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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.05.2006
Aktenzeichen: 12 Sa 2300/05
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 102
KSchG § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das (Schluss)Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 16.11.2005 - 1 Ca 3561/04 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 3/4 der Beklagten und zu 1/4 dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 beendet wurde.

Die Beklagte stellt Kunststoffrohre her und beschäftigt insgesamt über 180 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Bei ihr besteht ein neunköpfiger Betriebsrat.

Der am 18.01.1948 geborene Kläger, der verwitwet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist, war seit dem 16.03.1982 bei der Beklagten als Kunststoffwerker in der Kunststoffrohrfertigung beschäftigt. Sein letztes Bruttomonatsentgelt betrug 2.100,00 €. Zu seinen arbeitsvertraglichen Aufgaben gehörte das Bedienen der Wickelautomaten zur Konfektionierung der produzierten Rohre gemäß Kundenauftrag.

Am 29.04.1992 wurde der Kläger in angetrunkenem Zustand an seinem Arbeitsplatz angetroffen und von der Beklagten wegen der hohen Unfallgefahr nach Hause geschickt. Diesen Vorfall mahnte die Beklagte mit Abmahnung vom 05.05.1992, wegen deren genauen Inhalts auf Bl. 28 der Gerichtsakte Bezug genommen wird, ab. In der Zeit von Januar 2001 bis April 2002 erschien der Kläger insgesamt fünfmal nicht an seinem Arbeitsplatz, da er Alkohol zu sich genommen und sich kurzfristig bei der Abteilungsleitung abgemeldet hatte. Der damalige Abteilungsleiter hatte dem Kläger in diesen Fällen jeweils antragsgemäß kurzfristig Urlaub gewährt. Im Anschluss an den Urlaub hatte jeweils ein klärendes Gespräch mit dem Kläger stattgefunden. In dem letzten Gespräch am 24.04.2002 hatte die Beklagte dem Kläger mitgeteilt, dass sie nicht weiter bereit sei, ihm im Falle eines Alkoholkonsums Urlaub zu gewähren.

Am 19.07.2002 erschien der Kläger wiederum alkoholisiert zur Arbeit. Er hatte Probleme mit seinem Sohn gehabt und geglaubt, nicht so viel getrunken zu haben, um seine Arbeit nicht mehr verrichten zu können. Er wurde sodann von Mitarbeitern der Beklagten nach Hause gebracht. Die Beklagte mahnte diesen Vorfall in der Folgezeit mit Abmahnung vom 25.07.2002, wegen deren genauen Inhalts auf Bl. 30 der Gerichtsakte Bezug genommen wird, ab.

Bereits am 22.07.2002 hatte der Kläger auf ein entsprechendes Angebot der Beklagten hin mit deren zuständiger Sanitätsschwester, Frau D5xxx M3xxxxxx, ein Beratungsgespräch geführt. Frau M3xxxxxx hatte den Kläger anlässlich dieses Gesprächs über Therapiemaßnahmen informiert, welche durch entsprechende Erfolgsquoten auch vom Arbeitgeber akzeptiert und unterstützt würden. Daraufhin stellte sich der Kläger bei der Suchthilfediakonie vor. Der zuständige Therapeut, Herr P3xx, riet ihm dazu, eine stationäre Entgiftung mit Langzeittherapie durchzuführen. Der Mitarbeiter R5xx der Beklagten bot dem Kläger in dem Zusammenhang an, für einen festgelegten Zeitraum im Anschluss an die stationäre Entgiftung nur die Frühschicht zu belegen, damit der Kläger regelmäßig an der Gesprächstherapie teilnehmen könne. Dieses Angebot wurde vom Kläger wegen möglicher finanzieller Einbußen (z.B. Verlust der Wechselschichtzulagen) abgelehnt. Noch im Jahre 2002, jedenfalls vor September 2002, begab sich der Kläger zum Zwecke einer stationären Entgiftung für drei Wochen ins Krankenhaus. Die Entgiftung selbst dauerte vier Tage, daran schloss sich eine stationäre Gesprächstherapie an. Im Anschluss daran nahm er seinen Angaben zufolge einmal wöchentlich an freiwilligen Gruppengesprächen beim "Blauen Kreuz" teil.

Im Jahre 2004 war der Kläger vom 15.05. bis 01.07.2004 arbeitsunfähig erkrankt. In der Zeit vom 15.05. bis 03.06.2004 hatte er wiederum an einer stationären Entgiftungsmaßnahme teilgenommen. Ab dem 04.06.2004 war er aufgrund einer Neuerkrankung, über die der Beklagten keine weiteren Erkenntnisse vorliegen, fortlaufend bis zum 01.07.2004 arbeitsunfähig krank.

