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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.06.2007
Aktenzeichen: 13 TaBV 87/06
Rechtsgebiete: BetrVG, WO


Vorschriften:

BetrVG § 14
BetrVG § 19
WO § 11
WO § 12
WO § 24
WO § 25
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsteller zu 1) - 7) und der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 16.08.2006 - 3 (5) BV 65/06 - abgeändert.

Die Betriebsratswahl vom 24.05.2006 wird für unwirksam erklärt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit der am 24.05.2006 durchgeführten Betriebsratswahl.

Die Arbeitgeberin, die einen großen in der Fläche verteilten Wohnungsbestand verwaltet, beschäftigt insgesamt 80 Mitarbeiter. Hiervon entfallen 40 auf die Verwaltung in B1, 10 auf hauptamtliche Hausmeister und 30 auf sogenannte nebenamtliche/nebenberufliche Hauswarte/Hausmeister. Letztgenannter Gruppe war bei der Wahl im Jahr 2002 kein Wahlrecht eingeräumt worden.

Anlässlich der durchzuführenden Neuwahl bestellte der Betriebsrat einen fünfköpfigen Wahlvorstand, bestehend aus drei Betriebsratsmitgliedern, die bei der jetzigen Wahl auf der Liste 1 kandidierten (N2, P5 und W3), sowie zwei weiteren Arbeitnehmern, nämlich der Beschäftigten N3 von der Liste 2 und dem Arbeitnehmer J1. Zum Vorsitzenden des Wahlvorstandes wurde Herr N2 berufen.

Am 17.03.2006 hängte der Wahlvorstand das Wahlausschreiben (Bl. 95 f. d. A.) aus. Unter Ziffer 11 heißt es:

Wer am Wahltag verhindert ist, kann seine Stimme auch per Briefwahl abgeben. Die Briefwahlunterlagen können bei allen Wahlvorstandsmitgliedern angefordert werden.

Im Zusammenhang mit der Briefwahl kam dem Wahlvorstandsvorsitzenden N2 unter anderem die Aufgabe zu, auf seinem PC die für die schriftliche Stimmabgabe erforderlichen Wahlunterlagen zu erstellen; in seinem Besitz befanden sich auch die Frei- und Wahlumschläge.

Am 03.04.2006 fand eine Sitzung des Wahlvorstandes statt. Es wurde festgestellt, dass in der Reihenfolge des Eingangs beim Wahlvorstand die Vorschlagslisten "N2", "E3" und "B7" eingegangen waren. Dementsprechend wurde zunächst auch eine laufende Nummerierung der drei Listen vorgenommen. Nach rechtlicher Beratung wurden sodann die Ordnungsnummern durch Los ermittelt, wobei nicht alle Listenvertreter anwesend waren; die Liste "N2" erhielt die Nr. 1, die Liste "E3" die Nr. 2 und die Liste "B7" die Nr. 3.

Bei der anschließenden Wahl haben von den insgesamt 80 Wahlberechtigten 48 per Briefwahl gewählt. In dem Zusammenhang suchte der Wahlvorstandsvorsitzende N2 unter anderem am 10. und 11.04.2006 zumindest 11 Wahlberechtigte in ihren Wohnorten in B8 S7, L2, B1, L3 und D1 auf, um ihnen die Briefwahlunterlagen zu bringen und diese nach erfolgter Ausfüllung sofort wieder mitzunehmen. Im Betrieb wurde auf die Freiumschläge ein Eingangsstempel mit Datumsangabe gesetzt.

Am 12.04.2006 wandte sich dann Herr N2 an das Wahlvorstandsmitglied J1 mit der Bitte, gemeinsam die Freiumschläge dergestalt zu "versiegeln", dass die auf der Rückseite zugeklebte Lasche mit Tesafilm überklebt und anschließend auf dem Tesastreifen zwei Namenskürzel gesetzt werden sollten. Nach Weigerung des Zeugen J1 unter Verweis darauf, er könne nicht beurteilen, ob es zwischenzeitlich zum Austausch von Umschlägen gekommen sei, nahm der Wahlvorstandsvorsitzende N2 die "Versiegelung" mit dem Wahlvorstandsmitglied W3 vor.

