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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.02.2008
Aktenzeichen: 10 Sa 1355/07
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BGB, ERA, ERA-ETV


Vorschriften:

ZPO § 256
ArbGG § 101
BGB § 317
BGB § 319
ERA § 3
ERA § 4
ERA-ETV § 4
ERA-ETV § 7
1. Der Arbeitnehmer, der seine Eingruppierung durch eine aufgrund einer freiwilligen Betriebsvereinbarung eingerichteten paritätischen Kommission nach § 7 ERA-ETV NRW vom 18.12.2003 überprüfen lässt, ist nicht gehindert, auch das Arbeitsgericht zur Überprüfung der Eingruppierung anzurufen.

Die Überprüfungsbefugnis des Arbeitsgerichts beschränkt sich nicht auf bloße Verfahrensmängel oder ein grob unbilliges Eingruppierungsergebnis.

Dies gilt mindestens dann, wenn die Eingruppierungsentscheidung der paritätischen Kommission keine ausreichende Begründung enthält.

2. Zur Eingruppierung und Bewertung der Arbeitsaufgaben eines angelernten Chemielaboranten nach § 3 ERA (Handlungs- und Entscheidungsspielraum, Stufe 3 oder 4; Kooperation, Stufe 3 oder 4).


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 19.06.2007 - 5 Ca 100/07 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die zutreffende Eingruppierung des Klägers.

Der am 28.10.1960 geborene Kläger, der über eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker verfügt, steht seit dem 09.04.1980 in den Diensten der Beklagten. Seit 1991 ist er als angelernter Chemielaborant zu einem monatlichen Arbeitsentgelt von zuletzt 3.729,30 € brutto bei der Beklagten tätig.

Beide Parteien sind tarifgebunden. Der Kläger wurde zuletzt nach der Vergütungsgruppe K/T 5/1 des Gehaltsrahmenabkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie vom 19.02.1975 vergütet.

Zum 01.06.2006 wurde im Betrieb der Beklagten das Entgeltrahmenabkommen für die Metall- und Elektroindustrie NRW vom 18.12.2003 - ERA - eingeführt und umgesetzt. Hierzu schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Gesamtbetriebsrat am 10.02.2006 eine Gesamtbetriebsvereinbarung (Bl. 107 ff.d.A.), die unter anderem in Ziffer 7. folgendes vorsah:

"Besonderes Eingruppierungs- und Reklamationsverfahren/Paritätische Kommission

Die Betriebsparteien vereinbaren das besondere Eingruppierungs- und Reklamationsverfahren gem. § 7 ERA-ETV, § 4 Nr. 3 ERA, nach dem sich die weiteren Verfahrensschritte bei Nichtzustimmung des Betriebsrats zur beantragten Eingruppierung sowie die Reklamationsrechte des Beschäftigten richten (Anlage 6 Flussdiagramm). Es wird jeweils eine paritätische Kommission für das Werk M1 und das Werk in D4 eingerichtet, der je (3) vom Arbeitgeber und vom Betriebsrat bestellte Betriebsangehörige angehören. Die Mitglieder, sowie je ein Vertretungsmitglied, werden für das Werk M1 unverzüglich benannt.

In die Entscheidungsfindung der paritätischen Kommission soll die Sachkunde des ERA-Lenkungskreises je nach Notwendigkeit einbezogen werden.

Das besondere tarifliche Eingruppierungs- und Reklamationsverfahren löst die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gem. § 99 ff. BetrVG ab."

Im Betrieb der Beklagten wurde in der Folgezeit die paritätisch besetzte Kommission nach § 4 ERA i.V.m. § 7 ERA-Einführungstarifvertrag - ERA-ETV - gebildet. Hierüber wurden sämtliche Mitarbeiter der Beklagten einschließlich der Bedeutung und Auswirkungen der Einführung des ERA im Betrieb der Beklagten durch Informationsschreiben vom 06.04.2006 (Bl. 49 ff.d.A.) informiert.

Mit Schreiben vom 26.04.2006 (Bl. 57 ff.d.A.) beantragte die Beklagte bei dem Betriebsrat die Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe 8 ERA. Dem Schreiben an den Betriebsrat vom 26.04.2006 war in der Anlage ein Übersichtsblatt aller in der Abteilung 05/0 beschäftigten Mitarbeiter einschließlich der für die jeweiligen Stellen vergebenen Punkte beigefügt (Bl. 58 d.A). Aufgrund einer Arbeitsbewertung der Stelle des Klägers (Bl. 63 ff.d.A.) war die Beklagte zu einer Punktzahl von insgesamt 70 Punkten gelangt. Die Arbeitsbewertung enthielt für den Kläger folgende Tätigkeitsbeschreibung (Bl. 64 d.A.):

"Vorbereitung und Durchführung aller im chemischen Labor anfallenden analytischen Prüfungen hinsichtlich vorgegebener Normen.

- Analyse der betrieblichen Eloxal- und Chromatbäder, Beizen, Salz- und Glykolbäder, Kläranlage nach vorgegebenen Spezifikationen.

- Vorbereitung und Durchführung von Korrosionsversuchen und Korrosionsprüfungen.

- Wartung und Kalibrierung und der Analysegeräte, insbes. Röntgenfloureszensspektrometer."