Am 28.07.2004 trat der Kläger auf Drängen der Beklagten eine Langzeittherapiemaßnahme in der Paracelsus Berghof Klinik Bad Essen an. Diese Therapie wurde ausweislich des Entlassungsberichts der Klinik vom 09.08.2004 am 09.08.2004 mit dem Vermerk "sofort arbeitsfähig" beendet. Der Kläger war während seines Aufenthalts in der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen beim Wasserballspielen auf den Beckenrand gefallen und hatte dies dem dort behandelnden Arzt mitgeteilt. Er wusste nicht, ob lediglich eine Prellung oder ein Bruch vorlag und wollte einen Arzt konsultieren. Dies hätte er zwar auch am Ort der Langzeittherapie tun können; er entschloss sich jedoch dazu, nach Hause zu fahren, um sich dort seinem Arzt vorzustellen. Der behandelnde Arzt der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen hatte den Kläger gefragt, ob dieser die Therapie abbrechen oder lediglich unterbrechen wolle. Der Kläger hatte daraufhin erklärt, er wolle die Therapie nur unterbrechen, womit der behandelnde Arzt in der Paracelsus Berghof Klinik sich ausdrücklich einverstanden erklärt hatte. Zu Hause suchte der Kläger dann seinen Hausarzt auf, der ihn an den Unfallarzt Dr. K4xx in W1xxxxx überwies. Letzterer stellte im Rahmen einer Untersuchung fest, dass der Kläger drei Rippen gebrochen hatte und schrieb den Kläger für drei bis vier Wochen krank. Die entsprechende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung legte der Kläger der Beklagten vor. Im Anschluss an die Arbeitsunfähigkeit wegen des Rippenbruchs begab sich der Kläger erneut in ein Krankenhaus und unterzog sich einer Entgiftung. Daran anschließend bemühte er sich nicht um eine Fortsetzung der Langzeittherapie. Aufgrund der Mitteilung der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen über die Beendigung der Therapie nahm er an, dass eine Fortsetzung nicht möglich sei. Zudem sah er nicht ein, diese Therapie fortzuführen, da er sich selbst nicht für alkoholabhängig hielt und hält.

Bereits mit Schreiben vom 25.08.2004 und 01.09.2004 hatte die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch in ihrem Hause eingeladen. Mit Schreiben vom 14.09.2004 forderte sie ihn schließlich auf, ihr bis zum 21.09.2004 eine eingehende schriftliche Stellungnahme mit Unterschrift darüber abzugeben, warum er die achtwöchige Kur in der Fachklinik für Abhängigkeitserkrankungen bereits nach weniger als zwei Wochen beendet hatte. Der Kläger teilte daraufhin mit Schreiben vom 18.09.2004, wegen dessen genauen Inhalts auf Bl. 36 der Gerichtsakte Bezug genommen wird, mit, die Therapie abgebrochen zu haben, weil er es nervlich nicht mehr gekonnt habe.

Mit Schreiben vom 22.09.2004, wegen dessen genauen Inhalts auf Bl. 37 der Gerichtsakte Bezug genommen wird, hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen fristlosen und zugleich vorsorglich ordentlichen fristgerechten Kündigung des Klägers zum nächstzulässigen Kündigungstermin an. Dem Anhörungsschreiben war die Anlage 1 beigefügt, wegen deren genauen Inhalts auf Bl. 5 und 6 sowie 68 und 69 der Gerichtsakte Bezug genommen wird. Mit Schreiben vom 27.09.2004 widersprach der Betriebsrat sowohl der außerordentlichen als auch der ordentlichen Kündigung des Klägers mit der Begründung, der Kläger sei ausweislich des Entlassungsberichts der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen am 09.08.2004 arbeitsfähig entlassen worden; in Ermangelung anderer Erkenntnisse glaube man den Aussagen des Klägers, dass dieser nicht alkoholkrank sei.

Mit Schreiben vom 30.09.2004, das dem Kläger am selben Tage zugegangen ist, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger begründete Arbeitsverhältnis sodann fristlos sowie zugleich ordentlich zum 30.04.2005. Mit weiterem Schreiben vom 17.12.2004 kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erneut fristlos zum 17.12.2004 und zugleich ordentlich zum 31.07.2004.

Mit der im vorliegenden Verfahren am 14.10.2004 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 angegriffen. Die Kündigung vom 17.12.2004 hat er mit der beim Arbeitsgericht am 05.01.2005 eingegangenen Klage angegriffen. Dieses Verfahren wird beim Arbeitsgericht Herne unter dem Aktenzeichen 1 Ca 21/05 geführt.

Mit mittlerweile rechtskräftigem Teilurteil vom 19.01.2005 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004, zugegangen am 30.09.2004, nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst wurde.