Per Briefwahl wählten auch insgesamt sechs in der Verwaltung in B1 tätige Mitarbeiter sowie die drei Wahlvorstandsmitglieder N2, W3 und P5.

Am Wahltag wurde als Wahlurne ein Pappkarton verwendet, der mit Paketklebeband "gesichert" war.

Bei der Stimmauszählung stellte sich dann heraus, dass zwei Wähler ein vom Wahlvorstand zur Verfügung gestelltes Merkblatt zur persönlichen Stimmabgabe gemeinsam mit dem Stimmzettel in den Wahlumschlag gesteckt hatten. Die beiden Stimmen wurden deshalb als ungültig behandelt.

Ausweislich des noch am Wahltag ausgehängten Wahlergebnisses entfielen bei 77 als gültig anerkannten Stimmen 42 Stimmen auf die Liste 1, 16 auf die Liste 2 und 19 auf die Liste 3. Dementsprechend erhielten die Liste 1 im Betriebsrat drei Betriebsratssitze und die Listen 2 und 3 jeweils einen Betriebsratssitz.

Mit einem beim Arbeitsgericht am 07.06.2006 eingegangenen Antrag machten sieben Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend.

Sie haben die Auffassung vertreten, es sei in mehrfacher Hinsicht gegen wesentliche Vorschriften über das einzuhaltende Wahlverfahren verstoßen worden.

So sei der Wahlvorstand nicht ordnungsgemäß durch den Betriebsrat bestellt worden, weil dessen Wahl 4 Jahre zuvor wegen der Nichtberücksichtigung der Hauswarte nichtig gewesen sei.

Auch seien die Listenführer E3 und B7 entgegen den gesetzlichen Vorgaben nicht zur Auslosung der Listennummern eingeladen worden.

Vielen Wahlberechtigten habe man unaufgefordert die Briefwahlunterlagen zukommen lassen. Dabei habe der Wahlvorstandsvorsitzende N2 zahlreiche Wähler persönlich aufgesucht und sie unzulässigerweise aufgefordert, seine Liste zu wählen; anschließend habe er die in seinem Beisein ausgefüllten Unterlagen sofort wieder mitgenommen. Nachdem die anderen beiden Listenführer davon erfahren hätten, hätten sie noch versucht, die betroffenen Wähler zur persönlichen Stimmenabgabe zu bewegen, und ihnen dafür einen Fahrdienst zur Verfügung gestellt. Dabei sei ihnen mitgeteilt worden, Herr N2 habe zuvor bereits angerufen und erklärt, sie müssten nicht noch einmal wählen.

Was die Wahlunterlagen für die Briefwahl angehe, hätten die Freiumschläge - unstreitig - nicht den Aufdruck "Schriftliche Stimmabgabe" getragen. Im Übrigen wäre es Herrn N2 möglich gewesen, bei den sich in seinem Besitz befindlichen Briefwahlunterlagen ein für Außenstehende nicht erkennbaren Austausch von Frei- und Wahlumschlägen vorzunehmen.

Der nicht hinreichend versiegelte Pappkarton habe nicht die für eine Wahlurne erforderliche Beschaffenheit aufgewiesen.

Schließlich habe Herr N2 eigenmächtig ohne Beschlussfassung des Wahlvorstandes über die Ungültigkeit dreier Stimmzettel entschieden.

Die Antragsteller zu1) bis 7) haben beantragt,

die Betriebsratswahl vom 24.05.2006 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Er hat die Auffassung vertreten, die Wahl sei wirksam erfolgt.

Die fehlende Anwesenheit zweiter Listenvertreter habe sich nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt.

