteil verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 8 Sa 63/03
Rechtsgebiete: InsO, BetrVG, KSchG, BGB, KWG


Vorschriften:

InsO § 21 II Nr. 2
InsO § 22
InsO § 22 I Nr. 2
InsO §§ 80 ff
InsO § 113
InsO § 113 I
InsO § 113 I 2
BetrVG § 1
BetrVG § 4
BetrVG § 4 S. 1
BetrVG § 102 I 3
BetrVG § 102 III 1
KSchG § 1
KSchG § 1 III
BGB § 622 II Nr. 7
KWG § 1 Ia
KWG § 11
KWG § 32
KWG § 35 II
KWG § 38 I
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Hamburg Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftszeichen: 8 Sa 63/03

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 16. Oktober 2003

erkennt das Landesarbeitsgericht Hamburg, Achte Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2003

durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Vorsitzender d. ehrenamtlichen Richter ... d. ehrenamtliche Richterin ...

für Recht:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19. Februar 2003 (6 Ca 389/02) wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Befugnis des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis, ein Arbeitsverhältnis mit der verkürzten Frist des § 113 I 2 InsO zu kündigen.

Die 1941 geborene Klägerin war seit dem 1. Juli 1980 bei ... in Hamburg als Sachbearbeiterin tätig (Arbeitsvertrag Anlage K1, Bl. 8 ff d. A.). Im Zuge eines Management ... der Tätigkeitsbereich der Klägerin im Jahre 1992 auf die ... für Vermögensverwaltung" (BSL) über. Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin wurde von dieser Firma auf der Grundlage einer Ergänzung zum Anstellungsvertrag (Anlage K 1, Bl. 6f d. A.) übernommen Schwerpunkt der Tätigkeit der BSL war die strategische Vermögensverwaltung auf der Basis von Investmentfonds für Privatkunden. Die Geschäftsräume befanden sich am ....

Aufgrund eines Unternehmenskaufvertrages vom 14. 12. 2001 übernahm die "Bank für kleinere und mittlere Unternehmen" - (Schuldnerin) am 1. 1. 2002 das Privatkundengeschäft der BSL. Die Schuldnerin übernahm auch die Arbeitsverhältnisse der Klägerin (Anstellungsvertrag Anl. K1, Bl. 4 f d. A.) und der weiteren 5 in Hamburg tätigen ... Einer dieser Mitarbeiter, Herr ... Die der Klägerin von der BSL erteilte Prokura wurde von der Schuldnerin zurückgenommen. Das Gehalt der Klägerin betrug zuletzt € 3.196,- brutto pro Monat.

Die Schuldnerin unterhielt einen Bankbetrieb in Berlin. Schwerpunkt der dortigen Tätigkeit war die Gewährung von Krediten an kleinere und mittlere Unternehmen. Im Berliner Betrieb gab es einen Betriebsrat, welcher aufgrund eines Wahlausschreibens vom 15. 11. 2001 im Januar 2002 von den zu diesem Zeitpunkt in Berlin tätigen 22 Mitarbeitern gewählt worden war.

Die Geschäftstätigkeit in Hamburg wurde in den zuvor von der ... genutzten Geschäftsräumen fortgeführt. Ein personeller Austausch zwischen der Zentrale in Berlin und der Zweigstelle in Hamburg fand nicht statt. Der tägliche Arbeitsablauf in Hamburg wurde ohne Einflussnahme aus Berlin organisiert.

Am 28. 4. 2002 hob die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Erlaubnis der Schuldnerin zum Betreiben von Bankgeschäften und Finanzdienstieistungen auf und ordnete zugleich die Abwicklung der Schuldnerin an. Nach diesem Zeitpunkt betrieb die Schuldnerin keine Bankgeschäfte mehr. Am 10. 5. 2002 stellte die Bundesanstalt Insolvenzantrag über das Vermögen der Schuldnerin. Zu diesem Zeitpunkt waren in Berlin noch 22 Arbeitnehmer beschäftigt.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 28. 5. 2002 (Az.: 101 IN 2398/02, Anlage K2, Bl. 11f d. A.) wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin bestellt. In Ziffer 5 des Beschlusses wurde der Schuldnerin gemäß § 21 II Nr. 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt und die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen. Eine Zustimmung zur Stillegung des Betriebs der Schuldnerin gem. § 22 I Nr. 2 InsO wurde vom Insolvenzgericht nicht erteilt.