Der Betriebsrat stimmte der von der Beklagten vorgesehenen Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe 8 ERA mit Schreiben vom 27.04.2006 (Bl. 57 d.A.) zu.

Mit Schreiben vom 26.04.2006 (Bl. 14 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger die vorgesehene Eingruppierung in die Entgeltgruppe 8 ERA mit.

Mit Schreiben vom 22.05.2006 (Bl. 16 f.d.A.) widersprach der Kläger der beabsichtigten vorläufigen Eingruppierung.

Aufgrund des Widerspruchs des Klägers wurde sodann das Verfahren vor der paritätischen Kommission eingeleitet.

Aufgrund der Vielzahl der von Arbeitnehmern der Beklagten erhobenen Widersprüche gegen die beabsichtigte Eingruppierung wurden die Mitarbeiter der Beklagten über den Verfahrensablauf informiert (Bl. 61 f.d.A.).

Die paritätische Kommission, der in ihren Sitzungen vom 22.08.2006 und 01.09.2006 sowohl die Stellenbeschreibung des Klägers als auch dessen Widerspruchschreiben vorlag, kam zu dem Ergebnis, dass im Bereich des Handlungs- und Entscheidungsspielraums die Punkte des Klägers von zwei auf zehn und im Bereich der Kooperation von vier auf zehn heraufgesetzt wurden. Dies hatte zur Folge, dass der Kläger mit nunmehr insgesamt 90 Punkten in die Entgeltgruppe 10 eingruppiert war (Protokoll Bl. 65 ff., 70 ff.d.A.). Mit Schreiben vom 01.09.2006 (Bl. 18 f.d.A.) wurde der Kläger über das Ergebnis der Überprüfung seines Widerspruchs und über die Entscheidung der paritätischen Kommission unterrichtet.

Mit Schreiben vom 11.09.2006 (Bl. 30 d.A.) teilte der Kläger mit, dass er mit der Bewertung der paritätischen Kommission nicht einverstanden sei und bat um eine ausführliche Begründung für die Entscheidungsfindung.

Mit der am 12.01.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage machte der Kläger seine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 12 ERA ab 01.06.2006 geltend und verlangte ferner die Zahlung eines monatlichen Unterschreiterheranführungsbetrages von 100,00 € ab Juni 2006.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die von ihm erhobene Feststellungsklage sei zulässig.

Nach § 4 ERA könnten die Mitarbeiter ihre zutreffende Eingruppierung auch isoliert überprüfen lassen.

Die Entscheidung der paritätischen Kommission sei auch nicht als Schiedsgutachten im Sinne des § 317 BGB lediglich daraufhin zu überprüfen, ob sie im tariflich vorgesehenen Verfahren ergangen und ob ihre Entscheidung grob unbillig sei. Die Entscheidung der paritätischen Kommission sei ohne jegliche Begründung ergangen. Dem Kläger sei lediglich eine kurze Mitteilung über die Entscheidung der Kommission übersandt worden, sie sei nicht begründet worden; sie enthalte lediglich eine bloße Auflistung der Bewertungsstufen und der erreichten Punktwerte. Dies sei unzureichend. Aufgrund welcher Tatsachen die paritätische Kommission zu den entsprechenden Punktzahlen gekommen sei, sei nicht dargestellt worden.

Der Kläger hat ferner die Auffassung vertreten, er sei zutreffenderweise in die Entgeltgruppe 12 ERA einzugruppieren. Er erreiche nämlich mindestens 115 und nicht nur die ihm nach der Entscheidung der paritätischen Kommission zugebilligten 90 Punkte.

Im Bereich des Handlungs- und Entscheidungsspielraums seien entgegen der Auffassung der paritätischen Kommission nicht 10, sondern 40 Punkte anzusetzen, da der Kläger weitgehend ohne Vorgaben selbständig arbeite. Dies ergebe sich im Wesentlichen daraus, dass er als einer von drei Mitarbeitern des chemischen Labors die dort anfallenden Vorgänge überwache und kontrolliere und sich einer Vielzahl von chemischen Substanzen nebst entsprechender Hilfsmittel bediene. Kontrollen und Analysen führe er turnusmäßig und teilweise auf Anforderung anderer Werksabteilungen und/oder Kunden der Beklagten durch. Hinsichtlich der Reihenfolge des Abarbeitens seiner Aufgaben liege der Entscheidungsspielraum ausschließlich bei ihm. Bei Abwesenheit des Laborleiters V3 führe er die Abteilung fachlich und komplett selbständig.

Er sei auch nicht mit einer Versuchsfachkraft nach der Entgeltgruppe 10, sondern mit einem Versuchstechniker vergleichbar, der nach den Niveaubeispielen nach der Entgeltgruppe 12 ERA zu vergüten sei. Dies ergebe sich daraus, dass er eigenverantwortlich über die Versuchs- und Prüfungsverfahren sowie Prüfungsbedingungen entscheide, so wie Störungsbeseitigungen an der automatischen Spektrometeranlage und der dazu gehörenden Probenvorbereitungen vornehme.

Im Bereich der Kooperation erreiche er, der Kläger, statt der vergebenen 10 Punkte mindestens 15 Punkte. Die Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben erfordere neben regelmäßiger Kommunikation und Zusammenarbeit auch regelmäßige Abstimmung. Er habe sich konkret mit den die Analysen in Auftrag gebenden Personen/Abteilungen zu befassen. Mit diesen müssten neben der genauen Fragestellung/Auftragsdefinition stets auch der Erledigungstermin bzw. bestimmte Fristen abgestimmt werden.