Ausnahmslos habe man Mitarbeitern nur dann die Briefwahlunterlagen zukommen lassen, wenn sie dies zuvor beantragt hätten. Anlässlich der Übergabe und der teilweise erfolgten sofortigen Wiedermitnahme von Briefwahlunterlagen habe der jetzige Betriebsratsvorsitzende N2 nur zulässige Werbung dergestalt betrieben, dass er auf die langjährige Erfahrung der Betriebsratsmitglieder, die auf der von ihm geführten Liste für die Wiederwahl kandidiert hätten, hingewiesen habe. Manipulationen bei den Briefwahlunterlagen seien nicht möglich gewesen, weil man sie zeitnah versiegelt habe.

Zu Recht sei drei Mitgliedern des Wahlvorstandes die Briefwahl ermöglicht worden, weil sie wegen der Aufgabenverteilung am Wahltag verhindert gewesen seien, ihre Stimme persönlich abzugeben.

Die Wahlurne habe man ausreichend gesichert.

Die drei für ungültig erklärten Stimmen hätten in jedem Fall keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen J1 und W4. Hinsichtlich des Ergebnisses wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift vom 16.08.2006 (Bl. 77 ff. d. A.).

Das Arbeitsgericht hat sodann mit Beschluss vom selben Tag den Antrag abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, mögliche Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften hätten in jedem Fall keinen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt. Dies gelte für die Bestellung des Wahlvorstandes, die Auslosung der Ordnungsnummern, die nicht fehlerfreie Beschriftung der Freiumschläge sowie für die Frage, ob Briefwahlunterlagen mit oder ohne Anforderung zur Verfügung gestellt worden seien.

Die an den Wahlvorstand zurückgelaufenen Freiumschläge seien allesamt zugeklebt gewesen und in den abgeschlossenen Schrank des Wahlvorstandes gelegt worden. Es gebe keine konkreten Verdachtsmomente für kriminelle Machenschaften in der zeitlichen Lücke bis zur Versiegelung der Umschläge.

Die benutze Wahlurne sei den Anforderungen des § 12 Abs. 1 WO gerecht geworden.

Was die beiden wegen des beigefügten Merkblatts für ungültig erklärten Stimmen angehe, führe ihre Zulassung zu keiner Änderung des Wahlergebnisses.

Gegen diesen allen Beteiligten am 22.08.2006 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller zu 1) bis 7) und die Arbeitgeberin am 19.09.2006 Beschwerde eingelegt und diese am 06.10. 2006 bzw. - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 22.11.2006 - am 22.11.2006 begründet.

Sie meinen, wegen der nichtigen Betriebsratswahl im Jahre 2002 hätte der Wahlvorstand in einer Betriebsversammlung gewählt werden müssen. Bei einer dann möglichen anderen Zusammensetzung des Gremiums mit seinen weitreichenden Entscheidungsbefugnissen könne eine Beeinflussung des Wahlergebnisses nicht ausgeschlossen werden.

Was die Auslosung der Listennummern angehe, könne eine anderer Reihenfolge bei Anwesenheit der Listenvertreter nicht ausgeschlossen werden.

Manipulationen bei den Briefwahlunterlagen seien deshalb möglich gewesen, weil sie im Betrieb per PC leicht hätten erstellt und zum Austausch verwendet werden können. In vielen Fällen seien die Briefwahlunterlagen auch nicht beantragt worden. Vielmehr seien zahlreiche Wahlberechtigte von Herrn N2 unaufgefordert aufgesucht und von ihm dahingehend beeinflusst worden, in seinem Besein die von ihm geführte Liste zu wählen.

Die verwandte Wahlurne werde den Anforderungen des § 12 Abs. 1 WO nicht gerecht.

Über die Ungültigkeit von Stimmen habe der Wahlvorstand nicht ordnungsgemäß im Beschlusswege entschieden.

Die Antragsteller zu 1) bis 7) und die Arbeitgeberin beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 16.08.2006 - 3 (5) BV 65/06 - abzuändern und die Betriebsratswahl vom 24.05.2006 für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Er führt aus, dass die Verkennung der Wahlberechtigung nicht zur Nichtigkeit einer Betriebsratswahl führen könne. Deshalb habe der im Jahre 2002 gewählte Betriebsrat zu Recht den Wahlvorstand bestellt.

