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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.10.2006
Aktenzeichen: 1 Sa 247/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 17.01.2006 - 3 Ca 2130/05 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung vom 29.08.2005 zum 28.02.2006 beendet worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 11.463,00 €

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die die Beklagte unter Berufung auf betriebsbedingte Gründe gegenüber dem Kläger ausgesprochen hat.

Der 1947 geborene, verheiratete Kläger wurde mit Arbeitsvertrag vom 25.07.1988 (Bl. 29/30 GA) von der G2+H3 M2xxxxx GmbH mit Wirkung ab 15.08.1988 eingestellt. Die Beklagte existiert seit 1996 und ist die Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Arbeitgeberin des Klägers. Der Kläger wurde als Kühlraumbauer zunächst von der später geschlossenen Niederlassung B2xxxxxxx, ab 1999 von der Niederlassung M3xxxxx eingesetzt. Anlässlich der Versetzung des Klägers von B2xxxxxxx nach M3xxxxx wurde er gegenüber dem Betriebsrat als "Obermonteur" bezeichnet (Bl. 113 GA). Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kommen der BRTV-Bau und - so der Arbeitsvertrag - die weiteren einschlägigen Tarifverträge des Baugewerbes in ihrer jeweils gültigen Fassung zur Anwendung. Im Arbeitsvertrag heißt es u. a.:

"Der Arbeitnehmer kann auf allen Bau- oder sonstigen Arbeitsstellen des Platzes oder der Niederlassung im Rahmen des BRTV eingesetzt werden."

Seinen zuletzt erzielten monatlichen Bruttolohn gibt der Kläger mit 3.821,00 € an, worin Auslösung, Übernachtungskostenzuschuss und Fahrtkostenerstattung enthalten sind. Der Stundenlohn des Klägers belief sich zuletzt auf 15,55 €. Er war der tariflichen Lohngruppe 5 (Vorarbeiter) zugeordnet. Die Ehefrau des Klägers ist erwerbstätig.

Die Beklagte führte im August 2005 mit 113 Arbeitnehmern in insgesamt sechs Niederlassungen, davon 24 Arbeitnehmern in der Niederlassung M3xxxxx den Bau/die Montage und die Reparatur von Kühllagern aus und übernahm die Bauleitung verschiedener Baustellen. Dabei nutzte sie Zentralabteilungen, die von ihrem Gesellschafter in der H4xxxxx V2xxx B5xxxx vorgehalten werden. Diese Abteilungen erbringen Dienstleistungen und erledigen Verwaltungsaufgaben für die Niederlassungen gegen Kostenverrechnung. Seine ursprüngliche Behauptung, in M3xxxxx beschäftige die Beklagte nicht regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer, hat der Kläger im Berufungsrechtszug fallen gelassen. Für die Niederlassung M3xxxxx ist ein Betriebsrat mit dem Betriebsratsvorsitzenden S6xxxxxx gebildet. Niederlassungsleiter ist der Handlungsbevollmächtigte B3xxx.

Der Kläger war in der Vergangenheit mit Montageaufgaben auf wechselnden Baustellen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und angrenzender Länder betraut. Nach seiner Versetzung nach M3xxxxx, spätestens ab 2002, war er überwiegend für die Fleischwarenfabrik W5xxxxxx in V1xxxxxx tätig.

Unter dem 17.08.2005 kam es zwischen der Beklagten und dem "Standortbetriebsrat V2xxx B5xxxx der Niederlassung M3xxxxx, zugleich Betriebsrat der G2+H3 K1xxxxxxx- und I1xxxxxxxxxx GmbH" zum Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans. Unterzeichnet ist die Vereinbarung einerseits von dem Geschäftsführer S4xxxxxx und dem Prokuristen und Leiter der zentralen Personalabteilung, Herrn K3xxxx, andererseits für den Betriebsrat der Niederlassung M3xxxxx von dem Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, Herrn R3xxx. Zu letzterem hatte der Betriebsratsvorsitzende S6xxxxxx der Beklagten mitgeteilt (Schreiben vom 01.08.2005, Bl. 258 GA), dass der Betriebsrat beschlossen habe, dass gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG der Gesamtbetriebsratsvorsitzender R3xxx "als Verhandlungsführer des Sozialplans und Interessenausgleichs G+H Kühllagerbau M3xxxxx eingesetzt wird".

