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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.08.2005
Aktenzeichen: 13 TaBV 10/05
Rechtsgebiete: RVG, BetrVG


Vorschriften:

RVG § 23
RVG § 33
BetrVG § 9
BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit ist in Streitigkeiten um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Gewährung von Zulagen anhand der in § 9 BetrVG festgelegten Staffel zu bemessen.

Für den Grundfall von bis zu 20 betroffenen Arbeitnehmern sind 4.000,00 € in Ansatz zu bringen und für jede weitere der in § 9 BetrVG vorgesehenen Stufungen zusätzlich 4.000,00 €.


Tenor:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 03.01.2005 - 5 BV 20/04 - teilweise abgeändert.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 12.000 Euro festgesetzt.

Im Übrigen werden die Beschwerde der Arbeitgeberin und die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates zurückgewiesen.

Gründe: A. Im Ausgangsverfahren hat der Betriebsrat des Werkes G2xxxxxxx die Feststellung begehrt, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, gem. § 5 der zum 31.12.2003 gekündigten Betriebsvereinbarung zur Einführung des vollkontinuierlichen Betriebes mit 5 Schichtbesatzungen in der Rohspanplattenproduktion für geleistete Sonn- und Feiertagsstunden an jeden der insgesamt betroffenen 55 Mitarbeiter eine Zulage in Höhe von 5,11 € pro Stunde zu zahlen. In der Vergangenheit resultierte daraus ein jährliches Gesamtvolumen von knapp 80.000,00 Euro. Der Betriebsrat ist der Ansicht, die Regelungen der genannten Betriebsvereinbarung würden nachwirken, weil über den 31.12.2003 hinaus ein Mitbestimmungsrecht bestehe. Gegen den zugunsten des Betriebsrates ergangenen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 07.12.2004 hat die Arbeitgeberin Beschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden ist. Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates hat das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 03.01.2005, der keine Rechtsmittelbelehrung enthält und auch nicht förmlich zugestellt worden ist, den Gegenstandswert auf 40.000,00 Euro festgesetzt. Dagegen hat die Arbeitgeberin mit Schriftsatz vom 18.01.2005 "Rechtsmittel" eingelegt mit dem Begehren, den Gegenstandswert auf 4.000,00 Euro festzusetzen. Das Arbeitsgericht hat dieser Beschwerde nicht abgeholfen. Mit Schriftsatz vom 10.02.2005 haben die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates ebenfalls Beschwerde eingelegt mit dem Begehren, den Gegenstandswert auf 60.000,00 Euro festzusetzen, ausgehend von 80.000,00 Euro jährlichem Zulagenvolumen abzüglich 25% wegen des gestellten Feststellungsantrages. B. I. Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG sind die von der Arbeitgeberin und den Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates eingelegten Rechtsmittel noch nach altem Recht zu beurteilen. II. Sie sind als einfache, befristete Beschwerden nach § 10 Abs. 3 BRAGO (jetzt: § 33 Abs. 3, Abs. 4 RVG) zulässig - auch soweit es die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates angeht; denn es erfolgte keine förmliche Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses, der im Übrigen auch nicht mit der entsprechenden Rechtsmittelbelehrung (§ 9 Abs. 5 ArbGG) versehen war, so dass die 2-Wochen-Frist des § 10 Abs. 3 Satz 3 BRAGO (jetzt: § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) nicht zu laufen begonnen hat und demgemäß die Beschwerde auch noch am 10.02.2005 eingelegt werden konnte. III. Von einer Vorlage zur Prüfung einer Abhilfeentscheidung durch das Arbeitsgericht in Bezug auf die von den Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates erhobene Beschwerde hat die Kammer abgesehen, nachdem die Verfahrensbevollmächtigten diese Beschwerde direkt beim Landesarbeitsgericht eingelegt haben (vgl. OLG Frankfurt MDR 2002, 391; LAG Berlin, Beschluss vom 13.10.2003 - 6 Ta 1968/03). Die ordnungsgemäße Durchführung des Abhilfeverfahrens ist nämlich keine Voraussetzung für das Beschwerdeverfahren (OLG Stuttgart MDR 2003, 110; Zöller/ Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 572 Rdnr. 4). IV. Die arbeitgeberseits eingelegte Beschwerde ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, während sie im Übrigen - ebenso wie die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates - als unbegründet zurückzuweisen war. Bei der Bemessung des Gegenstandswertes ist von § 8 Abs. 2 S. 2 2. Halbsatz BRAGO (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG) auszugehen. Danach ist der Gegenstandswert auf 4.000,00 Euro, je nach Lage des Falles aber auch niedriger oder höher bis zu 500.000,00 Euro anzunehmen, sofern es sich um nichtvermögensrechtliche Gegenstände handelt. Hiervon ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren immer dann auszugehen, wenn um das Bestehen und die Beachtung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gestritten wird, weil die Begehren weder auf Geld noch auf eine geldwerte Leistung gerichtet sind und auch ihre Grundlage nicht in einem Verhältnis bestehen, dem ein Vermögenswert zukommt (BAG NZA 2005, 70; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdnr. 169, 181, 266). 