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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.01.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 1639/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 30.06.2005 - 4 Ca 333/05 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz (noch) um die Wirksamkeit einer Versetzung; der Kläger begehrt die Beschäftigung auf seinem ursprünglichen Arbeitsplatz.

Der am 02.04.1956 geborene Kläger trat mit Wirkung ab 07.08.1974 als Fernmeldehandwerker in die Dienste der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin. Er erzielte zuletzt eine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung in Höhe von 3.300,00 €.

Der Ausgangsarbeitsvertrag vom 07.08.1974 enthält unter anderem folgende Regelung:

Die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost gelten in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart.

Seit dem 02.04.1996 ist der Kläger nach der einschlägigen manteltarifvertraglichen Regelung grundsätzlich ordentlich unkündbar.

Zum 18.11.1996 wurde er von der Niederlassung W1xxxxxxx zur Niederlassung S3xxxx versetzt. Mit Schreiben vom 19.12.1996 wies ihm die jetzige Beklagte als Beschäftigungsort N2xxxxx zu, wobei die "tarifvertraglichen Vorschriften über Versetzung, Abordnung und Umsetzung unberührt" bleiben sollten.

In der Zeit vom 01.12.1999 bis zum 30.11.2002 war der Kläger aufgrund von ihm beantragter Beurlaubungen bei der K4xxx D3xxxxxxxxx GmbH bzw. K4xxx N3xxxxxxx-W2xxxxxxx GmbH & Co. KG und i1x GmbH & Co. KG tätig.

Anlässlich der ersten Beurlaubung hatte man ihm arbeitgeberseits unter anderem mitgeteilt, dass nach Ablauf des Sonderurlaubs ein anderweitiger Einsatz, ein Wechsel des Dienstorts oder des Aufgabenbereichs sowie eine Änderung der Eingruppierung oder der vereinbarten Wochenarbeitszeit in Betracht kommen könne, wenn eine Fortbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen nicht möglich sei.

Mit Schreiben der Beklagten vom 26.04.2001 (Bl. 76R d. Akten) wurde der Kläger während seiner Beurlaubung mit Wirkung ab 01.04.2001 zur Niederlassung Personalbetreuung für zu Inlandstöchtern beurlaubte Mitarbeiter (P2x-N4) in B4xxxx versetzt.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 23.05.2001 "Widerspruch" ein mit der Begründung, er halte diesen aufrecht, "bis alle offenen personalvertretungsrechtlichen Folgen abschließend erklärt sind.

Hierzu fordere ich Sie auf, vorrangig zu regeln, welche gewählte Personalvertretung in Fragen des Personalrechtes für mich ab 01.04.2001 zuständig sein wird und bitte Sie, mich hierüber umfassend zu informieren".

Am 29.06.2002 schloss die Beklagte mit der zuständigen Gewerkschaft ver.di einen zum 31.07.2002 in Kraft getretenen Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio).

Nach Ende seiner Beurlaubung zum 30.11.2002 teilte die Beklagte dem Kläger dann mit Schreiben vom 08.01.2003 unter anderem Folgendes mit:

Da unter Beteiligung des regionalen Vermittlungsbüros der Personalservice Agentur (PSA) bei der D4xxxxxxx T1xxxxx AG zur Zeit kein Dauerarbeitplatz zur Verfügung gestellt werden kann, versetzen wir Sie mit Wirkung vom 01.12.2002 in die Personalservice Agentur, Geschäftsstelle West.

Aufgrund dessen wurde der Kläger im Januar 2003 für wenige Tage im Projekt CCD eingesetzt, bevor dieses Ende Februar 2003 auslief. Die Übertragung einer der drei im Jahre 2004 ins Auge gefassten Tätigkeiten kam nicht zustande.

Am 15.12.2004 einigte sich die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di auf den Abschluss eines geänderten TV Ratio vom 29.06.2002 in der Fassung ab 01.03.2004. Nach dessen § 7 Abs. 3 besteht unter anderem die Möglichkeit, dass die Beklagte ihren Arbeitnehmern zumutbare Dauerarbeitsplätze in Beteiligungsgesellschaften (Vermittlung in Geschäftsmodelle) anbietet. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die Anlage 8 zum geänderten TV Ratio.