Im Hinblick auf die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt sei. Die Abmahnung vom 05.05.1992 sei für den vorliegenden Rechtsstreit bedeutungslos. Er sei nicht alkoholkrank. Zwar habe er unstreitig ein Alkoholproblem, trinke jedoch nicht regelmäßig. Starke psychische Belastungen seien der Auslöser für sein exzessives Trinkverhalten, welches sich dann bis zu einigen Tagen hinziehen könne. So sei der Tod seiner Mutter im Jahre 2003 Anlass für ihn gewesen, erneut in erheblichem Umfang dem Alkohol zuzusprechen und sich anschließend wieder einer Entgiftungsmaßnahme zu unterziehen. Er sei allerdings nicht mehr in angetrunkenem Zustand im Betrieb der Beklagten erschienen, mithin gefährde er auch nicht "Leben und Gesundheit von sich und seinen Arbeitskollegen". Die Beklagte habe ihn zunehmend unter Druck gesetzt. Deshalb habe er sich zuletzt dazu bereit erklärt, sich einer Langzeittherapie zu unterziehen. Es müsse Berücksichtigung finden, dass er entsprechend dem Entlassungsbericht der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen vom 09.08.2004 als sofort arbeitsfähig entlassen worden sei. Die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats hat der Kläger bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004, zugegangen am 30.09.2004 nicht zum 30.04.2005 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger sei alkoholkrank. Die zwei erfolglosen Entgiftungsmaßnahmen und der vorzeitige Abbruch der Therapiemaßnahme in der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen am 09.08.2004 rechtfertigten eine negative Zukunftsprognose. Der Kläger habe im Übrigen selbst eingeräumt, dass er die vorerwähnte Therapie abgebrochen habe. Auch sei er nicht bereit gewesen, die Therapie wieder aufzunehmen. Aufgrund seiner Alkoholerkrankung sei von einer Dauerarbeitsunfähigkeit auszugehen. Sie, die Beklagte, sei nicht in der Lage, den alkoholkranken Kläger arbeitsvertragsgemäß einzusetzen, da sie die von ihm ausgehenden Gefahren nicht hinnehmen dürfe. Der Kläger gefährde nämlich Leben und Gesundheit von sich und seinen Arbeitskollegen. Zudem würden erhebliche Störungen des Betriebsablaufs durch eine permanente Unterbesetzung aufgrund der fortlaufenden Fehlzeiten des Klägers verursacht. Hieraus resultierten wiederum Rückstände in der Abarbeitung von Kundenaufträgen. Zudem würden innerbetriebliche Umsetzungen und Kosten für die Einstellung einer Aushilfe notwendig. Auch die Interessenabwägung müsse zu Ungunsten des Klägers ausfallen. Zwar sprächen für diesen seine langjährig abgelieferten guten Arbeitsergebnisse sowie seine Unterhaltsverpflichtung und die wohl schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings müsse Berücksichtigung finden, dass sie immer wieder alles unternommen habe, um dem Kläger eine goldene Brücke zur Überwindung seiner Alkoholkrankheit zu bauen. Der Betriebsrat sei ausweislich der Anlage 1, die dem Anhörungsschreiben vom 22.07.2004 beigefügt war, ordnungsgemäß gehört worden. Mit der Anlage 1 habe sie hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass sie ihre Kündigung zumindest auch darauf habe stützen wollen, der Kläger sei auf Dauer nicht in der Lage, seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit (Schluss) Urteil vom 16.11.2005 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 sei unwirksam. Die Kündigung sei nicht durch Gründe in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt. Die Beklagte habe die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung nicht in ausreichendem Maße dargelegt. Das Vorbringen der Beklagten erlaube nicht die Feststellung der erforderlichen Negativprognose im Hinblick auf den weiteren Gesundheitszustand des Klägers. Hinsichtlich des Kündigungstypus "häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten" fehle es bereits an einem entsprechenden substantiierten Vorbringen. Für einen "Rückfall" im Anschluss an eine Alkoholtherapie fehle es an jeglichem Vortrag. Die Rechtswirksamkeit der Kündigung lasse sich auch nicht auf die Fallgruppe "langanhaltende Erkrankung" stützen. Hier sei zu berücksichtigen, dass der Kläger ausweislich des Entlassungsberichts der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen vom 09.08.2004 als arbeitsfähig entlassen wurde. Selbst wenn aufgrund des Schreibens des Klägers vom 18.09.2004 davon auszugehen wäre, der Kläger selbst habe die Therapie abgebrochen, so führe dies dennoch nicht zur Rechtswirksamkeit der Kündigung. Die Beklagte habe im Einzelnen nicht konkret dargelegt, welche erheblichen Betriebsbeeinträchtigungen durch die nach ihrem Vortrag langanhaltende Alkoholkrankheit des Klägers eingetreten seien. Mit dem Argument, sie sei für Leben und Gesundheit der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer verantwortlich und es könne ihr nicht zugemutet werden, so lange abzuwarten, bis es tatsächlich zum Eintritt eines entsprechenden Schadensereignisses komme, könne die Beklagte nicht gehört werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei die Beklagte vielmehr gehalten, dem Kläger den Zugang zum Arbeitsplatz an den Tagen zu verwehren, an denen er alkoholisiert zur Arbeit erscheine. Letztlich seien dem Vorbringen der Beklagten keine ausreichenden Umstände zu entnehmen, die eine Dauerarbeitsunfähigkeit des Klägers belegen könnten. Zu berücksichtigen sei in dem Zusammenhang zudem, dass die Beklagte den Betriebsrat zu dieser Fallgruppe nicht ordnungsgemäß angehört habe. Die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 sei letztlich auch nicht als verhaltensbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt. Die Beklagte berufe sich in dem Zusammenhang darauf, der Kläger sei alkoholkrank. Aus dem Grunde könne sie diesem nicht vorwerfen, er habe nicht alles getan, um bald wieder gesund zu werden und er habe nicht alles unterlassen, was geeignet sei, seine Genesung zu verzögern.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 15.12.2005 zugestellte Urteil am 21.12.2005 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.03.2006 - am 22.02.2006 begründet.

Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass die ordentliche Kündigung vom 30.09.2004 sehr wohl sozial gerechtfertigt sei. Der Kläger sei alkoholkrank und könne die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen. Die negative Zukunftsprognose sei aufgrund von Indizien gerechtfertigt. Der Kläger habe zwei erfolglose Entgiftungsmaßnahmen durchgeführt und eine Langzeittherapie abgebrochen. Seitdem sei er nicht mehr therapiebereit. Es sei davon auszugehen, dass er auf unabsehbare Zeit alkoholkrank bleibe. Aufgrund dieser Erkrankung sei er nicht fähig, seine arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, ohne andere oder sich selbst zu gefährden. Demnach sei eine Negativprognose im Hinblick auf Gefahren für Leib und Leben des Klägers selbst, aber auch anderer Mitarbeiter gerechtfertigt. Dem stehe der Entlassungsbericht der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen nicht entgegen. Eine Beurteilung der Risiken, die bei einem Einsatz des Klägers an seinem Arbeitsplatz eintreten können, sei von der Paracelsus Berghof Klinik Bad Essen gar nicht vorgenommen worden. Es bleibe dabei, dass von einer Beschäftigung des Klägers ein erhebliches Gefährdungspotential ausgehe. Allein die Tatsache, dass es in der Vergangenheit - aufgrund glücklicher Umstände - nicht zu Unfällen im Betrieb der Beklagten gekommen sei, die vom Kläger verursacht worden seien, könne ihr gegenüber nicht als Argument ins Feld geführt werden. Ihr könne es auch nicht zugemutet werden, dem Kläger den Zugang zum Arbeitsplatz an den Tagen zu verwehren, an denen er (deutlich) alkoholisiert erscheine. Es bleibe nämlich völlig offen, wie sie im konkreten Einzelfall beurteilen solle, ob der Kläger alkoholisiert und ob im Falle einer (leichten) Alkoholisierung ein arbeitsvertragsgemäßer Einsatz überhaupt noch möglich sei. Der Betriebsrat sei auch ordnungsgemäß angehört worden. Im Zeitpunkt der Anhörung seien dem Betriebsrat - über seinen Vorsitzenden, Herrn K5xxxx - sowohl die Tatsachen der Alkoholerkrankung des Klägers, die von ihm abgebrochene Therapiemaßnahme in der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen und insbesondere die Zustände und tatsächlichen Gegebenheiten am Arbeitsplatz des Klägers - Letzteres aus eigener Anschauung - mitgeteilt worden bzw. bekannt gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 16.11.2005 - 1 Ca 3561/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und macht weiterhin geltend, nicht alkoholkrank zu sein. Entsprechendes habe die Beklagte auch nicht substantiiert dargelegt. Nach der Entgiftungsmaßnahme im Jahre 2002 sei er im Betrieb stets auf Alkohol kontrolliert worden. Dies ist unstreitig. Die Überprüfungen seien in einer Art und Weise durchgeführt worden, dass er sie als schikanös habe empfinden müssen. Trotz dieser dauernden Überprüfung habe die Beklagte keinen Fall feststellen können, in dem er unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Damit lägen keine Indizien vor, dass er die Arbeit nicht verrichten könne. Auch eine sonstige Beeinträchtigung seiner Arbeitsfähigkeit sei nicht festgestellt worden. Schließlich gehe die Interessenabwägung zu seinen Gunsten aus.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch form- und fristgerecht eingelegt sowie fristgerecht ordnungsgemäß begründet, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.

II.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 mit Ablauf des 30.04.2005 beendet worden.

1.

Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 ist nicht sozialwidrig gemäß § 1 Abs. 1 und 2 KSchG.

a.

Die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 war an den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes gemessen, da der Kläger die gemäß § 1 Abs. 1 KSchG erforderliche Wartezeit von sechs Monaten absolviert hatte und der Betrieb der Beklagten zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den Schwellenwert nach § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG überschritt.

b.

Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 2 KSchG.

Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die durch die Beklagte unter dem 30.09.2004 ausgesprochene Kündigung ist indes durch Gründe in der Person des Klägers, nämlich dessen Alkoholsucht, bedingt.

aa.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Kündigung wegen Alkoholsucht nach den für die krankheitsbedingte Kündigung geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Alkoholabhängigkeit ist nämlich eine Krankheit im medizinischen Sinne. Sie liegt vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung ist die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußert sich im Verlust der Selbstkontrolle. Der Alkoholiker kann, wenn er zu trinken beginnt, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Dazu kommt die Unfähigkeit zur Abstinenz; der Alkoholiker kann auf Alkohol nicht verzichten (vgl. BAG, Urteil vom 09.04.1987 - 2 AZR 210/86 -, NZA 1987, 811 ff., BAG, Urteil vom 13.12.1990 - 2 AZR 336/90 -, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 33; BAG, Urteil vom 16.09.1999 - 2 AZR 123/99 -, NZA 2000, 141 ff.).

Danach setzt eine sozial gerechtfertigte Kündigung zunächst auf einer ersten Stufe eine Negativprognose hinsichtlich des künftigen Gesundheitszustandes des erkrankten Arbeitnehmers voraus. Auf einer zweiten Stufe ist sodann zu prüfen, ob die prognostizierten Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Dabei kann sich aus den Besonderheiten der Trunksucht unter Berücksichtigung der jeweiligen Aufgabenstellung des Arbeitnehmers die Notwendigkeit ergeben, an die jeweilige Prognose geringere Anforderungen zu stellen (vgl. BAG, Urteil vom 09.04.1987 - 2 AZR 210/86 -, NZA 1987, 811 ff.; BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 639/98 -, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Ist danach eine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt und lässt sich eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen prognostizieren, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen umfassenden Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigung aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden muss, für diesen also unzumutbar ist (zu diesem, die einzelnen Fallgruppen der krankheitsbedingten Kündigung übergreifenden Grobraster einer Dreistufenprüfung vgl. BAG, Urteil vom 26.09.1991 - 2 AZR 132/91 -, AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

Darüber hinaus ist nach dem das gesamte Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stets zu prüfen, ob die Kündigung verhältnismäßig, d.h. zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigung geeignet und auch erforderlich ist. Dabei bedeutet Erforderlichkeit, dass von mehreren gleichermaßen geeigneten Mittel stets dasjenige zu wählen ist, das den Arbeitnehmer am wenigsten belastet. Der Arbeitgeber hat danach stets das mildere Mittel zu wählen, die Kündigung ist ultima ratio. So ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der krankheitsbedingten Kündigung nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen auszugehen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz arbeitsvertragsgemäß weiterbeschäftigen kann (vgl. BAG, Urteil vom 02.11.1989 - 2 AZR 366/89 -, RzK III I b Nr. 13). Seit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29.01.1997 (- 2 AZR 9/96 -, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit) steht zudem fest, dass als milderes Mittel gegenüber einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur - wie bei der betriebsbedingten Kündigung - eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen "freien" Arbeitsplatz in Betracht kommt; der Arbeitgeber hat vielmehr einen gleichwertigen oder jedenfalls zumutbaren, leidensgerechten Arbeitsplatz durch Wahrnehmung seines Direktionsrechts freizumachen.