1. Vorliegend streiten die Beteiligten im Zusammenhang mit der Frage einer Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates bei der Zahlung von Zulagen für Sonntags- und Feiertagsarbeit. Folglich handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit. 2. Die danach einschlägige Auffangvorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BRAGO mit ihrem außerordentlich weiten Bewertungsrahmen und dem Hilfswert in Höhe von derzeit 4.000,00 Euro stellt die Rechtsprechung vor die Aufgabe, die im Beschlussverfahren in Frage kommenden Streitgegenstände in ein Bewertungssystem einzubinden, das falladäquate Abstufungen zulässt und zugleich tragenden Grundsätzen des Arbeitsgerichtsprozesses ausreichend Rechnung trägt; erforderlich ist die Herausarbeitung typisierender Bewertungsgrundsätze, um zu einer gleichförmigen und damit den Gleichbehandlungsgrundsatz wahrenden Rechtsanwendung zu gelangen (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; Schneider, Anm. zu BAG EzA Nr. 36 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdn. 132 b, 264). Maßgeblich ist allerdings immer die "Lage des Falles"; es bedarf also einer auf die konkreten Umstände des einzelnen Verfahrens abgestellten Wertfestsetzung. Was die maßgeblichen Einzelfallumstände angeht, kann auf die vergleichbaren Regelungen zur Bewertung nichtvermögensrechtlicher Streitigkeiten in § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO und § 12 Abs. 2 Satz 1 GKG (jetzt: § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG i. V. m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG) zurückgegriffen werden, wonach es vor allem auf die Bedeutung der Angelegenheit und daneben auf den Umfang sowie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ankommt (vgl. BVerfG NJW 1989, 2047). Mit der Bedeutung der Angelegenheit als Ausgangspunkt der Bewertung ist die Tragweite der gerichtlichen Entscheidung für die materielle und ideelle Stellung der Betroffenen angesprochen, was ihnen selbst die Sache "wert" ist. Daneben können auch der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit bei der Wertfestsetzung zu berücksichtigen sein. Allerdings müssen die beiden letztgenannten Gesichtspunkte in Relation zur Bedeutung der Sache gesehen werden. Entspricht also der anwaltliche Arbeitsaufwand von seinem Umfang und seiner Schwierigkeit her typischerweise der Bedeutung der Sache, bleibt es bei deren Bewertung; die Bedeutung ist also letztlich das ausschlaggebende Moment für die vorzunehmende Wertfestsetzung (BVerfG, a.a.O.; LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO). Andererseits ist der im Beschlussverfahren zum Ausdruck kommenden Grundtendenz Rechnung zu tragen, wonach die dem Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten zu tragen, bei ihm nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf (LAG Hamm EzA Nr. 70 zu § 12 ArbGG 1979 Streitwert; GK-ArbGG/Wenzel, § 12 Rdn. 265). Damit steht wiederum die Sonderbestimmung des § 12 Abs. 5 ArbGG (jetzt: § 2 Abs. 2 GKG) in Einklang, wonach in Beschlussverfahren keine Gerichtskosten erhoben werden. Nach alledem ist also ein Wert zu finden, der für den Rechtsanwalt angemessene und für den Arbeitgeber tragbare Gebühren ergibt (LAG Hamm LAGE Nr. 50 zu § 8 BRAGO). Unter Anwendung dieser Grundsätze kommt es also zunächst auf das Interesse an, das mit dem konkret gestellten Verfahrensantrag durchgesetzt werden soll. Insoweit geht es vorliegend dem Betriebsrat im Kern um die Wahrung des aus seiner Sicht fortbestehenden Mitbestimmungsrechtes gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, womit die Nachwirkung der arbeitgeberseits gekündigten Betriebsvereinbarung verbunden wäre (§ 77 Abs. 6 BetrVG). Wenn damit im Erfolgsfalle auch (mittelbare) Auswirkungen auf die Vermögenslage der Arbeitgeberin und der betroffenen Mitarbeiter einhergehen würden, ändert dies nichts daran, dass der Streit der Beteiligten im vorliegenden Beschlussverfahren ausschließlich nichtvermögensrechtlicher Art ist (vgl. BAG NZA 2005, 70; LAG Düsseldorf JurBüro 1995, 483; LAG Schleswig-Holstein LAGE Nr. 17 und 24 zu § 8 BRAGO). Dementsprechend kann das für potenzielle individualrechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer maßgebliche Zulagenvolumen nicht der Anknüpfungspunkt für die beantragte Festsetzung des Gegenstandswertes sein. Vielmehr hält es die Kammer in Fällen wie hier in der Regel für sachgerecht, bei der Bemessung der streitwertmäßigen Bedeutung, den eine Auseinandersetzung um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes hat, von der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer auszugehen und sich dabei an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren. Dabei ist der Grundfall von bis zu 20 Mitarbeitern mit dem Auffangwert des § 8 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz BRAGO (jetzt: § 23 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz RVG) in Höhe von 4.000,00 Euro in Ansatz zu bringen. Für die weiteren in § 9 BetrVG vorgesehenen Staffeln sind jeweils zusätzlich 4.000,00 Euro zu berücksichtigen. Daraus errechnet sich im vorliegenden Verfahren bei 55 betroffenen Mitarbeitern ein Gesamtgegenstandswert in Höhe von 12.000,00 Euro.

Ende der Entscheidung

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