Als ein solches Geschäftsmodell gilt unter anderem die V1xxxxx T2xxxxxxx S4xxxxxx GmbH & Co.KG (V2x), bei der der Kläger seit Dezember 2004 beschäftigt wird. Den Abschluss eines dreiseitigen Vertrages vom 11.04.2005 (Bl. 173 ff. d. Akten), gerichtet auf die Überleitung des Arbeitsverhältnisses auf die V2x, hat er abgelehnt.

Zuvor hatte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 08.01.2005 unter anderem Folgendes mitgeteilt:

Auf Grund der Änderungen des TVRatio vom 15.12.2004 zum 01.03.2004 muss ich davon ausgehen, dass die V1xxxxx in eine Auffang- oder Transfergesellschaft o.ä. umgewandelt wurde/werden soll. Einem Eintritt in eine Auffang- oder Transfergesellschaft o.ä. habe ich nicht zugestimmt und werde dies auch nicht tun. Eine dazu notwendige Sozialauswahl hinsichtlich des Überganges meines Arbeitsverhältnisses in eine Auffang- oder Transfergesellschaft o.ä. hat meines Wissens nach nicht stattgefunden.

Ich fordere Sie daher auf, meine Versetzung in die V1xxxxx auf Grund der nunmehr geänderten Rechtsgrundlage rückgängig zu machen.

Ich weise darauf hin, dass ich seit dem 02.04.1996 unkündbar bin....

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Versetzung vom 08.01.2003 sei rechtsunwirksam. Damit sei grundlegend in das bestehende Arbeitsverhältnis eingegriffen worden, was nur durch den Abschluss eines Änderungsvertrages möglich sei. Durch die Beschäftigung im Betrieb V1xxxxx verschaffe sich die Beklagte die Möglichkeit, ihn zu Drittfirmen "abzuschieben"; dadurch werde sein bestehender tariflicher Sonderkündigungsschutz unterlaufen. Namentlich durch den TV Ratio in der Fassung ab 01.03.2004 sei für die Beklagte nunmehr die Möglichkeit gegeben, bei Ablehnung eines Vermittlungsangebots Kündigungen ungeachtet bestehender Besitzstände aussprechen zu können. Im Übrigen erhalte er jetzt - neben sogenannten Einsatzzulagen - nur noch 85% seines Regelgehalts.

Soweit hier noch von Interesse, hat der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass die Versetzung des Klägers vom 08.01.2003 in den Betrieb V3xxn5x rechtswidrig ist;

2. die Beklagte wird verurteilt, den Kläger - wie arbeitsvertraglich vereinbart - als Fernmeldehandwerker am Dienstort N2xxxxx zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, dass Klagerecht sei verwirkt. So seien klägerseits über mehr als zwei Jahre keine Einwände erfolgt. Deshalb habe sie darauf vertrauen dürfen, er werde weder gegen die Versetzung vorgehen noch den Anspruch auf Beschäftigung in N2xxxxx weiterverfolgen, wo im Übrigen auch nur noch Arbeitsplätze nach Entgeltgruppe T 3 vorhanden seien.

Im Übrigen obliege es den Tarifvertragsparteien, sachgerechte Regelungen zur Beschäftigungssicherung zu treffen, und zwar gerade in Fällen wie dem Kläger, dessen Arbeitsplatz betriebsbedingt weggefallen sei.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 30.06.2005 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es, soweit hier noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe das Recht, die Versetzungsmaßnahme vom 08.01.2003 gerichtlich überprüfen zu lassen, verwirkt. So habe er es über mehr als zwei Jahre unterlassen, gegenüber der Beklagten geltend zu machen, dass er mit der angeordneten Versetzung nicht einverstanden sei.