Der Beklagte stellte fest, dass zwischen der Schuldnerin und der Streit über die Abwicklung des Untemehmenskaufs bestand, in dessen Verlauf die die Telefonleitungen der Schuldnerin unterbrach. Ende Mai 2002 beschränke sich der Geschäftsbetrieb in Hamburg auf Abwicklungsarbeiten. Nachdem im Juni 2002 Verhandlungen zwischen der und dem Beklagten zur Rückübertragung des Hamburger Geschäftsbereichs an die gescheitert waren, entschied sich der Beklagte Anfang Juli 2002, diesen Bereich stillzulegen.

Mit Schreiben vom 23. 7. 2002 (Anlage K 3, Bl 13 d. A.), welches der Klägerin am 24. 7. 2002 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. 9. 2002, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin. Gleichzeitig wurde auch den anderen in Hamburg tätigen Mitarbeitern gekündigt.

Nachdem am 31. 8. 2002 durch weiteren Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet worden war, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut zum 31.12. 2002. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit darüber, dass ihr Arbeitsverhältnis jedenfalls durch diese zweite Kündigung beendet worden ist.

Mit der am 12. 8. 2002 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die am 23. 7. 2002 ausgesprochene Kündigung.

Sie hat behauptet, im April 2002 sei den Mitarbeitern in Hamburg von einem Vorstandsmitglied der Schuldnerin mitgeteilt worden, die Filiale in Hamburg solle geschlossen werden. Die dort tätigen Mitarbeiter sollten künftig in Berlin arbeiten.

Die Klägerin sei auch in der Lage gewesen, die in Berlin anfallenden Arbeiten zu verrichten. Alle in Hamburg tätigen Mitarbeiter seien gleichberechtigt gewesen, keinem sei von der Schuldnerin die Leitung der Organisationseinheit übertragen worden.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Zweigstelle in Hamburg sei ein unselbstständiger Teil des Betriebs in Berlin gewesen. Die Kündigung sei deshalb wegen (unstreitig) unterbliebener Sozialauswahl und auch deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat nicht angehört worden sei. Eine Beschränkung des Direktionsrecht der Beklagten auf den Einsatzort Hamburg ergebe sich aus dem Arbeitsvertrag der Klägerin nicht. Außerdem habe der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter nicht mit der verkürzten Frist des § 113 InsO kündigen können. Schon deshalb habe die im Juli 2002 ausgesprochene Kündigung das Arbeitsverhältnis allenfalls zum 28. 2. 2003 beenden können.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 23. Juli 2002 nicht mit Ablauf des 30. September 2002 und nicht vor dem 31. Dezember 2002 endete.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, die Niederlassung Hamburg habe eine eigene Leitung gehabt, welche durch den Mitarbeiter ... wahrgenommen worden sei, der auch bei der Prokurist und Leiter back-office gewesen sei, Herr ... sei direkter Vorgesetzter der Klägerin gewesen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, in Hamburg habe ein Nebenbetrieb i. S. v. § 4 BetrVG bestanden. Eine Versetzung der Klägerin nach Berlin sei wegen der völlig unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche ausgeschlossen gewesen. Auch habe das Direktionsrecht eine Versetzung nach Berlin nicht gedeckt. Aus diesem Grunde sei mangels Vergleichbarkeit der Klägerin mit den Mitarbeitern in Berlin keine Sozialauswahl zu treffen gewesen. Der Betriebsrat sei nur von den Mitarbeitern in Berlin gewählt worden (Wahlausschreibung Anl. B 3, Bl. 34 d: A.) und für den Betrieb in Hamburg nicht zuständig gewesen. Als sog. "starker vorläufiger Insolvenzverwalter habe er die Arbeitgeberfunktion ausgeübt und sei daher auch berechtigt gewesen, von den Befugnissen des § 113 InsO Gebrauch zu machen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 113 InsO stehe das Sonderkündigungsrecht nur dem Insolvenzverwalter, nicht dem vorläufigen Insolvenzverwalter zu. Da der Beklagte bei Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung noch nicht Insolvenzverwalter gewesen sei, habe diese Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht vor dem 31. 12. 2002 beenden können.

