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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.05.2006
Aktenzeichen: 1 Ta 72/06
Rechtsgebiete: KSchG, BGB, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 5
BGB § 130
BGB § 278
ZPO § 85
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 22.12.2005 - 4 Ca 2861/05 - teilweise abgeändert.

Der Antrag der Klägerin auf nachträgliche Klagezulassung wird als unzulässig verworfen, soweit er sich auf eine per Einschreiben übermittelte Kündigung der Beklagten vom 29.07.2005 erstreckt.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde (soweit sie sich auf die per Botin zugestellte Kündigung der Beklagten vom 29.07.2005 erstreckt) zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Wert des Beschwerdegegenstandes: 5.136,00 €

Gründe:

I.

Die Klägerin erstrebt die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage.

Die im Oktober 1980 geborene, verheiratete Klägerin wurde von der Beklagten mit Wirkung ab April 2003 als kaufmännische Angestellte eingestellt. Sie bezog zuletzt ein Gehalt von durchschnittlich 1.712,00 € brutto im Monat. Im Juni 2005 erteilte ihr die Beklagte drei Abmahnungen, gegen die sie sich mit einer am 12.07.2005 anhängig gemachten Klage zur Wehr setzte (Arbeitsgericht Iserlohn 4 Ca 2160/05). Der Rechtsstreit ruht zur Zeit.

Die Klägerin war ab Ende Juni 2005 arbeitsunfähig erkrankt.

Mit Schreiben vom 29.07.2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2005. Am 05.09.2005 informierte die Klägerin ihren Prozessbevollmächtigten aus dem Verfahren 4 Ca 2160/05, der auch ihr jetziger Prozessbevollmächtigter ist, darüber, dass die Krankenkasse ihr mitgeteilt habe, dass sie zum 31.08.2005 bei der Kasse abgemeldet worden sei. Auf die Anfrage ihres Prozessbevollmächtigten vom 07.09.2005, was es mit dieser Tatsache auf sich habe, verwies der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Fax vom 09.09.2005 darauf, in den Briefkasten der Klägerin sei am 29.07.2005 durch die Zeugin M3xxxx ein Kündigungsschreiben geworfen worden. Dieser Umstand wurde im Gütetermin des Verfahrens 4 Ca 2160/05 am 13.09.2005 in Anwesenheit der Klägerin sowie deren Ehemanns erörtert. Die Klägerin stellte in der Verhandlung den Erhalt einer Kündigung in Abrede. Im Anschluss an den Gütetermin brach der Ehemann der Klägerin noch im Gerichtsgebäude zusammen.

Mit der am 19.09.2005 beim Arbeitsgericht Iserlohn eingegangenen Klage hat die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.07.2005 - der Kläger zugegangen am 13.09.2005 - aufgelöst ist, sondern ungekündigt fortbesteht;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Hilfsweise hat sie außerdem beantragt,

die Klage nachträglich zuzulassen.

Nachfolgend hat sie außerdem ihre tatsächliche Weiterbeschäftigung bei der Beklagten begehrt.

Zu dem Antrag auf nachträgliche Klagezulassung hat die Klägerin behauptet, ihr Ehemann habe das Kündigungsschreiben im Briefkasten seiner mit im Hause wohnenden Eltern entnommen, in seine Jacke gesteckt und dann vergessen, es ihr auszuhändigen. Dies sei ihm erst bei der Güteverhandlung am 13.09.2006 wieder eingefallen, was offensichtlich zu seinem körperlichen Zusammenbruch geführt habe. Sie habe das Kündigungsschreiben an diesem Tag zu Hause in der Jacke gefunden und ihren Anwalt verständigt.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Mitarbeiterin M3xxxx habe am Morgen des 29.07.2005 das Kündigungsschreiben in den Briefkasten der Klägerin geworfen.

Mit Schriftsatz vom 12.10.2005, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 21.10.2005 zugestellt wurde, hat sie außerdem angegeben, die Kündigung sei der Klägerin zusätzlich auch per Einschreiben vom 29.07.2005 übermittelt worden. Das Einschreiben sei nicht angenommen worden. Im Kammertermin vom 17.11.2005 hat die Beklagte die Ablichtung des Einschreibens vorgelegt, welches den Vermerk der Deutschen Post trägt: "Annahme verweigert".

Die Klägerin hat dazu im Kammertermin vorgetragen, sie habe zu keinem Zeitpunkt die Annahme eines Einschreibens der Beklagten verweigert.

