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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.08.2006
Aktenzeichen: 13 Ta 179/06
Rechtsgebiete: RVG, GKG


Vorschriften:

RVG § 23
GKG § 42 Abs. 3 Satz 1
In einem Beschlussverfahren, in dem um die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung über wiederkehrende Leistungen gestritten wurde, ist in Anlehnung an § 42 Abs. 3 Satz 1 GKG für den ersten betroffenen Arbeitnehmer der dreifache Jahresbetrag der Leistungen abzüglich 20 % als Gegenstandswert in Ansatz zu bringen.

Ergeben sich keine Einzelfallbesonderheiten, ist in Anlehnung an die Staffel des § 9 BetrVG ab dem zweiten Arbeitnehmer der Wert wie folgt zu bestimmen:

Arbeitnehmer 2 - 20 = jeweils 25 % des Ausgangswertes;

Arbeitnehmer 21 - 50 = jeweils 12,5 % des Ausgangswertes;

Arbeitnehmer 51 - 100 = jeweils 10 % des Ausgangswertes.


Tenor:

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Paderborn vom 03.03.2006 - 1 BV 61/05 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren im allgemeinen auf 120.878,67 € und für den Teilvergleich vom 09.02.2006 auf 71,63 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Im Ausgangsverfahren haben die Beteiligten, soweit hier noch von Interesse, um die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung gestritten, in der unter anderem geregelt war:

1.) Ab 01.01.2005 wird die Arbeitszeit von 36 auf 38 Std./Woche ohne Lohnausgleich verlängert.

...

3.) Für die gesamte Belegschaft gibt die Fa. B2xx bis zum 31.03.2006 eine Arbeitsplatzgarantie und nimmt keine betriebsbedingten Kündigungen vor.

4.) Das Urlaubs- und Weihnachtsgeld ist für das Jahr 2005/2006 garantiert. Grundsätzlich handelt es sich beim Weihnachts- und Urlaubsgeld um eine freiwillige jederzeit kündbare Sonderzahlung des Arbeitgebers.

Durch einen inzwischen rechtskräftigen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 09.02.2006 wurde die Betriebsvereinbarung für unwirksam erklärt.

Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 03.03.2006, soweit hier noch von Interesse, den Gegenstandswert auf 4.000,00 € festgesetzt. Hiergegen richtet sich die von der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 08.03.2006 erhobene Beschwerde.

II.

Die gemäß § 33 RVG zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist von § 23 Abs. 3 S. 2, 2 Hs. RVG auszugehen. Danach ist der Gegenstandswert auf 4.000 €, je nach Lage des Falles aber auch niedriger oder höher bis zu 500.000 € anzunehmen, sofern es sich um nichtvermögensrechtliche Gegenstände handelt. Hiervon ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren immer dann auszugehen, wenn um das Bestehen und die Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gestritten wird, weil die Begehren weder auf Geld noch auf eine geldwerte Leistung gerichtet sind und auch ihre Grundlage nicht in einem Verhältnis haben, dem ein Vermögenswert zukommt (vgl. BAG NZA 2005, 70; LAG Hamm LAGE BRAGO § 8 Nr. 50; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 313).

1. Hier liegt eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit vor, weil es um die Grenzen der Teilhabe des Betriebsrats an der Gestaltung des betrieblichen Geschehens geht (vgl. BAG NZA 2005, 70).

2. Die danach einschlägige Auffangvorschrift des § 23 Abs. 3 S. 2, 2 Hs. RVG mit ihrem außerordentlich weiten Bewertungsrahmen und dem Hilfswert in Höhe von derzeit 4.000,00 € stellt die Rechtsprechung vor die Aufgabe, die in Beschlussverfahren infrage kommenden Streitgegenstände in ein Bewertungssystem einzubinden, das falladäquate Abstufungen zulässt und zugleich tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsprozesses ausreichend Rechnung trägt; erforderlich ist die Herausarbeitung typisierender Bewertungsgrundsätze, um zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen (LAG Hamm EzA ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; Schneider, Anm. zu BAG EzA ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 36; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 443).

Maßgebend ist allerdings immer die "Lage des Falles"; es bedarf also einer auf die konkreten Umstände des einzelnen Verfahrens abgestellten Wertfestsetzung.

Was die maßgeblichen Einzelfallumstände angeht, kann auf die vergleichbare Regelung zur Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten in § 37 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zurückgegriffen werden, wonach es in erster Linie auf die Bedeutung der Angelegenheit ankommt; daneben kann im Einzelfall der Umfang sowie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit eine Rolle spielen (vgl. BVerfG NJW 1989, 2047; siehe auch § 48 Abs. 2 S. 1 GKG).

