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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.04.2002
Aktenzeichen: 13 Sa 909/01
Rechtsgebiete: MuSchG


Vorschriften:

MuSchG § 9
Erklärt die zuständige Behörde gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG die Kündigung gegenüber einer Schwangeren für zulässig, so darf die Kündigung erst nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides oder nach Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides erfolgen.
Landesarbeitsgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

Geschäfts-Nr.: 13 Sa 909/01

Verkündet am: 23.04.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 23.04.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schlegel sowie die ehrenamtlichen Richter Bewer und Thiele

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 11.04.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Herne - 1 Ca 2092/00 - teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 14.06.2000 zum 31.07.2000 aufgelöst worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 2/5 und der Beklagten zu 3/5 auferlegt.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine arbeitgeberseitige, auf betriebsbedingte Gründe gestützte ordentliche Kündigung.

Die Beklagte befasst sich ursprünglich schwerpunktmäßig mit der Herstellung und dem Vertrieb von PSA-Abscheidern und Prozessluftkühlern, wofür sie mehr als 300 Arbeitnehmer beschäftigte.

Die am 05.10.1973 geborene Klägerin war seit dem 01.09.1990 als Auszubildende und seit dem 22.06.1993 als Schweißerin/Automatenschweißerin beschäftigt. Sie erhielt zuletzt einen durchschnittlichen monatlichen Bruttolohn von 4.700,00 DM. Seit dem Jahre 1998 ist die Klägerin Mitglied des Betriebsrats.

Am 19.01.2000 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat über ihre Absicht, 153 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen ordentlich aus betriebsbedingten Gründen zu kündigen, unter anderem auch der Klägerin. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt schwanger. Daher enthielt das Anhörungsschreiben in der Zeile, in der die persönlichen Daten der Klägerin aufgeführt wurden, den Zusatz "MuSch". Zudem heißt es in dem Anhörungsschreiben weiter:

"Die Kündigung einer Person, die unter den Geltungsbereich des Mutterschutzgesetzes fällt, wird ebenfalls erst nach Zustimmung durch die zuständige Behörde ausgesprochen. Die Bitte um Zustimmung wird ebenfalls parallel zu dieser Anhörung gestellt."

Entsprechend dieser Ankündigung beantragte die Beklagte die behördliche Zustimmung zu der Kündigung der schwangeren Klägerin. Die Behörde erklärte die Kündigung unter dem 08.06.2000 für zulässig. Dieser Bescheid ging der Beklagten am 13.06.2000 zu. Daraufhin sprach die Beklagte mit Schreiben vom 14.06.2000 die hier umstrittene ordentliche Kündigung zum 31.07.2000 aus. Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit ihrer am 23.06.2000 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Die Klägerin legte mit Schreiben vom 19.06.2000 Widerspruch gegen die behördliche Entscheidung ein. Durch Bescheid vom 04.09.2000 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin erhob dagegen Klage vor dem Verwaltungsgericht (AZ: 11 K 4877/00 VerwG Gelsenkirchen).

Die Klägerin wendet sich gegen die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung unter anderem mit der Begründung, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen § 9 MuSchG unwirksam. Da die behördliche Entscheidung, die Kündigung für zulässig zu erklären, im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht bestandskräftig gewesen sei, hätte die Kündigung noch nicht ausgesprochen werden dürfen.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 14.06.2000 zum 31.07.2000 aufgelöst worden ist, sowie die Beklagte zu verurteilen, sie nach Ablauf ihrer Mutterschutzfrist und ihres Erziehungsurlaubes zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Schweißerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, sie habe nicht die Bestandskraft der behördlichen Entscheidung abwarten müssen.

Durch ein am 11.04.2001 verkündetes Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung.

Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 14.06.2000 zum 31.07.2000 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist auch begründet. Die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung ist unwirksam gemäß §§ 9 Abs. 1 MuSchG, 134 BGB, weil die Kündigung ausgesprochen wurde, obwohl der behördliche Bescheid über die Zulässigkeit der Kündigung weder bestandskräftig war noch die vorläufige Vollziehbarkeit des Bescheides angeordnet war.

