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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.03.2009
Aktenzeichen: 13 Sa 1452/08
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 102
BGB § 626 Abs. 2 Satz 1
Im Falle einer außerordentlichen Kündigung sind dem Betriebsrat im Rahmen des § 102 Abs. 1 BetrVG auch die Tatsachen mitzuteilen, um prüfen zu können, ob die Vorschrift des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt wurde.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 27.08.2008 - 3 Ca 153/08 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, arbeitgeberseitigen Kündigung.

Die Beklagte ist als Tochterunternehmen der D2 T2 AG innerhalb der T-Systems Gruppe auf dem Gebiet der IT- und TK-Dienstleistungen verantwortlich für die Betreuung von etwa 160.000 Geschäftskunden.

Der am 28.02.1957 geborene, verheiratete Kläger steht seit dem 01.09.1972 als Beamter in den Diensten der D2 T2 AG. Auf seinen Antrag wurde er zur Wahrnehmung einer konkret benannten Tätigkeit beurlaubt. Auf dieser Grundlage besteht seit dem 01.07.2006 - unter Berücksichtigung der Vordienstzeit seit dem 01.09.1972 - ein Anstellungsverhältnis zur Beklagten; nach den einschlägigen tarifvertraglichen Regelungen ist u. a. eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung ausgeschlossen.

Am Standort der Beklagten in B4 ist der Kläger in der Vergangenheit im Bereich Accountmanagement L1 E1 tätig geworden. Als sogenannter Sales Manager mit einem Jahresgehalt in Höhe von zuletzt 63.125,61 € gehört es zu seinen Aufgaben, Großkunden zu betreuen und zu binden sowie gegebenenfalls zurückzugewinnen.

Der Kläger ist viertes Ersatzmitglied in dem bestehenden 17-köpfigen Betriebsrat. Im Zeitraum von Juli bis Dezember 2007 waren zu verschiedenen Zeiten vier reguläre Betriebsratsmitglieder aus bestimmten Gründen nicht anwesend. Der Kläger nahm in der Zeit an "Telefonkonferenzen" des Betriebsrates, nicht aber an den monatlich stattfindenden regulären Betriebsratssitzungen teil; in dem Zusammenhang ist unstreitig, dass er vom 21. bis zum 31.12.2007 Erholungsurlaub hatte.

Nachdem die Beklagte anlässlich eines Telefonats mit dem Geschäftsführer der Firma t3 Unternehmensberatung GmbH (im Folgenden kurz: t3) erstmals am 26.10.2007 Informationen über mögliche Unregelmäßigkeiten erhalten hatte, was in der Folgewoche an die Personalabteilung weitergeleitet wurde, befragte die Beklagte am 29.10.2007 den Mitarbeiter B6 und versuchte in der Folgezeit, beginnend mit einem Schreiben vom 31.10.2007, den Kläger anzuhören, was aber trotz mehrerer vereinbarter Gesprächstermine und einer eingeräumten Stellungnahmefrist bis zum 14.12.2007 nicht gelang.

Daraufhin wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 19.12.2007 an den Betriebsrat mit der Absicht, den Kläger "mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen". Zur Begründung wird darin u. a. ausgeführt:

...

Wir haben Kenntnis erhalten, dass sich Herr K1 in Ausübung seiner Tätigkeit als Accountmanager im Zusammenhang mit den Geschäftsbeziehungen zwischen der T1-S1 B1 S5 GmbH (nachfolgend: TS BS) und der Firma t3 Unternehmensbereatung GmbH (nachfolgend: t3), den Vertragsschlüssen zwischen der Firma TS BS und der Firma i1 I2-S5 f1 C2 P3 & I2-P4 GmbH & Co. KG (nachfolgend: i1) betreffend die Lieferung von I4 Handwarekomponenten in den Jahren 2005 und 2006 sowie sämtlichen weiteren damit in Zusammenhang stehenden Geschäftsvorfällen /Vertragsbeziehungen, insbesondere mit den Firmen N2 GmbH (nachfolgend: N2), O1 K4 GmbH (nachfolgend: Orga), H3 M6 e. G. (n3 H3) und B7. & C3. T4 F2 GmbH & Co. KG (nachfolgend: T4) grob pflichtwidrig verhalten hat.

