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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 03.04.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 1776/05
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 102
KSchG § 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 12.04.2005 - 2 Ca 3017/04 - wird insoweit zurückgewiesen, wie festgestellt worden ist, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 28.09.2004 nicht beendet wurde.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier betriebsbedingter Kündigungen.

Die am 18.04.1960 geborene, verheiratete Klägerin ist eine ausgebildete Damenschneiderin und graduierte Schnitttechnikerin. Sie steht seit dem 12.01.1987 als technische Angestellte zu einer Bruttovergütung von aktuell 2300 € in den Diensten der Beklagten und arbeitete zuletzt im Bereich des Produktionsschnitts.

Die Beklagte, ein Unternehmen der Bekleidungsindustrie, hatte in der Vergangenheit gravierende Verluste zu verzeichnen. Im Zuge deshalb erforderlicher Umstrukturierungsmaßnahmen kam es ab Ende des Jahres 2003 zu erheblichen Personalabbaumaßnahmen.

Auf der Basis zweier mit dem zuständigen Betriebsrat Verwaltung geschlossener Interessenausgleiche einschließlich Namenslisten vom 17.12.2003/09.01.2004 und vom 27.04.2004 kam es auch zum Abbau von Arbeitsplätzen im Bereich Verbrauchskalkulation/Produktionsschnitt, wo im Dezember 2003 insgesamt 19 Mitarbeiter beschäftigt waren.

Im September 2004 fanden dann erneut Verhandlungen der Beklagten mit dem Betriebsrat Verwaltung über einen weiteren Abbau der zum damaligen Zeitpunkt noch bestehenden 698 Arbeitsplätze statt.

Am 27.09.2004 schlossen die Betriebspartner einen Interessenausgleich mit Namensliste ab, wonach in Fortführung des eingeleiteten Personalabbaus insgesamt weiteren 59 Beschäftigten neu gekündigt werden sollte, darunter der Klägerin.

Wegen des Inhalts des abgeschlossenen Interessenausgleichs einschließlich Namensliste wird verwiesen auf die mit Beklagtenschriftsatz vom 12.01.2005 eingereichten Kopien (Bl. 20 ff. d.A.).

Mit Schreiben vom 28.09.2004, zugegangen am Folgetag, wurde der Klägerin das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2005 gekündigt. Eine weitere ordentliche Kündigung sprach die Beklagte mit Schreiben vom 24.03.2005, zugegangen am 29.03.2005, zum 30.09.2005 "aus Gründen äußerster Rechtsvorsicht ... hilfsweise" aus.

Gegen beide Kündigungen hat sich die Klägerin klageweise gewandt.

Sie hat behauptet, vor dem Hintergrund ihres bisherigen Einsatzes und ihrer Ausbildung sei sie flexibel einsetzbar und deshalb auch mit Beschäftigten außerhalb ihrer Abteilung vergleichbar.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 28.09.2004 nicht beendet wurde und das Arbeitsverhältnis über den 31.03.2005 hinaus fortbesteht,

2. dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch durch die Kündigung vom 24.03.2005 nicht beendet wurde und das Arbeitsverhältnis über den 30.09.2005 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Meinung vertreten, die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Klägerin sei wegen der arbeitsplatzbezogenen Kriterien nicht mit Arbeitnehmern vergleichbar, die mittels eines EDV-gesteuerten CAD-Systems Grundschnitte entwickelten.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 12.04.2005 der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die erfolgte Sozialauswahl sei grob fehlerhaft. Aufgrund der arbeitsvertraglichen Vorgaben seien nämlich auch die Arbeitsplätze im Bereich der CAD-Erstschnitterstellung einzubeziehen gewesen. Eine hinreichende Einarbeitungszeit habe zur Verfügung gestanden.

Gegen dieses ihr am 24.08.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.09.2005 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.11.2005 - am 24.11.2005 begründet.