In der Vereinbarung (Bl. 14 ff GA) ist festgehalten, dass einfache Montagearbeiten nur noch an Nachunternehmer vergeben werden, dass deshalb für die bislang mit diesen Arbeiten beschäftigten Monteure das Beschäftigungsbedürfnis entfällt und nur noch die bereits zur Bauleitung befähigten Monteure weiterhin beschäftigt werden können. Diese müssten folgenden Anforderungen entsprechen:

" . . .

- Leitung einer Baustelle

- Erkennen von Nachträgen

- Lesen von Leistungsverzeichnissen

- Abwicklung nach QM-Gesichtspunkten

- Erfassung von Regiearbeiten

- Kontrolle von Nachunternehmerleistungen

- Materialdisposition

- Teilnahme an Baubesprechungen

- Berichterstattung an Projektleiter (z.B. über den Baufortschritt)

- Überwachen der vorgegebenen Sicherheitsvorschriften

- Erstellen von Aufmaßen

- Führen des Bautagebuches

- Abnahme unserer Leistungen mit dem Bauherren durchführen

. . . "

Nachfolgend werden in der Vereinbarung neun Mitarbeiter der Niederlassung M3xxxxx namentlich aufgelistet, die nach diesem Anforderungsprofil aus der Sicht der Betriebsparteien als Baustellenleiter fungieren können, und sechs Mitarbeiter namentlich genannt, die als Monteure die Anforderungskriterien nicht erfüllen und entlassen werden sollen. Unter diesen sechs Mitarbeitern befindet sich der Kläger. Den Baustellenleitern zugeordnet ist der Arbeitnehmer W4xxxxxxxx, der nach der Lohngruppe 4 vergütet wird. Zu diesem heißt es im Interessenausgleich:

" . . .

Betrieblich geboten ist nach gemeinsamer Bewertung die Weiterbeschäftigung von Herrn W4xxxxxxxx auch deshalb, da dieser Mitarbeiter direkt von Stammkunden angefordert wird und so die Kontaktperson darstellt, an der die Umsätze mit diesem Kunden hängen. Herr W4xxxxxxxx hat unter Beweis gestellt, dass er kleinere und mittlere Bauvorhaben leiten kann.

. . . "

Alle anderen als Baustellenleiter anerkannten Arbeitnehmer gehören der Lohngruppe 5 an. Die zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer gehörten mit Ausnahme des Klägers der Lohngruppe 4 an.

Mit Schreiben vom 29.08.2005 (Bl. 28 GA) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 28.02.2006. Das Kündigungsschreiben ist unter dem Briefkopf der Niederlassung F1xxxxxxx/M4xx der Beklagten erstellt und von dem Niederlassungsleiter B3xxx sowie dem Personalleiter K3xxxx unterzeichnet, der in F1xxxxxxx ein Büro unterhält. Entsprechend der Namensliste im Interessenausgleich kündigte die Beklagte weiteren fünf Arbeitnehmern, und zwar den Arbeitnehmern L4xxx, R4xxxxxx und H5xxxxxx zum 31.03.2006, den Arbeitnehmern F2xxxxx und Z1xx zum 31.01.2006. Die Kündigungsschreiben stammen in vier Fällen ebenfalls vom 29.08.2005, im Fall des Arbeitnehmers F2xxxxx vom 29.09.2005. Während die Kündigungsschreiben vom 29.08.2005 am selben Tag zur Post gegeben wurden, übergab der Niederlassungsleiter B3xxx das Kündigungsschreiben an Herrn F2xxxxx entgegen einer Anweisung des Personalleiters, der die Massenentlassungsanzeigeproblematik vermeiden wollte, irrtümlich bereits am 26.09.2005.

Mit der am 06.09.2005 beim Arbeitsgericht Münster eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses gewandt. Er hat mit Nichtwissen die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung gerügt. Zudem hat er die Ansicht vertreten, die durchgeführte Sozialauswahl sei grob fehlerhaft. Bei der Niederlassung M3xxxxx handele es sich schon nicht um einen Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne, so dass die Sozialauswahl nicht auf die Niederlassung M3xxxxx habe beschränkt werden dürfen. Die Sozialauswahl sei vielmehr auf alle anderen Niederlassungen zu erstrecken gewesen, zumal er bundesweit eingesetzt und arbeitsvertraglich versetzbar gewesen sei. Vor allem aber sei er, so hat er behauptet, nicht der Gruppe der Monteure, sondern der der Baustellenleiter zuzuordnen, denn er erfülle im Gegensatz zu dem Arbeitnehmer W4xxxxxxxx die im Interessenausgleich genannten Anforderungskriterien vollständig. Schließlich sei die Kündigung unwirksam, weil die Beklage vor Ausspruch der Kündigung keine Massenentlassungsanzeige erstattet habe.