Ende 2005 / Anfang 2006 hat Herr K1 den Abschluss von Verträgen über die Lieferung von Hardwarekomponenten zwischen der Firma T5 B8 und der i1 als Endkundin sowie zwischen der Firma T5 B8 und der Firma G3 C4 C5 GmbH (nachfolgend: G4) als Vorlieferantin dadurch erreicht, dass er Verantwortlichen der i1 sowie der Vorlieferantin "Provisionen" in nicht genannter Höhe in Aussicht gestellt hat.

Zur Verschleierung ihres tatsächlichen und rechtlichen Grundes der Zahlungen sollten die rechtswidrigen Zahlungen entsprechend einer zwischen Herrn K1 und Verantwortlichen der P5-Partnerin Firma t3 getroffenen Absprache an die t3 als "Partnerprovision" ausgezahlt und durch die t3 dann an die Empfänger verteilt werden. Herr K1 hat der Firma t3 für die Mitwirkung an diesen Verschleierungshandlungen ebenfalls eine Provision in nicht bekannter Höhe versprochen.

Zur Erreichung dieses Zieles hat Herr K1 im Zusammenwirken mit Verantwortlichen des Bereichs Partner Alliance Managment der T5 B8 wahrheitswidrig eine tatsächlich nicht vorhandene Mitwirkung der Firma t3 am Vertragsschluss mit der Firma i1 vorgetäuscht und eine entsprechende Provisionszulage in Höhe von 10 % des mit der Firma i1 erzielten Umsatzes gegenüber der t3 erwirkt.

Im Hinblick auf die Herrn K1 mindestens zu einem späteren Zeitpunkt bekannt gewordene Tatsache, dass Hardware-Geschäfte nicht provisionsfähig sind, eine Einhaltung der Provisionszulage gegenüber der t3 bezogen auf den Geschäftsabschluss mit der i1 nicht möglich war und daher auch eine Weiterleitung der Gelder durch die t3 an die Endempfänger auf Grundlage der ursprünglichen Vereinbarung nicht erfolgen konnte, hat Herr K1 andere Verträge, insbesondere mit den Firmen N2, Orga, H3, T4, zur Provisionierung gegenüber der t3 bei P5 eingereicht haben, obwohl ihm bekannt war, dass die t3 an diesen Vertragsabschlüssen jeweils ebenfalls nicht beteiligt war.

Durch sein Verhalten hat Herr K1 das Vermögen der TS BS mindestens in Höhe der an die t3 für die vorgenannten Vertragsabschlüsse zu Unrecht ausgezahlten Provisionen geschädigt. Ganz offensichtlich hat Herr K1 vorsätzlich gegen unternehmensinterne Vorgaben sowie gegen geltendes Recht verstoßen.

Die strafrechtliche Relevanz der beschriebenen Ereignisse wird geprüft.

Mit Schreiben vom 31.10.2007 wurde Herr K1 zu einer Anhörung für den 05.11.2007 eingeladen. Der Gegenstand der Anhörung wurde umfassend mitgeteilt.

Alternativ zur Anhörung wurde Herrn K1 eine schriftliche Stellungnahme angeboten.

Mehrfach hat Herr K1 beziehungsweise der von ihm beauftragte Rechtsanwalt um Verlängerung der Frist für die schriftliche Stellungnahme gebeten. Zuletzt haben wir die Frist bis zum 14.12.2007 verlängert.

Herr K1 hat weder mündlich noch schriftlich zu den Vorhaltungen Stellung genommen.

Aufgrund des oben beschriebenen Verhaltens ist uns unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Sachverhaltes und unter Abwägung der gegenseitigen Interessen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Aus diesem Grund ist eine außerordentliche Kündigung beabsichtigt.

Selbst wenn der Sachverhalt im strafrechtlichen Sinne noch nicht bewiesen ist, besteht dennoch der dringende Verdacht, dass Herr K1 den beschriebenen Pflichtenverstoß begangen hat.

Schon wegen dieses Verdachts ist eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar.

Aus diesem Grund ist soll die Kündigung ausdrücklich auch hilfsweise wegen des Verdachts des schweren Pflichtenverstoßes erfolgen.

Wir bitten um Ihre Stellungnahmen zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung und zu der beabsichtigten fristlosen Verdachtskündigung innerhalb der gesetzlichen Frist.

Nach unserer Kenntnis ist Herr K1 Ersatzmitglied des Betriebsrates. Es entzieht sich aber unserer Kenntnis, ob Herr K1 in den letzten 12 Monaten vertretungsweise als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist und deshalb den Kündigungsschutz aus § 15 KSchG genießt.