Was die Umstände angehe, habe der Kläger in der Vergangenheit gezeigt, dass er gegen arbeitgeberseitige Maßnahmen vorgehe, wenn er sie nicht zu akzeptieren bereit gewesen sei. Deshalb habe die Beklagte aus seiner Untätigkeit redlicherweise den Schluss ziehen können, er sei damit einverstanden. Im Übrigen habe er zwischenzeitlich Vermittlungsleistungen in Anspruch genommen.

Gegen dieses ihm am 28.07.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.08.2005 Berufung eingelegt und diese am 07.09.2005 begründet.

Er hält den Verwirkungstatbestand nicht für erfüllt. So habe ein Widerspruch vom 23.05.2001 vorgelegen, der sich nicht ausschließlich auf die Versetzung vom 26.04.2001 bezogen habe.

Durch ihr Antwortschreiben vom 29.05.2001 habe die Beklagte ihn, den Kläger, in Sicherheit gewogen, es werde sich zukünftig keine Änderung des Dienstortes ergeben.

Im Übrigen habe er am 08.01.2005 zum Ausdruck gebracht, dass er sich gegen eine Versetzung in die V1xxxxx als eine Auffang- und Transfergesellschaft wende.

In der Sache sei die Versetzung unwirksam, weil die damit angestrebte gravierende Änderung der Arbeitsbedingungen nur einverständlich hätte erfolgten können.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegen vom 30.06.2005 - 4 Ca 333/05 - abzuändern und

1. festzustellen, dass die mit Schreiben der Beklagten vom 08.01.2003 erklärte Versetzung des Klägers unwirksam ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger ab sofort arbeitsvertragsgemäß als Fernmeldehandwerker am Dienstort N2xxxxx zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass das Widerspruchsschreiben des Klägers vom 23.05.2001 sich erkennbar nur auf die im vorangegangenen Schreiben vom 26.04.2001 verfügte Versetzung bezogen habe.

Im Übrigen seien für den Kläger bereits im Januar 2003 die mit der Versetzung verbundenen Änderungen sofort und unmittelbar erkennbar gewesen; er habe die Aufgaben und Abläufe bei V1xxxxx genau gekannt. In der Folgezeit habe er dann an der Realisierung der von V1xxxxx verfolgten Betriebszwecke aktiv mitgewirkt und alle ihm angetragenen Beschäftigungen und Vermittlungsbemühungen angenommen.

Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

I.

Sein Recht, gegen die Versetzungsmaßnahme vom 08.01.2003 mit der bei Gericht am 25.02.2005 eingegangenen Klage noch vorzugehen, hat der Kläger verwirkt (§ 242 BGB).

Nach zutreffender höchstrichterlicher Rechtsprechung (zuletzt z. B. BAG, Urteil vom 31.08.2005 - 5 AZR 545/04; AP MuSchG 1968 § 9 Nr. 36; AP BGB § 242 Verwirkung Nr. 46; BGHZ 91, 62, 71; 105, 290, 298) soll das Institut der Verwirkung als Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Vertrauensschutz dienen. Ein Recht und ein Anspruch sind verwirkt, wenn mit der Geltendmachung längere Zeit gewartet wird (Zeitmoment), sich dadurch für die andere Seite ein Vertrauenstatbestand gebildet hat, mit der Geltendmachung nicht mehr rechnen zu müssen (Vertrauensmoment), und deshalb eine Einlassung auf das Begehren unzumutbar ist.

In dem Zusammenhang ergibt sich aus den in den §§ 2, 4 und 7 KSchG zum Ausdruck kommenden Wertungen, dass der Gesetzgeber namentlich bei einseitigen Maßnahmen des Arbeitgebers, die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses betreffen, ein zeitnahes Tätigwerden des betroffenen Arbeitnehmers für erforderlich hält, um alsbald Rechtsklarheit eintreten zu lassen (vgl. LAG Nürnberg, Urteil vom 20.07.2005 - 9 (6) Sa 120/03).