Das Arbeitsgericht hat nach uneidlicher Vernehmung des Ehemanns der Klägerin, des Zeugen H3xxx M1xx und der Zeugin M3xxx die Kündigungsschutzklage vom 19.09.2005 nachträglich zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei der Klägerin am 29.07.2005 durch Einwurf in den Hausbriefkasten zugegangen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe ihr Ehemann ihr das Kündigungsschreiben jedoch nicht übergeben. Es sei vielmehr erst am 13.09.2005 zu ihrer Kenntnis gelangt. Das Versehen ihres Ehemannes müsse sie sich nicht zurechnen lassen. An der rechtzeitigen Klageerhebung sei sie deshalb ohne ihr Verschulden gehindert gewesen. Der Frage, ob die Klägerin oder eine andere Person die Annahme des Einschreibens verweigert habe, sei nicht weiter nachzugehen. Zwar könne eine grundlose Weigerung der Annahme eines Einschreibebriefes einer nachträglichen Klagezulassung entgegenstehen. Dies gelte aber nur, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen der vertraglichen Bestimmungen mit entsprechenden Mitteilungen rechnen müsse. Entsprechend Umstände hätten hier nicht vorgelegen.

Gegen den ihr am 20.01.2006 zugestellten und wegen seiner weiteren Einzelheiten in Bezug genommenen Beschluss hat die Beklagte mit am 31.01.2006 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Sie macht geltend, die Klägerin habe bereits aufgrund der Mitteilung der Krankenkasse, die sie wahrscheinlich schon vor dem 31.08.2005 erreicht habe, von der Kündigung gewusst. Zudem habe sich die Klägerin das Versäumnis ihres Ehemannes, der als Bote agiert habe, zurechnen zu lassen.

Schließlich habe die Klägerin die Annahme des Einschreibens persönlich am 30.07.2005 verweigert (Beweis: Zeugnis der A1xxxxxxx H4xxxxx, zu laden über die Deutsche Post AG, ZSP Hemer). Auch habe die Klägerin nach den drei vorangegangenen Abmahnungen durchaus mit einem Kündigungsausspruch rechnen müssen und auch tatsächlich gerechnet.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist nach § 5 Abs. 4 KSchG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 78 ArbGG, 567, 569 ZPO). Sie ist mithin zulässig. Sie ist teilweise begründet, teilweise unbegründet.

1. Der angefochtene Beschluss verhält sich zu zwei Gründen, die für eine nachträgliche Klagezulassung in Betracht kommen, nämlich zum einen zu der Behauptung der Klägerin, das von der Zeugin M3xxxx in einen der zum Haus gehörigen Briefkästen eingeworfene Kündigungsschreiben vom 29.07.2005 sei ihr erst am 13.09.2005 zur Kenntnis gelangt, zum anderen zu der Behauptung der Klägerin, sie habe die Annahme des Einschreibens vom 29.07.2005, das nach Angaben der Beklagten ebenfalls die ordentliche Kündigung vom selben Tage enthielt, nicht verweigert und - so ist ihr Vortrag zu verstehen - demzufolge auch von dieser Kündigung keine Kenntnis gehabt.

Die beiden geltend gemachten Zulassungsgründe beziehen sich also auf einen einheitlichen Kündigungsvorgang, bei dem die Kündigungserklärung der Beklagten auf zweifache Weise verlautbart wurde. Es kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass ihre Feststellungsbegehren auch die Kündigung erfassen, auf die sich die Beklagte im Schriftsatz vom 12.10.2005 erstmals berufen hat, denn es ist davon auszugehen, dass sich die Klägerin gegen den einheitlichen Kündigungsvorgang zur Wehr setzen will (vgl. BAG v. 14.09.1994 - AP Nr. 32 zu § 4 KSchG 1969). Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass auch der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung, den auch das Arbeitsgericht als auf beide Zulassungstatbestände bezogen gewertet hat, ein einheitliches rechtliches Schicksal haben muss, denn die Parteien streiten um zwei Kündigungserklärungen, die der Klägerin zu unterschiedlichen Zeitpunkten auf unterschiedliche Art zugegangen sind / zugegangen sein sollen/ als zugegangen gelten sollen und zu denen auch unterschiedliche Sachverhalte zur Begründung des nachträglichen Klagezulassungsbegehrens vorgetragen sind. Dass Kündigungserklärungen, die einen einheitlichen Lebensvorgang bilden, ein unterschiedliches rechtliches Schicksal nehmen können, hat das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 19.12.1970 (AP Nr. 39 zu § 3 KSchG) festgehalten.

