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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: 8 TaBV 18/06
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 98
ArbGG § 98 Abs. 1 S. 2
1. Eine unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes (§ 87 I Nr. 7 BetrVG) angerufene Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig i. S. v. § 98 I 2 ArbGG, wenn der Antragsteller einen Sachverhalt vorträgt, bei dem eine Gesundheitsgefährdung lediglich theoretisch in Betracht kommt, in dem jedoch keine konkreten Anhaltspunkte für eine Handlungspflicht des Arbeitgebers nach § 3 I ArbSchG ersichtlich sind.

2. Dass Arbeitnehmer zur Vertretung anderer Arbeitnehmer herangezogen werden, ist für sich genommen nicht ausreichend, um von einer mehr als nur theoretisch denkbaren Gesundheitsgefährdung auszugehen.

3. Der Gegenstand des Einsetzungsverfahren gemäß § 98 ArbGG muss im Antrag so genau bezeichnet werden, dass der Kompetenzrahmen der Einigungsstelle festgestellt werden kann. Das Vorliegen dieses Erfordernisses ist im Beschwerdeverfahren im vollem Umfang überprüfbar (Anschluss an LAG Hessen v. 31.01.2006 - 4 TaBV 208/05).


Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 07.12.2006 (17 BV 41/06) aufgehoben.

Der Antrag des Betriebsrats wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle gemäß § 98 ArbGG.

Die Arbeitgeberin (Bet. zu 2) betreibt bundesweit zahlreiche Warenhäuser. In der Filiale H. sind 141 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Antragsteller (Bet. zu 1) ist der für diese Filiale gewählte Betriebsrat. Er besteht aus 7 Mitgliedern.

Der Betriebsrat beschloss im Herbst 2006, 5 Ausschüsse gemäß § 28 BetrVG einzurichten und zwar für Technologie, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Wirtschaft, Soziales (Kantine, Sozialräume) sowie Aus- und Weiterbildung. Mit Schreiben vom 07.09.2006 (Anl. 1 der Arbeitgeberin, Bl. 25 d. A.) unterrichtete der Betriebsrat die Arbeitgeberin über die Mitglieder der Ausschüsse sowie über die für die Ausschüsse geplanten regelmäßigen Sitzungstage. In dem Schreiben heißt es, insgesamt handele es sich um ein Stundenvolumen von monatlich ca. 15 Stunden. Die Arbeitgeberin wurde aufgefordert, in einem schriftlichen Konzept darzustellen, welche organisatorischen und personellen Vorkehrungen sie zur Entlastung der Mitarbeiter/innen treffe, die durch die angekündigten Ausschusstätigkeiten belastet würden.

Mit Schreiben vom 01.11.2006 (Anl. 3 der Arbeitgeberin, Bl. 28 d. A.) erklärte der Betriebsrat die Verhandlungen der Betriebsparteien für gescheitert. Am 20.11.2006 kam es zu Gesprächen der Beteiligten darüber, ob das vom Betriebsrat angegebene Stundenvolumen angesichts der Betriebsgröße der Filiale E erforderlich sei.

Am 23.11.2006 beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Regelung von Maßnahmen und Vorkehrungen, welche die Belastungen mindern, die durch Betriebsratsausfallzeiten entstehen. Zur Begründung seines Antrags berief sich der Betriebsrat auf § 87 I Nr. 7 BetrVG. Entlastungsmaßnahmen seien erforderliche Maßnahmen i. S. v. § 3 I ArbSchG.

Der Betriebsrat hat beantragt,

zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung von Maßnahmen und organisatorischen Vorkehrungen zur Minderung von Belastungen, die durch Betriebsratsausfallzeiten bewirkt werden, Herrn B., Richter am Arbeitsgericht Hamburg, zu bestellen.