Die fehlende Anwesenheit der Listenvertreter bei der Auslosung habe sich nicht auf das Ergebnis auswirken können.

Die Wahlurne sei ordnungsgemäß beschaffen gewesen.

Die beiden Stimmen, denen der Merkzettel beigefügt gewesen sei, seien zu Recht für ungültig erklärt worden.

Die Briefwahlunterlagen seien nur auf Anforderung zur Verfügung gestellt worden. Herr N2 sei als Wahlkandidat berechtigt gewesen, auch in eigener Sache Werbung zu machen. Damit habe er nicht gegen Wahlvorschriften verstoßen. Im Übrigen seien in jedem Einzelfall Auswirkungen auf das Wahlergebnis von vornherein ausgeschlossen gewesen.

Die Briefwahlunterlagen seien in einem verschließbaren Schrank ordnungsgemäß aufbewahrt worden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.

B.

Die zulässigen Beschwerden der Antragsteller zu 1) bis 7) und der Arbeitgeberin sind begründet. Denn entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist die am 24.05.2006 durchgeführte Betriebsratswahl nach § 19 Abs. 1 BetrVG anfechtbar und damit unwirksam.

I.

Zunächst ist es zu einem Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren (§ 19 Abs. 1 3. Fall BetrVG) gekommen, in dem versäumt wurde, die vom Wahlvorstandsvorsitzenden N2 in unstreitig 11 Fällen am 10. und 11.04.2006 direkt wieder mitgenommenen Freiumschläge, die den Wahlumschlag mit dem Stimmzettel und die vorgedruckte Erklärung enthielten (vgl. § 25 S. 1 WO), hinreichend gegen einen Zugriff von außen zu sichern.

In dem Zusammenhang ist vorauszuschicken, dass der Gesetzgeber vom Vorrang der Stimmabgabe vor Ort im Wahlraum ausgeht (§ 12 WO). Dabei ist nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (AP WahlO z. PersVG § 17 Nr. 1 und 2) die Einheitlichkeit und Übersehbarkeit des Wahlvorgangs, der sich von der Aushändigung der Wahlunterlagen an den Wähler bis zu dem von ihm selbst vorzunehmenden Einwurf des Wahlumschlags in die Wahlurne erstreckt, gewährleistet - nicht zuletzt auch durch das in § 12 Abs. 2 WO verankerte Vier-Augen-Prinzip während der laufenden Wahl.

Demgegenüber muss bei der nur unter den Voraussetzungen des § 24 WO zulässigen Briefwahl die Aushändigung namentlich des Stimmzettels an den Wähler und die Übergabe des Wahlumschlags durch den Wähler nicht "persönlich" erfolgen. In dieser Konstellation muss deshalb die Identität des zur schriftlichen Stimmabgabe befugten Arbeitnehmers auf andere Weise gewährleistet werden. Dies geschieht namentlich dadurch, dass eine vorgedruckte Erklärung mit der Versicherung persönlicher Kennzeichnung des Stimmzettels abzugeben (§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 25 S. 1 Nr. 2 WO) und diese Erklärung sowie der den Stimmzettel enthaltene Wahlumschlag in einem größeren Freiumschlag zu verschließen sind, der die Anschrift des Wahlvorstandes, den Absender sowie den Vermerk "Schriftliche Stimmabgabe" trägt (§ 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 25 S. 1 Nr. 3 WO).

Gerade die zwingend vorgegebene Verwendung eines vom Wahlvorstand zur Verfügung zu stellenden und mit bestimmten Aufdrucken zu versehenden und damit individualisierten Freiumschlags, den der Wähler vor der Übergabe oder Versendung zu verschließen hat (§ 25 S. 1 Nr. 3 WO), sorgt für die erforderliche Zuverlässigkeit bei der Übermittlung des schriftlichen Wählervotums.