Gegen das am 19. 2. 2003 verkündete und dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 2. 5. 2003 zugegangene Urteil hat der Beklagte am 30. 5. 2003 Berufung eingelegt und diese am 2. 7. 2003 begründet. Er wiederholt seinen erstinstanzlichen Sachvortrag und meint, einer Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Stilllegung des Teilbetriebs in Hamburg habe es nicht bedurft, weil im Zeitpunkt der Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter der Geschäftsbetrieb bereits eingestellt gewesen sei. Außerdem sei der Betrieb i. S. v. § 22 InsO die wirtschaftliche Einheit. Der Begriff sei nicht mit der arbeitstechnischen Sicht von § 1 KSchG identisch.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 19.2.2003 (6 Ca 389/02) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und meint, die Kündigung des Beklagten sei auch deshalb unwirksam gewesen, weil dem Beklagten vom Insolvenzgericht die Befugnis zur Stillegung des Betriebs(teils) in Hamburg nicht übertragen worden sei.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter die Befugnis, mit der verkürzten Frist des § 113 I 2 InsO zu kündigen, auch dann nicht zusteht, wenn ihm vom Insolvenzgericht gem. § 22 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übertragen worden ist, es sich also um einen sog. starken Insolvenzverwalter handelt. Die Frage ist im vorliegenden Fall relevant, weil die Kündigung des Beklagten nicht bereits aus anderen Gründen unwirksam war (I). Sie konnte das Arbeitsverhältnis jedoch nicht vor Ablauf der sich aus § 622 II Nr. 7 BGB ergebenden Kündigungsfrist beenden (II).

I. Die Kündigung des Beklagten vom 23. 7. 2002 war aus dringenden betrieblichen Erfordernissen sozial gerechtfertigt (1). Einer Sozialauswahl unter Einbeziehung der Mitarbeiter in Berlin bedurfte es nicht (2). Die Kündigung war nicht gem. § 102 I 3 BetrVG unwirksam (3). Auch der Umstand, dass das Insolvenzgericht den Beklagten nicht zur Stilllegung des Betriebes in Hamburg ermächtigt hatte, steht der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen (4).

1. Die Kündigung des Beklagten war durch dringende betriebliche Erfordernisse sozial gerechtfertigt.

a) Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich sowohl aus innerbetrieblichen Gründen (Rationalisierung, Produktionsumstellung etc.) als auch aus außerbetrieblichen Gründen (Auftragsrückgang etc.) ergeben. Erforderlich ist in beiden Varianten der betriebsbedingten Kündigung, dass das Bedürfnis für die Beschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer weggefallen ist (st. Rspr. BAG, Urt. v. 7. 12. 1978 - 2 AZR 155/77 - BAGE 31, 157, 161 = NJW 79, 1902; Urt. v. 12. 4. 2002 - 2 AZR 256/01 - N2A02, 1205, 1206). Das ist der Fall, wenn mehr Arbeitskräfte vorhanden als für die Erledigung der anfallenden Arbeiten erforderlich sind.

Führt der Arbeitgeber innerbetriebliche Gründe für die Kündigung an, so hat das Arbeitsgericht in vollem Umfang zu überprüfen, ob die behaupteten Maßnahmen (z.B. Rationalisierungsprojekte) tatsächlich erfolgt sind und ob sie zu einer Verringerung des Arbeitskräftebedarfs im behaupteten Umfang geführt haben (BAG, Urt. v. 7. 12. 1978-2 AZR 155/77 - BAGE 31, 157, 162; Urt v. 17. 6. 99 - 2 AZR 522/98 - NZA 99, 1095, 1096). Die vom Arbeitgeber getroffenen organisatorischen oder technischen Maßnahmen sind demgegenüber nicht daraufhin zu überprüfen, ob sie sinnvoll und erfolgversprechend sind. Die sog. Unternehmerentscheidung ist nur beschränkt daraufhin überprüfbar, ob sie offensichtlich sinnlos oder missbräuchlich ist (BAG, Urt. v. 30. 4. 1987-2 AZR 184/86 - BAGE 55, 262, 270 = NZA 87, 776; Urt. v. 26. 9. 1996 - 2 AZR 200/96 - BAGE 84, 209, 213 = NZA 97, 202; Urt. v. 26. 9. 2002 - 2 AZR 636/01 - DB 03, 946). Hierfür trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast (BAG, Urt. v. 27. 9. 2001 - 2 AZR 246/00 - ARSt 2002, 158).

Die Entscheidung des Unternehmers, den gesamten Betrieb oder einen Betriebsteil stillzulegen, ist als Unternehmerentscheidung i. S. v. § 1 KSchG anerkannt (BAG, v. 9. 2. 1994 - 2 AZR 666/93 - NZA 94, 686; Urt. v. 18. 1. 2001 - 2 AZR 514/99 -NZA 01, 719).

b) Bei der Hamburger Niederlassung der Schuldnerin handelt es sich um einen Betriebsteil.