Wir bitten deshalb zunächst um Mitteilung, ob und gegebenenfalls wann Herr K1 in den letzten 12 Monaten vertretungsweise ein Betriebsratsmandat wahrgenommen hat.

Auch wenn Herr K1 den Schutz des § 15 KSchG genießen sollte, ist es aufgrund des oben beschriebenen Fehlverhaltens sowie wegen des dringenden Verdachts des schwerwiegenden Pflichtenverstoßes eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar.

Wir bitten deshalb vorsorglich um Ihre Zustimmung gemäß § 103 BetrVG zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung innerhalb von drei Tagen.

...

Nach einer schriftlichen Äußerung des Klägers gegenüber dem Betriebsrat am 20.12.2007 (Bl. 8 f. d.A.) nahm dieser gegenüber der Beklagten am 21.12.2007 auszugsweise wie folgt Stellung:

...

gegen die uns vorgelegte beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Kollegen Michael K1 hat der Betriebsrat erhebliche Bedenken.

Nach unserem Wissen hat Herr K1 weder die Idee der Verschleierung gehabt, noch konnte er, unabgestimmt mit Vorgesetzten, Firmen Provisionen anbieten. Das gehört eindeutig nicht zu seinen Kompetenzen.

Wir wissen, dass es Gespräche gegeben haben soll, in denen dieses Vorgehen besprochen wurde. Herrn K1 wurde nachhaltig der Eindruck vermittelt, dass er nach diesem Verfahren zu handeln habe. In dieser Situation hat Herr K1 auf die rechtmäßige Vorgehensweise vertraut, zumal dieses Vorgehen von Mitarbeitern, die in der Hierarchie über ihm stehen, gutgeheißen und erwartet wurde.

Der Kollege ist seit vielen Jahren im Vertrieb tätig. Er hat sich bisher nie etwas zu Schulden kommen lassen. Im Gegenteil, Herr K1 ist ein bei den Kolleginnen und Kollegen anerkannter und geschätzter Kollege.

Bereits seit Monaten verfolgen wir Entwicklungen, dass Beschäftigte, wie unter anderem Herr K1, dazu gedrängt werden, an Aktivitäten mitzuwirken, die sich möglicherweise in einer sogenannten Grauzone befinden. Ausgelöst werden diese Handlungsweisen durch den unrealistisch hohen Erfolgsdruck bezogen auf den Umsatz. In diesem Zusammenhang fallen Äußerungen von Vorgesetzten wie "dann kaufen wir eben Umsatz". Unter diesen betrieblichen Umständen drängt sich uns nachhaltig der Eindruck auf, dass die Arbeitgeberseite Sündenböcke sucht. Diejenigen, die in dieser Situation Verantwortung übernehmen müssten, nehmen sie jetzt nicht wahr. Mittlerweile haben wir erfahren, dass diese Vorgehensweise kein Einzelfall ist. Das bestärkt unsere oben genannten Vermutungen.

Aus unserer Sicht ist das Mittel der außerordentliche Kündigung in diesem Fall völlig unangebracht.

Diesen Themen muss das Unternehmen auch aus unserer Sicht unbedingt nachgehen, aber mit der Zielsetzung, klare rechtliche Rahmenbedingungen für die Beschäftigten herzustellen. Das jetzige arbeitgeberseitige Verhalten und Vorgehen äußert sich aber lediglich darin, einigen wenigen, unter anderem Herrn K1, die außerordentliche Kündigung anzusprechen.

...

Der Kollege Michael K1 war im vergangenen Jahr zeitweise ordentliches Mitglied des Betriebsrats. Der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung stimmt der Betriebsrat nicht zu.

...

Mit Schreiben vom 27.12.2007 sprach die Beklagte dem Kläger dann die streitbefangene außerordentliche Kündigung aus (Bl. 4 d. A.).

Am selben Tag leitete sie beim Arbeitsgericht Hannover (5 BV 21/07) ein Beschlussverfahren ein, gerichtet auf die Feststellung, dass es einer Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung des Klägers nicht bedarf, hilfsweise die Zustimmung zu ersetzen. Nach erstinstanzlicher Abweisung der Anträge ist das Verfahren noch vor dem LAG Niedersachsen (13 TaBV 93/08) anhängig.