Der Kläger hat schließlich die Auffassung vertreten, ihm stehe für den Zeitraum ab Juni 2006 bis April 2007 eine Unterschreiterheranführungszulage in Höhe von monatlich 100,00 € zu. Da er zutreffenderweise in die Entgeltgruppe 12 eingruppiert sei, sei er nach seinem bisherigen Einkommen ein Unterschreiter, da ihm ein Monatsentgelt in Höhe von 3.923,50 € zustehe. Daher sei er mit einem Betrag in Höhe von monatlich 100,00 € brutto monatlich an die ERA-Vergütung für den Zeitraum ab Juni 2006 bis April 2007 heranzuführen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte ihn ab dem 01.06.2006 entsprechend der Entgeltgruppe 12 des Entgeltrahmenabkommens für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 zu vergüten hat,

2. hilfsweise für den Fall der Unbegründetheit des Antrages zu 1. festzustellen, dass die Beklagte ihn ab dem 01.06.2006 entsprechend der Entgeltgruppe 11 des Entgeltrahmenabkommens für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 zu vergüten hat,

3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 700,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2007 zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.05.2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Feststellungsklage sei bereits mangels Bestehens eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Die paritätische Kommission habe die Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe 10 ERA zutreffend vorgenommen. Das Arbeitsgericht sei allenfalls berechtigt zu überprüfen, ob diese Entscheidung im tariflich vorgesehenen Verfahren ergangen und die Beurteilung der paritätischen Kommission grob unbillig sei. Das sei jedoch nicht der Fall. Insoweit komme eine volle gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der paritätischen Kommission nicht in Betracht. Die paritätische Kommission habe die Aufgabe eines Schiedsgutachters, die Einrichtung derartiger paritätischer Kommissionen durch Tarifvertrag sei zulässig.

Im Übrigen sei die Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe 10 ERA auch zu Recht erfolgt. Der Kläger nehme nach der Stellenbeschreibung als angelernter Chemielaborant die Vorbereitung und Durchführung aller im Labor anfallenden analytischen Prüfungen hinsichtlich vorgegebener Normen, Betriebs- und Dienstanweisungen vor. Eine eigenständige Bewertung der Ergebnisse finde allenfalls durch einen Vergleich mit vorgegebenen Sollwerten statt. Auch die Analyse der betrieblichen Eloxal- und Chromatbäder erfolge nach vorgegebenen Spezifikationen. Eigene Entscheidungsmöglichkeiten hinsichtlich der Erledigung seiner Arbeitsaufgaben habe der Kläger hingegen kaum. Insbesondere sei er nicht befugt, über Versuchs- und Prüfverfahren und deren Bedingungen eigenverantwortlich zu entscheiden.

Die Arbeit des Klägers erfordere auch keine regelmäßige Abstimmung mit anderen Personen und Abteilungen, sondern allenfalls vereinzelt situationsbedingte, nicht periodisch wiederkehrende Abstimmungen mit seinem Vorgesetzten und anderen Mitarbeitern des Labors. Insoweit finde lediglich eine gelegentliche Abstimmung statt.

Insgesamt sei die Entscheidung der paritätischen Kommission dem Kläger im Bereich des Handlungs- und Entscheidungsspielraums 10 Punkte und im Bereich der Kooperation 10 Punkte zuzubilligen, nicht zu beanstanden.

Durch Urteil vom 19.06.2007 hat das Arbeitsgericht die Klage insgesamt abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, aufgrund der Vereinbarung des besonderen Eingruppierungs- und Reklamationsverfahrens nach § 7 ERA-ETV in der Gesamtbetriebsvereinbarung vom 10.02.2006 sei die Eingruppierung des Klägers nur beschränkt überprüfbar. Das Verfahren vor der paritätischen Kommission sei eingehalten, die Entscheidung der paritätischen Kommission, die dem Kläger insgesamt 90 Punkte zugebilligt habe, sei ausreichend begründet und in der Sache nicht offenbar unzutreffend oder grob unbillig. Eine Unterschreiterzulage stehe dem Kläger nicht zu, da der Kläger bei Eingruppierung in die Entgeltgruppe 10 ERA Überschreiter sei.

Gegen das dem Kläger am 02.07.2006 zugestellte Urteil, auf dessen Gründe ergänzend Bezug genommen wird, hat der Kläger am 01.08.2007 Berufung zum Landesarbeitsgericht eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 17.10.2007 mit dem am 12.10.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger vertritt erneut die Auffassung, dass seine Eingruppierung in vollem Umfang vom Arbeitsgericht überprüft werden müsse. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Mitarbeiter, die sich gegen eine Eingruppierung wehren wollten, sofort das Arbeitsgericht anrufen könnten, bevor sie eine Entscheidung der paritätischen Kommission erwirkten. Die Tarifvertragsparteien hätten für die Beschäftigten auch kein zwingendes Einspruchsverfahren vorgesehen. Der Rechtsweg bleibe auch bei Durchführung des Reklamationsverfahrens nach § 4 Abs. 3 ERA i.V.m. § 7 ERA-ETV offen. § 7 ERA-ETV habe nur den Zweck, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Ein- und Umgruppierung nach § 99 BetrVG abzulösen. Die Entscheidung der paritätischen Kommission sei voll überprüfbar.