aa) Betriebsteil ist eine Teilorganisation, in der sachlich und organisatorisch abgrenzbare arbeitstechnische Teilzwecke erfüllt werden, bei denen es sich um bloße Hilfsfunktionen handeln kann (BAG v. 23. 9. 1999 - 8 AZR 650/98 - (juris); Urt. v. 20. 6. 2003 - 8 AZR 459/01 - NZA 03, 318, 320). Betriebsteile zeichnen sich dadurch aus, dass sie über einen eigenen Arbeitnehmerstamm, eigene technische Hilfsmittel und eine durch die räumliche und funktionelle Abgrenzung vom Hauptbetrieb bedingte relative Selbstständigkeit verfügen. Andererseits fehlt ihnen aber ein eigenständiger Leitungsapparat (BAG, Urt. v. 15. 3. 2001 - 2 AZR 151/00 - NZA 01, 831). Das Merkmal des Teilzwecks dient zur Abgrenzung der organisatorischen Einheit. Im Teilbetrieb müssen nicht andersartige Zwecke als im Hauptbetrieb verfolgt werden (BAG, Urt. v. 8. 8. 2002 - 8 AZR 583/01 - NZA 03, 315, 317).

bb) Diese Merkmale lagen bei den in Hamburg tätigen 6 Mitarbeitern vor. Es handelte sich schon wegen der räumlichen Distanz zum Hauptbetrieb in Berlin um eine abgrenzbare organisatorische Einheit Die 6 Mitarbeiter waren dieser Teilorganisation zugeordnet. Der arbeitstechnische Zweck, die strategische Vermögensverwaltung auf der Basis von Investmentfonds für Privatkunden, war gegenüber dem in der Zentrale verfolgten Zweck abgrenzbar. Überschneidungen wären unschädlich, da im Teilbetrieb kein anderer Zweck als im Hauptbetrieb verfolgt werden muss. Ob in Hamburg eine eigene Leitung vorhanden war, kann im vorliegenden Kontext dahinstehen, da die Organisationseinheit auch in diesem Fall Gegenstand einer Stilllegungsentscheidung hätte sein können.

c) Diesen Betriebsteil hat der Beklagte im Juni 2002 endgültig stillgelegt.

aa) Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks oder Teilzwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiterzuverfolgen BAG v. 9. 2. 1994 - 2 AZR 666/93 - NZA 94, 636).

bb) Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Beklagte, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Stelle des Unternehmers getreten war, allen in Hamburg tätigen Mitarbeitern der Schuldnerin kündigte. Außerdem wurde der Geschäftsbetrieb, welcher sich im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits auf Abwicklungsarbeiten beschränkte, endgültig eingestellt.

Infolge der Stillegung ist die Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin in Hamburg entfallen.

d) Die soziale Rechtfertigung der Kündigung scheitert auch nicht daran, dass die Klägerin in Berlin weiterbeschäftigt werden konnte. Dass dort ein freier Arbeitsplatz zur Verfügung stand, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Dagegen spricht bereits die Anordnung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zur Liquidation der Schuldnerin. Vor diesem Hintergrund wären auch (die vom Beklagten bestrittenen) Äußerungen eines Vorstandsmitglieds der Schuldnerin, die Hamburger Mitarbeiter sollten künftig in Berlin tätig werden, keinesfalls als verbindliche Zusage unabhängig von einer tatsächlichen Beschäftigungsmöglichkeit zu interpretieren gewesen.

2. Die Kündigung ist auch nicht gemäß § 1 III KSchG unwirksam. Eine Sozialauswahl innerhalb der in Hamburg tätigen Mitarbeiter kam nicht in Betracht, weil allen Mitarbeitern zum gleichen Zeitpunkt gekündigt worden ist. Der Beklagte war nicht verpflichtet, die in Berlin tätigen Mitarbeiter in die Sozialauswahl einzubeziehen, denn die Klägerin war mit diesen Mitarbeitern nicht vergleichbar.

A) Die Vergleichbarkeit i. S. v. § 1 III KSchG richtet sich in erster Linie nach der ausgeübten Tätigkeit (BAG, Urt. v. 25. 4. 1985 - 2 AZR 140/84 - BAGE 48, 314, 323 = NZA 86, 64). Es ist zu prüfen, ob der Arbeitnehmer, dessen Tätigkeit weggefallen ist, die Funktion des anderen Arbeitnehmers wahrnehmen kann. Dabei sind die Grenzen des Direktionsrechts zu beachten. Vergleichbar sind nur solche Arbeitnehmer, denen der Arbeitgeber die noch vorhandene Tätigkeit kraft seines Direktionsrechts zuweisen kann, ohne dass es einer Änderungskündigung bedarf (ErfK - Ascheid, 3. Aufl. 2003, § 1 KSchG Rz 481 m. w. N.).

b) An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall. Die Klägerin war nicht verpflichtet, ihre Tätigkeit außerhalb Hamburgs wahrzunehmen. Zwar enthalten weder der mit der Schuldnerin noch der ursprüngliche, mit der L Vermögensverwaltung geschlossene Arbeitsvertrag ausdrückliche Regelungen zum Arbeitsort.