Sie weißt darauf hin, die Klägerin sei zu keiner Zeit mit der Erstschnitterstellung im CAD-System betraut gewesen. Angesichts einer erforderlichen Einarbeitungszeit von ca. ein Jahr könne deshalb die Bildung der Vergleichsgruppe ohne die Mitarbeiter der CAD-Erstschnitterstellung nicht als grob fehlerhaft qualifiziert werden. Im Übrigen habe sich bei einer Arbeitsprobe Ende April 2005 gezeigt, dass die Klägerin nicht die nötigen Fähigkeiten besitze, um mit dem CAD-System Erstschnitte entwickeln zu können. Ein anderweitiger Einsatz, z. B. in der Musternäherei, sei auch nicht in Betracht gekommen.

Was die Anhörung des Betriebsrats angehe, habe man diesem am 16.09.2004 eine Gesamtpersonalliste übergeben mit dem Hinweis, auch das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG durchzuführen. Zu der vorgeschlagenen Auswahl habe man dem Betriebsrat erläutert, dass weiteren Arbeitnehmern gekündigt werden müsse, weil der im November 2003 begonnene Umbau von einem Konzernunternehmen zu einem mittelständischen DOB-Hersteller noch nicht abgeschlossen sei und weitere 3 Millionen Euro Personalkosten einzusparen seien.

Im Zuge der folgenden Verhandlungen sei dann mit dem Betriebsrat, der aufgrund der vorangegangenen Personalabbaumaßnahmen bereits erheblich Vorkenntnisse gehabt habe, für jeden einzelnen Arbeitsbereich die Situation detailliert erörtert worden.

Am 24.09.2004 sei schwerpunktmäßig auch der Bereich Verbrauchskalkulation/Produktionsschnitt verhandelt worden. Namentlich der technische Leiter B2xxx habe in Bezug auf den Arbeitsplatz der Klägerin erläutert, dass die im Ausland errichteten CAD-Service-Center bereits 39 Prozent der Erstschnitte und Verbrauchskalkulationen erstellen würden. Wegen der fortbestehenden Notwendigkeit zur Personalkostensenkung im Gesamtumfang von 3 Millionen Euro würden weitere vier Arbeitsplätze abgebaut, weil die genannten Center bis Anfang 2006 über 50 Prozent der Schnitte und Kalkulationen übernehmen würden.

Dem Betriebsrat sei auch erklärt worden, warum man die Mitarbeiterin S4xxxxxxx trotz geringerer Punktzahl als Leistungsträgerin aus der Sozialauswahl herausgenommen habe. Diese habe nämlich als einzige Schulungen in den ausländischen CAD-Service-Centern durchgeführt und sich entsprechend weiterqualifiziert, sodass ihre Fortbeschäftigung unumgänglich sei.

Auch habe man die fehlende Vergleichbarkeit der Klägerin zum Beispiel mit Mitarbeitern im CAD-Bereich diskutiert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 12.04.2005 - 2 Ca 3017/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Meinung, die vorgenommene Sozialauswahl sei evident fehlerhaft, weil man bei ihr als technische Angestellte den Kreis der vergleichbaren Mitarbeiter nicht auf ihre Abteilung habe beschränken dürfen.

Im Übrigen müsse die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten werden. So habe man diesem Gremium zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, aus welchen Gründen unter anderem der Arbeitsplatz von ihr, der Klägerin, abgebaut werden sollte.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A1xxxxxxx und B2xxx. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift vom 03.04.2006 (Bl. 182 ff. d. A.).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet, soweit sie sich auf die erste ordentliche Kündigung vom 28.09.2004 bezieht. Hierüber war gemäß § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO durch Teilurteil zu entscheiden, weil hinsichtlich der hilfsweise ausgesprochenen zweiten Kündigung vom 24.03.2005 noch Aufklärungsbedarf besteht.

Die ordentliche Kündigung vom 28.09.2004 zum 31.03.2005 ist gemäß § 102 Abs.1 S. 3 BetrVG (analog) unwirksam. Denn aufgrund des Ergebnisses der am 03.04.2006 durchgeführten Beweisaufnahme kann nicht festgestellt werden, dass der zuständige Betriebsrat Verwaltung im Vorfeld ordnungsgemäß im Sinne des § 102 Abs. 1 S. 1, S. 2 BetrVG angehört worden ist.

