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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: 18 Sa 1487/05
Rechtsgebiete: EFZG


Vorschriften:

EFZG § 3 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1
EFZG § 4 Abs. 1 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 23.06.2005 - 2 Ca 2744/04 - unter Zurückweisung der Berufung des Klägers teilweise abgeändert.

Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe von Entgeltfortzahlungsansprüchen.

Der am xx.xx.xxxx geborene Kläger war in der Zeit vom 01.06.1981 bis zum 31.08.2004 bei der Beklagten zuletzt als Zimmerer-Werkpolier tätig. Sein Stundenlohn setzte sich aus einem Grundlohn von 16,98 € brutto sowie des Weiteren um eine Zulage von 0,77 €, insgesamt also 17,75 € brutto zusammen.

Der Kläger war 2004 in folgenden Zeiträumen arbeitsunfähig krank:

23.02.2004 bis 19.03.2004

13.05.2004 bis 18.06.2004

05.07.2004 bis 02.08.2004

19.08.2004 bis 28.08.2004.

Für diese Entgeltfortzahlungszeiträume im Jahre 2004 zahlte die Beklagte für die Zeit von montags bis donnerstags Lohnfortzahlung für jeweils 8 Stunden, freitags für jeweils 5,5 Stunden. Samstags erhielt der Kläger keine Entgeltfortzahlung.

Eingesetzt wurde der Kläger in der Niederlassung der Beklagten in D3xxxxxx. Hier wurden bis zu ihrer Schließung Ende des Jahres 2004/Anfang des Jahres 2005 ca. 90 Arbeitnehmer im Hoch- und Tiefbau beschäftigt. Das Projekt R2x-T4xxx in D3xxxxxx wurde im Herbst 2004 von der Beklagten abgeschlossen.

Über die Mehrarbeit auf der Baustelle R2x-T4xxx in D3xxxxxx schloss die Beklagte mit ihrem Betriebsrat die Betriebsvereinbarung vom 17.11.2003. Wegen des Inhalts der Betriebsvereinbarung wird auf Bl. 70 d.A. verwiesen.

Wegen der vom Kläger geleisteten Arbeitszeiten wird auf die Aufstellung der Beklagten im Schriftsatz vom 09.05.2005 (Bl. 59 bis 63 d.A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat behauptet, er habe wie seine Arbeitskollegen bei dem Einsatz auf der Baustelle R2x-T4xxx in der Zeit von montags bis freitags jeweils 10 Stunden und an Samstagen regelmäßig 5,5 Stunden gearbeitet.

Er hat die Auffassung vertreten, diese Zeiten seien für die Entgeltfortzahlung maßgebend.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.120,88 € nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der vom Kläger geltend gemachte weitere Krankenvergütungsanspruch stehe dem Kläger nicht zu. Auf das Arbeitsverhältnis finde der für allgemein verbindlich erklärte Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Anwendung. Dieser sehe in § 3 eine Arbeitszeit von 39 Stunden wöchentlich vor. Diese Zeit sei maßgebend für die Berechnung der Entgeltfortzahlung des Klägers. Es sei Aufgabe des Klägers gewesen, eine höhere regelmäßige Arbeitszeit anhand der Arbeitszeit in den letzten zwölf Monaten vor der jeweiligen Erkrankung darzulegen.

Die Ansprüche seien nach § 16 BRTV-Bau verfallen.

Durch Urteil vom 23.06.2005 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 852,01 € brutto nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 09.09.2004 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Kosten sind der Beklagten zu 17 % und dem Kläger zu 83 % auferlegt worden. Der Streitwert ist auf 5.120,88 € festgesetzt worden.

In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Ansprüche des Klägers bis zum 31.05.2005 seien gemäß § 16 BRTV-Bau verfallen. Hinsichtlich der Arbeitszeit von montags bis donnerstags sei zu berücksichtigen, dass der Kläger von montags bis donnerstags regelmäßig an 10 Stunden auf der Baustelle R2x-T4xxx eingesetzt gewesen sei. Deshalb sei auch dieser Stundensatz bei der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit nach § 4 Abs. 1 EFZG zugrunde zu legen.

Gegen dieses ihr am 12.07.2005 zugestellte und wegen der Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 26.07.2005 Berufung eingelegt und diese am 25.08.2005 begründet.

Gegen dieses ihm am 12.07.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 05.08.2005 Berufung eingelegt und diese am 09.09.2005 begründet.