Die Auslegung des mit der L Vermögensverwaltung am 25.3.1980 geschlossenen Vertrags führt jedoch zu diesem Ergebnis. Bei der Arbeitgeberin handelte es sich um eine in Hamburg ansässige Firma. Die Klägerin war als Sachbearbeiterin eingestellt. Ihr Arbeitsplatz befand sich in den Büroräumen der Arbeitgeberin Reise- oder Außendiensttätigkeiten gehörten nicht zu ihren Aufgaben. Der Arbeitsvertrag sieht in Ziffer 7 (Bl. 9 d. A.) ausdrücklich eine Erweiterung des Direktionsrechts vor, allerdings nur in fachlicher Hinsicht. Der daraus erkennbare Umstand, dass die Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrags an die Schranken des Direktionsrechts gedacht, jedoch hinsichtlich des Einsatzorts keine Regelung getroffen haben, spricht dafür, dass dieser auf den Sitz des Arbeitgebers beschränkt sein sollte.

Bei Übernahme des Arbeitsverhältnisses durch ... wurde eine Ergänzung zum Anstellungsvertrag vereinbart, ohne die Frage des Arbeitsortes zu regeln (Bl. 6f d. A.).

Auch in dem Anstellungsvertrag, welche die Klägerin anlässlich der Übernahme Ende 2001 mit der Schuldnerin abschloss (Bl. 4f d. A.), wurde die Frage des Arbeitsortes nicht angesprochen. Da die Schuldnerin das Arbeitsverhältnis ausdrücklich mit allen Rechten und Pflichten übernahm, galt der Arbeitsort Hamburg fort. Hätten die Parteien etwas anderes gewollt, wäre eine entsprechende Regelung zu treffen gewesen.

3. Die Kündigung des Beklagten vom 23. 7. 2002 ist auch nicht nach § 102 III 1 BetrVG unwirksam.

Der in Berlin gewählte Betriebsrat war für die in Hamburg tätigen Mitarbeiter nicht zuständig, denn in Hamburg bestand ein Nebenbetrieb i. S. v. § 4 S. 1 BetrVG.

Die Voraussetzungen des § 1 BetrVG lagen vor, denn in Hamburg waren 6 Mitarbeiter beschäftigt. Selbst wenn man unterstellt, dass die Herrn ... erteilte Prokura auch im Verhältnis zum Arbeitgeber nicht unbedeutend war, so dass dieser gemäß § 5 III Nr. 2 aus dem Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes herausgefallen wäre, hätte es 5 wahlberechtigte und wählbare Arbeitnehmer in Hamburg gegeben.

Die Selbständigkeit i. S. v. § 4 BetrVG ergibt sich bereits aus der großen räumlichen Entfernung zwischen Berlin und Hamburg, so dass es auf die zwischen den Parteien i. e. streitige Frage der eigenständigen Organisation nicht ankommt. Für die Frage der räumlichen Entfernung ist nicht allein auf die Kilometerzahl abzustellen (ErfK-Eisemann, 3. Aufl. 2003, § 4 BetrVG Rz 3). Es kommt darauf an, ob die Betriebsratsmitglieder ihr Mandat sachgerecht wahrnehmen können. Dafür müssen sie in der Lage sein, kurzfristig zu einer Sitzung zu kommen, und für die Beschäftigten leicht erreichbar sein (ErfK-Eisemann, aaO). Dafür kommt es maßgeblich auf die Verkehrsverbindung an. Bei guter Verkehrsverbindung hat die Rechtsprechung in Einzelfällen Entfernungen von 60 - 65 km, bzw. 70 km als unerheblich angesehen (vgl. die Nachweise bei Trümmer in: Däubler/Kittner/Klebe BetrVG 7. Aufl. 2000 § 4 Rz 36).

Die Entfernung zwischen Berlin und Hamburg ist nach Auffassung der Kammer als räumlich weit i. S. des § 4 BetrVG einzuordnen. Sie beträgt ca. 280 km. Eine einfache Fahrt mit dem IGE dauert über 2, 5 Stunden. Selbst bei nur kurzer Aufgabenwahrnehmung würden ein Betriebsratsmitglied oder ein Arbeitnehmer zum jeweils anderen Ort fast einen ganzen Arbeitstag benötigen. Die sachgerechte Wahrnehmung eines Betriebsratsmandats oder die leichte Erreichbarkeit des Betriebsrats sind unter diesen Umständen nicht gegeben.

