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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 29.04.2009
Aktenzeichen: 18 Sa 1594/08
Rechtsgebiete: BurlG, MTV Groß- und Außenhandel NRW


Vorschriften:

BurlG § 7 Abs. 4
MTV Groß- und Außenhandel NRW § 8 Nr. 1
1. § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW enthält keine von § 7 Abs. 4 BUrlG abweichende Regelung zur Abgeltung des Urlaubs beim ausgeschiedenen Arbeitnehmer. Vielmehr regelt diese Tarifnorm lediglich die Voraussetzungen, unter denen der Urlaub ausnahmsweise im bestehenden Arbeitsverhältnis abzugelten ist.

2. Der Urlaubsanspruch ist grundsätzlich auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum befristet und geht durch Zeitablauf nach § 275 Abs. 1 BGB unter. Der Urlaubsanspruch erlischt ausnahmsweise dann nicht, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gar nicht nehmen konnte (vgl. EuGH, Urteil vom 20.01.2009 - C-350/06, NZA 2009, 135; BAG, Urteil vom 24.03.2009 - 9 AZR 983/07, NZA 2009, 538).

3. Der Abgeltungsanspruch setzt die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und damit die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs im (fiktiv) fortbestehenden Arbeitsverhältnis nicht voraus (vgl. EuGH a. a. O.; LAG Düsseldorf Urt. v. 02.02.2009 - 12 Sa 486/06, NZA-RR 2009, 242 - Rev. 9 AZR 128/09).

4. Fehlt es für eine Unterscheidung zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem "übergesetzlichen" Urlaub an einer eindeutigen einzelvertraglichen oder tariflichen Regelung, gelten für den übergesetzlichen Urlaub die Regelungen des BUlrG entsprechend (vgl. BAG a. a. O.; LAG Düsseldorf a. a. O.).


Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 26.08.2008 - 1 Ca 260/08 - abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.845,15 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2008 zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über einen Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers.

Der Kläger war in der Zeit vom 01.09.2008 bis zum 15.01.2008 bei der Beklagten als Tischler im Kundendienst bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von zuletzt 2.367,26 € auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 20. Juli 2001 beschäftigt.

Wegen der Einzelheiten dieses Arbeitsvertrages, nach dessen § 1 Nr. 3 die Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel NRW in ihrer jeweils geltenden Fassung und deren Nachfolgeverträge Bestandteil des Arbeitsvertrages sind, wird auf Blatt 4 b bis 7 d.A. Bezug genommen.

Der Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel NRW vom 01.10.2007 (im Folgenden MTV Groß- und Außenhandel NRW) enthält u.a. folgende Regelungen:

§ 8 Urlaub

1. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. In jedem Urlaubsjahr hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Erholungsurlaub. Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.

Konnte der aus betrieblichen Gründen auf das Folgejahr übertragene Urlaub aus erneut dringenden betrieblichen Gründen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen bis zum 31.03. nicht genommen werden, ist er ausnahmsweise abzugelten.

§ 15 Fälligkeit und Erlöschen von Ansprüchen

1. ...

2. ...

3. Der Urlaubsanspruch ist spätestens am 31.12. des Urlaubsjahres fällig.

Im Falle der tatsächlichen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses während des Urlaubsjahres wird der Urlaub sofort fällig; § 15 Nr. 2. Abs. 2 Satz 2 gilt entsprechend. Der Urlaubsanspruch ist mit Ablauf des 31.03. des nachfolgenden Jahres ausgeschlossen.

Ist er ausnahmsweise abzugelten (§ 8 Nr. Abs. 2), verfällt der Urlaubsabgeltungsanspruch, wenn er nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten durch Klage geltend gemacht wird. Ist der Arbeitnehmer ausgeschieden, so verkürzt sich die Klagefrist auf einen Monat.

...