In Anwendung dieser Grundsätze ist die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 sozial gerechtfertigt.

bb.

Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war die Prognose gerechtfertigt, der Kläger werde auch in Zukunft alkoholabhängig sein.

Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung litt der Kläger an Alkoholsucht. Der Kläger selbst hat eingeräumt, er habe ein Alkoholproblem, trinke jedoch nicht regelmäßig. Starke psychische Belastungen seien Auslöser für sein exzessives Trinkverhalten, welches sich dann bis zu einigen Tagen hinziehen könne. Zudem ist der Kläger zweimal alkoholisiert im Betrieb erschienen, das erste Mal am 29.04.1992 und das zweite Mal am 19.07.2002. Zuvor, nämlich in der Zeit von Januar 2001 bis April 2002 hatte er sich fünfmal wegen Alkoholgenusses abgemeldet und um Urlaub gebeten, der jeweils auch erteilt worden war. Zudem hatte er sich und zwar einmal im Jahre 2002 zumindest vor September, zudem vom 15.05.2004 bis zum 03.06.2004 sowie im September 2004 jeweils drei Wochen einer stationären Entgiftungsbehandlung mit anschließender stationärer Gesprächstherapie unterzogen. Auch hat er am 28.07.2004 eine Langzeittherapie begonnen. Da stationäre Entgiftungsmaßnahmen und auch Langzeittherapien nicht ohne medizinische Indikation durchgeführt werden, war vor dem zuvor geschilderten Hintergrund davon auszugehen, dass der Kläger alkoholkrank war. Er genoss gewohnheitsmäßig übermäßig Alkohol und konnte diesen Alkoholgenuss nicht aufgeben oder reduzieren. Auch belegt der gesamte Sachverhalt, dass der Kläger nicht fähig war, auf Alkohol zu verzichten.

Im Anschluss an den mehrfachen "Rückfall" des Klägers nach den Entgiftungen und vor dem Hintergrund, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung nicht therapiebereit war, steht zu erwarten, dass er auch in Zukunft an seiner Alkoholsucht leiden wird. Ohne eine entsprechende Therapie muss nämlich davon ausgegangen werden, dass ein Alkoholkranker von dieser Krankheit in absehbarer Zeit nicht geheilt sein wird (vgl. BAG, Urteil vom 13.12.1990 - 2 AZR 336/90 -, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 33). Dabei konnte die Kammer es offen lassen, ob der Kläger die Langzeittherapie abgebrochen hatte, um sich zu Hause von seinem Hausarzt wegen der Verletzungen behandeln zu lassen, die er sich infolge des Sturzes auf den Beckenrand zugezogen hatte, oder ob er die Therapie - wie er in seinem Schreiben vom 18.09.2004 mitgeteilt hatte - abgebrochen hatte, da er "es nervlich nicht mehr gekonnt" habe. Entscheidend war für die Kammer allein, dass der Kläger nicht alles daran gesetzt hat, um die "unterbrochene" Langzeittherapie fortzuführen. Dies hat er nach seinen eigenen Bekundungen maßgeblich deshalb nicht getan, da er sich nicht für alkoholkrank hielt und aus dem Grunde eine Therapie für nicht erforderlich erachtete. Im Übrigen sind hier, da es sich um eine alkoholbedingte Suchtkrankheit gehandelt, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geringere Anforderungen an die negative Gesundheitsprognose zu stellen (vgl. BAG, Urteil vom 09.04.1987 - 2 AZR 210/86 -, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit sowie BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 639/98 -, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

Der negativen Gesundheitsprognose steht auch nicht der Entlassungsbericht der Paracelsus Berghofklinik Bad Essen vom 09.08.2004 entgegen, wonach der Kläger als "sofort arbeitsfähig" entlassen worden war. Hierdurch wurde lediglich attestiert, dass der Kläger - unabhängig von seiner Alkoholerkrankung - nicht anderweitig erkrankt und deshalb aufgrund arbeitsunfähig war.

Aus seinem Vorbringen, starke psychische Belastungen seien Auslöser für sein exzessives Trinkverhalten, kann der Kläger im vorliegenden Zusammenhang nichts zu seinen Gunsten ableiten. Bei der krankheitsbedingten Kündigung kommt es nämlich auf die Frage, wer die Krankheit, also hier die Alkoholabhängigkeit verschuldet hat, grundsätzlich nicht an. Nur im Rahmen der Interessenabwägung ist auf die Ursache und auf das Verschulden der Krankheit einzugehen (BAG, Urteil vom 09.04.1987 - 2 AZR 210/86 -, NZA 1987, 811 ff.).

cc.

Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war auch die Prognose gerechtfertigt, dass es infolge des Gesundheitszustandes des Klägers zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen kommen würde.