Im Übrigen habe die paritätische Kommission in ihrer Mitteilung vom 01.09.2006 lediglich die erzielten Punktergebnisse genannt. Eine Begründung fehle völlig. Auf welcher Grundlage die Tätigkeit des Klägers bewertet worden sei, werde in keiner Weise offen gelegt. Kein Mitglied der paritätischen Kommission habe sich je den Arbeitsplatz des Klägers angesehen oder auch nur mit ihm über seine Aufgaben gesprochen.

Der Kläger ist nach wie vor der Auffassung, er sei zutreffend in die Entgeltgruppe 12 ERA, mindestens aber in die Entgeltgruppe 11 ERA einzugruppieren. Bei seiner Tätigkeit im Labor stehe ihm ein großer Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu. Analysenmethoden am ICP-Spektrometer würden von ihm eigenständig entwickelt. Er entscheide, ob eine bereits vorhandene Methode zur Analyse genommen werden könne oder ob eine neue Methode erstellt werden müsse. Passende Kalibrations- und Kontrollproben würden selbständig von ihm ausgewählt. Nachdem er bestimmte Methoden am ICP-Spektrometer entwickelt und getestet habe, zeichne der Laborleiter V3 lediglich das Methodenprotokoll ab und genehmige es. Das Gleiche gelte für die Analysenmethoden. Die geeigneten Vorschläge, die der Kläger unterbreite, seien die komplett fertigen Analysenmethoden, die vom Laborleiter V3 lediglich genehmigt und als seine Ideen verkauft würden. Sämtliche Grundlagen würden durch ihn, dem Kläger, und seinem Arbeitskollegen, Herrn F2, erarbeitet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 19.06.2007 - 5 Ca 100/07 - abzuändern und

1. festzustellen dass die Beklagte den Kläger ab dem 01.06.2006 entsprechend der Entgeltgruppe 12 des Entgeltrahmenabkommens für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 zu vergüten hat,

2. hilfsweise für den Fall der Unbegründetheit des Antrages zu 1. festzustellen, dass die Beklagte den Kläger ab dem 01.06.2006 entsprechend der Entgeltgruppe 11 des Entgeltrahmenabkommens für die Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 zu vergüten hat,

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 700,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.01.2007 zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.05.2007 zu zahlen.

Die Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und ist nach wie vor der Auffassung, dass die Entscheidung der paritätischen Kommission nach § 4 Abs. 3 ERA i.V.m. § 7 ERA-ETV als Schiedsgutachterentscheidung lediglich einer beschränkten Überprüfung durch das Arbeitsgericht unterliege. Verfahrensfehler seien der paritätischen Kommission nicht unterlaufen, die Entscheidung sei auch nicht grob unbillig.

Die paritätische Kommission sei auch im vollen Umfange über den Arbeitsplatz des Klägers informiert gewesen. Sie habe sich mit dem Widerspruch des Klägers konkret befasst. Ohne Kenntnisse vom Arbeitsplatz des Klägers hätten die Kommissionsmitglieder eine von der ursprünglichen Entscheidung der Beklagten abweichende Entscheidung nicht treffen können.

Im Übrigen sei der Kläger zutreffend in die Entgeltgruppe 10 ERA eingruppiert. Der Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Klägers als angelernter Chemielaborant sei erheblich eingeschränkt. Die Beklagte, die zu einem maßgeblichen Teil Bauteile für die Luft- und Raumfahrt herstelle, unterliege einem detaillierten Normen- und Qualifizierungssystem (NADCAP). Insbesondere für die Unternehmensteile, die mit Prüfungen befasst seien, seien alle Verfahrensschritte exakt beschrieben und die Verantwortlichkeiten schriftlich niedergelegt. Dies gelte auch für den Arbeitsplatz des Klägers. Die Durchführung von Analysemethoden und Analyseverfahren erfolge im Einzelnen nach Verfahrens- und Arbeitsanweisungen und unter Leitung und auf Anweisung des Laborleiters V3. Dies ergebe sich aus verschiedenen Verfahrensanweisungen (Bl. 113 ff., 119 ff., 199 ff. d.A.). Insoweit stehe den Mitarbeitern des Labors lediglich ein geringer Handlungs- und Entscheidungsspielraum zur Verfügung. Sämtliche Arbeitsschritte zur Analysenerstellung und Dokumentation seien weitgehend festgelegt. Durch den Laborleiter V3 würden die Messprotokolle, insbesondere diejenigen, die den Bereich Forschung und Entwicklung beträfen, kontrolliert und gegebenenfalls korrigiert und freigegeben. Dass der Laborleiter V3 die vom Kläger erarbeiteten Vorschläge letztlich genehmige, stelle auch der Kläger nicht in Abrede.

Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat nämlich die zulässige Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

I.

Die Klage ist insgesamt zulässig.