Es wird allerdings die Auffassung vertreten, die Kündigung könne bereits dann ausgesprochen werden, wenn die Zustimmung der Verwaltungsbehörde erteilt worden, aber noch nicht bestandskräftig sei (BVerwG v. 18.08.1977 - V C 8.77 -; VerwGH Baden-Württemberg v. 07.12.1993 - 1 O S 2825/92 -; Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 5. Aufl., § 9 MuSchG Rn. 111; Gröninger/Thomas, § 9 MuSchG Rn. 106; Zmarzlik/Zipperer/ Viethen, MuSchG, 8. Aufl., § 9 MuSchG Rn. 74; Kittner/Däubler/Zwanziger, Kündigungsschutzrecht, 5. Aufl., § 9 MuSchG Rn. 44; MünchArbR-Heene, 2. Aufl., § 226 Rn. 105, 110; Kasseler Handbuch zum Arbeitsrecht-Klempt, 2. Aufl., 3.4 Rn. 103).

Teilweise wird die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber müsse zwar die Bestandskraft der Zulässigkeitserklärung, also den Ablauf der Widerspruchs- bzw. Klagefrist nicht abwarten. Die Kündigung dürfe aber nach Einlegung des Widerspruchs bzw. der Klage nur erfolgen, wenn die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet worden sei (APS-Rolfs, § 9 MuSchG Rn. 84).

Schließlich wird die Ansicht vertreten, der Arbeitgeber könne wirksam erst nach Eintritt der Bestandskraft des Zulassungsbescheides oder nach Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides kündigen; Widerspruch und Anfechtungsklage der Arbeitnehmerin wirkten zurück auf den Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsaktes (Heilmann, MuSchG, 2. Aufl., § 9 Kündigungsverbot Rn. 168 - 172; KR-Etzel, 6. Aufl., § 9 MuSchG Rn. 127; ErfK-Schlachter, 2. Aufl., 500 MuSchG § 9 Rn. 18; Eyermann/Schmidt, VwGo, 11. Aufl., § 80 Rn. 15).

Letzterer Auffassung ist zu folgen. Überzeugend führt Heilmann (aaO, Rn. 169 - 172) aus, nur diese Lösung lasse sich mit mutterschutzrechtlichen Prämissen vereinbaren. Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage der Arbeitnehmerin gegen die Zulässigkeitserklärung bedeutet, dass der angegriffene Verwaltungsakt seine privatrechtsgestaltende Wirkung noch nicht entfalten kann. Die gegenteiligen Auffassungen würden dazu führen, dass vor endgültiger Klärung der Zulässigkeit der Kündigung die Kündigung schwebend wirksam bzw. schwebend unwirksam vollzogen werden könnte. In der Realität des Arbeitslebens hieße das, dass dieser Arbeitsplatz für die Arbeitnehmerin selbst dann verloren wäre, wenn ihre Gegenwehr gegen die behördliche Zulassung schließlich erfolgreich und die Kündigung von Anfang an unwirksam sein sollte. Den Interessen des Arbeitgebers wird ausreichend dadurch Rechnung getragen, dass er die Möglichkeit hat, die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGo zu beantragen. Für dieses Verständnis der gesetzlichen Regelung spricht auch der Umstand, dass der Gesetzgeber zwar in § 18 Abs. 4 SchwbG geregelt hat, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung keine aufschiebende Wirkung haben, dass er aber eine ähnliche Regelung im Mutterschutzgesetz nicht getroffen hat. Diese unterschiedlichen Regelungen ähnlich gelagerter Sachverhalte legen den Schluss nahe, dass im Regelungsbereich des § 9 MuSchG anders als im Regelungsbereich des § 18 SchwbG Widerspruch und Anfechtungsklage sehr wohl aufschiebende Wirkung haben, wie dies die allgemeinen Regelungen der VwGo vorsehen.

Der Kündigungsschutzklage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wurde die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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