Die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf je drei festzusetzen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen

Hilfsweise

zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung von Maßnahmen und organisatorischen Vorkehrungen zur Minderung von Belastungen, die durch Betriebsratsausfallzeiten bewirkt werden, Herrn R.S., Richter am Arbeitsgericht Hamburg, zu bestellen.

Die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf jeweils zwei festzusetzen.

den Antrag im Übrigen zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin hat die Ansicht vertreten, der Antrag zu 1. des Betriebsrats sei schon mangels Bestimmtheit unzulässig, weil die begehrten Maßnahmen und Vorkehrungen nicht konkretisiert würden. Die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, weil kein Mitbestimmungsrecht bestehe, insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen des Betriebsrats im Wesentlichen entsprochen. Die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig, da ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Arbeitszeit gemäß § 87 I Nr. 2 bestünde. Ob darüber hinaus auch ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 I Nr. 7 BetrVG bestehe, könne deshalb dahinstehen. Als Vorsitzenden der Einigungsstelle hat das Arbeitsgericht den von der Arbeitgeberin in ihrem Hilfsantrag genannten Richter am Arbeitsgericht R.S. bestimmt. Wegen der weiteren Gründe des Arbeitsgerichts wird auf Ziffer II des angegriffenen Beschlusses (Bl. 41 - 43 d. A.) verwiesen.

Gegen den der Arbeitgeberin am 11.12.2006 zugestellten Beschuss hat diese am 22.12.2006 Beschwerde eingelegt und diese sogleich begründet.

Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und meint darüber hinaus, ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 I Nr. 2 BetrVG komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es eine Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeit und Freizeitregelung vollbeschäftigter Mitarbeiter in Verkaufsabteilungen vom 20.12.2004 gebe, die auch für Betriebsratsmitglieder gelte und bisher nicht gekündigt worden sei.

Die Arbeitgeberin beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hamburg vom 07.12.2006 (17 BV 41/06) die Anträge zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

hilfsweise,

zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung von Maßnahmen des Gesundheitsschutzes und organisatorischen Vorkehrungen in der Filiale H. zur Minderung von Belastungen, die durch erforderliche Betriebsratsausfallzeiten bewirkt werden, wird Herr R.S., Richter am Arbeitsgericht Hamburg, bestellt.

Die Anzahl der von den Beteiligten zu benennenden Beisitzer wird auf jeweils 3 festgelegt.

Der Betriebsrat verteidigt die angegriffene Entscheidung. Er meint, der Antrag sei hinreichend bestimmt. Es gehe darum, organisatorische Regelungen zu treffen, die verhindern sollen, dass die in den Abteilungen Beschäftigten durch den Arbeitsausfall aufgrund von Betriebsratstätigkeiten zusätzlich belastet würden. Welcher Art diese Maßnahmen seien, habe die Einigungsstelle festzulegen. Es kämen alle erforderlichen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes gemäß § 3 I ArbSchG in Betracht. Der Betriebsrat stütze sein Begehren auf das Mitbestimmungsrecht des § 87 I 7 BetrVG.

II.

Die gemäß § 98 II ArbGG statthafte Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden, und hat in der Sache Erfolg. Jedenfalls der vom Betriebsrat im Beschwerderechtszug gestellte Hilfsantrag ist hinreichend bestimmt (1), die Einigungsstelle ist jedoch offensichtlich unzuständig (2).

1. Der vom Betriebsrat gestellte Antrag ist hinreichend bestimmt.

a) Das Erfordernis der Bestimmtheit des Antrags gemäß § 253 II Nr. 2 ZPO gilt auch im Beschlussverfahren (BAG v. 24.11.1981 - 1 ABR 42/79 - BAGE 37, 102 = DB 82, 1414; BAG v. 22.10.1985 - 1 ABR 38/83 - BAGE 50, 29 = NZA 86, 299).