Die Parteien greifen das arbeitsgerichtliche Urteil an, soweit sie unterlegen waren, maßgeblich unter Aufrechterhaltung ihrer erstinstanzlich vorgetragenen Rechtsauffassungen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23.06.2005 - 2 Ca 2744/04 - abzuändern und unter Zurückweisung der Berufung des Klägers die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23.06.2005 - 2 Ca 2744/04 - teilweise abzuändern und unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten die Beklagte zu verurteilen, an ihn über den ausgeurteilten Betrag von 852,01 € brutto hinaus einen weiteren Betrag von 4.268,87 € brutto zu zahlen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte der begehrte Restvergütungsanspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeiträume 01.06. bis 18.06.2004, 05.07. bis 02.08.2004 und 19.08. bis 28.08.2004 nicht gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG i. V. m. § 4 Abs. 1 und Abs. 1 a EFZG zu.

I. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger war in den Zeiträumen 01.06. bis 18.06.2004, 05.07. bis 02.08.2004 und 19.08. bis 28.08.2004 wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit unverschuldet an seiner Arbeitsleistung verhindert.

II. Der Vergütungsanspruch für die angeführten Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ist durch Zahlung der Beklagten erloschen (§ 362 Abs. 1 ZPO).

Unstreitig hat die Beklagte Vergütung für die tarifliche Arbeitszeit für diese Zeiträume an den Kläger ausgezahlt. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Zahlung einer höheren Krankenvergütung steht dem Kläger nicht gemäß § 4 EFZG zu.

1. § 4 Abs. 1 EFZG legt der Entgeltfortzahlung ein modifiziertes Lohnausfallprinzip zu Grunde.

a) Maßgebend ist allein die individuelle Arbeitszeit des erkrankten Arbeitnehmers. Es kommt darauf an, welche Arbeitszeit auf Grund der Arbeitsunfähigkeit ausgefallen ist. Bei Schwankungen der individuellen Arbeitszeit ist zur Bestimmung der "regelmäßigen" Arbeitszeit eine vergangenheitsbezogene Betrachtung zulässig und geboten (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 21.11.2001 - 5 AZR 296/00 - DB 2002, 885; BAG, Urteil vom 26.06.2002 - 5 AZR 153/01 - DB 2002, 2441; Gesetzesbegründung BT-Drucks, 12/5263 S. 13; Kasseler Handbuch/Vossen, 2. Aufl., 2.2. Rn. 366 f; Schmitt EFZG, 5. Aufl., § 4 Rn. 30 ff, 120 ff; Hold in Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge, 5. Aufl., § 4 EFZG Rn. 8, 54 f, 56 ff; Marienhagen/Künzl, EFZG, Stand August 2004, § 4 Rn. 2 f; MünchArbR/Boecken, 2. Aufl., Bd. 1, § 84 Rn. 8 f, 32).

b) Die individuelle Arbeitszeit folgt in erster Linie aus dem Arbeitsvertrag.

Die arbeitsvertragliche Arbeitszeit kann von der allgemein im Betrieb geltenden Arbeitszeit oder von der tariflich geregelten Arbeitszeit abweichen. Grundlage hierfür kann eine ausdrückliche oder konkludente Vereinbarung oder etwa eine betriebliche Übung sein (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 21.11.2001, a.a.O.; BAG, Urteil vom 26.02.2002, a.a.O., BAG, Urteil vom 24.03.2004 - 5 AZR 346/03 - DB 2004, 1673).

c) Nach § 4 Abs. 1 a Satz 1 EFZG gehört nicht zum Arbeitsentgelt nach § 4 Abs. 1 EFZG das zusätzlich für Überstunden gezahlte Arbeitsentgelt. Dieses ist, wie die Beklagte richtig sieht, im Krankheitsfall nicht fortzuzahlen.

Das Gesetz klammert sowohl die Grundvergütung als auch die Zuschläge für die Überstunden aus. Maßgeblich für das Vorliegen von Überstunden ist die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers. Das Gesetz enthält keine ausreichenden Anhaltspunkte, um an eine tarifliche Arbeitszeit anzuknüpfen. § 4 Abs. 1 a EFZG erfasst nach seinem Wortlaut wie Sinn und Zweck auch wiederholt geleistete Überstunden. Überstunden im Sinne des § 4 Abs. 1 a EFZG liegen vor, wenn die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Arbeitnehmers überschritten wird. Damit fallen einerseits die bisher der regelmäßigen Arbeitszeit zugerechneten wiederholt anfallenden Überstunden aus der Entgeltfortzahlung heraus. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass es Fälle einer individuellen regelmäßigen Arbeitszeit gibt, die von der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit abweichen. Leistet der Arbeitnehmer ständig eine bestimmte Arbeitszeit, die mit der betriebsüblichen oder tariflichen Arbeitszeit nicht übereinstimmt, kann von Überstunden nicht gesprochen werden. Überstunden werden wegen bestimmter besonderer Umstände zusätzlich geleistet (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 24.03.2004 - 5 AZR 346/03 - DB 2004, 1673).

2. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte zutreffend bei der Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs des Klägers die tarifliche Arbeitszeit als seine individuelle Arbeitszeit im Sinne des § 4 Abs. 1 EFZG zugrunde gelegt.

Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich durch seinen Einsatz auf der Baustelle R2x-T4xxx in D3xxxxxx die für ihn maßgebende vertragliche regelmäßige individuelle Arbeitszeit nicht geändert.

a) Durch die schwankende Arbeitszeit in der Vergangenheit vor seinem Einsatz auf der Baustelle R2x-T4xxx in D3xxxxxx ist die für den Kläger tariflich und arbeitsvertraglich geltende Arbeitszeit nicht abgeändert worden, wie sich aus der von ihm geleisteten Arbeitszeit in dem Vergleichszeitraum von zwölf Monaten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ergibt.

aa) Im Jahre 2003 hatte der Kläger lediglich im Monat August an einigen Tagen über die tarifliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet.

Hier handelt es sich um typische Überstunden, die wegen bestimmter besonderer Umstände im vorliegenden Fall im Rahmen der Arbeitnehmerentsendung vorübergehend zusätzlich geleistet worden sind. Eine konkludente Abänderung der individuellen regelmäßigen Arbeitszeit ist hierdurch nicht erfolgt.

bb) Auch durch die Betriebsvereinbarung über die Mehrarbeit auf der Baustelle R2x-T4xxx in D3xxxxxx vom 17.11.2003 ist die individuelle regelmäßige Arbeitszeit des Klägers nicht abgeändert worden.

Gegenstand der Betriebsvereinbarung war die Leistung von Überstunden auf der Baustelle R2x-T4xxx in D3xxxxxx, wie sich schon aus der Überschrift der Betriebsvereinbarung er- gibt. Überstunden an einer Baustelle werden im Baubereich aus der Natur der Sache her nur vorübergehend zusätzlich geleistet. So war die Betriebsvereinbarung auch nur bis zum 31.12.2004 befristet. Nach dem Vortrag der Beklagten ist das Bauvorhaben im Herbst 2004 abgeschlossen worden. Durch die Betriebsvereinbarung wurde die tarifliche/arbeitsvertragliche individuelle Arbeitszeit nicht abgeändert. Die Betriebsvereinbarung schaffte lediglich Rahmenbedingungen für die Arbeitszeit auf der Baustelle R2x-T4xxx in D3xxxxxx (Ziffer 1 der Betriebsvereinbarung). Die Betriebsvereinbarung war nur Grundlage für die Möglichkeit der Ausweitung der Arbeitszeit während der Durchführung des Bauvorhabens. Der konkrete Einsatz des einzelnen Arbeitnehmers ergab sich aus den für ihn gültigen Arbeitsplänen.

cc) Durch den tatsächlichen Einsatz des Klägers auf der Baustelle R2x-T4xxx in D3xxxxxx ist die regelmäßige Arbeitszeit nicht abgeändert worden. Der Kläger ist lediglich in der Zeit vom 13.01. bis zum 20.02. und in der Zeit vom 22.03. bis zum 12.05.2004 auf dem Bauvorhaben R2x-T4xxx in D3xxxxxx eingesetzt worden und hat in dieser Zeit über die tarifliche Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen erbracht im Rahmen der Vorgaben der Betriebsvereinbarung vom 17.11.2003. Diese Zeiträume, in denen Überstunden erbracht worden sind (6 Wochen und 7,5 Wochen), reichen für eine konkludente Änderung der regelmäßigen Arbeitszeit auf Dauer nicht aus. Es handelt sich um vorübergehende Einsätze, die bei der Erledigung von Bauarbeiten im Baugewerbe üblich sind, durch die die individuelle regelmäßige Arbeitszeit aber nicht abgeändert wird.

B. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Dem Kläger steht die begehrte weitere Vergütung nicht zu.

I. Soweit der Kläger Entgeltfortzahlungsansprüche für den Zeitraum vom 23.02.2004 bis zum 31.05.2004 geltend macht, so sind diese Ansprüche gemäß § 16 Ziffer 1 BRTV-Bau verfallen, wie das Arbeitsgericht unter zutreffender Begründung erkannt hat. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts, die der Kläger mit der Berufungsbegründung nicht angegriffen hat, wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG verwiesen.

II. Der Kläger hat auch keine weiteren Entgeltfortzahlungsansprüche für die Zeit vom 01.06.2004 bis zum 28.08.2004, wie im Einzelnen oben unter A. II dargelegt.

C. Nach alledem hat nur die Berufung der Beklagten Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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