Der Kläger hat das Vorliegen eines wichtigen Grundes bestritten. In dem Zusammenhang hat er behauptet, rechtlich gar nicht befugt gewesen zu sein, Firmen bei der Lieferung von Hardwarekomponenten Provisionen in Aussicht zu stellen; tatsächlich habe er dies auch nicht getan. Was namentlich ungerechtfertigte Verprovisionierungen gegenüber der Firma t3 angehe, habe er dabei auf Anweisung des zuständigen Vertriebsleiters S8 mit Kenntnis seines, des Klägers, unmittelbaren Vorgesetzten S7 gehandelt.

Im Übrigen hat der Kläger die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 27.12.2007 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe sie in Form zu Unrecht an die Firma t3 ausgezahlter - und teilweise weitergeleiteter - Provisionen geschädigt, wobei er jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt gewusst habe, dass Hardwaregeschäfte nicht provisionsfähig gewesen seien. Zumindest bestehe der dringende Verdacht, die geschilderten Pflichtverstöße begangen zu haben.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 27.08.2008 der Klage stattgegeben.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Betriebsrat sei im Vorfeld der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden. So sei ihm schon nicht dargelegt worden, wann die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begonnen habe, weil im Anhörungsschreiben das Telefonat vom 26.10.2007 unerwähnt geblieben sei. Auch sei die Größenordnung eines Hardwaregeschäfts nicht mitgeteilt worden. Schließlich sei dem Betriebsrat auch im Übrigen der Sachverhalt nicht genau und umfassend genug geschildert worden.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Berufung.

Sie streicht heraus, dass die Einreichung manipulierter Provisionsvorgänge durch den Kläger zu ungerechtfertigten Provisionszahlungen in beträchtlicher Höhe an die Firma t3 geführt habe. Anweisungen habe es insoweit nicht gegeben; im Übrigen könnten sie das rechtswidrige und strafbare Verhalten auch gar nicht rechtfertigen.

Die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei gewahrt. In Anbetracht der weiter zurückliegenden Vorgänge sei nach den ersten am 26.10.2007 erhaltenen Informationen eine Anhörung des Klägers zwingend erforderlich gewesen. Dementsprechend habe man diesen erstmals mit Schreiben vom 31.10.2007 (vergeblich) zu einem entsprechenden Gesprächstermin geladen. Anschließend habe sich erst nach Ablauf einer bis zum 14.12.2007 gesetzten Frist zur Stellungnahme offenbart, dass der Kläger sie, die Beklagte, in den Wochen zuvor nur habe hinhalten wollen. Eine vorwerfbare Verzögerung des Verfahrens könne daraus nicht abgeleitet werden.

Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. So habe man ihm genau das mitgeteilt, worüber man zuvor Kenntnis erlangt habe. Dem Betriebsrat komme nicht die Aufgabe zu, die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu überprüfen. Im Übrigen habe man deutlich gemacht, dass die Frist erst nach Ablauf des 14.12.2007 zu laufen begonnen habe. Abgesehen davon habe sich der Betriebsrat in der Lage gesehen, inhaltlich umfassend Stellung zu nehmen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 27.08.2008 - 3 Ca 153/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dem Betriebsrat seien diverse, erst im Verfahren eingeführte Umstände im Vorfeld nicht mitgeteilt worden. So seien beispielsweise keine Angaben dazu gemacht worden, wer sie, die Beklagte, wann über welche angeblichen Unregelmäßigkeiten unterrichtet habe. Auch fehlten z. B. Angaben zu konkreten Tathandlungen und wer welche Provisionszahlung in welcher Höhe veranlasst habe.

Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei ebenfalls nicht gewahrt, weil die Beklagte nach dem 26.10.2007 nicht alles Erforderliche getan habe, um den Sachverhalt aufzuklären, z. B. durch Sichtung einschlägiger Überweisungsbelege und E-Mails sowie Befragung des ehemaligen Mitarbeiters S8.

Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat nämlich das Arbeitsgericht der Feststellungsklage stattgegeben, weil die außerordentliche Kündigung vom 27.12.2007 wegen einer unzureichenden vorherigen Anhörung des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist. Die Beklagte hat es nämlich versäumt, den Betriebsrat im erforderlichen Umfang über die Tatsachen zu unterrichten, die diesen in den Stand versetzt hätten, selbstständig zu prüfen, ob arbeitgeberseits die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eingehalten wurde.