Die Beklagte musste damit rechnen, dass der Kläger auch in Zukunft erheblich dem Alkohol zusprechen würde. Damit war nicht nur nicht ausgeschlossen, dass der Kläger, der wusste, dass er in einem solchen Fall keinen Urlaub mehr erhalten würde, entweder krankheitsbedingt der Arbeit fernbleiben oder aber wiederum alkoholisiert zur Arbeit erscheinen würde. Ebenso wenig ausgeschlossen werden konnte, dass er während der Arbeitszeit bzw. im Verlaufe des Arbeitstages Alkohol konsumieren würde. In einem solchen Zustand war er auf seinem Arbeitsplatz jedoch nicht mehr einsetzbar. Wie von der Beklagten vorgetragen und vom Kläger auch nicht bestritten wurde, war der Kläger an einem Arbeitsplatz tätig, an dem ein Fehlverhalten zu erheblichen Gefahren für Leib und Leben des Bedieners selbst, aber auch der in der Nähe sich befindlichen Arbeitskollegen führen konnte. Zu den arbeitsvertragsgemäßen Aufgaben des Klägers gehörte das Bedienen der Wickelautomaten zur Konfektionierung der produzierten Rohre gemäß Kundenauftrag. Wird dieser Wickelautomat nicht ordnungsgemäß bedient, so besteht die Gefahr, dass beim Konfektionieren der Kunststoffrohre das unter Spannung stehende Rohr reißt. Zudem sind am Arbeitsplatz des Klägers regelmäßig Arbeiten mit bis zu 240 Grad Celsius heißen Werkzeugen durchzuführen. Hier besteht bei nicht ordnungsgemäßer Bedienung des Geräts die Gefahr lebensgefährlicher Verbrennungen durch diese Werkzeuge. Zu den arbeitsvertragsgemäßen Arbeiten des Klägers gehörten schließlich auch der Transport der Ringbunde, auf die die Kunststoffrohre aufgerollt werden und die mit den aufgerollten Rollen Gewichte bis zu 60 kg aufweisen sowie der Transport von Großtrommeln. Hier musste der Kläger regelmäßig Gewichte mit bis zu 1.000 kg bewegen. Bei einem unsachgemäßen Transport sowohl der Ringbunde als auch der Großtrommeln kann es zu lebensgefährlichen Verletzungen, z. B. durch Stauchungen oder Quetschungen kommen. Bei all diesen Tätigkeiten besteht mithin bei alkoholbedingter Unachtsamkeit, Gleichgültigkeit bzw. herabgesetztem Reaktionsvermögen eine ganz erhebliche, weil gesteigerte Gefahr für Leib und Leben des Klägers selbst sowie der sich in unmittelbarer Nähe aufhaltenden anderen Mitarbeiter.

Dass der Kläger im Anschluss an die Abmahnung vom 25.07.2002 nicht mehr alkoholisiert im Betrieb erschienen ist, vermag an der zuvor getroffenen Bewertung nichts zu ändern. Aufgrund der Alkoholerkrankung des Klägers ist nämlich nicht auszuschließen, dass dieser auch in Zukunft alkoholisiert im Betrieb erscheint, um seine Arbeit aufzunehmen. Der Kläger selbst hat eingeräumt, nach wie vor Alkohol zu trinken. Zwar hat er geltend gemacht, er habe die Sache im Griff. Das habe er bei den Therapien gelernt. Dass dies zumindest zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung - und allein hierauf kommt es an - eine Fehleinschätzung des Klägers war, ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass er sich noch im Jahre 2004 zwei Entgiftungsmaßnahmen hat unterziehen müssen. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung hatte er mithin einen sachgerechten Umgang mit seiner Krankheit nicht erlernt. Demzufolge bestand zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein erhebliches Risiko der Fehleinschätzung des Klägers mit der Folge, dass eine Arbeitsaufnahme unter Alkoholeinfluss nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Beklagte konnte angesichts der Trunksucht des Klägers mithin nicht darauf vertrauen, dass dieser seine Arbeit nüchtern verrichten würde. Da es bei der Art der Tätigkeit des Klägers verlangt werden muss, dass der Arbeitnehmer immer ohne Alkohol zum Arbeitseintritt erscheint und dass er auch während der Verrichtung der Arbeit keinen Alkohol zu sich nimmt und der Kläger diese Gewähr angesichts seiner Trunksucht nicht bot, war er nicht mehr einsatzfähig. Ohnehin sind auch hier - wie bereits ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts geringere Anforderungen an die Prognose erheblicher betrieblicher Beeinträchtigungen zu stellen.

dd.

Die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 war auch nicht unverhältnismäßig.

So hatte die Beklagte dem Kläger die Chance zu einer Entziehungskur eröffnet (vgl. BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 639/98 -, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Diese Chance hat der Kläger jedenfalls deshalb nicht genutzt, weil er sich im Anschluss an seinen Rippenbruch nicht um eine Fortsetzung der Therapie bemüht hat.

Ferner bestand bei der Beklagten keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem anderen Arbeitsplatz. Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass es in ihrem Betrieb keinen im Hinblick auf die Erkrankung des Klägers leidensgerechten Arbeitsplatz gibt. Diesem Vorbringen ist der Kläger nicht entgegengetreten. Er hat insbesondere nicht dargelegt, an welchem Arbeitsplatz aus seiner Sicht eine anderweitige, nicht durch die Alkoholsucht beeinträchtigte Beschäftigung für ihn möglich gewesen wäre.