2. Auf diesem Hintergrund hat die sofortige Beschwerde Erfolg, soweit das Arbeitsgericht die Klage auch für eine per Einschreiben erklärte Kündigung der Beklagten nachträglich zugelassen hat. Zu dieser Kündigung hat die Klägerin nämlich schon die Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG versäumt.

a) Auf den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung kommt es allerdings nur an, wenn die Kündigungsschutzklage - soweit sie auch die per Einschreiben versandte Kündigung erfasst - verspätet erhoben worden ist. Dies setzt voraus, dass das Einschreiben, das der Klägerin unstreitig nicht zugegangen ist, überhaupt als ihr zugegangen zu behandeln ist (vgl. dazu Palandt/Heinrichs BGB 65. Aufl. § 130 Rn. 10 m. w. N.; BAG v. 22.09.2005 - AP Nr. 24 zu § 130 BGB; BGH v. 26.11.1997 - NJW 1998, 976; KR-Friedrich 7. Aufl. § 4 KSchG Rn. 119, 120; HaKo-Fiebig, Kündigungsschutzgesetz 2. Aufl. Einl. Rn. 56). Diese Frage ist dem Hauptsacheverfahren zuzuweisen. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts im Zwischenverfahren zur beantragten nachträglichen Klagezulassung befasst sich ausschließlich mit der Frage, ob die unterstellt verspätete Klage vom 19.09.2005 nachträglich zuzulassen ist, die etwaige Verspätung also von der Klägerin verschuldet ist oder nicht bzw. ob der Zulassungsantrag die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1, 3 KSchG erfüllt (vgl. KR-Friedrich, § 5 KSchG Rn. 133 f. m. w. N.; HK-Hauck, 4. Aufl. § 5 KSchG Rn. 68; APS/Ascheid 2. Aufl. § 5 KSchG Rn. 104, 131; LAG Hamm v. 29.04.2004 - 1 Ta 555/03 -; v. 20.07.2005 - 1 Ta 242/05 -; zur teilweise anderen Ansicht: BAG v. 28.04.1983 und v. 05.04.1984 - AP Nr. 4, 6 zu § 5 KSchG 1969). Das Bundesarbeitsgericht begründet seine anderslautende Ansicht im Wesentlichen damit, dass Voraussetzung für das Verfahren nach § 5 KSchG stets die Versäumung der Frist des § 4 KSchG sei und deshalb ein Beschluss nach § 5 KSchG nur ergehen dürfe, wenn die Klage verspätet ist. Die Klärung anderer Vorfragen sei demgegenüber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Die gerichtliche Praxis zeigt jedoch, dass sich die nach dieser Ansicht im Verfahren nach § 5 KSchG zu klärenden und die dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Fragen teilweise nur schwer unterscheiden lassen. Es ist zudem nicht überzeugend, sie teilweise dem nachträglichen Klagezulassungsverfahren mit seiner erleichterten Beweisführung und seinem Zwei-Instanzen-Zug zu überantworten, andere Klärungen aber dem den Strengbeweis fordernden Hauptsacheverfahren, ggf. mit der Möglichkeit der Revision, zu unterwerfen, obwohl von ihnen oft genug der Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens in gleicher Weise abhängt (ebenso z. B. LAG Sachsen-Anhalt v. 22.10.1997 - LAGE § 5 KSchG Nr. 92; LAG Köln v. 17.08.2001 - RzK I 10 d Nr. 109; LAG Hessen v. 24.08.2004 - LAGE § 5 KSchG Nr. 108 b; LAG Düsseldorf v. 17.07.2002 - 15 Ta 291/02 -).

b) Unterstellt man eine der Klägerin am 30.07.2005 als zugegangen zu behandelnde und damit verspätet gerichtlich angegriffene Kündigung, scheitert die nachträgliche Klagezulassung zu ihr daran, dass die Klägerin die zweiwöchige Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG nicht gewahrt hat. Der Antrag auf nachträgliche Zulassung einer verspätet erhobenen Klage muss gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt und begründet werden, welches der rechtzeitigen Erhebung der Kündigungsschutzklage entgegen stand.

Die Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG beginnt dabei schon dann, wenn die Kenntnis vom Wegfall des Hindernisses bei Aufbieten der zumutbaren Sorgfalt hätte erlangt werden können (KR-Friedrich § 5 KSchG Rn. 104 a; Rn. 110 ff. m. w. N.; LAG Hamm v. 29.09.1987 und v. 16.05.1991 - LAGE § 5 KSchG Nr. 31, 53). Dabei ist, wenn der Arbeitnehmer einen Prozessbevollmächtigten hat, regelmäßig auf die Kenntnis der Prozessbevollmächtigten von der Versäumung der Klagefrist abzustellen (vgl. die Nachweise bei KR-Friedrich § 5 KSchG Rn. 118 f.). Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG steht dem Verschulden der Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO gleich (vgl. LAG Hamm v. 24.09.1987 a. a. O.).