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Ihm sind gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitzuteilen. Anders als in § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB sind hier also nicht nur der Kündigungsgrund, sondern weitergehend (alle) Gründe für die angestrebte einseitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses anzugeben, damit der Betriebsrat gegebenenfalls nach § 102 Abs. 2 Satz 1 und/oder Satz 3 BetrVG Bedenken äußern kann. Nur so wird diesem die Gelegenheit eröffnet, auf die Kündigungsabsicht des Arbeitsgebers erörternd Einfluss zu nehmen (vgl. z. B. BAG, 03.04.2008 - 2 AZR 965/06 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 159; 28.08.2003 - 2 AZR 377/02 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 134).

Im Falle einer außerordentlichen Kündigung kann er dieser ihm gesetzlich verliehenen Aufgabe nur dann umfassend gerecht werden, wenn ihm auch die Fakten im Hinblick auf die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB dargelegt wurden (LAG Hamm, 19.05.2008 - 8 Sa 288/08; APS/Koch, 3. Aufl., § 102 Rn. 129; DKK/Kittner/Bachner, 11. Aufl., § 102 BetrVG Rn. 99; Hümmerich, Arbeitsrecht, 6. Aufl., § 4 Rn. 100; Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 98 Rn. 37). Denn nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache V/3913, Seite 13) verliert ein Arbeitgeber bei Nichtbeachtung der zweiwöchigen Überlegungsfrist sein Kündigungsrecht; es kann dann auch die erforderliche Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr angenommen werden. Das Bundesarbeitsgericht (zuletzt z. B. 26.06.2008 - 2 AZR 190/07 - AP BGB § 626 Nr. 213; 02.02.2006 - 2 AZR 57/05 - AP BGB § 626 Nr. 204) geht von einem gesetzlich konkretisierten Verwirkungstatbestand aus, dessen Erfüllung dazu führt, dass der konkrete Sachverhalt nicht mehr zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen werden kann. Es besteht die unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, dass ein möglicherweise gegebener wichtiger Grund nicht mehr geeignet ist, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen (BAG, 09.01.1996 - 2 ABR 24/85 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 20).

Deshalb muss der Betriebsrat auch in einer solchen Konstellation das Recht haben, gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG Bedenken gegen die Wirksamkeit einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zu äußern, was ihm wiederum nur dann möglich ist, wenn er vorab die entsprechenden Informationen erhalten hat.

Im konkreten Fall ergibt sich, dass der Betriebsrat im Vorfeld des Ausspruchs der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung weder schriftlich noch mündlich darauf hingewiesen wurde, wann genau der Beklagten die aus den Jahren 2005/2006 stammenden kündigungsrelevanten Vorgänge bekannt geworden sind. So war der Betriebsrat entgegen der Ansicht der Beklagten trotz der erfolgten Mitteilung, man habe mit Schreiben vom 31.10.2007 den Kläger erstmals zu einer Anhörung eingeladen, nicht in der Lage, in eigener Verantwortung zu prüfen, ob nicht schon zu diesem Zeitpunkt die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB abgelaufen war, die Beklagte also zu lange gewartet hatte, bevor sie den Kläger erstmals die Gelegenheit zur Stellungnahme einräumte, beispielsweise wenn sie schon Wochen vorher die im Anhörungsschreiben erwähnte "Kenntnis erhalten" hätte (vgl. zur einwöchigen Anhörungsfrist zuletzt BAG, 02.02.2006 - 2 AZR 57/05 - AP BGB § 626 Nr. 204).

Zu der gebotenen Prüfung wäre der Betriebsrat gerade wegen der längere Zeit zurückliegenden kündigungsrelevanten Sachverhalte nur in der Lage gewesen, wenn man ihn anlässlich des mit Schreiben vom 19.12.2007 eingeleiteten Beteiligungsverfahrens möglichst genau darüber unterrichtet hätte, wann auf Arbeitgeberseite welche Person auf welchem Wege die geschilderten Informationen erhalten und diese wann an welche kündigungsberechtigte Person weitergeleitet hat.

Da dies unterblieben ist, liegt keine in vollem Umfang ordnungsgemäße vorherige Beteiligung des Betriebsrates vor - mit der Folge, dass die außerordentliche Kündigung vom 27.12.2007 bereits gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam ist, so dass es auf die weiteren Einwendungen des Klägers, namentlich auch im Zusammenhang mit § 626 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB, nicht mehr ankommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage war gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 ArbGG die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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