Der Kläger war jedenfalls in der Zeit vom 30.05.2007 bis zum 14.01.2008 durchgehend arbeitsunfähig krank. Ob er danach die Arbeitsfähigkeit bis zum 31.03.2008 wieder erlangt hat, ist zwischen den Parteien streitig.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete aufgrund einer schriftlichen Kündigung des Klägers vom 03.08.2008, in der der Kläger als Kündigungsgrund "gesundheitliche Gründe" angab und u.a. Abgeltung von 25 Urlaubstagen aus dem Jahr 2007 verlangte. Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens vom 03.08.2008 wird auf Blatt 17 d.A. Bezug genommen.

Nachdem auch die Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs mit Schreiben vom 09.01.2008 und der Fristsetzung zum 31.01.2008 ohne Erfolg blieb, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 05. Februar 2008, der am 06. Februar 2008 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, Zahlungsklage erhoben.

Der Kläger hat behauptet, dass er entsprechend der von ihm vorgelegten Bescheinigung des Arztes für Innere Medizin, Dr. K3, vom 29. Februar 2008 (Bl. 14 d.A.) ab dem 15.01.2008 wieder arbeitsfähig gewesen sei. Da seine Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 14.01.2008 geendet habe, wäre der Resturlaub aus dem Jahr 2007 beim Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.03.2008 realisierbar gewesen mit der Folge, dass der nicht genommene Urlaub abzugelten sei. Insoweit stünde ihm für 25 Arbeitstage bei 7,7 Stunden pro Tag und einem Bruttostundenlohn von 14,78 € ein Urlaubsabgeltungsanspruch i.H.v. insgesamt 2.845,15 € brutto zu.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Urlaubsabgeltung i.H.v. 2.845,15 € brutto nebst hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Februar 2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Wiedererlangung der Arbeitsunfähigkeit durch den Kläger ab dem 15.01.2008 bestritten und behauptet, der Kläger sei weiterhin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die vertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Da der Kläger beim hypothetischen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht in der Lage gewesen sei, zu Urlaubszwecken freigestellt zu werden, stehe ihm auch kein Urlaubsabgeltungsanspruch zu, weil dieser lediglich ein Surrogat des Urlaubsanspruchs sei.

Das Arbeitsgericht hat zur Vermeidung einer Zeugenladung eine schriftliche Auskunft des den Kläger behandelnden Arztes Dr. K3 zu der Frage der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit eingeholt und die Klage mit Urteil vom 26.08.2008 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast für die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und damit die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht nachgekommen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Gegen das am 17.09.2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17.10.2008 Berufung eingelegt und begründet.

Der Kläger vertritt zum einen unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Ansicht, dass ihm die geltend gemachte Urlaubsgeltung deswegen zustehe, weil er entgegen der Annahmen des Arbeitsgerichts seit dem 15. Januar 2008 tatsächlich wieder arbeitsfähig sei. Darüberhinaus ist der Kläger der Ansicht, dass das Arbeitsgericht vor der mündlichen Verhandlung auf bestehende Zweifel am Inhalt der ärztlichen Bescheinigung hätte hinweisen müssen, um ihm Gelegenheit zu geben hierauf zu reagieren und ggfls. erneut die Ladung des Arztes Dr. K3 als Zeugen zu beantragen. Zumindest stehe ihm aber der Urlaubsabgeltungsanspruch deshalb zu, weil die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs nach den Vorgaben des Artikels 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG keine Voraussetzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs sei. Dementsprechend seien auch die Regelungen des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG gemeinschaftskonform im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 20.01.2009 (C-350/06 und C-520/06) auszulegen mit der Folge, dass ihm nach der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch, zumindest aber ein Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs zustehe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamm vom 26.08.2008 - 1 Ca 260/08 - zu verurteilen, an ihn 2.845,15 € brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung und ist der Ansicht, dass dem Kläger allenfalls ein Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs zustehe. Denn in der Gestaltung des darüber hinaus gehenden tariflichen Urlaubs seien die Tarifvertragsparteien frei. Da der Urlaub in § 8 Nr. 1 MTV Groß- und Außenhandel NRW abweichend von § 7 Abs. 3, 4 BUrlG geregelt sei, folge aus dieser abweichenden tariflichen Regelung, dass der "übergesetzliche" Urlaub nur bei Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit spätestens bis zum Ablauf des Übertragungszeitraumes abzugelten sei. Da der Kläger die Arbeitsfähigkeit bis zum 31.03.2008 nicht wieder erlangt habe, stehe ihm jedenfalls kein Anspruch auf Abgeltung des "übergesetzlichen" Urlaubs von fünf Arbeitstagen zu.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf den Inhalt der Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

I.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG zu.

1. Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers folgt nicht bereits ohne Rücksicht auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit aus § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW. Denn diese Tarifnorm enthält keine Abweichung von § 7 Abs. 4 BUrlG für den Fall, dass der Arbeitnehmer noch während des Urlaubsjahres bzw. - wie hier - des Übertragungszeitraumes bis zum 31.03. des Folgejahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.

Soweit im § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW geregelt ist, dass der aus betrieblichen Gründen auf das Folgejahr übertragene Urlaub aus erneut dringenden betrieblichen Gründen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen bis zum 31.03. nicht genommen werden kann, ausnahmsweise abzugelten ist, so handelt es sich dabei lediglich um eine Abweichung von den Rechtsfolgen des § 7 Abs. 3 und 4 Bundesurlaubsgesetzes insoweit, als der am 31.03. des Folgejahres noch vorhandene Urlaub ausnahmsweise im bestehenden Arbeitsverhältnis abzugelten ist, wenn er anderenfalls entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesurlaubsanspruchs zur uneingeschränkten Befristung des Urlaubs auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum erlöschen würde. § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW regelt also ausschließlich die Urlaubsabgeltung u.a. für den Fall der Nichterfüllbarkeit des übertragenen Urlaubs wegen fortbestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in einem am 31.03. des Folgejahres noch bestehenden Arbeitsverhältnis. Nicht geregelt wird dagegen im § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW die Abgeltung des Urlaubs in dem Fall, in dem der Arbeitnehmer noch während des Kalenderjahres bzw. des Übertragungszeitraumes ausscheidet. In diesem Fall ist für die Abgeltung des Urlaubs die gesetzliche Regelung des § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetzes maßgeblich (BAG, Urteil vom 25.04.1991 - 8 AZR 277/90, Juris; BAG, Urteil vom 27. Januar 1987 - 8 AZR 538/04, Juris zum Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel NRW). Ob eine Urlaubsabgeltung im bestehenden Arbeitsverhältnis nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW abweichend vom § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetzes auch in den Fällen weiterhin zulässig ist, in denen der Arbeitnehmer den ihm zustehenden Erholungsurlaub bis zum 31.03. des Folgejahres wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte, kann dahingestellt bleiben, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht bis zum 31.03.2008 fortbestanden hat, sondern bereits mit Ablauf des 15.01.2008 endete, sodass § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

2. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 BUrlG für die Abgeltung des zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers noch offen Urlaubs von 25 Arbeitstagen liegen entgegen der Rechtsansicht der Beklagten vor.

a. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass das Arbeitsgericht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon ausgegangen ist, dass der Urlaubs- und damit auch der Urlaubsabgeltungsanspruch auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum befristet ist und mangels abweichender Regelung dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer nicht spätestens bis zum 31.03. des dem Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres die Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt (vgl. BAG, Urteil vom 21.06.2005 - 9 AZR 200/04, AP Nr. 11 zu § 55 InsO; Urteil vom 10.05.2005 - 9 AZR 253/04, ZGR 2006, 204). Zuzugeben ist der Beklagten auch, dass die Klage unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abzuweisen wäre, wenn der Kläger entsprechend ihrem Vorbringen nicht bis zum 31.03.2008 die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt hätte. Die umstrittene Frage, ob der Kläger seit dem 15.01.2008 wieder arbeitsfähig ist, kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn dem Kläger steht der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch entgegen der Ansicht der Beklagten auch dann zu, wenn er die Arbeitsfähigkeit entsprechend ihrem Vorbringen der Beklagten nicht bis zum 31.03.2008 wiedererlangt hätte.

