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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.02.2009
Aktenzeichen: 13 Sa 1420/08
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 2 S. 1
BetrVG § 25
BetrVG § 103
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Münster vom 07.08.2008 - 2 Ca 539/08 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 30.10.2007; daneben ist in der ersten Instanz noch der klägerische Antrag, gerichtet gegen die Wirksamkeit einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 07.08.2008, anhängig.

Der am 18.12.1954 geborene, ledige Kläger trat mit Wirkung ab 01.01.1984 in die Dienste der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin. Er kam zuletzt als Kundenberater zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 4.935,04 € zum Einsatz; daneben fungiert er als fünftes Ersatzmitglied im bestehenden 15-köpfigen Betriebsrat.

Nach dem Anstellungsantrag vom 28.04./03.05.2004 trifft den Kläger eine umfassende Verschwiegenheitspflicht. Hinsichtlich der Einzelheiten wird verwiesen auf § 10 des Vertrages als Anlage zum Klageschriftsatz vom 02.11.2007 (Bl. 7 d. A.).

Im Zuge eines Studiums an der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel reichte der Kläger dort am 15.03.2007 eine Masterarbeit zum Thema "Entwicklung einer Konzeption für ein prozessorientiertes Qualitätsmanagement am Beispiel der Abteilung Kunden-Servicecenter-Technik im Vertrieb einer genossenschaftlichen Rechenzentrale" ein. Auf Seite 102 der Arbeit befindet sich ein vom Kläger selbst gefertigter "Sperrvermerk" folgenden Inhalts:

Diese Arbeit enthält vertrauliche Daten der G1 eG - IT für Banken, 41 M1, W2 S3 51. Veröffentlichungen oder Vervielfältigungen dieser Arbeit - auch auszugsweise - sind ohne ausdrückliche Genehmigung der Geschäftsleitung der G1 eG nicht gestattet.

Am 27.06.2007 beantragte er bei der Beklagten einen finanziellen Zuschuss und übergab ihr auf Anforderung ein Exemplar der Masterarbeit.

Nach Durchsicht des Werks und Anhörung des Klägers am 09.08.2007 wandte sich die Beklagte am 13.08.2007 an den Betriebsrat mit dem Antrag auf Zustimmung zu dessen außerordentlicher Kündigung. Darin heißt es unter anderem:

1. Herr S4 ist mit Wahl vom 15.03.2006 zum Ersatzmitglied des Betriebsrats der G1 eG gewählt worden. Zuletzt hat Herr S4 für den Betriebsrat an der Sitzung am 02.08.2007 teilgenommen.

...

3. ...

Nach Durchsicht der Masterarbeit stellte sich heraus, dass Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der G1 eG von Herrn S4 in seiner Arbeit dargestellt wurden. Dabei handelt es sich unter anderem um folgende Komplexe:

1. Komplex: Detaillierte Beschreibung der Organisationsstruktur und der internen Prozesse der Organisationseinheit KST

2. Komplex: Beschreibung des Informationsmanagements und insbesondere von Störungen in der Callbearbeitung über OCTOHelp anhand von Einzelbeispielen und zum Teil auch unter Benennung von externen Geschäftspartnern.

3. Komplex: Detaillierte Beschreibung der von der G1 eG durchgeführten telefonischen Kundenbefragung inkl. der Ergebnisse der Auswertung

Nachdem der Betriebsrat mit Schreiben vom 16.08.2007 seine Zustimmung verweigert hatte, leitete die Beklagte am 17.08.2007 ein Zustimmungsersetzungsverfahren ein (ArbG Münster - 2 BV 20/07 = LAG Hamm - 13 TaBV 142/08). Im Laufe dieses Verfahrens teilte der Kläger durch Schriftsatz vom 15.10.2007, der Beklagten zugegangen am 19.10.2007, mit, dass er namentlich am 17.08.2007 nicht als Ersatzmitglied nachgerückt sei.

Daraufhin hörte die Beklagte am 28.10.2007 den Betriebsrat "für den Fall, dass (der Kläger) nicht durchgehend im Zeitpunkt der Anhörung als Ersatzmitglied zur Betriebsratsarbeit herangezogen wurde", rein vorsorglich zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an, die sie sodann am 30.10.2007 aussprach.

Der Kläger wendet sich gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung.

Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe schon die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Er habe letztmals am 02.08.2007 eine Amtstätigkeit ausgeübt, sodass das Zustimmungsersetzungsverfahren nicht erforderlich gewesen sei; vielmehr hätte die Beklagte bereits Mitte August 2007 kündigen können und müssen.

Davon abgesehen bestehe auch kein Grund für eine außerordentliche Kündigung.

Soweit hier von Interesse, hat der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 30.10.2007 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat insoweit beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf verwiesen, dass der Kläger wegen der sommerlichen Urlaubszeit praktisch ständig ein abwesendes Betriebsratsmitglied vertreten habe. Wegen der damit verbundenen Ungewissheit hinsichtlich des Amtsschutzes sei es deshalb gerechtfertigt gewesen, zunächst ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten.

In der Sache sei die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt wegen der gravierenden Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht und weil der Kläger auch während der Arbeitszeit an seiner Masterarbeit tätig geworden sei.

Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil vom 07.08.2008 der Klage gegen die außerordentliche Kündigung stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es liege ein Verstoß gegen § 626 Abs. 2 BGB vor. Der Kündigungssachverhalt sei der Beklagten nach der Anhörung am 09.08.2007 hinlänglich bekannt gewesen. Durch das am 17.08.2007 eingeleitete Zustimmungsersetzungsverfahren sei die Zwei-Wochen-Frist nicht gehemmt worden. Der Antrag sei nämlich unzulässig gewesen. Der Beklagten sei bekannt gewesen, dass der Kläger letztmals am 02.08.2007 an einer Betriebsratssitzung teilgenommen habe. Im Übrigen wäre es ihr ohne weiteres möglich gewesen, festzustellen, ob der Kläger danach noch für ein zeitweilig verhindertes Betriebsratsmitglied Amtstätigkeiten ausgeübt habe. So hätte sie ermitteln können, dass am 17.08.2007 kein besonderer Kündigungsschutz mehr bestand.

Gegen dieses Teilurteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung.

Sie ist der Auffassung, sie habe den sicheren Weg des § 103 BetrVG nehmen dürfen, weil ihre Überlegungen zur Annahme des Zustimmungserfordernisses nicht offensichtlich unrichtig gewesen seien. So habe es sich bis Mitte Oktober 2007 ihrer Kenntnis entzogen, ob der Kläger nach dem 02.08.2007 noch Vertretungstätigkeiten ausgeübt habe. Es sei für sie schwierig bzw. praktisch unmöglich gewesen, zu ermitteln, wann der Kläger im Zeitraum bis zum 17.08.2007 für welche Dauer innerhalb und außerhalb von Betriebsratssitzungen als Vertreter amtiert habe.

Die Beklagte beantragt,

das Teilurteil des Arbeitsgerichts Münster vom 07.08.2008 - 2 Ca 539/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens beantragt der Kläger,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht nämlich der Klage gegen die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 30.10.2007 wegen Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 S.1 BGB stattgegeben.

Insoweit folgt die Berufungskammer in allen Punkten den Gründen der angefochtenen Entscheidung und nimmt auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.

Die Ausführungen in der Berufungsbegründung geben zu folgenden ergänzenden Bemerkungen Anlass:

Soweit sich die Beklagte auf die Entscheidung des BAG vom 27.03.1991 (2 AZR 418/90 - RzK II 1 a Nr. 5) bezieht, verkennt sie, dass es darin um den Sonderfall ging, dass die Klägerin unbeanstandet das Amt eines Personalratsmitglieds ausgeübt hatte, tatsächlich aber aufgrund einer nicht fristgerecht erfolgten Neuwahl gar kein Personalrat mehr bestand. In dieser Situation war über die Rechtsfrage zu befinden, ob einem vermeintlichen Amtsträger die gleichen Rechte zuzuerkennen sind wie einem wirksam gewählten.

Demgegenüber stellte sich im hier maßgeblichen Zeitpunkt des 17.08.2007 nach Ablauf der dreitägigen Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 S. 3 BetrVG keine für die Beklagte bis dahin ungeklärte Rechtsfrage. Vielmehr wäre es ihre - und nicht die Aufgabe des Betriebsrates - gewesen, die tatsächliche Frage zu klären, ob der Kläger nach der letzten bekannten Teilnahme an der Betriebsratssitzung am 02.08.2007 in den folgenden gut zwei Wochen noch die Funktionen eines verhinderten Betriebsratsmitgliedes ausgeübt hat. Dies hätte beispielsweise geschehen können durch eine gezielte Befragung des Betriebsratsvorsitzenden, der diese Frage anhand der ihm zugänglichen Informationen unter Heranziehung der einschlägigen Vorschlagslisten (vgl. § 25 Abs. 2 BetrVG) ohne großen Aufwand hätte beantworten können. Ebenso wäre es möglich gewesen, dem Kläger selbst, zum Beispiel anlässlich seiner Anhörung am 09.08.2007, zum Umfang seiner Amtstätigkeit zu befragen, wie es die Kammer in der mündlichen Verhandlung am 06.02.2009 getan und dazu eine klare Auskunft erhalten hat. Letztlich wäre es der Beklagten auch selbst möglich gewesen, zum Beispiel anhand der ihr vorliegenden Urlaubs- und Krankheitszeiten und der Ausfälle wegen unaufschiebbarer Arbeitstätigkeit zu ermitteln, ob und, wenn ja, welche Betriebsratsmitglieder in der besagten Zeit zeitweilig verhindert waren und wie sie vertreten worden sind, namentlich am 17.08.2007.

Anders als in dem vom BAG (a.a.O.; siehe auch BAG, 06.09.1979 - 2 AZR 548/77 - AP KSchG 1969 § 15 Nr. 7) entschiedenen Fall war es der Beklagten hier also ohne größere Schwierigkeiten möglich, sich über einen sehr überschaubaren Zeitraum von nur gut zwei Wochen im unmittelbaren Anschluss einen sicheren Erkenntnisstand zu verschaffen. Dieser hätte dann dazu führen müssen, ohne vorherige Einholung einer Zustimmung des Betriebsrates im Nachwirkungszeitraum sofort eine außerordentliche Kündigung auszusprechen (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG), statt damit über zwei Monate bis zum 30.10.2007 zu warten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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