Soweit der Kläger eine Eingruppierungsfeststellungsklage erhoben hat, fehlt dieser Klage nicht das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Es handelt sich insoweit um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die innerhalb des öffentlichen Dienstes allgemein üblich ist und gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (vgl. zuletzt: BAG, Urteil vom 09.08.2000 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 281; BAG, Urteil vom 12.05.2004 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 301). Eingruppierungsfeststellungsklagen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch im Bereich der Privatwirtschaft zulässig (BAG, Urteil vom 20.06.1984 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 2; BAG, Urteil vom 17.04.1986 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Presse Nr. 4; BAG, Urteil vom 25.09.1991 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 7; BAG, Urteil vom 26.07.1995 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Großhandel Nr. 9; vgl. auch: BAG, Urteil vom 17.03.2005 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 13; LAG Köln, Urteil vom 1.04.2007 - 3 Sa 1405/06 -; LAG Hamm, Urteil vom 07.12.2007 - 7 Sa 1354/07 - m.w.N.).

Dem Feststellungsbegehren des Klägers steht auch nicht entgegen, dass er unter Berücksichtigung des § 4 ERA-ETV nach wie vor der Höhe nach das gleiche monatliche Arbeitsentgelt erhält wie vor dem 01.06.2006. Die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Vergütung aus einer höheren Entgeltgruppe als der Entgeltgruppe 10 ERA zusteht, ist als Vorfrage dafür von Bedeutung, ob er Über- oder Unterschreiter ist. Der Kläger hat ein Interesse daran, in welche Entgeltgruppe er tatsächlich einzugruppieren ist und ob ihm eine Unterschreiterzulage zusteht.

II.

Die Klage ist jedoch insgesamt nicht begründet.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 ERA noch nach der Entgeltgruppe 11 ERA. Er ist zutreffend in die Entgeltgruppe 10 ERA eingruppiert. Hieraus ergibt sich, dass dem Kläger auch nicht die geltend gemachte Unterschreiterzulage in Höhe von monatlich 100,00 € ab 01.06.2006 zusteht.

1. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten und der auch vom Arbeitsgericht vertretenen Ansicht ist die Berufungskammer im vorliegenden Fall nicht an die von der paritätischen Kommission getroffenen Entscheidung vom 01.09.2006 gebunden. In der den Einspruch des Klägers zurückweisenden Entscheidung der paritätischen Kommission vom 01.09.2006 liegt keine Entscheidung eines Schiedsgerichts bzw. einer Schiedsgutachterstelle im Sinne des § 101 ArbGG bzw. des § 317 BGB, die nur eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich wäre.

a) Zwar können in Tarifverträgen betriebliche Einrichtungen wie paritätische Kommissionen oder andere Stellen geschaffen werden, die die Aufgabe eines Schiedsgutachters haben. Eine solche Schiedsgutachterbestellung verstößt grundsätzlich nicht gegen § 101 ArbGG (BAG, Urteil vom 31.01.1979 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Bundesbahn Nr. 2; BAG, Urteil vom 22.01.1997 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 146; LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2007 - 10 Sa 1082/06 - ).

Die Einrichtung einer paritätisch besetzten Bewertungskommission dient grundsätzlich der richtigen Anwendung eines tariflichen Eingruppierungssystems und der zutreffenden Bewertung der einzelnen Funktionen. Weil die einzelnen Tätigkeitsmerkmale, Vergütungsgruppen und insbesondere die einzelnen Bewertungskriterien teilweise sehr allgemein gehalten und weitgehend durch unbestimmte Rechtsbegriffe gekennzeichnet sind, die einen gewissen Beurteilungsspielraum einschließen und deren Anwendung in der betrieblichen Praxis Schwierigkeiten bereiten kann, soll die Einschaltung einer aus Vertretern des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer des Betriebes paritätisch besetzten Kommission mit der Aufgabe, die Bewertung vorzunehmen, die Anwendung des tariflichen Eingruppierungssystem im Betrieb erleichtern und zugleich eine größere Richtigkeitsgewähr gebieten (BAG, Beschluss vom 08.03.1983 - AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 14). Kommissionsentscheidungen haben den Vorteil, betriebsnah zu sein und in den Entscheidungsprozess Personen, denen die betrieblichen Verhältnisse bekannt sind, einzubeziehen (BAG, Urteil vom 17.03.2005 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 13).

b) Die Tarifvertragsparteien haben aber in § 7 ERA-ETV keine Schiedsgutachterstelle im Sinne des § 101 ArbGG geschaffen.

Zwar ist in § 7 Abs. 1 ERA-ETV vorgesehen, dass mit der Vereinbarung des besonderen Eingruppierungs- und Reklamationsverfahrens durch die Betriebsparteien § 4 Abs. 1 ERA abgelöst wird, wonach dem Beschäftigten trotz der Reklamation der Eingruppierung der Rechtsweg offen steht. Die Regelungen in § 7 ERA-ETV sehen aber dennoch nicht vor, dass die einzurichtende paritätische Kommission die Aufgaben eines Schiedsgerichts übernehmen soll. Anders als in § 10.7 ERA-Baden-Württemberg ist in § 7 ERA-ETV gerade nicht vorgesehen, dass der Beschäftigte bei der arbeitsgerichtlichen Überprüfung lediglich geltend machen kann, dass ein Verfahrensfehler vorliegt oder die Bewertung grob unbillig ist. Auch nach dem Glossar des Arbeitgeberverbandes NRW ist eine Individualklage des Beschäftigten nicht ausgeschlossen.