Letztlich war es der Beklagten in Anwendung des ultima-ratio-Prinzips auch nicht zuzumuten, den Kläger vor jedem Arbeitsantritt einem sogenannten "Riechtest" auf Alkoholgenuss hin zu unterziehen. Abgesehen davon, dass der Kläger dies selbst als entwürdigend empfunden hat, musste, wie oben bereits ausgeführt, aufgrund der Art der Tätigkeit des Klägers von diesem erwartet werden, dass er stets ohne Alkohol zum Arbeitsantritt erscheint und auch während der Verrichtung der Arbeit keinen Alkohol zu sich nimmt. Damit hätte die Beklagte mit einem sogenannten "Riechtest" vor Arbeitsaufnahme ohnehin nicht sicherstellen können, dass der Kläger nicht alkoholisiert seine Tätigkeiten verrichtet, sie hätte vielmehr, um jedes Risiko auszuschließen, den Kläger von einer extra hierfür abgestellten Aufsichtskraft ständig beobachten lassen müssen. Dies war der Beklagten allein aus Kostengründen nicht zumutbar. Im Übrigen bestehen erhebliche Zweifel daran, ob auf der Grundlage eines sog. Riechtests überhaupt eine vernünftige Entscheidung darüber getroffen werden kann, ob ein Arbeitnehmer auf seinem Arbeitsplatz einsatzfähig ist. Erkenntnisse über die Menge des vom Arbeitnehmer konsumierten Alkohols und den Grad einer etwaigen Alkoholisierung können aufgrund eines Riechtests nicht gewonnen werden. Ebenso wenig war es der Beklagten zuzumuten, den Kläger jedes Mal nach Hause zu schicken, wenn sie eine Alkoholfahne feststellen sollte. In dem Fall wäre ihr eine ordnungsgemäße Planung der Arbeitsabläufe nicht mehr möglich gewesen.

Aus dem Entlassungsbericht der Paracelsus Berghof Klinik kann der Kläger bereits deshalb nichts zu seinen Gunsten ableiten, da dieser Bericht sich mit seinem Arbeitsplatz nicht beschäftigt und somit keinerlei Aussagen über eine Einsatzmöglichkeit des Klägers auf diesem Arbeitsplatz trifft.

ee.

Das Interesse der Beklagten an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses überwiegt angesichts der vorgeschilderten Umstände das Interesse des Klägers an dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Zwar sind zu Gunsten des Klägers dessen Lebensalter, seine Unterhaltsverpflichtung und auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit und die schlechten Chancen auf dem Arbeitsmarkt in die Abwägung einzustellen; auf der anderen Seite ist jedoch das jahrelange Bemühen der Beklagten zur Schaffung einer Grundlage für eine Weiterbeschäftigung des Klägers zu sehen. Hier hatte die Beklagte in Wahrnehmung ihrer Fürsorgepflicht über Jahre hinweg alles unternommen, um dem Kläger seinen Arbeitsplatz zu erhalten. Zu erwähnen sind hier nicht nur die zahlreichen Gespräche, die die Beklagte mit dem Kläger vor dem Vorfall im Jahre 2002 geführt hat. Zu erwähnen sind auch der Versuch der Beklagten, dem Kläger durch einen Einsatz nur in der Frühschicht eine Entgiftung mit anschließender Gesprächstherapie zu ermöglichen sowie das Drängen der Beklagten darauf, der Kläger möge sich einer Langzeittherapie unterziehen. Im Übrigen fällt zu Gunsten der Beklagten ins Gewicht, dass bei allen vom Kläger auszuübenden Tätigkeiten bei alkoholbedingter Unachtsamkeit, Gleichgültigkeit bzw. herabgesetztem Reaktionsvermögen eine ganz erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Klägers, aber auch der Mitarbeiter besteht. Es kann der Beklagten insoweit nicht zugemutet werden, zunächst einen Vorfall hinnehmen zu müssen, um dann das Arbeitsverhältnis mittels Kündigung lösen zu können. Es kommt hinzu, dass das Arbeitsverhältnis zwar zunächst über lange Jahre hinweg beanstandungsfrei verlaufen ist und der Kläger seine Arbeit zur Zufriedenheit der Beklagten verrichtet hat; allerdings war es mit Beginn des Jahres 2001 zu erheblichen Störungen im Arbeitsverhältnis dadurch gekommen, dass der Kläger mehrfach alkoholbedingt die Arbeit nicht ausführen konnte. Zudem war er am 22.07.2002 alkoholisiert zur Arbeit erschienen.

Zwar sind - wie bereits ausgeführt - auch die Umstände, die zur Trunksucht geführt haben, im Rahmen der Interessenabwägung angemessen zu berücksichtigen. Der Kläger hat hierzu jedoch nur vorgetragen, Auslöser für sein jeweiliges exzessives Trinkverhalten seien starke psychische Belastungen. Dies sei zum einen der Tod seiner Ehefrau im Jahre 1999 gewesen, aber auch der Tod seiner Mutter im Frühjahr 2003. Damit hat der Kläger, der im Übrigen nach wie vor eine Alkoholsucht negiert, jedoch letztlich keine Umstände geltend gemacht, die sich im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Gunsten auswirken könnten. Hier gilt es nämlich zu berücksichtigen, dass sich die Ursache der Erkrankung im Rahmen der Interessenabwägung bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung nur dann zugunsten des Arbeitnehmers auswirken kann, wenn es sich um eine betriebliche Ursache handelt, wie dies beispielsweise bei einer Erkrankung aufgrund eines Arbeitsunfalls der Fall ist (vgl. BAG, Urteil vom 16.02.1989 - 2 AZR 299/88 -, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 25; BAG, Urteil vom 06.09.1989 - 2 AZR 224/89 -, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 28; BAG, Urteil vom 05.07.1990 - 2 AZR 154/90 -, AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG, Urteil vom 12.12.1996 - 2 AZR 7/96 -, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 41). Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor, da die vom Kläger vorgetragenen Ursachen allein seiner Privatsphäre entstammen.