Der Kläger hat beantragt,

dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung vom 29.08.2005 mit dem 28.02.2006 endet.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, der bereits im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen vollständig unterrichtete Betriebsrat sei zur Kündigung des Klägers mit Anhörungsbogen vom 19.08.2005 (Bl. 115 GA) nebst erläuterndem Zusatzschreiben (Bl. 116 GA) und einer Beurteilung der Tätigkeit des Klägers angehört worden. Er habe der Kündigung mit Stellungnahme vom 25.08.2005 (Bl. 277 GA) nicht widersprochen. Zur Betriebsbedingtheit der Kündigung und zur Sozialauswahl beruft sich die Beklagte auf die Wirkungen des Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG. Die Entscheidung des Niederlassungsleiters, einfache Montagearbeiten in Zukunft von Subunternehmern ausführen zu lassen, stelle eine Betriebsänderung dar. Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß erfolgt. Bei der Niederlassung M3xxxxx handele es sich gemäß § 7 Ziffer 2.2 S.1 BRTV-Bau um einen eigenständigen Betrieb. Die Niederlassung werde in kaufmännischer, technischer und personeller Hinsicht selbständig und eigenverantwortlich geführt. Die zentrale Personalabteilung gewähre dem Niederlassungsleiter bei Einstellungen, Abmahnungen und Kündigungen lediglich rechtliche Beratung und Hilfestellung bei der Umsetzung der vom Niederlassungsleiter beabsichtigten und getroffenen Maßnahmen. Der Kläger sei nur diesem Betrieb zugehörig gewesen und damit (nur) auf Bau- und sonstigen Arbeitsstellen dieses Betriebes einsetzbar gewesen. Er sei als Monteur/Obermonteur, nicht als Baustellenleiter tätig gewesen, habe ab 1999 hauptsächlich Tagelohnarbeiten (Stundenlohnarbeiten) durchgeführt und sei zum Teil als Helfer bzw. zweiter Mann auf den Baustellen zum Einsatz gekommen. Gelegentlich habe er entsprechend seiner Lohngruppe 5 Montagetrupps geführt. Dies sei mit der Leitung von Baustellen, die die verantwortliche Koordination alle am B4x Beteiligten beinhalte, nicht vergleichbar. Einer Massenentlassungsanzeige habe es nicht bedurft, da nicht mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen "entlassen" - im Sinne eines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis - worden seien. Das Bundesarbeitsgericht habe an diesem Entlassungsbegriff in seiner Entscheidung vom 24.02.2005 noch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 27.01.2005 festgehalten.

Mit dem am 17.01.2006 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl sei unter Zugrundelegung des auf einer Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG beruhenden Interessenausgleichs, der wirksam zustande gekommen sei, nicht grob fehlerhaft. Bei der Niederlassung M3xxxxx handele es sich entgegen der Ansicht des Klägers um einen eigenständigen Betrieb. Der Vortrag des Klägers lasse nicht ausreichend erkennen, dass die Beklagte ihn willkürlich der Gruppe der Monteure statt der Gruppe der Baustellenleiter zugeordnet habe. Hinsichtlich des Arbeitnehmers W4xxxxxxxx stehe schon nicht fest, dass dieser über günstigere Sozialdaten verfüge als der Kläger. Eine Massenentlassungsanzeige sein entbehrlich gewesen, da eine Massenentlassung im Sinne des § 17 KSchG nicht vorgelegen habe. Abzustellen sei entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf den Ausscheidenszeitpunkt der gekündigten Arbeitnehmer, nicht auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärungen selbst.

Gegen das ihm am 26.01.2006 zugestellte und wegen seiner weiteren Einzelheiten in Bezug genommene Urteil hat der Kläger mit am 10.02.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 26.04.2006 am 21.04.2006 begründet hat.