4. Die streitgegenständliche Kündigung war schließlich nicht deshalb unwirksam, weil das Insolvenzgericht den Beklagten nicht zur Stilllegung des Betriebsteils in Hamburg ermächtigt hatte.

a) Nach § 22 I Nr. 2 InsO hat der vorläufige Insolvenzverwalter das Unternehmen des Schuldners bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stilllegung zustimmt. Die Rechtsprechung folgert aus dieser Regelung, dass die Zustimmung des Insolvenzgerichts Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung wegen Stilllegung des Betriebs oder von Teilen des Betriebs ist (LAG Düsseldorf, Urt. v. 8. 5. 2003 -10 (11) Sa 346/03 - ZIP 03, 1811; wohl auch BAG, Beschluss v. 29. 6. 2000 - 8 ABR 44/99 - BAGE 95, 197 = NZA 00, 1180, 1184, zu IV 2 c) bb) d. Gr.). Die Literatur (vgl. Berscheid NZI 2000, 1, 4) folgt dem, soweit die Stilllegung nicht lediglich unselbstständige Betriebsteile betrifft.

Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung, hält jedoch im vorliegenden Fall eine Zustimmung des Insolvenzgerichts ausnahmsweise nicht für erforderlich mit der Folge, dass die Kündigung nicht bereits wegen Fehlens der Zustimmung unwirksam ist.

b) Die Besonderheit des Falles liegt zum einen darin, dass der Geschäftsbetrieb in dem vom Beklagten stillgelegten Betriebsteil bereits vor der Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter zum Erliegen gekommen war. Unstreitig waren die Mitarbeiter nur noch mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt. Dass dies auf einer unternehmerischen Entscheidung der Schuldnerin beruhte, hat der Beklagte nicht vorgetragen. Unstreitig betrieb die Schuldnerin jedoch seit dem 28. 4. 2002 keine Bankgeschäfte mehr, nachdem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Erlaubnis zurückgenommen und die Abwicklung der Schuldnerin angeordnet hatte.

Wer im Inland Bankgeschäfte i. S. v. § 11 KWG betreiben oder Finanzdienstleistungen i. S. v. § 1 Ia KWG anbieten will, bedarf nach § 32 KWG einer Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Gemäß § 35 II KWG kann die Erlaubnis u, a. dann aufgehoben werden, wenn Tatsachen bekannt werden, welche ihre Versagung gerechtfertigt hätten, oder wenn Gefahr für die Erfüllung der Verpflichtungen des Instituts gegenüber seinen Gläubigem besteht. Die Bundesanstalt hat nach § 38 I KWG die Befugnis, bei Aufhebung einer Erlaubnis gleichzeitig zu bestimmten, dass das Institut abzuwickeln ist. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aufhebung der Erlaubnis haben im Regelfall keine aufschiebende Wirkung (§ 49 KWG).

Nach Auffassung der Kammer ist die Zustimmung des Insolvenzgerichts zur Stilllegung eines Betriebs oder Betriebsteils dann keine Voraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter, wenn die Stilllegung von einer Verwaltungsbehörde verbindlich angeordnet worden ist. Der Zweck des § 22 I Nr. 2 InsO, Maßnahmen des vorläufigen Insolvenzverwalters, die zum Verlust von Arbeitsplätzen führen können, einer präventiven Kontrolle durch das Insolvenzgericht zu unterwerfen, kann in einem solchen Fall nicht erreicht werden.

Im vorliegenden Fall waren der Schuldnerin bereits im April 2002 Bankgeschäfte und Finanzdienstleistungen untersagt worden. Der Beklagte hätte deshalb den Betrieb der Schuldnerin auch dann nicht weiterführen dürfen, wenn das Insolvenzgericht seine Zustimmung zur Stillegung versagt hätte.

II. Die Kündigung konnte durch den Beklagten am 23. 7. 2002 aber nicht mit der verkürzten Kündigungsfrist gem. § 113 I 2 InsO ausgesprochen werden, da er zu diesem Zeitpunkt nur vorläufiger Insolvenzverwalter war. Dem vorläufigen Insolvenzverwalter stehen die Befugnisse der §§ 80 ff InsO nicht zu, weil diese von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abhängen. Das gilt auch, wenn dem vorläufigen Insolvenzverwalter gem. § 22 InsO die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse übertragen worden sind.