2.

Die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 ist auch nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat den bei ihr eingerichteten Betriebsrat vielmehr ordnungsgemäß angehört.

Die Beklagte hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 22.09.2004, das beim diesem am gleichen Tage eingegangen ist, zur beabsichtigten fristlosen und zugleich ordentlichen fristgerechten Kündigung des Klägers zum nächst zulässigen Kündigungstermin angehört. Dabei hat sie dem Betriebsrat zum einen die Sozialdaten des Klägers mitgeteilt. Sie hat dem Betriebsrat zudem die aus ihrer Sicht maßgeblichen Gründe für die beabsichtigte Kündigung angegeben. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG ist subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat die aus seiner Sicht tragenden Kündigungsgründe mitteilt (vgl. BAG, Urteil vom 24.11.2005 - 2 AZR 514/04 -, n.v. mit weiteren Nachweisen). Ausweislich der dem Betriebsrat mit dem Anhörungsschreiben übermittelten Anlage 1 hat sich die Beklagte unter Punkt I. zur Begründung einer personen- bzw. verhaltensbedingten Kündigung darauf berufen, der Kläger sei alkoholkrank und in der Vergangenheit mehrfach wegen alkoholbedingten Fehlverhaltens abgemahnt bzw. ermahnt worden. Die Beklagte hat ferner ausgeführt, dass der Kläger nach zwei erfolglosen Entgiftungsmaßnahmen die Langzeittherapie am 28.07.2004 begonnen und laut Entlassungsmitteilung der Paracelsus Berghof Klinik vom 09.08.2004 mit dem Vermerk "arbeitsfähig" beendet hatte. Zudem hat die Beklagte den Betriebsrat auf die schriftliche Stellungnahme des Klägers vom 18.09.2004 hingewiesen. Vor diesem Hintergrund müsse man davon ausgehen, dass die Alkoholkrankheit des Klägers weiterhin bestehe. Hierdurch sei eine negative Zukunftsprognose gerechtfertigt. Unter Punkt II "Betriebliche Auswirkungen" der Anlage 1 hat die Beklagte ausgeführt, dass erhebliche Störungen des Betriebsablaufs durch permanente Unterbesetzung eingetreten seien. Hieraus seien Rückstände in der Abarbeitung von Kundenaufträgen entstanden. Ebenso seien innerbetriebliche Umsetzungen sowie die Einstellung einer Aushilfe notwendig geworden. Letztlich seien Kosten durch häufige Kurzerkrankungen mit Lohnfortzahlung entstanden. Unter Punkt III. "Interessenabwägung" der Anlage 1 hat die Beklagte schließlich darauf hingewiesen, dass sich der Arbeitsbereich des Klägers an offenen, laufenden Maschinen befinde, von denen bei unkonzentriertem Verhalten der Mitarbeiter eine hohe Gefährdung ausgehe. Auch sei eine Gefährdung anderer Mitarbeiter durch ein Fehlverhalten des Klägers nicht auszuschließen. Im Übrigen hat die Beklagte unter dem Punkt "Interessenabwägung" auf die langjährige Mitarbeit des Klägers und seine Unterhaltspflicht, aber auch auf ihre Anstrengungen, das Alkoholverhalten des Klägers zu beeinflussen, verwiesen.

Damit hat die Beklagte dem Betriebsrat klar und deutlich mitgeteilt, dass sie ihre Kündigung auf eine Alkoholsucht des Klägers stützen will und hierbei sowohl zur negativen Gesundheitsprognose, als auch zur Prognose erheblicher betrieblicher Beeinträchtigungen und zur Interessenabwägung ausgeführt. Darauf, ob die von der Beklagten unter Punkt II. mitgeteilten betrieblichen Beeinträchtigungen geeignet sind, die Kündigung sozial zu rechtfertigen, kommt es für die Frage der ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nicht an. Denn die Beklagte hat die aus ihrer Sicht aufgetretenen betrieblichen Beeinträchtigungen mitgeteilt, was nach dem Grundsatz der subjektiven Determination ausreichend ist (vgl. BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 639/98 -, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Im Übrigen hat die Beklagte unter dem Punkt III. "Interessenabwägung" nicht nur die aus ihrer Sicht in die Abwägung einzustellenden Belange angeführt, sondern zudem auf die hohe Gefährdung hingewiesen, die bei einem Einsatz des Klägers an seinem Arbeitsplatz vor dem Hintergrund seiner Alkoholkrankheit besteht. Da der Betriebsrat wusste, welche Tätigkeit der Kläger ausübte, waren ihm damit auch die Tatsachen bekannt, die letztlich zu den erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen der Beklagten geführt haben.

3.

Da die Beklagte die nach § 622 Abs. 2 Ziff. 7 BGB zu wahrende Kündigungsfrist von 7 Monaten zum Ende eines Kalendermonats eingehalten hat, hat das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 mit Ablauf des 30.04.2005 sein Ende gefunden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 64 Abs. 6 ArbGG. 92 ZPO. Mit seinem gegen die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 gerichteten Kündigungsschutzantrag, über den das Arbeitsgericht Herne mit Teilurteil vom 19.01.2005 rechtskräftig entschieden hat, hatte der Kläger zu einem Streitwert von 6.100,00 € voll obsiegt. Mit seinem gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.09.2004 gerichteten Kündigungsschutzantrag war er hingegen zu einem Streitwert von 2.100,00 € unterlegen.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Auch weicht die Entscheidung von nicht höchstrichterlicher oder landesarbeitsgerichtlicher Rechtsprechung ab.

Ende der Entscheidung

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