Der Kläger macht im Rahmen der von ihm weiter behaupteten groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl geltend, der Begriff "Obermonteur", als der er eingesetzt gewesen sei, sei mit dem des Baustellenleiters gleichzusetzen. Zudem seien sämtliche Mitarbeiter der Beklagten, die im Interessenausgleich vom 17.08.2005 namentlich aufgeführt worden seien, Monteure, die allesamt abwechselnd als Baustellenleiter zum Einsatz gekommen seien. Er selbst sei vom ehemaligen Leiter der Niederlassung B2xxxxxxx bis A1xxxx 1999 ständig mit Baustellenleitungen beauftragt worden. Auch danach sei er zwischen 2000 und 2005 immer wieder als Baustellenleiter tätig gewesen. Auf die dazu verfasste Zusammenstellung des Klägers in der Berufungsbegründung (Bl. 174 ff. GA) und die Anlagen zur Berufungsbegründung K 1 bis K 60 wird verwiesen. Auch bei seiner Tätigkeit für die Fleischwarenfabrik W5xxxxxx in V1xxxxxx, wo er in den letzten Jahren fast ausschließlich gearbeitet habe, sei er Baustellenleiter im Sinne des Anforderungsprofils aus dem Interessenausgleich gewesen.

Die Beklagte könne sich, so meint der Kläger weiter, zudem ohnehin nicht auf die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG berufen, da kein wirksamer Interessenausgleich zustande gekommen sei. Insbesondere habe der Betriebsrat der Niederlassung M3xxxxx die Namensliste nicht ordnungsgemäß beschlossen. Eine Übertragung seiner Willensbildung auf den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden sei nicht zulässig. Es sei auch zweifelhaft, ob die im Interessenausgleich enthaltene Feststellung der fehlenden Vergleichbarkeit von Monteuren und Baustellenleitern tatsächlich mit einer Namensliste im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG gleichzusetzen sei. Da letztlich alle Monteure miteinander vergleichbar seien, ergebe sich aus deren Sozialdaten (Bl. 199 GA), dass er, der Kläger neben dem ebenfalls gekündigten Arbeitnehmer L4xxx der sozial Schutzwürdigste sei. Es sei zu vermuten, dass er wegen eines im Sommer 2005 erlittenen Bandscheibenvorfalls in die Liste der "Monteure" geraten sei. Der Kläger bestreitet schließlich das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses für die Kündigung sowie die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats. Er hält weiterhin die Kündigung wegen der unterbliebenen Massenentlassungsanzeige für unwirksam.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Münster vom 17.01.2006 - 3 Ca 2130/05 - festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die arbeitgeberseitige ordentliche Kündigung vom 29.08.2005 mit dem 28.02.2006 beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Interessenausgleich und Sozialplan sei wirksam zustande gekommen, denn sie habe sich darauf verlassen dürfen, dass der ihr vom Betriebsrat der Niederlassung M3xxxxx als Verhandlungsführer nach § 50 Abs. 2 BetrVG benannte Gesamtbetriebsrat zu Erklärungen befugt gewesen sei, die vom Beschluss des Betriebsrats gedeckt seien. Die vom Kläger zusammengestellten Tätigkeiten, bei denen es sich vielfach lediglich um Tagelohnarbeiten handele, seien keinesfalls als Baustellenleitertätigkeiten zu qualifizieren, wobei die Einsatzfelder eines Baustellenleiters in den von ihr überwiegend abgewickelten Großprojekten zu beachten seien. Die Beklagte hält an ihrem Standpunkt fest, dass eine Massenentlassungsanzeige nicht erforderlich gewesen sei. Zum einen habe sie auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vertrauen dürfen, zum anderen habe die Kündigungserklärung gegenüber dem Arbeitnehmers F2xxxxx nicht vor dem 29.09.2005 rechtswirksam werden können, da es zuvor an einer bewussten und gewollten Herbeiführung der Kündigungsfolgen gefehlt habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

I.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.08.2005 nicht wirksam zum 28.02.2006 aufgelöst worden. Die Kündigung verstößt gegen die Pflichten der Beklagten aus § 17 KSchG. Die streitgegenständliche Kündigung war Teil einer anzeigepflichtigen Massenentlassung, zu der die Anzeige nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG bei der zuständigen Agentur für Arbeit zu erstatten war.