Ausgehend von diesen Grundsätzen, steht dem Kläger jetzt nicht mehr das Recht zu, die mit arbeitgeberseitigem Schreiben vom 08.01.2003 verfügte Versetzung in die damalige Personalserviceagentur (jetzt V1xxxxx) gerichtlich überprüfen zu lassen.

Insoweit folgt die Kammer in allen Punkten den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I. 2. a.) und b.) der Gründe und nimmt auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.

Die Ausführungen in der Berufungsbegründung geben lediglich zu folgenden ergänzenden Bemerkungen Anlass:

1. Aus dem "Widerspruch" des Klägers vom 23.05.2001 ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass er sich damit auch gegen eine weitere, über 1 1/2 Jahre später erfolgte Versetzung der Beklagten wehren wollte. Im Gegenteil nimmt er im Betreff ausdrücklich nur Bezug auf die "Versetzung zur P2x-N4 B4xxxx" und begrenzt seine Einwände auf personalvertretungsrechtliche Folgen, nämlich welche Arbeitnehmervertretung für ihn ab April 2001 zuständig sein werde.

2. Der genannte Widerspruch des Klägers macht umgekehrt deutlich, dass er sich auch in einem laufenden Arbeitsverhältnis zeitnah gegen arbeitgeberseitige Maßnahmen wendet, wenn er sie nicht für rechtmäßig hält. Um so mehr hätte es nahegelegen, sich gegen die aus seiner Sicht viel einschneidender in seine Rechtsposition eingreifende Versetzung vom 08.01.2003 unverzüglich zu wehren. So konnte die Beklagte aus der Untätigkeit verläßlicherweise schließen, der Kläger akzeptiere den mit Wirkung ab 01.12.2002 verfügten Einsatz im Personalservicebereich. Bestärkt in ihrem Vertrauen wurde sie dadurch, dass der Kläger fortan über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren widerspruchslos Tätigkeiten im Bereich des bei der Beklagten bestehenden Vermittlungs- und Qualifizierungsbetriebs V1xxxxx ausgeübt hat, sich also ohne Einwände den Folgen der Versetzungsmaßnahme gestellt hat.

3. Offensichtlicher Auslöser für das dann erst im Februar 2005 angestrengte arbeitsgerichtliche Verfahren war seine erstmals im Schreiben vom 08.01.2005 zum Ausdruck gekommene Ansicht, aufgrund Veränderungen des TV Ratio vom 29.06.2002 in der Fassung ab 01.03.2004 werde aus der V1xxxxx eine Auffang- bzw. Transfergesellschaft. Deshalb wolle er die Versetzung "aufgrund der nunmehr geänderten Rechtsgrundlage rückgängig" machen. Hintergrund war, dass der Kläger auf der Basis von § 7 Abs. 3 i.V.m. Anlage 8 zum aktuellen TV Ratio in ein sogenanntes Geschäftsmodell vermittelt werden sollte, nämlich in die V1xxxxx T2xxxxxxx S4xxxxxx GmbH & Co. KG - mit aus seiner Sicht verbundenen Entgelteinbußen und Einschränkungen seines Kündigungsschutzes.

Diese Erwägungen geben ihm aber jetzt nicht mehr das Recht, nach über zwei Jahren gegen die zugrunde liegende Versetzung vorzugehen.

Im Übrigen sei angemerkt, dass die Beklagte sich für die von ihr eingeleiteten Maßnahmen im Zusammenhang mit den sogenannten Geschäftsmodellen auf (geänderte) Vereinbarungen im TV Ratio beruft, der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund einer entsprechenden arbeitsvertraglichen Abrede ebenso Anwendung findet wie andere tarifliche Bestimmungen, auf die sich der Kläger im Hinblick auf seinen Kündigungsschutz und die Höhe des monatlichen Entgelts stützt (vgl. auch BAG, Urt. v. 02.02.2006 - 2 AZR 58/05).

II.

Unter Berücksichtigung der Ausführungen unter I. hat der Kläger wegen der erfolgten wirksamen Versetzung auch keinen Anspruch (mehr) auf Beschäftigung als Fernmeldehandwerker in N2xxxxx.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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