Die Bestimmungen in § 7 ERA-ETV und § 4 ERA sehen auch nicht vor, dass Beschäftigte gegen die Entscheidung des Arbeitgebers bei einer paritätischen Kommission Einspruch einlegen müssen. Nach § 4 Nr. 1 ERA können sie sogar sofort das Arbeitsgericht anrufen. Ein zwingendes Einspruchsverfahren bei der paritätischen Kommission ist gerade nicht vorgesehen. Insoweit wäre es widersinnig, wenn der Beschäftigte einerseits sofort den Rechtsweg beschreiten kann, er aber andererseits bei einem Einspruch gegen die Eingruppierungsentscheidung des Arbeitgebers und einer sodann erfolgenden Entscheidung durch die paritätische Kommission seinen Rechtsschutz mindestens zum Teil verlöre (LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.01.2007 - 10 Sa 1082/06 -). Hätten die Tarifvertragsparteien bei Einschaltung der paritätischen Kommission den Rechtsweg nur eingeschränkt eröffnen wollen, hätten sie dies unzweideutig regeln müssen. Dies ist in § 7 ERA-ETV nicht erfolgt.

Hinzu kommt, dass im Rahmen der Entscheidung der paritätischen Kommission nach § 7 ERA-ETV nicht Persönlichkeitswerte oder individuelle Leistungsfaktoren wie bei einer Leistungsbeurteilung bewertet werden. Die paritätische Kommission hat nach § 7 ERA-ETV vielmehr unabhängig von der Person des Arbeitnehmers den konkreten Arbeitsplatz zu bewerten. Es werden nicht Tatsachen festgestellt, sondern vorhandene Tatsachen unter die Tarifmerkmale subsumiert; ein Beurteilungsspielraum steht der paritätischen Kommission insoweit nicht zu (vgl. BAG, Urteil vom 06.02.1980 - AP TVG § 4 Regelungsausschluss Nr. 1).

c) Selbst wenn zu Gunsten der Beklagten angenommen würde, dass die paritätische Kommission im vorliegenden Fall als Schiedsgutachterstelle tätig geworden wäre, ist die volle gerichtliche Überprüfung der Entscheidung der paritätischen Kommission vom 01.09.2006 nicht ausgeschlossen.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Entscheidung der paritätischen Kommission vom 01.09.2006 ohne Begründung ergangen ist.

Verfahrensmäßig grob unbillig und damit nach § 319 BGB unverbindlich ist ein lückenhaft begründetes Schiedsgutachten, dessen Ergebnis selbst ein Fachmann nicht aus dem Zusammenhang des Gutachtens überprüfen kann. Es muss nachvollziehbar sein, welche Tatsachenfeststellung die Gutachtenstelle, die paritätische Kommission, getroffen hat und inwieweit sie diese ihrer Entscheidung zugrunde legt. Nur so kann die Kommissionsentscheidung gegenüber den Arbeitsvertragsparteien überzeugend wirken und nur so ist es dem Gericht möglich festzustellen, ob die Entscheidung grob unbillig ist (BAG, Urteil vom 17.03.2005 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Verkehrsgewerbe Nr. 13 m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird die Entscheidung der paritätischen Kommission vom 01.09.2006 nicht gerecht. Sie enthält nämlich insoweit keine Begründung. Zwar lässt die Entscheidung der paritätischen Kommission vom 01.09.2006 erkennen, welchen Punktwert die paritätische Kommission dem Kläger hinsichtlich der einzelnen Eingruppierungskriterien zugebilligt hat. Aus ihr ist aber nicht ersichtlich, welche konkreten Tätigkeiten des Klägers der Bewertung zugrunde gelegt worden sind. Insbesondere ist nicht mitgeteilt worden, aus welchen Gründen eine höhere Punktzahl bei den einzelnen Eingruppierungskriterien nicht erreicht werden konnte. Aus welchen Gründen die paritätische Kommission den Handlungs- und Entscheidungsspielraum lediglich mit 10 Punkte - statt wie vom Kläger verlangt mit 40 Punkten - und die Kooperation und Kommunikation nur mit 10 statt mit 15 Punkten bewertet hat, ist im Schreiben vom 01.09.2006 nicht mitgeteilt und begründet worden. Dem Kläger ist lediglich das Kommissionsergebnis mitgeteilt worden, nicht aber, aus welchen Gründen ein höherer Punktwert bei den einzelnen Kriterien nicht erzielt werden konnte.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 ERA. Ihm steht auch kein Anspruch auf Zahlung einer Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 ERA zu.

Dabei brauchte die Berufungskammer nicht darüber zu entscheiden, ob der Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Klägers zu Recht mit der Stufe 2 (= 10 Punkte) oder der Stufe 3 (= 18 Punkte) bewertet worden ist. Selbst eine Bewertung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums des Klägers mit 18 Punkten würde unter Einbeziehung der Bewertung der übrigen Eingruppierungskriterien lediglich zu einer Gesamtpunktzahl von höchstens 98 Punkten führen. Dies führt aber nach § 3 Nr. 2 ERA lediglich zu einer Eingruppierung in die Entgeltgruppe 10. In diese Entgeltgruppe ist der Kläger zu Recht eingruppiert. Damit erweist sich nicht nur der Hauptantrag des Klägers, sondern auch der Hilfsantrag als unbegründet.

a) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das erste Anforderungsmerkmal "Können" (Arbeitskenntnisse sowie Fachkenntnisse und Berufungserfahrungen) mit insgesamt 70 Punkten zu bewerten ist. Dabei hat die paritätische Kommission die Merkmale "Arbeitskenntnisse und Fachkenntnisse" mit 58 Punkten und das Merkmal "Berufserfahrungen" mit 12 Punkten bewertet. Von dieser Bewertung geht auch der Kläger mit der vorliegenden Klage aus.

b) Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kann aber der Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Klägers nicht mit der Stufe 4 (= 30 Punkte) bewertet werden.