Diese Voraussetzungen waren nicht erfüllt, als der Wahlvorstandsvorsitzende N2 am 10. und 11.04.2006 namentlich von den 11 Wählerinnen und Wählern B9, B10, R3. und G3. H4, M4, T1, W4, B11, G4, K5 und K4 an deren Wohnorten in B8 S7, B1, L2, L3 und D1 die ausgefüllten Briefwahlunterlagen entgegennahm, um sie als Bote zum Wahlvorstand am Betriebssitz der Arbeitgeberin in B1 zu transportieren. Denn im Unterschied zum klassischen Boten, der auftragsgemäß ohne weitere Einflussmöglichkeiten eine Sendung des Absenders dem Empfänger überbringt, wies hier der Bote N2 die Besonderheit auf, dass er in seiner Parallelfunktion als Wahlvorstandsvorsitzender die Bedruckung aller Freiumschläge sowie die Herstellung der Stimmzettel und der persönlichen Erklärung an seinem PC selbst vornahm und die Unterlagen einschließlich der Wahlumschläge bei sich vorrätig hielt. Deshalb bestand, gemessen an der allgemeinen Lebenserfahrung und der konkreten Umstände des Einzelfalles, die nicht ganz unwahrscheinliche Möglichkeit einer Einflussnahme auf das Wahlverhalten (vgl. LAG Brandenburg NZA-RR 1999, 418). So wäre es nämlich beispielsweise möglich gewesen, jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Abstempelung im Betrieb der Arbeitgeberin den Freiumschlag, den Stimmzettel und den Wahlumschlag auszutauschen und die neuen, möglicherweise veränderten Unterlagen zusammen mit der ausgefüllten persönlichen Erklärung beim Wahlvorstand einzureichen. Diese Möglichkeit einer Manipulation reicht für die Annahme eines Wahlverfahrensverstoßes aus, ohne das ein konkreter Verdacht gegen eine bestimmte Person festgestellt werden muss (LAG Brandenburg, a.a.O.).

Der Fall ist vergleichbar mit der Konstellation, dass ein Freiumschlag unverschlossen beim Wahlvorstand eingeht. Auch dann darf die abgegebene Stimme wegen der zwischenzeitlich bestandenen Gefahr des Austausches des Wahlumschlags einschließlich Stimmzettel nicht berücksichtigt werden; die Stimmabgabe ist ungültig (allg. Meinung: z. B. LAG Köln, Beschluss vom 11.04.2003 - 4 (13) TaBV 63/02; DKK/Schneider, 10. Aufl., § 25 WO Rdnr. 4; Fitting, 23. Aufl., § 25 WO Rdnr. 4; GK-BetrVG/Kreutz, 8. Aufl., § 25 WO Rdnr. 4).

Bei der persönlichen Stimmabgabe trägt der Gesetzgeber der vergleichbaren Gefahr der Manipulation mit Stimmzetteln dadurch Rechnung, dass während des Wahlvorgangs die Wahlurne den Anforderungen des § 12 Abs. 1 S. 2 WO gerecht und unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 5 WO nach Abschluss der Stimmabgabe versiegelt werden muss (vgl. BAG, Beschluss vom 14.09.1988 - 7 ABR 79/87; LAG Brandenburg, a.a.O.; LAG Köln LAGE BetrVG 1972 § 19 Nr. 5; Fitting, a.a.O., § 12 WO Rdnr. 14; GK-BetrVG/Kreutz, a.a.O., § 12 WO Rdnr. 7).

Aus alledem folgt, dass zur Gewährleistung eines einwandfreien und transparenten Wahlverfahrens ohne die Gefahr von Missdeutungen und Verdächtigungen (vgl. LAG Berlin DB 1988, 504) der als Bote eingesetzte Arbeitnehmer N2 wegen seiner Paralleltätigkeit als Wahlvorstandsvorsitzender, der unter anderem mit der Herstellung der Wahlunterlagen betreut war, durch einsprechende Vorkehrungen hätte sicherstellen müssen, dass zwischenzeitlich nicht die Gefahr eines unbeobachteten Zugriffs auf die ausgefüllten und von ihm entgegengenommenen Wahlunterlagen bestand.