a) Die Frage ist - soweit ersichtlich - bisher höchstrichterlich nicht entschieden worden. In der Literatur wird sie kontrovers diskutiert:

aa) Eine direkte Anwendbarkeit von § 113 I 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter hält Heinze (Gottwald / Heinze Insolvenzhandbuch 2. Aufl. 2001 § 102 Rz 22) für gerechtfertigt. Nur §§ 103 sowie 123 und 124 stellten auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab. Wenn der Gesetzgeber in § 22 I Nr. 2 InsO ausdrücklich die Stillegung des Unternehmens mit Zustimmung des Insolvenzgerichts vorsehe, um eine erhebliche Verminderung des Schuldnervermögens zu vermeiden, bedeute dies zwangsläufig bei teleologischer Interpretation, dass auch die arbeitsrechtlichen Vorschriften der §§ 113, 120 - 122, 125 - 128 Anwendung finden müssten.

bb) Ein Teil der Literatur hält eine analoge Anwendung von § 113 auf den vorläufigen Insolvenzverwalter für gerechtfertigt (Moll in Kübler/Prütting § 113 Rz 26; Caspers, Personalabbau und Betriebsänderung im Insolvenzverfahren, 1998, Rz 519ff, 523; Löwisch-Caspers MK-InsO, 2002, Rz 30 vor §§ 113 - 128). Begründet wird dies mit der besonderen Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis gem. § 22 InsO (Moll, aaO). Es sei widersprüchlich, dem Insolvenzverwalter alle Befugnisse zu übertragen einschließlich der Stillegung des Betriebes, ihm die Möglichkeit mit verkürzter Frist zu kündigen jedoch zu versagen. Die Verkürzung der Kündigungsfrist sei ein wichtiges Mittel, um die Minderung des Schuldnervermögens zu vermeiden (Moll, aaO, Rz 25).

Es fehle auch nicht an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke (Caspers, aaO, Rz 521ff). Eine solche sei zwar im Regierungsentwurf noch nicht vorhanden gewesen, da dieser die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lediglich von der Prüfung der Deckung der Verfahrenskosten abhängig machen wollte. Eine Regelungslücke sei aber entstanden, nachdem auf Intervention des Rechtsausschusses die Prüfung der Fortführungsmöglichkeit im Eröffnungsverfahren ermöglicht worden ist. Diese Änderung sei im weiteren Gesetzgebungsverfahrens nicht mit den anderen Regelungen abgestimmt worden, daher könne kein bewusstes Schweigen des Gesetzgebers unterstellt werden.

cc) Die h. M. lehnt eine Ausdehnung der Befugnis des § 113 I auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ab (Kübler/Prütting InsO RWS-Kommentar, Losebl. Stand 4/03, § 113 Rz 22; Berscheid, ZIP 1997, 1569, 1577; Irschlinger in: Heidelberger Kommentar zur InsO, 1999, § 113 Rz 4; Lakies BB 1998, 2638, 2640; Uhlenbruck, Die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters in: Kölner Schrift zur JnsO, 1. Aufl. 1997, S. 250 Rz 19; Peters-Lange ZIP 1999, 421, 422; Regh in Steindorf/Regh, Arbeitsrecht in der Insolvenz, 2002, § 3 Rz 65, S. 142; Zwanziger, Das Arbeitsrecht in der Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2002 Einleitung Rz 79 (S. 58f); Düwell, Änderungs- und Beendigungskündigung nach dem neuen Insolvenzrecht, Kölner Schrift zur InsO, 2. Aufl., S. 1433 ff, Rz 22; Hamacher in: Nerlich/Römermann, Kommentar, Losebl. Stand 7/03, § 113 Rz 21; Wimmer ZIP 1997, 1635, 1637)

b) Die Kammer folgt dieser Auffassung. Weder eine direkte noch eine analoge Anwendung von § 113 I 2 InsO auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ist angezeigt.

aa) Gegen eine direkte Anwendung von § 113 I InsO spricht der Wortlaut der Norm, welche explizit die Befugnis des Insolvenzverwalters regelt. Hinzu kommt die systematische Stellung im dritten Teil der Insolvenzordnung, welcher mit "Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens" überschrieben ist. Der vorläufige wird vor der Eröffnung tätig. Seine Rechtsstellung ist im zweiten Teil der Insolvenzordnung geregelt, welcher mit "Eröffnung des Insolvenzverfahrens, erfasstes Vermögen und Verfahrensbeteiligte" überschrieben ist (Lakies; Regh; Zwanziger jew. a.a.O.).

Unterstrichen wird diese systematische Trennung dadurch, dass § 22 InsO, welcher die Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters regelt, in Abs. 3 S. 2 auf einige Vorschriften des dritten Teils Bezug nimmt, zu denen § 113 InsO aber gerade nicht gehört (gegen eine direkte Anwendung daher auch: Löwisch-Caspers MK-InsO, 2002, Rz 29 vor §§ 113 - 128)

bb) Auch eine analoge Anwendung ist abzulehnen.