1. Der Kläger hat die Unwirksamkeit der Kündigung wegen eines Verstoßes gegen § 17 KSchG zwar nicht innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG vorgebracht. Er konnte sich aber noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz auf dieses Versäumnis berufen (BAG v. 16.06.2005 - 6 AZR 451/04 - NZA 2005, 1109 zu § 113 Abs. 2 InsO a. F.; BAG v. 23.03.2006 - 2 AZR 343/05 - NZA 2006, 971) und hat dies auch getan.

2. Die Beklagte hätte vor Ausspruch der Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger eine Anzeige nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG erstatten müssen, denn die Kündigung war Teil einer Massenentlassung.

Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als fünf Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Diese Voraussetzungen sind gegeben.

a) Die Beklagte hat am 29.08.2005 fünf Kündigungserklärungen auf den Postweg gebracht. Unabhängig davon, ob es auf diesen Zeitpunkt (so Bauer/Krieger/Powietzka, BB 2006, 2023, 2025 m. w. N.), nicht den Kündigungszugang ankommt, sind die Kündigungsschreiben mangels anderer Erkenntnisse in den Folgetagen auch bei den Kündigungsempfängern eingetroffen. Schließlich wurde am 26.09.2005 ein weiteres Kündigungsschreiben unmittelbar einem sechsten Arbeitnehmer über den Leiter der Niederlassung M3xxxxx ausgehändigt. Die Kündigungserklärungen sind damit innerhalb von 30 Kalendertagen erfolgt. Die Beklagte hat innerhalb von 30 Kalendertagen mehr als fünf Arbeitnehmer des Betriebes in M3xxxxx entlassen.

Entgegen der bis Februar 2005 praktizierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG v. 18.09.2003 - 2 AZR 79/09 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 14; v. 24.02.2005 - 2 AZR 207/04 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 20) ist unter dem Begriff "Entlassung" in § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG nicht erst die damit beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern bereits der Kündigungsausspruch zu verstehen. Der 2. Senat des BAG ist erstmals in seiner Entscheidung vom 23.03.2006 (- 2 AZR 343/05 - a. a. O.) der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Junk (v. 27.01.2005 - C-188/03 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 18) gefolgt und hat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG richtlinienkonform ausgelegt. Danach ist "Entlassung" als "Kündigungserklärung" zu interpretieren. Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich dem angeschlossen (v. 13.07.2006 - 6 AZR 25/06 -; 13.07.2006 - 6 AZR 198/06 -). Dem folgt die Berufungskammer.

b) Unerheblich ist entgegen der Ansicht der Beklagten, dass sie die sechste Kündigungserklärung erst nach Ablauf des 30-Tages-Zeitraums bezogen auf die Kündigungen vom 29.08.2005 abgeben wollte. Tatsächlich ist die Kündigungserklärung dem sechsten Arbeitnehmer am 26.09.2005 wirksam zugegangen und hat die mit ihr verbundenen Rechtsfolgen entfaltet (vgl. BAG v. 04.11.2004 - 2 AZR 17/04 - AP BGB § 623 Nr. 3). Abgegeben ist die Erklärung, wenn der Erklärende seinen rechtsgeschäftlichen Willen erkennbar so geäußert hat, dass an der Endgültigkeit der Äußerung kein Zweifel möglich ist und sie mit dem Willen des Erklärenden in den Verkehr gebracht worden ist (Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. § 130 Rn. 4 m. w. N.). Die Kündigungserklärung wurde für die Beklagte durch den Niederlassungsleiter innerhalb der diesem nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten zugebilligtem Vertretungsmacht abgegeben (§ 164 BGB). Das dies versehentlich vorzeitig geschah, ändert nichts an ihrem tatsächlichen Ausspruch. Dass dem Niederlassungsleiter, auf den gemäß § 166 BGB abzustellen ist, bei Übergabe des Kündigungsschreibens der Handlungswille fehlte, womit er sich keiner rechtsgeschäftlichen Erklärung entäußert hätte, ist nicht ersichtlich. Für den Arbeitnehmer F2xxxxx war auch nicht ein geheimer Vorbehalt (§ 116 BGB) erkennbar, dass das Erklärte gar nicht gewollt oder nicht ernst gemeint (§ 117 BGB) war. Ebenso wenig bewirkte das Datum im Kündigungsschreiben (29.09.2005), dass die Kündigungserklärung ihre Wirksamkeit erst ab diesem Zeitpunkt entfalten sollte. Als einseitiges empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft unterfällt die Kündigung dem Verdikt der Unzulässigkeit eines rechtlichen Schwebezustands, der mit dem im Kündigungsrecht herrschenden Grundsatz der Rechtsklarheit (vgl. KR-Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG Rn. 170) nicht vereinbar ist. Die Beklagte behauptet auch selbst nicht, dass sie mit dem Arbeitnehmer F2xxxxx bei Übergabe des Kündigungsschreibens vereinbart hat (§ 130 BGB ist dispositiv), den Zugangszeitpunkt auf einen späteren Termin zu verlegen oder dass der Niederlassungsleiter dem Arbeitnehmer das Kündigungsschreiben zunächst erkennbar nur zu Informationszwecken vorab übermittelt hat. Ebenso wenig hat die Beklagte die Kündigungserklärung nach § 119 BGB angefochten, um sie später nachzuholen.