Im Verfahren nach § 98 ArbGG wird nicht nur die Person des Vorsitzenden und erforderlichenfalls die Zahl der Beisitzer festgelegt, sondern auch der Kompetenzrahmen der Einigungsstelle bestimmt. Die gerichtliche Vorgabe des Regelungsgegenstandes aus dem Bestellungsverfahren kann nicht durch eine streitige Entscheidung der Einigungsstelle, sondern nur von beiden Betriebspartnern einvernehmlich abgeändert werden (BAG v. 06.12.1983 - 1 ABR 43/81 - BAGE 44/81 = DB 84, 775, zu B II 3 d. Gr.; BAG v. 15.05.2001 - 1 ABR 39/00 - BAGE 97, 379 = NZA 01, 1154; LAG Hessen v. 31.01.2006 - 4 TaBV 208/05 - juris). Dementsprechend muss der Antragsteller im Einsetzungsverfahren zwar nicht den Inhalt der von ihm angestrebten Regelung darlegen, wohl aber hinreichend konkret angeben, über welchen Gegenstand in der Einigungsstelle verhandelt werden soll. Die Erfüllung dieser Zulässigkeitsverordnung unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung (LAG Hessen v. 31.01.2006 - 4 TaBV 208/05 - juris).

b) Bereits der Hauptantrag des Betriebsrats genügt diesem Erfordernis, soweit die Verhandlung über Maßnahmen und organisatorische Vorkehrungen zur Minderung einer konkret bezeichneten Belastungssituation beantragt wird. Die Einigungsstelle soll nicht allgemein über Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit verhandeln (vgl. LAG Schleswig-Holstein v. 26.10.2006 - 4 TaBV 29/06 - juris). Da die vom Betriebsrat bezeichnete Belastungssituation vielfältige Maßnahmen veranlassen kann, welche nicht alle der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen, war der Hauptantrag gleichwohl zu unbestimmt. Die im Hilfsantrag vorgenommene Konkretisierung lässt jedoch erkennen, dass die Einigungsstelle nur über solche Maßnahmen und organisatorischen Vorkehrungen verhandeln soll, die gemäß § 87 I Nr. 7 BetrVG i. V. m. § 3 I ArbSchG der Mitbestimmung unterliegen. Die in Betracht kommenden Maßnahmen müssen, wie das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat, im Antrag nicht bezeichnet werden.

2. Die Einigungsstelle ist allerdings im Sinne von § 98 ArbGG offensichtlich unzuständig.

a) Gemäß § 98 I 2 ArbGG können Anträge auf Bestellung des Vorsitzenden und die Bestimmung der Anzahl der Beisitzer wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ist nur dann anzunehmen, wenn sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des BetrVG subsumieren lässt (LAG Hamburg v. 10.07.1985 - 8 TaBV 11/85 - BB 85, 1729; LAG Schleswig-Holstein v. 25.11.1999 - 4 TaBV 41/99 - n. v).

Begehrt der Antragsteller die Einsetzung einer Einigungsstelle für Maßnahmen des Gesundheitsschutzes nach § 87 I Nr. 7 BetrVG, ist zu berücksichtigen, dass ein Mitbestimmungsrecht nach dieser Norm nicht voraussetzt, dass eine konkrete Gesundheitsgefahr bereits hinreichend bestimmbar wäre (BAG v. 08.06.04 - 1 ABR 4/03 - Tz 22). Das Mitbestimmungsrecht besteht jedoch nur, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektive besteht (BAG, a.a.O. Tz 19).