Die analoge Anwendung einer Rechtsnorm kommt dann in Betracht, wenn zur Ausfüllung einer planwidrigen Lücke die Übertragung der Rechtsfolge eines gesetzlichen Tatbestands auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten Tatbestand erforderlich ist (vgl. BAG, Urt v. 11. 7. 2000 - 1 ABR 32/89 - BAGE 95, 240 = NZA 01,516; Urt. v. 21. 7. 1993 - 7 ABR 25/92 - BAGE 73, 378, 382f = MDR 94, 1044).

(1) Nach Auffassung der Kammer lässt sich bereits eine planwidrige Regelungslücke nicht feststellen. Die Frage, ob §§ 113, 120 - 122 sowie § 125 bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung finden sollen, ist im Gesetzgebungsverfahren erörtert worden. Der Gravenbucher Kreis, ein loser Zusammenschluss erfahrener Insolvenzverwalter, hatte eine entsprechende Regelung in einem Schreiben an die Bundesregierung vom 11. Juni 1997 vorgeschlagen (abgedruckt in ZI P 97, 1091f).

Die Bundesregierung antwortete mit Schreiben vom 11. Juli 1997 und verwies auf die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im BMJ, Ratner Funke, vom 27. Juni 1997, in dem dieser entsprechende Vorschläge abgelehnt hatte (ZIP 1997, 1479, 1480). Zur Begründung wurde dort angeführt, die vorläufige Insolvenzverwaltung (Sequestration) habe den Sinn, die Insolvenzmasse zu sichern. Es sei nicht Aufgabe des Sequesters in nennenswertem Umfang Arbeitsverhältnisse zu lösen. Die Korrespondenz erlaubt die Schlussfolgerung, dass die Beschränkung der Befugnisse des § 113 I InsO auf den Insolvenzverwalter in der verabschiedeten Gesetzesfassung eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers war.

(2) Es fehlt auch an der zweiten Voraussetzung für eine Analogie, denn die Interessenlagen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und im Eröffnungsverfahren sind nicht vergleichbar.

Die Verkürzung der Kündigungsfrist von bis zu 7 Monaten (§ 622 BGB) auf 3 Monate ist ein schwerer Eingriff in den Bestandsschutz der Arbeitnehmer. Ohne Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist ein solcher Eingriff nicht gerechtfertigt. Als vergleichbar mag die Interessenlage - im Nachhinein - erscheinen, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und der Insolvenzverwalter die Stilllegung des Betriebs oder Betriebsteils durchführt. In solchen Fällen steht dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit, mit verkürzter Frist gem. § 113 I 2 InsO zu kündigen, auch dann zu, wenn der vorläufig bestellte Insolvenzverwalter zuvor bereits eine Kündigung mit einer längeren Kündigungsfrist ausgesprochen hat (BAG, Urt. v. 22. Mai 2003 - 2 AZR 255/02 - NZA 03, 1086 = ZIP 03, 1670). Nicht jede vorläufige Insolvenzverwaltung führt jedoch auch zur Eröffnung des Verfahrens. Ebenso kann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt oder der Antrag zurückgenommen werden (§ 13 II InsO), weil die Prüfung des vorläufigen Insolvenzverwalters doch noch Sanierungsmöglichkeiten zu Tage treten lässt. In beiden Fällen wären Kündigungen mit der verkürzten Frist des § 113 I 2 InsO nicht interessengerecht. Wäre die Sonderregelung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter entsprechend anwendbar, müsste es jedoch konsequenterweise auch in solchen Fällen bei der Wirksamkeit ausgesprochener Kündigungen verbleiben, da Beurteilungszeitpunkt für sämtliche Voraussetzungen der Wirksamkeit einer Kündigung der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ist (BAG, Urt. v. 27. 2 1997 - 2 AZR 160/96 - NZA 97, 757, 758 m. w. N.; Urt v. 29. 4. 1999 - 2 AZR 431/98 - NZA 99, 978, 980).

Die derzeitige Regelung, welche das Sonderkündigungsrecht von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abhängig macht, stellt daher aus Sicht der Berufungskammer einen sachgerechten Kompromiss zwischen den Interessen der betroffenen Arbeitnehmer und den Interessen der Gläubiger an einer zügigen Sanierung nicht mehr lebensfähiger Unternehmen dar. Einem Aufzehren der Masse durch Gehaltszahlungen kann systemkonform nur durch eine Beschleunigung des Eröffnungsverfahrens entgegengewirkt werden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 VI ArbGG i. V. m. § 97 ZPO.

Die Entscheidung für die Zulassung der Revision beruht auf § 72 II Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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