Nach der zutreffenden zuständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt BAG AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 134) ergibt sich weder aus dem Wortlauf noch aus Sinn und Zweck des § 1 Abs. 5 KSchG ein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber beim Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste - wie hier - die Anwendung des § 102 BetrVG ausschließen bzw. einschränken wollte (zustimmend z. B. KR/Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 705).

Dementsprechend hat der Arbeitgeber auch in dieser Konstellation dem Betriebsrat die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe so zu beschreiben, dass der Betriebsrat den Sachverhalt unter Einsatz bereits vorhandenen Wissens verstehen und ohne zusätzliche eigene Nachforschungen Alternativen zur beabsichtigten Kündigung aufzeigen kann (z.B. zuletzt BAG Urteil vom 06.10.2005 - 2 AZR 280/04; AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 142 m.w.N.).

Der so umschriebenen Mitteilungspflicht ist die Beklagte nach dem Ergebnis der Vernehmung der Betriebsratsvorsitzenden und des technischen Leiters der Beklagten, B2xxx, nicht gerecht geworden. Es ist danach dem Betriebsrat namentlich nicht ausreichend erklärt worden, warum aus Sicht der Beklagten nach Ablauf der Kündigungsfrist der Arbeitsplatz der Klägerin wegfallen sollte. So haben beide Zeugen nicht bestätigt, dass im September 2004, namentlich am 24.09.2004, im Einzelnen darüber gesprochen worden ist, warum aufgrund welcher geplanten Auslandsvergabe weitere Arbeiten in den Bereichen Erstschnitt und Verbrauchskalkulation der Arbeitsplatz unter anderem der Klägerin mit Ablauf des 31.03.2005 entfallen sollte. Im Gegenteil hat der Zeuge B2xxx erklärt, die weitere Entwicklung sei wegen des Problems, an den ausländischen Standorten geeignetes Personal zu finden, nicht exakt absehbar gewesen. Zum Kenntnisstand hinsichtlich des Umfangs der weiteren Produktionsverlagerung bis zum Ablauf des ersten Quartals 2005 konnte er nichts weiter sagen. Auch die Zeugin A1xxxxxxx konnte keine weiteren Ausführungen dazu machen, in welchem Umfang durch die Auslandsverlagerung Arbeitsplätze im Bereich Verbrauchskalkulation/Produktionsschnitt abgebaut werden sollten.

Dieser Information hätte es aber bedurft, damit auf Seiten des Betriebsrats der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für die Klägerin kompetent hätte nachvollzogen werden können.

Bezeichnenderweise ist auch im Interessenausgleich vom 27.09.2004 an keiner Stelle genauer ausgeführt, warum die Arbeit von insgesamt weiteren 59 Mitarbeitern entfallen sollte; vielmehr finden sich dort namentlich unter § 4 "nur" Hinweis auf eine Personalliste mit Informationen, die ausschließlich im Rahmen der Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 BetrVG) relevant waren.

Auch die von der Zeugin A1xxxxxxx zur Gerichtsakte gereichte Gesprächsnotiz vom 24.09.2004 dokumentiert, dass man an diesem Tag ohne nähere Mitteilungen von den arbeitgeberseitigen Vorgaben zur Notwendigkeit des Abbaus weiterer Arbeitsplätze ausgegangen ist und sich auf Fragen der Sozialauswahl einschließlich der anderweitigen Einsatzmöglichkeiten betroffener Arbeitnehmer konzentriert hat.

Nach alledem geht es im Rahmen des § 102 Abs. 1 BetrVG zu Lasten der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten, wenn der Sachverhalt in Bezug auf den Wegfall der bislang von der Klägerin verrichteten Tätigkeiten nicht weiter aufgeklärt werden konnte.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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