c) Dass es sich bei der Niederlassung der Beklagten in M3xxxxx um einen Betrieb handelt - wozu das Arbeitsgericht im Einzelnen eingegangen ist - hat der Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr konkret in Abrede gestellt. Es ist auch unstreitig geworden, dass die Beklagte in der Niederlassung M3xxxxx im Kündigungszeitpunkt mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigte. Mit der mit der Entlassung von sechs Monteuren verbundenen Betriebseinschränkung gelangte die Beklagte zwar unter den in § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG genannten Schwellenwert, allerdings erst Ende März 2006.

Die regelmäßige Beschäftigtenzahl im Sinne des § 17 KSchG lag im maßgeblichen Zeitpunkt bei über 20.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG war maßgebender Zeitpunkt für die Bestimmung der Zahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG der Zeitpunkt der Entlassungen, d. h. der Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfristen für die Arbeitsverhältnisse, um deren Anzeigepflicht es geht (BAG v. 31.07.1986 - 2 AZR 594/85 - und v. 08.06.1989 - 2 AZR 624/88 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 5, 6; v. 24.02.2005 - 1 AZR 207/04 - a. a. O.). Nach der Neuausrichtung der Rechtsprechung zum Entlassungsbegriff ist daran nicht festzuhalten, sondern auf den Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs abzustellen (a. A. ErfK/Kiel, 7. Aufl., § 17 KSchG Rn. 11). Bei dem unbestimmten Rechtsbegriff, der "in der Regel" Beschäftigten, der im Hinblick auf die kontinuierliche Verwendung durch den Gesetzgeber in verschiedenen kündigungsschutzrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften einheitlich auszulegen ist (BAG v. 31.07.1986 - 2 AZR 594/85 - a. a. O.), kommt es nicht auf die im konkreten Zeitpunkt - des Kündigungsausspruchs - beschäftigten Arbeitnehmer, auch nicht auf die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in einem bestimmten Zeitraum, sondern die Personalstärke an, die für den Betrieb im Allgemeinen, also bei regelmäßigem Gang des Betriebes kennzeichnend ist. Erforderlich ist ein Rückblick und eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung. In Fällen der Betriebsstillegung wie auch der Betriebseinschränkung ist allerdings nur der Rückblick auf die bisherige Beschäftigtenzahl zur Berechnung des Schwellenwertes maßgeblich (BAG v. 22.01.2004 - 2 AZR 237/03 - AP KSchG 1969 § 23 Nr. 31). Eine Betriebseinschränkung liegt hier vor, da in der Niederlassung M3xxxxx für bestimmte Arbeiten nur noch Subunternehmen beauftragt werden sollten, was den Personalabbau im Monteursbereich veranlasste.

d) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, sie habe auf die frühere BAG-Rechtsprechung und die daraus resultierende Verwaltungspraxis der Bundesagentur für Arbeit vertrauen können. Zwar wäre danach eine Massenentlassungsanzeige nicht erforderlich gewesen, denn bei der Beklagten sind über die ausgesprochenen Kündigungen wegen der unterschiedlichen Kündigungsfristen nicht sechs Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Auch hat das Bundesarbeitsgericht erst mit der Entscheidung vom 23.03.2006 (- 2 AZR 343/05 - a. a. O.) seine Rechtsprechung zum Entlassungsbegriff in § 17 KSchG ausdrücklich aufgegeben. Das Vertrauen in eine ständige Rechtsprechung und Verwaltungspraxis ist aber nur insoweit geschützt, als eine Änderung nicht dazu führen darf, dass einer Partei nachträglich Handlungspflichten auferlegt werden, die sie rückwirkend nicht mehr erfüllen kann und die die von der Rückwirkung betroffene Partei auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Prozessgegners unzumutbar belasten würde (BAG v. 23.03.2006 - 2 AZR 343/05 - a. a. O.). Dabei ist nicht nur die Rechtsprechung zu berücksichtigen, sondern auch die Einschätzung der Rechtsfolgen der EuGH-Entscheidung vom 27.01.2005 durch die Bundesagentur für Arbeit (BAG v. 13.07.2006 - 6 AZR 198/06 -).

Abgesehen davon, dass der Beklagten bei Kündigungsausspruch nach ihrem eigenen Vorbringen durchaus bewusst war, dass sie bei einem gleichzeitigen Kündigungsausspruch gegenüber allen sechs Arbeitnehmern in die durch die EuGH-Entscheidung hervorgerufene Massenentlassungsproblematik geriet, hat die Arbeitsverwaltung ihre Verwaltungspraxis spätestens im April 2005 und damit mehrere Monate vor der Kündigung des Klägers umgestellt. Die Bundesagentur für Arbeit hat ihre Dienststellen mit Schreiben vom 15.04.2005 unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 27.01.2005 aufgefordert, § 17 KSchG im Sinne dieses Urteils auszulegen und anzuwenden (AuR 2005, 224). In der Pressemitteilung 015 vom 29.04.2005 mit der Überschrift "Wichtig für Arbeitgeber: Massenentlassungen vor Kündigung anzeigen!", die auch in den Internetauftritt der Bundesagentur für Arbeit eingestellt wurde, wird ebenfalls über die EuGH-Entscheidung informiert und die Schlussfolgerung gezogen, dass nunmehr erst nach Eingang der Massenentlassungsanzeige bei der zuständigen Arbeitsagentur eine Kündigung wirksam erklärt werden könne. Die Durchführungsanweisungen für die Arbeitsagenturen zum 3. und 4. Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes (DA KSchG) wurden schließlich mit der Ergänzungslieferung für Juli 2005 auf den aktuellen Stand gebracht, nachdem das maßgebliche Merkblatt "Anzeigepflichtige Entlassungen" bereits vorher geändert worden war (Dzida/Hohenstatt, DB 2006, 1897, 1899). Die Beklagte, die die Rechtsproblematik kannte, hätte sich bei der für sie zuständigen Arbeitsagentur unschwer erkundigen können, welche Einschätzung zur Anzeigepflicht nach § 17 KSchG dort herrschte, um auf der Grundlage der Vorgaben der vorgesetzten Behörde von der Änderung der Verwaltungspraxis zu erfahren.

Auch aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.02.2005 (2 AZR 207/04 a. a. O.) konnte die Beklagte nicht herleiten, dass das Bundesarbeitsgericht an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 17 KSchG festhalten würde. Die Entscheidung erwähnt die Junk-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes lediglich ergänzend und ohne dass des für die BAG-Entscheidung tragend auf sie ankam.

3. Der Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach § 17 Abs. 1 KSchG führt - unabhängig von der Frage, ob die Kündigung damit unwirksam ist (so etwa Riesenhuber/Domröse NZA 2005, 568, 569) - jedenfalls dazu, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auflösen konnte (BAG v. 16.06.2005 - 6 AZR 451/04 - a. a. O.; v. 23.03.2006 - 2 AZR 343/05 - a. a. O.; v. 13.07.2006 - 6 AZR 198/06 -). Das angefochtene Urteil war damit abzuändern, der Kündigungsschutzklage war stattzugeben, ohne dass es noch auf die übrigen zwischen den Parteien im Streit befindlichen rechtlichen und tatsächlichen Aspekte ankommt.

II.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Bei der Streitwertentscheidung für das Berufungsverfahren nach §§ 63 Abs. 2, 42 Abs. 4 GKG, 3 ZPO hat die Berufungskammer das Feststellungsbegehren des Klägers wie das Arbeitsgericht bewertet.

Das Berufungsgericht hat im Hinblick darauf, dass im Zeitpunkt des Erlasses des Urteils die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.07.2006 nur als Pressemitteilung vorlag, die Revision nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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