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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.07.2008
Aktenzeichen: 15 Sa 340/08
Rechtsgebiete: SGB IX


Vorschriften:

SGB IX § 85
SGB IX § 91
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 07.02.2008 - 6 Ca 2754/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen durch die Beklagte.

Aufgrund notariellen Vertrages vom 13.06.2006 stand der Kläger bei der Beklagten seit dem 16.06.2006 bis zum 30.04.2008 in einem befristeten Arbeitsverhältnis als Mitarbeiter im technisch-kaufmännischen Bereich. In der Zeit davor war der Kläger langjährig alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer und Gesellschafter der Beklagten, bis er seine Geschäftsanteile an die jetzigen Geschäftsführer verkaufte.

Der Kläger ist seit dem 01.05.1976 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Sowohl erst- als auch zweitinstanzlich hat er einen Schwerbehindertenausweis vorgelegt, durch den das Versorgungsamt Gelsenkirchen am 27.08.2002 einen Grad der Behinderung von 50 festgestellt hat. Der Schwerbehindertenausweis ist bis August 2012 gültig.

Am 28.09.2007 forderte die Beklagte den Kläger auf, seine ihm zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung gestellte Garage bis zum 01.10.2007 zu räumen. Dem kam der Kläger fristgerecht nach.

Mit Schreiben vom 22.10.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos aus wichtigem Grund und vorsorglich fristgemäß. Hiergegen richtet sich die am 24.10.2007 beim Arbeitsgericht eingegangene Feststellungsklage, in der der Kläger darauf hinwies, dass er "schwerbeschädigt" ist. Die Klage wurde der Beklagten am 31.10.2007 zugestellt.

Mit Schreiben vom 30.10.2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos. Hiergegen richtet sich die am 08.11.2007 beim Arbeitsgericht Herne eingegangene Klageerweiterung.

Der Kläger hat vorgetragen, beide Kündigungen seien unwirksam, da die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes nicht eingeholt habe. Der Beklagten sei seine Schwerbehinderung bekannt gewesen. Kündigungsgründe seien nicht gegeben.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 22.10.2007, zugegangen am 23.10.2007, nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30.10.2007, zugegangen am 02.11.2007, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, einer Zustimmung des Integrationsamtes habe es vor Ausspruch der Kündigung nicht bedurft. Sie, die Beklagte, habe keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers gehabt. Nicht ausreichend sei gewesen, dass der Kläger im Gütetermin den Schwerbehindertenausweis vorgelegt habe. Vielmehr habe er seine Schwerbehinderung ihr, der Beklagten, gegenüber nicht nachgewiesen.

Die Kündigung sei aus wichtigem Grunde wirksam. Nach Räumung der Garage durch den Kläger habe die von ihm benutzte Drehmaschine Opti D 650 gefehlt. Der Kläger habe die Drehbank mitgenommen.

Durch Urteil vom 07.02.2008 hat das Arbeitsgericht der Klage antragsgemäß stattgegeben. Gegen diese Entscheidung, die der Beklagten am 15.02.2008 zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 27.02.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangen und am 11.04.2008 begründet worden ist.

Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung des Klägers habe es nicht bedurft, da er seine Schwerbehinderteneigenschaft nicht nachgewiesen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Herne vom 07.02.2008 - 6 Ca 2754/07 - abzuändern und die Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 22.10. und 30.10.2007 nicht aufgelöst worden ist, abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er nimmt Bezug auf sein erstinstanzliches Vorbringen und trägt vor, das Urteil des Arbeitsgerichts erfasse den Sachverhalt vollständig und richtig. Es sei weder im Ergebnis noch in der rechtlichen Begründung zu beanstanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Der Sache nach hat die Berufung indes keinen Erfolg. Denn das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 22.10.2007 noch durch die Kündigung vom 30.10.2007 aufgelöst worden ist. Die Kündigungen sind bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte vor ihrem Ausspruch die Zustimmung des Integrationsamtes nicht eingeholt hat. Die Zustimmung des Integrationsamtes war erforderlich, weil der Kläger, wie er bereits erstinstanzlich und auch zweitinstanzlich durch Vorlage des Schwerbehindertenausweises des Versorgungsamtes Gelsenkirchen vom 27.08.2002 mit einer Gültigkeitsdauer bis August 2012 nachgewiesen hat, als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt worden ist. Die Kammer folgt den sorgfältigen und in jeder Hinsicht überzeugenden Gründen des Arbeitsgerichts und sieht gemäß § 69 Abs. 2 zur Vermeidung von Wiederholungen von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das zweitinstanzliche Vorbringen der Beklagten ist nicht geeignet, die rechtlichen Ausführungen des Arbeitsgerichts in Frage zu stellen. Es gibt lediglich Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:

Auch wenn der Kläger als schwerbehinderter Mensch anerkannt ist, muss er, um den ihm zustehenden Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff. SGB IX zu erhalten, den Arbeitgeber innerhalb bestimmter Fristen auf die bereits festgestellte Schwerbehinderung hinweisen. Diese Frist betrug nach bisheriger Rechtsprechung einen Monat nach Zugang der Kündigung, wobei derzeit erwogen wird, diese Frist auf drei Wochen zu verkürzen (vgl. BAG, Urteil vom 06.09.2007 - 2 AZR 324/06 -, NZA 2008, 407 ff., 409). Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Kläger dieser Pflicht nachgekommen, indem er bereits in der Klageschrift vom 23.10.2007, die der Beklagten am 31.10.2007 zugestellt worden ist, darauf hingewiesen hat, dass er "schwerbeschädigt" ist. Der Kläger hatte damit auf jeden Fall innerhalb der zu beachtenden Frist der Beklagten gegenüber die bereits festgestellte Schwerbehinderteneigenschaft mitgeteilt und damit den Sonderkündigungsschutz erhalten. Entgegen der Auffassung der Beklagten bedarf es hierzu lediglich einer Mitteilung und keines Nachweises der Schwerbehinderung etwa durch Vorlage des entsprechenden Ausweises. Den schwerbehinderten Menschen trifft lediglich die Obliegenheit, innerhalb einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung auf den Sonderkündigungsschutz hinzuweisen. Auch dies ist entbehrlich, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft offensichtlich ist oder der Arbeitgeber anderweitig, etwa aus der Stellungnahme des Betriebsrats nach § 102 BetrVG, Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers hat (vgl. BAG, Urteil vom 20.01.2005 - 2 AZR 675/03 -, ArbRB 2005, 232).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Der Streitwert hat sich zweitinstanzlich nicht geändert.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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