Mit der Bedeutung der Angelegenheit als Ausgangspunkt der Bewertung ist die Tragweite der gerichtlichen Entscheidung für die materielle und ideelle Stellung der Betroffenen angesprochen, was ihnen selbst die Sache "wert" ist. Die daneben zu berücksichtigenden Gesichtspunkte des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit müssen in Relation zur Bedeutung der Sache gewichtet werden. Entspricht also der anwaltliche Arbeitsaufwand von seinem Umfang und seiner Schwierigkeit her typischerweise der Bedeutung der Sache, bleibt es bei deren Bewertung; die Bedeutung ist also letztlich das ausschlaggebende Moment für die vorzunehmende Wertfestsetzung (BVerfG, a.a.O.; LAG Hamm LAGE BRAGO § 8 Nr. 50).

Andererseits ist der in Beschlussverfahren zum Ausdruck kommenden Grundtendenz Rechnung zu tragen, wonach die dem Arbeitgeber gem. § 40 Abs. 1 BetrVG obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten zu tragen, nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf (LAG Hamm EzA ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 444; vgl. auch § 37 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG und § 48 Abs. 2 S. 1 GKG). Damit steht wiederum die Sonderbestimmung des § 2 Abs. 2 GKG in Einklang, wonach in Beschlussverfahren keine Gerichtskosten erhoben werden.

Nach alledem ist also ein Wert zu finden, der für den Rechtsanwalt angemessene und für den Arbeitgeber tragbare Gebühren ergibt (LAG Hamm LAGE BRAGO § 8 Nr. 50).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich hier, dass es dem Betriebsrat im Ausgangsverfahren darum ging, eine Betriebsvereinbarung für unwirksam erklären zu lassen, weil sie aus seiner Sicht nicht mit der Mitbestimmungsordnung des BetrVG in Einklang zu bringen war.

Hinzu kommt aber, dass sich die im Beschlussverfahren ergangene rechtskräftige Feststellung zu den Rechtswirkungen der getroffenen Abrede auch unmittelbar auf das Verhältnis der Arbeitgeberin zu den einzelnen betroffenen Arbeitnehmern auswirkt. Denn gemäß § 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG gelten die Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung unmittelbar und zwingend für alle normunterworfenen Arbeitnehmer. Streiten in einer solchen Konstellation die Betriebspartner über die Wirksamkeit der von ihnen getroffenen normativen Regelungen und erwirken darüber eine rechtskräftige Entscheidung, dann ist damit nicht nur zwischen ihnen eine verbindliche Klärung herbeigeführt; vielmehr steht zugleich auch fest, mit welchem Inhalt der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung im Verhältnis zu seinen Arbeitnehmern zur Anwendung bringen kann, welche ausschließlich auf den Normenvertrag gestützten Ansprüche also bestehen (vgl. § 9 TVG; z.B. BAG AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 79; AP ArbGG 1979 § 84 Nr. 1; LAG Nürnberg, Urt. v. 23.12.2002 - 6 Sa 66/00).

Die Entscheidung im Ausgangsverfahren führt also präjudiziell auch zu einer verbindlichen Klärung zahlreicher Ansprüche betroffener Arbeitnehmer. Deshalb sind die damit verbundenen unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen bei der streitwertmäßigen Bemessung der Bedeutung der Sache zu berücksichtigen (vgl. z. B. BVerfG NJW 1989, 2047; LAG Hamm LAGE ArbGG 1979 § 12 Streitwert Nr. 70; LAG Mecklenburg-Vorpommern LAGE BRAGO § 8 Nr. 32; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 446)

Insgesamt hält es die Kammer in dieser spezifischen Situation der direkten Auswirkungen auf zahlreiche Arbeitsverhältnisse unter Beachtung des in § 23 Abs. 3 S. 2 2 Hs. RVG gesetzten Rahmens von bis zu 500.000 € "nach Lage des Falles" für sachgerecht, bei der Gegenstandswertbestimmung auf § 42 Abs. 3 S. 1 GKG zurückzugreifen. Die dem entgegenstehende bisherige Rechtsprechung der Beschwerdekammer (Beschl. v. 02.08.2005 - 13 TaBV 10/05 und 17/05; vgl. auch Beschl. v. 12.09.2005 - 10 TaBV 72/05) wird aufgegeben.