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hätte die Versäumung der Drei-Wochen-Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) bezüglich einer der Klägerin per Einschreiben zugegangenen Kündigung bei gehöriger und ihm abzuverlangender Sorgfalt mit Zugang des Schriftsatzes der Beklagten vom 12.10.2005 am 21.10.2005 als jedenfalls möglich ins Kalkül ziehen müssen. Er war gehalten, den für die Klägerin sichersten Wege zu beschreiten, d. h. innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Schriftsatzes den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung mit Gründen zu versehen, die sich auf diese weitere Kündigungserklärung bezogen. Die Klägerin hat aber erst im Kammertermin vom 17.11.2004 den Kündigungszugang bestritten und damit gleichzeitig die Unkenntnis von einer weiteren Kündigung dargelegt. Der Antrag der Klägerin auf nachträgliche Klagezulassung war bezogen auf diese weitere Kündigung deshalb als unzulässig zu verwerfen. Auf die Frage eines Verschuldens der Klägerin an der Klagefristversäumnis kommt es insoweit nicht mehr an. Ob die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 KSchG überhaupt zu laufen begonnen hatte, bleibt der Entscheidung des Arbeitsgerichts im Hauptsacheverfahren überlassen.

2. Hinsichtlich der per Boten zugegangenen Kündigung vom 29.07.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht nachträglich zugelassen.

a) Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Antrag nach § 5 KSchG sind, wie auch die Beklagte nicht in Abrede stellt, erfüllt.

b) Die Klägerin war an der Einhaltung der Klagefrist trotz aller ihr nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert (§ 5 Abs. 1 KSchG).

Abzustellen ist darauf, was dem Arbeitnehmer in seiner konkreten Situation und seinem konkreten Fall an Sorgfalt abverlangt werden kann. Es darf ihn unter Beachtung dieses Maßstabes kein Verschulden, auch nicht in Form leichter Fahrlässigkeit, an der Nichteinhaltung der Klagefrist treffen. Die Klägerin hat unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse in ihrer konkreten Situation die ihr mögliche und zumutbare Sorgfalt hinsichtlich der Einhaltung der Klagefrist aufgewendet. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Arbeitsgericht hat die Klägerin erst am 13.09.2005 von der per Boten zugegangenen Kündigung der Beklagten Kenntnis erlangt. Die Beklagte wendet sich nicht gegen die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts, sondern meint, die Klägerin müsse sich das Versäumnis des Ehemannes, der als Empfangsbote gehandelt habe, zurechnen lassen. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. § 85 Abs. 2 ZPO kommt nicht zur Anwendung, da diese Bestimmung lediglich das Einstehenmüssen einer Prozesspartei für das Handeln ihres Prozessbevollmächtigten regelt. § 278 BGB kommt weder direkt noch analog zur Anwendung. § 278 BGB setzt voraus, dass die vom Erfüllungsgehilfen verrichtete Tätigkeit im Bereich des vom Schuldner geschuldeten Verhaltens liegt. Alles für eine rechtzeitige Klageerhebung zu tun, ist aber keine rechtliche Verpflichtung der Klägerin im Verhältnis zur Beklagten. Wenn sie es ihrem Ehemann überließ, ihr zugedachte Schreiben aus dem Hausbriefkasten zu entnehmen und an sie weiterzugeben, hatte dieser dem Ehemann übertragene Aufgabenbereich auch keinen Bezug zu einer etwaigen späteren Prozessführung (vgl. LAG Hessen v. 15.11.1988 - LAGE § 5 KSchG Nr. 41; LAG Niedersachsen v. 24.07.2000 - LAGE § 5 KSchG Nr. 98; LAG Köln v. 28.12.2004 - NZA-RR 2005, 384).

Soweit die Beklagte davon ausgeht, der Klägerin sei bereits vor dem 31.08.2005 durch die Krankenkasse ihre dort erfolgte Abmeldung zu diesem Datum mitgeteilt worden, lässt sich daraus nicht ableiten, dass die Klägerin deshalb auf eine ihr bereits zugegangene Kündigung schließen musste. Die Mitteilung der Abmeldung bei der Krankenkasse konnte nur, wie es tatsächlich geschehen ist, den Anstoß für eine Nachfrage bei der Beklagten nach dem Grund der Abmeldung und bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin den Anstoß für eine Nachfrage bei der Klägerin geben, ob sie tatsächlich keine Kündigung erhalten hatte. Solange noch nicht einmal feststand, dass die Mitteilung der Krankenkasse einen Kündigungsausspruch der Beklagten zum Hintergrund hatte, war es auch nach dem Maß gehöriger Sorgfalt von der Klägerin nicht zu verlangen, dass sie bereits in diesem Stadium die Möglichkeit in Erwägung zog, dass ein etwaiges Kündigungsschreiben im familiären Umfeld in Verlust geraten sein könnte. Die Antragsfrist des § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG begann deshalb nicht bereits mit Zugang des Schreibens der Krankenkasse.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten war insoweit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO.

Für die Festsetzung des Beschwerdewertes war auf den Wert der Hauptsache abzustellen, der gemäß §§ 42 Abs. 4 GKG, 3 ZPO dem Vierteljahreseinkommen der Klägerin bei der Beklagten entspricht.

Ende der Entscheidung

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