Vor dem Hintergrund hätten die 11 am 10. und 11.04.2006 eingeholten Briefwahlstimmen durch den Wahlvorstand für ungültig erklärt werden müssen.

II.

Demgegenüber wurden die beiden Stimmzettel, bei denen sich in den Wahlumschlägen auch das vom Wahlvorstand herausgegebene Merkblatt befand, zu Unrecht als ungültig eingestuft.

Allerdings sind nach § 11 Abs. 4 WO zur Sicherung des Wahlgeheimnisses (§ 14 Abs. 1 BetrVG) Stimmzettel unter anderem dann für ungültig zu erklären, wenn sie besondere Merkmale aufweisen, die es ermöglichen, die Person des Wählers zu identifizieren (GK-BetrVG/Kreutz, a.a.O., § 14 BetrVG Rdnr. 12 f. und § 11 WO Rdnr. 4; Fitting, a.a.O., § 14 BetrVG Rdnr. 13 und § 11 WO Rdnr. 7). Dem Wortlaut nach geht es zwar in erster Linie um Veränderungen auf dem Stimmzettel selbst. Zur Wahrung des Wahlgeheimnisses sind aber auch weitergehend solche Stimmzettel für ungültig zu erklären, denen im Wahlumschlag andere Schriftstücke beigefügt sind, die die Möglichkeit eröffnen, auf das Wahlverhalten bestimmter Arbeitnehmer schließen zu können.

Gerade diese Voraussetzungen sind hier aber nicht gegeben. Vielmehr haben den beiden Stimmzetteln nur die vom Wahlvorstand an alle Wählerinnen und Wähler vor Ort herausgegebenen Merkblätter beigelegen, die keine besonderen Kennzeichen aufwiesen. Damit blieb der eigentliche Wahlakt geheim - ebenso wie zum Beispiel im Fall, dass sich neben einem ordnungsgemäß angekreuzten Stimmzettel noch (mehrere) leere Stimmzettel im Wahlumschlag befanden (vgl. DKK/Schneider, a.a.O., § 11 WO Rdnr. 13; Fitting, a.a.O., § 14 WO Rdnr. 4).

III.

Schon durch die beiden aufgezeigten Wahlfehler konnte das Wahlergebnis objektiv beeinflusst bzw. geändert werden (§ 19 Abs. 1 a.E. BetrVG); bei einer hypothetischen Betrachtungsweise hätte nämlich die Wahl ohne die genannten Verstöße nicht zwingend zu demselben Ergebnis geführt (vgl. z.B. BAG AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 48; AP BetrVG 1972 § 14 Nr. 2, j. m. w. N). Denn zieht man alle 11 ungültigen Stimmen bei der Liste 1 ab und schlägt die beiden tatsächlich gültigen Stimmen der Liste 3 zu, ergeben sich für die Liste 1 dann 31 und für die Liste 3 insgesamt 21 Stimmen. Nach dem d`Hondtschen Höchstzahlverfahren (§ 15 WO) würde sich hinsichtlich des fünften zu vergebenen Betriebsratssitzes für die Liste 1 eine Teilzahl von 10,33 errechnen, während auf die Liste 3 eine Teilzahl von 10,50 entfiele - mit der Folge einer Sitzverschiebung im fünfköpfigen Betriebsrat zugunsten der Liste 3.

Schon deshalb war dem Wahlanfechtungsbegehren stattzugeben.

Dementsprechend musste auf die Anfechtungsrelevanz der zahlreichen weiteren gerügten Verstöße nicht mehr eingegangen zu werden, z. B. auf die Aspekte zulässiger Wahlwerbung und die Wahrung der Chancengleichheit aller Wahlbewerber (vgl. BAG AP BetrVG 1972 § 19 Nr. 48) sowie auf den Gesichtspunkt, ob insgesamt neun Arbeitnehmer, darunter drei Wahlvorstandsmitgliedern, unter Berücksichtigung der eingeschränkten gesetzlichen Möglichkeiten zulässigerweise die Briefwahl ermöglicht worden ist (vgl. BAG AP BetrVG § 76 Nr. 29).

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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