Danach ist im Ausgangspunkt der dreifache Jahresbetrag der in der Betriebsvereinbarung geregelten wiederkehrenden Leistungen zugrunde zu legen, womit zugleich auch das (ideelle) Interesse des Betriebsrats an der Wahrung der gesetzlichen Mitbestimmungsordnung abgegolten ist.

Da im Ausgangsverfahren das Rechtsschutzbegehren aber in erster Linie nicht im Rahmen eines Leistungs-, sondern eines Feststellungsantrags verfolgt worden ist, ist der insoweit maßgebliche Wert des dreifachen Jahresbetrages angemessen zu kürzen, und zwar um 20 % (vgl. LAG Hamm EzA ArbGG § 12 Nr. 7; LAGE ZPO § 3 Nr.3; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rn. 277).

Eine weitere Herabsetzung dieses Wertes ist geboten, wenn - wie hier - ohne Besonderheiten des Einzelfalles eine für alle Mitarbeiter gleichermaßen Geltung beanspruchende Betriebsvereinbarung einschlägig ist. In dieser Konstellation ist es gerechtfertigt, in Anlehnung an die Staffelung der Arbeitnehmerzahlen in § 9 BetrVG für den ersten Fall den vollen Ausgangsbetrag in Ansatz zu bringen und für die weiteren Arbeitnehmer prozentuelle Anteile dieses Wertes nach folgender Staffel zu berücksichtigen (vgl. LAG Hamm, Beschl. vom 10.01.2005 - 13 TaBV 100/04; Beschl. vom 16.03.2005 - 13 TaBV 146/04):

Arbeitnehmer 2 - 20 = jeweils 25% des Ausgangswertes;

Arbeitnehmer 21 - 50 = jeweils 12,5% des Ausgangswertes;

Arbeitnehmer 51 - 100 = jeweils 10% des Ausgangswertes.

In dem Zusammenhang sind entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin alle 95 Arbeitnehmer zu berücksichtigen, weil eine wirksame Betriebsvereinbarung die Arbeitsverhältnisse der im Angestelltenstatus tätigen Mitarbeiter - mit Ausnahme der leitenden Angestellten - ebenfalls normativ erfasst hätte; bezeichnenderweise ist auch in Ziffer 3 der Betriebsvereinbarung vom 21.12.2004 eine Arbeitsplatzgarantie "für die gesamte Belegschaft" vereinbart worden.

Was das Weihnachts- und Urlaubsgeld angeht, sind diese bislang kraft betrieblicher Übung gewährten Leistungen in Ziffer 4 der genannten Betriebsvereinbarung unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt worden, hätten danach also jederzeit wegfallen können. Deshalb ist insoweit auch der dreifache Jahresbetrag in Ansatz zu bringen.

Nach alledem ergibt sich folgende Berechnung:

Bei einem Durchschnittsmonatsverdienst von 1.900,00 € und der bis Ende 2004 maßgeblichen 36-Stunden-Woche errechnet sich bei 156 Monatsstunden eine Stundenvergütung in Höhe von 12,18 €. Demgegenüber ergibt sich bei einer 38-Stunden-Woche eine monatliche Mehrleistung von 9 Stunden x 12,18 € = 109,62 €.

Als 36facher Wert (vgl. § 42 Abs. 3 S. 1 GKG) resultiert daraus ein Betrag in Höhe von 3.946,32 €. Hinzu kommt der Jahresbetrag für Weihnachtsgeld (70% von 1.900,00 € = 1.330,00 €) und Urlaubsgeld (50% von 1.900,00 € = 950,00 €) x 3 = 6.840,00 €.

Für den ersten betroffenen Arbeitnehmer sind folglich insgesamt 10.786,32 € zu berücksichtigen, wovon 20 % = 2.157,26 € abzuziehen sind. Es verbleibt ein Wert in Höhe von 8.629,06 €.

Für die folgenden 19 Mitarbeiter ergeben sich jeweils 25% diese Wertes, insgesamt also 40.988,13 € (= 2157,27 € x 19). Für weitere 30 Mitarbeiter sind jeweils 12,5% des Wertes zugrunde zu legen, insgesamt also 32.358,90 € (= 1.078,63 € x 30). Für die restlichen 45 Mitarbeiter ist jeweils von 10% dieses Wertes auszugehen, insgesamt also von 38.830,95 € (= 862,91 € x 45).

Daraus errechnet sich ein Gesamtgegenstandswert in Höhe von 120.807,04 € - zuzüglich der 71,63 € für den Zahlungsantrag zu 2).

Ende der Entscheidung

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