b. Der bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestehender Urlaub von 25 Arbeitstagen ist nach § 7 Abs. 4 BurlG abzugelten, ohne dass es auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit durch den Kläger und damit die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs im (fiktiv) fortbestehenden Arbeitsverhältnis ankommt.

aa. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 20.01.2009 entschieden (u.a. Rs. C-350/06, NZA 2009, 135), dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2000/88 dahingehend auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen für nicht genommenen Jahresurlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraumes und/oder Übertragungszeitraumes oder eines Teiles davon krankgeschrieben war und deshalb seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Im Hinblick auf diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR 935/07, NZA 2009, 538) seine ständige Rechtsprechung zur Befristung des Urlaubsanspruchs im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aufgegeben und im Anschluss an den Europäischen Gerichtshof entschieden, dass der Urlaubsanspruch im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum nicht befristet ist, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte. Gleichzeitig hat das Bundesarbeitsgericht auch entschieden, dass jedenfalls eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung durch eine teleologische Reduktion der zeitlichen Grenzen des § 7 Abs. 3 S. 1, 3 und 4 in Fällen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des jeweiligen Übertragungszeitraumes geboten und vorzunehmen ist mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs auch im Falle der fortbestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zusteht. Denn die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs im (fiktiv) fortbestehenden Arbeitsverhältnis, die nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 BUrlG keine Voraussetzung für die Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist, ist jedenfalls bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 7 Abs. 4 BUrlG keine Voraussetzung des Urlaubsabgeltungsanspruchs. Die Berufungskammer schließt sich der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an mit der Folge, dass dem Kläger auch dann ein Urlaubsabgeltungsabgeltungsanspruch zusteht, wenn er entsprechend dem Vorbringen der Beklagten die Arbeitsfähigkeit nicht bis zum 31.03.2008 wieder erlangt hätte, sondern weiterhin arbeitsunfähig krank gewesen wäre (vgl. dazu auch LAG Düsseldorf, Urteil vom 02.02.2009 - 12 Sa 486/06, ZTR 2009, 149; Revision beim BAG, Az. 9 AZR 128/09). Die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob der Kläger seit dem 15.01.2008 wieder arbeitsfähig war, bedarf somit keiner Entscheidung, soweit es um den gesetzlichen Mindesturlaub des Klägers nach § 3 BUrlG von 20 Arbeitstagen geht.

bb. Der Urlaubsabgeltungsanspruch des Klägers ist entgegen der Ansicht von der Beklagten in der Berufungsverhandlung vertretenen Rechtsansicht nicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 24 Werktagen (= 20 Arbeitstage) gemäß § 3 BUrlG beschränkt. Vielmehr kann der Kläger auch die Abgeltung des darüber hinaus gehenden "übergesetzlichen" Urlaubs von weiteren fünf Arbeitstagen verlangen.

(1) Die Beklagten weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Tarif- und Arbeitsvertragsparteien Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von § 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Mindestjahresurlaubanspruch von 4 Wochen übersteigen, frei regeln können. Denn die Regelungsmacht der Arbeits- und Tarifvertragsparteien ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG beschränkt (vgl. BAG, Urt. v. 24.03.2009 - 9 AZR 935/07, NZA 2009, 538) Der Manteltarifvertrag für Groß- und Außenhandel NRW vom 28.06.2007 enthält jedoch eine von § 7 Abs. 4 BUrlG abweichende Regelung hinsichtlich des "übergesetzlichen" Urlaubsabgeltungsanspruchs nicht.