Gemäß ERA-Anlage 1 a wird mit dem Anforderungsmerkmal "Handlungs- und Entscheidungsspielraum" der zur Erfüllung der Arbeitsaufgabe erforderliche Spielraum der Beschäftigten beschrieben, um eigene Vorgehensweisen bei der Arbeitsausführung und Aufgabenerledigung zu entwickeln und umzusetzen.

Der jeweilige Handlungs- und Entscheidungsspielraum ergibt sich daraus, in welchem Maße der Beschäftigte in der Lage sein muss, die ihm übertragene und auszuführende Arbeitsaufgabe unter Berücksichtigung/Bewertung von Umsicht, Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit zu planen und/oder folgerichtig und fehlerfrei auszuführen.

Dabei sind unter Vorgaben im Sinne des Handlungs- und Entscheidungsspielraums Anweisungen und Richtlinien zu verstehen. Üblicherweise schränken Anweisungen den Handlungs- und Entscheidungsspielraum stärker ein als Richtlinien. Anweisungen legen fest, wie die Arbeitsaufgabe im Einzelnen auszuführen ist. Richtlinien bestimmen, was bei der Erfüllung der Arbeitsaufgabe im Allgemeinen zu beachten ist.

Der Kläger hat bei der Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben als Chemielaborant keinen großen Handlungs- und Entscheidungsspielraum im Sinne der Stufe 4. Eine Einstufung in die Stufe 4 bei der Bewertung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums käme nur dann in Betracht, wenn der Chemielaborant im Betrieb der Beklagten über einen großen Handlungs- und Entscheidungsspielraum verfügen würde. Dieser liegt - im Gegensatz zur Bewertungsstufe 3 (= 18 Punkte) - nur dann vor, wenn bei dem Chemielaborant ein größerer Spielraum bei der Auswahl der anzuwendenden Bearbeitungsverfahren/Arbeitsmittel besteht, weil entsprechende Vorgaben fehlen und wenn die Ergebnisse/Ziele überwiegend vorbestimmt sind. Der Handlungs- und Entscheidungsspielraum eines Chemielaboranten im Betrieb der Beklagten ist demgegenüber lediglich nach der Bewertungsstufe 3 zu bewerten, wenn nur ein geringer Spielraum bei der Auswahl der anzuwendenden Bearbeitungsverfahren/Arbeitsmittel besteht. So liegt der Fall des Klägers. Bei dem Anforderungsmerkmal "Handlungs- und Entscheidungsspielraum" kann der Kläger allenfalls 18 Punkte erlangen. Dabei kann die Berufungskammer davon ausgehen, dass der Kläger mangels Vorgabe einen Spielraum zur Optimierung der Reihenfolge der einzelnen Bearbeitungsabläufe besitzt. Bei der Auswahl der anzuwendenden Bearbeitungsverfahren/Arbeitsmittel hat der Kläger aber allenfalls einen geringfügigen Spielraum. Die Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben erfolgt nicht überwiegend ohne Vorgaben weitgehend selbständig. Bei der Auswahl der anzuwendenden Bearbeitungsverfahren/Arbeitsmittel überwiegt jedenfalls nicht der Freiraum die von der Beklagten vorgegebenen Vorgaben. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem tatsächlichen Vorbringen des Klägers im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens oder im Berufungsrechtszug. Dass die Durchführung der Analyseverfahren unter Anleitung und auf Anweisung des Leiters des Labors, Herrn V3, erfolgt, ist zwischen den Parteien unstreitig. Auch im Berufungsrechtszug trägt der Kläger selbst vor, dass die von ihm gefertigten Analysenmethoden von Herrn V3 genehmigt würden. Ebenso hat er im Berufungsrechtszug vorgetragen, dass die Methodenentwicklung am ICP-Spektrometer letztlich von Herrn V3 genehmigt werde. Die Beklagte hat darüber hinaus durch Vorlage einer Anleitung zur Erstellung von Verfahrens-/Kontrollanweisungen vom 12.10.1999 (Bl. 113 ff.d.A.), der Arbeitsanweisung Nr. 7011 vom 14.06.2004 zur Gerätekalibration im chemischen Labor (Bl. 119 ff.d.A.) sowie der Verfahrensanweisung Nr. 60030 vom 22.11.2007 zur Organisation im chemischen Labor (Bl. 199 ff.d.A.) im Einzelnen nachgewiesen, dass Arbeitsanweisungen vorliegen, nach denen der Kläger seine Arbeitsaufgaben jeweils zu erfüllen hat. Dies sind gerade die Vorgaben im Sinne des Anforderungsmerkmals "Handlungs- und Entscheidungsspielraum" nach den ERA-Bestimmungen. Einen großen Handlungs- und Entscheidungsspielraum bei der Auswahl der anzuwendenden Bearbeitungsverfahren/Arbeitsmittel hat der Kläger danach gerade nicht. Allenfalls ein geringer Spielraum im Sinne der Stufe 3 des "Handlungs- und Entscheidungsspielraums" kann ihm zugebilligt werden. Dies führt aber nach den Bewertungskriterien zum "Handlungs- und Entscheidungsspielraum" allenfalls zu 18 Punkten. Der Kläger erledigt seine Aufgaben nämlich nicht überwiegend ohne Vorgaben weitgehend selbständig. Dass der Kläger als Chemielaborant seine Arbeitsaufträge eigenständig bearbeitet, wird bei der Bewertung des Handlungs- und Entscheidungsspielraums mit der Stufe 3 ausreichend berücksichtigt. Der Kläger trifft keine eigene Auswahl der effektivsten Bearbeitungsmethode. Bei der Erfüllung der Arbeitsaufgaben eines Chemielaboranten wird auch die Arbeit anderer nicht durch ein eigenes Handeln und Entscheiden des Chemielaboranten erheblich beeinflusst.

c) Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers kann auch das Anforderungsmerkmal "Kooperation" nicht mit 15 Punkten, sondern allenfalls mit 10 Punkten berücksichtigt werden. Eine Einstufung in die Stufe 4 beim Anforderungsmerkmal "Kooperation" hat zur Voraussetzung, dass die Erfüllung der Arbeitsaufgaben regelmäßige Kommunikation, Zusammenarbeit und Abstimmung erfordert. Dagegen setzt die Stufe 3 des Anforderungsmerkmals Kooperation lediglich voraus, dass die Erfüllung der Arbeitsaufgaben regelmäßige Kommunikation und Zusammenarbeit sowie gelegentliche Abstimmung erfordert.

Abstimmung in diesem Sinne bedeutet die gemeinsame Koordination von Arbeitsausführungen/Aufgabenerfüllungen verschiedener Beschäftigter bzw. Bereiche, um unterschiedliche Interessenlagen und/oder Zielsetzungen, die sich aus den übertragenen Arbeitsaufgaben ergeben, in Einklang zu bringen. Abstimmungserfordernisse müssen sich dabei nicht nur auf die innerbetriebliche Abstimmungsprozesse beschränken, sondern können auch den außerbetrieblichen Bereich umfassen. Abstimmung beinhaltet das Auseinandersetzen mit anderen zu einem bestimmten Sachverhalt mit Rückwirkung entweder auf die eigene Arbeitsausführung/Aufgabenerfüllung oder die Arbeitsausführung/Aufgabenerfüllung anderer. Abstimmung bedeutet demzufolge inhaltlich mehr als nur die bloße formale Weitergabe oder Entgegennahme von Informationen oder Absprachen ohne Rückwirkung auf Arbeitsausführungen/Aufgabenerfüllungen.

Dass der Kläger sich bei der Erfüllung seiner Arbeitsaufgaben regelmäßig in diesem Sinne mit anderen Beschäftigten der Beklagten oder mit außerbetrieblichen Kunden oder Lieferanten abstimmen müsste, ergibt sich aus dem Klägervorbringen nicht. Der Kläger hat gerade nicht vorgetragen, inwieweit eine derartige Abstimmung in dem oben genannten Sinne nach Häufigkeit, Intensität und Komplexität erforderlich ist. Insoweit kann lediglich von einer gelegentlichen Abstimmungsnotwendigkeit bei der Aufgabenerfüllung ausgegangen werden. Die Tätigkeit des Klägers erfordert allenfalls vereinzelte situationsbedingte, nicht periodisch wiederkehrende Abstimmungen mit seinen Vorgesetzten und anderen Mitarbeitern des chemischen Labors oder der Produktion. Inwieweit im Gegensatz dazu eine regelmäßige Abstimmung, um unterschiedliche Interessenlagen, die sich aus den übertragenen Arbeitsaufgaben ergeben, in Einklang zu bringen, notwendig ist, ergibt sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht.

d) Da schließlich dem Kläger unstreitig bei dem Anforderungsmerkmal "Mitarbeiterführung" kein Punktwert zusteht, weil die Erfüllung der Arbeitsaufgaben es nicht erfordert, Mitarbeiter oder sonstige Beschäftigte fachlich anzuweisen, anzuleiten und zu unterstützen, ergibt sich nach alledem eine Gesamtpunktzahl von 90 Punkten (58 + 12 + 10 + 10). Selbst bei einer Bewertung des "Handlungs- und Entscheidungsspielraums mit der Stufe 3 (= 18 Punkte) würde lediglich zu einer Gesamtpunktzahl von 98 Punkten führen, die ebenfalls lediglich eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe 10 ERA rechtfertigt.

3. Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch dem Zahlungsanspruch des Klägers nicht stattgegeben. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Unterschreiterheranführungzulage nach § 4 Nr. 2 ERA-ETV.

Der Kläger gehört nicht zu den Unterschreitern im Sinne des § 4 Nr. 1 ERA-ETV, bei denen die Differenz zwischen dem bisherigen Monatsgehalt zuzüglich Zulagen und dem neuen ERA-Monatsgrundentgelt zuzüglich Zulagen negativ ist. Sein bisheriges Gesamtentgelt von 3.729,30 € überschreitet vielmehr das ERA-Gesamtentgelt, das bei Eingruppierung in die Entgeltgruppe 10 3.297,00 € beträgt. Der Kläger erhält danach zu Recht eine Überschreiterzulage nach § 4 Nr. 3 ERA-ETV.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz nicht geändert, § 63 GKG.

Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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