Für das Einsetzungsverfahren nach § 98 ArbGG und den dabei anzuwendenden Offensichtlichkeitsmaßstab bedeutet das, dass der Antragsteller einen Sachverhalt vorzutragen hat, bei dem die Möglichkeit einer Handlungspflicht des Arbeitgebers nach § 3 I ArbSchG jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt. Dass lediglich abstrakt eine Gesundheitsgefährdung nicht ausgeschlossen werden kann, genügt auch im Verfahren nach § 98 ArbGG nicht, denn andernfalls könnte in jedem Betrieb zu jedem Zeitpunkt die Einsetzung einer Einigungsstelle für Maßnahmen des Gesundheitsschutzes verlangt werden.

b) Der Sachvortrag des Betriebsrats lässt nicht erkennen, dass Handlungspflichten des Arbeitgebers nach § 3 I ArbSchG ernsthaft in Betracht zu ziehen sind. Dafür müsste zumindest eine überdurchschnittliche Beanspruchung einzelner Arbeitnehmer erkennbar sein. Das ist nicht der Fall.

Mitglieder des Betriebsrats sind gemäß § 37 II BetrVG von ihrer beruflichen Tätigkeit zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Aus der Sicht der nicht dem Betriebsrat angehörenden Mitarbeiter ist die nach § 37 II BetrVG zu beanspruchende Arbeitsbefreiung von anderen Gründen, aus denen Arbeitnehmer von ihrer Arbeitspflicht freizustellen sind (Urlaub, Krankheit, betriebliche Fortbildung etc.) nicht zu unterscheiden. Die Vertretung abwesender Kollegen wiederum gehört zur vertraglich geschuldeten Leistung eines Arbeitnehmers, deren Erbringung allein typischerweise nicht zu Gesundheitsgefährdungen führt.

Dass die Beanspruchung der betroffenen Arbeitnehmer im vorliegenden Fall über das normale Maß hinaus geht, ist dem Sachvortrag des Betriebsrats nicht zu entnehmen. Der Betriebsrat hat dazu auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer keine hinreichenden Angaben gemacht.

Allein der Umstand, dass die von den Mitgliedern des Betriebsrats im Schreiben vom 07.09.2006 beanspruchte Freistellung - jedenfalls nach Ansicht der Arbeitgeberin - über das nach § 37 II BetrVG zu Gewährende hinaus geht, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Wie es zu der Prognose von 15 Stunden pro Betriebsrat und Monat kommt, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen. Multipliziert man die Dauer der geplanten Sitzungen mit der Anzahl der Mitglieder der Ausschüsse, so ergeben sich monatlich "nur" 59 Stunden. Bei 7 Betriebsratsmitgliedern ergibt sich eine rechnerische Durchschnittsbelastung von ca. 8, 4 Stunden. Weitere Angaben zum Umfang der begehrten Freistellung enthält das Schreiben nicht. Selbst wenn jedes Betriebsratsmitglied nach § 37 II BetrVG pro Monat für 15 Stunden von der Arbeit freizustellen wäre, so würde sich allein daraus keine überdurchschnittliche Belastung anderer Arbeitnehmer. Der Betriebsrat hat weder einen Vergleich mit anderen Ausfallzeiten noch die konkrete Arbeitsituation der betroffenen Kollegen aufgezeigt.

3. Nach Auffassung der Beschwerdekammer kann dem Antrag auch nicht unter dem Gesichtspunkt von § 87 I Nr. 2 BetrVG entsprochen werden.

Dem steht bereits entgegen, dass der Betriebsrat seinen Antrag ausdrücklich nur auf § 87 I Nr. 7 BetrVG stützt. Unabhängig davon können Maßnahmen des Gesundheitsschutzes und organisatorische Vorkehrungen zur Minderung von Belastungen, auf die sich der Betriebsrat in seinem Antrag festgelegt hat, nach § 87 I Nr. 2 BetrVG nicht verlangt werden. Schließlich fehlt auch jede Darstellung des Betriebsrats, weshalb dem Anliegen nicht durch die vorhandene - unstreitig nicht gekündigte - Betriebsvereinbarung bereits Rechnung getragen wird.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich (vgl. Matthes, aaO, § 84 Rz 29ff).

IV.

Ein weiteres Rechtsmittel ist nicht statthaft (§ 98 II 4 ArbGG)

Ende der Entscheidung

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