(2) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, muss in den Fällen, in denen keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der Differenzierung zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und den darüber hinaus gehenden "übergesetzlichen" Urlaubsanspruch vorliegt, durch Auslegung des einschlägigen Tarifvertrages ermittelt werden, wie der "übergesetzliche" Anspruch zu behandeln ist. Für einen Regelungswillen der Arbeits- bzw. Tarifvertragsparteien, zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubsansprüchen zu unterscheiden, müssen im Rahmen der Auslegung eines Arbeits- bzw. Tarifvertrages deutliche Anhaltspunkte bestehen. Fehlt eine tarifliche Regelung, ist der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende "übergesetzliche" Urlaub entsprechend den Regelungen des BUrlG zu behandeln (vgl. BAG, Urteil vom 10.04.2004 - 9 AZR 116/03, NZA 2004, 986; Urteil vom 18.11.2003 - 9 AZR 95/05, NZA 2004, 651).

(3) Die Voraussetzung einer nur ausnahmsweise anzunehmenden Abweichung der Arbeitsvertrags- bzw. Tarifvertragsparteien vom Gesetzeswortlaut sind vorliegend nicht erfüllt. Denn weder der Urlaubsregelung des § 8 Nr. 1 noch der Regelung der Verfallfristen für Urlaubsansprüche in § 15 Nr. 3 MTV Groß- und Außenhandel NRW kann eine Differenzierung zwischen dem gesetzlichen und dem übergesetzlichen Urlaub entnommen werden.

Soweit im § 8 Nr. 1 Abs. 2 MTV Groß- und Außenhandel NRW geregelt ist, dass der aus betrieblichen Gründen auf das Folgejahr übertragene Urlaub ausnahmsweise abzugelten ist, so handelt es sich dabei lediglich um eine Abweichung von den Rechtsfolgen des § 7 Abs. 3 und 4 Bundesurlaubsgesetzes insoweit, als der am 31.03. des Folgejahres noch vorhandene Urlaub ausnahmsweise im bestehenden Arbeitsverhältnis abzugelten ist, wenn er anderenfalls entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des Bundesurlaubsanspruchs zu uneingeschränkten Befristung des Urlaubs auf das Kalenderjahr bzw. den Übertragungszeitraum erlöschen würde. Eine Differenzierung zwischen dem gesetzlich Mindesturlaub und dem "übergesetzlichen" Tarifurlaub sieht § 8 Nr. 1 MTV Groß- und Außenhandel nicht vor. Vielmehr wird dort ausdrücklich einheitlich "der Urlaubsanspruch" geregelt.

Der Regelung der Verfallfristen hinsichtlich der Urlaubsansprüche in § 15 Nr. 3 MTV Groß- und Außenhandel NRW kann ebenfalls eine Differenzierung zwischen dem gesetzlichen und dem übergesetzlichen Urlaub nicht entnommen werden. Denn auch diese Tarifnorm regelt nach ihrem eindeutigen Wortlaut einheitlich "den Urlaubsanspruch". Sowohl § 8 Nr. 1 als auch § 15 Nr. 3 MTV beziehen sich somit lediglich auf den Fortbestand, die Abgeltung und die Verfallfristen des Urlaubsanspruchs, ohne zwischen dem übergesetzlichen und gesetzlichen Urlaubsanspruchs zu differenzieren (vgl. auch BAG, Urteil vom 21.04.1988- 8 AZR 50/86, Juris).

Aus alledem folgt, dass der Tarifvertrag für den Groß- und Außenhandel NRW entgegen der von der Beklagten in der Berufungsverhandlung geäußerten Rechtsansicht nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und den "übergesetzlichen" Urlaub differenziert. Vielmehr geltend diese Regelungen einheitlich für den Urlaubsanspruch insgesamt mit der Folge, dass auch der "übergesetzliche" Urlaub des Klägers von fünf weiteren Tagen mangels abweichender Regelung nach § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetzes abzugelten ist, ohne das es auf die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und damit die Erfüllbarkeit des Anspruchs ankommt. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts war danach abzuändern und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung der Urlaubsabgeltung nebst Zinsen zu verurteilen.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO.

Die Revision war für die Beklagte nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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