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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.06.2005
Aktenzeichen: 18 Sa 1962/04
Rechtsgebiete: EFZG, ZPO


Vorschriften:

EFZG § 3
EFZG § 4
EFZG § 5
ZPO § 286 Abs. 1
Der Beweiswert einer nach einer ärztlichen Untersuchung am 01.09.2003 erstellten Erstbescheinigung, die eine Arbeitsunfähigkeit vom 01.09. bis 15.09.2003 bescheinigt, ist erschüttert, wenn der betroffene Arbeitnehmer, dem in der Zeit vom 11.08.2003 bis zum 29.08.2003 Urlaub gewährt war, den für den 29.08.2003 gebuchten Rückflug am 28.08.2003 auf den 11.09.2003 umbucht.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 14.09.2004 - 1 Ca 430/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand: Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall für die Zeit vom 01.09.2003 bis zum 15.09.2003. Der 1946 geborene Kläger ist seit dem 25.09.1978 als Textilarbeiter bei der Beklagten tätig. Seine Vergütung betrug zuletzt durchschnittlich 1.800,-- € brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge der Nord-Westdeutschen Textilindustrie Anwendung. Im Jahre 2002 hatte die Beklagte dem Kläger während des Betriebsurlaubs vom 05.08. bis zum 23.08.2002 Urlaub gewährt. Nach einer der Beklagten übergebenen ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war der Kläger in der Zeit vom 23.08. bis zum 10.09.2002 wegen einer Magen-/Darmerkrankung arbeitsunfähig krank. Im Jahr 2003 war im Betrieb der Beklagten der Betriebsurlaub auf die Zeit vom 11.08. bis zum 29.08.2003 festgelegt. Eine vom Kläger begehrte Urlaubsverlängerung um eine Woche wurde durch den Personalleiter der Beklagten abgelehnt. Die Beklagte gewährte dem Kläger Jahresurlaub für die Zeit des Betriebsurlaubs. Der Kläger verbrachte den Urlaub im Jahr 2003 in der Türkei. Der Rückflug war für den 29.08.2003 gebucht. Am 28.08.2003 ließ der Kläger den Rückflug wegen Krankheit auf den 11.09.2003 umbuchen. Der Beklagten legte der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 01.09.2003 vor. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war ausgestellt von dem Arzt Dr. T2xxx. Nach der Bescheinigung ist der Kläger am 01.09.2003 ärztlich untersucht und die Arbeitsunfähigkeit ab 01.09.2003 für die Dauer von 15 Tagen festgestellt worden. Das Ende der Arbeitsunfähigkeit ist mit dem 15.09.2003 angegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 01.09.2003 wird auf Bl. 24 d.A. verwiesen. Die Beklagte zahlte an den Kläger für die Zeit vom 01.09. bis 15.09.2003 keine Vergütung. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 03.11.2003 teilte der Kläger der Beklagten u.a. Folgendes mit: Herr U1xx hat im Zeitraum vom 01.09.2003 bis 15.09.2003 tariflichen Jahresurlaub in seinem Heimatland Türkei gemacht. Ausweislich der Aussagen Herrn U1xxx ist er in dieser Zeit unverschuldet arbeitsunfähig erkrankt. Eine diesen Sachverhalt bestätigende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seines behandelnden Arztes im Heimatort Herrn U1xxxx ist Ihnen zugegangen. Für Herrn U1xx ist Ihre Maßnahme zur Aussetzung der Lohnfortzahlung von daher nicht nachvollziehbar. Die von Ihnen geforderte Beglaubigung der Arbeitsunfähigkeit durch eine hierzu legitimierte Person unterstellt, dass Herr U1xx seine krankheitsbedingte Abwesenheit von der Arbeit zu Unrecht erwirkt, mithin "erschlichen" habe. Ein solcher Verdacht muss zurückgewiesen werden, zudem verletzt er das Ehrgefühl Herrn U1xxx. Namens und im Auftrag Herrn U1xxx ersuche ich Sie, die Überweisung der Lohnfortzahlung auf das Ihnen bekannte Gehaltskonto Herrn U1xxx vorzunehmen. Die Beklagte lehnte eine Zahlung ab. Mit der vorliegenden am 18.02.2004 erhobenen Klage hat der Kläger den Entgeltfortzahlungsanspruch für die Zeit vom 01.09.2003 bis zum 15.09.2003 gerichtlich geltend gemacht. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei wegen seiner Erkrankung zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Der Anspruch sei auch innerhalb der tariflichen Verfallfrist am 03.11.2003 rechtzeitig geltend gemacht worden. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 913,30 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 25.02.2004 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Beweiswert der am 01.09.2003 erstellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert. Der Kläger habe die Erkrankung vorgetäuscht. Dies ergebe sich aus der Tatsache, dass er den Rückflug schon am 28.08.2003 auf den 11.09.2003 umgebucht habe, die Arbeitsunfähigkeit aber erst am 01.09.2003 festgestellt worden sei. Im Übrigen erfülle das Schreiben vom 03.11.2003 nicht die Anforderungen, die an eine Geltendmachung nach den tariflichen Vorschriften zu stellen seien. Durch Urteil vom 14.09.2004 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Den Streitwert hat es auf 913,30 € festgesetzt. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Anspruch sei schon nach § 16 Ziffer 1 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Textilindustrie vom 09.05.1985 in der Fassung vom 01.01.2001 verfallen. Das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 03.11.2003 sei lediglich ein Hinweis auf die fehlende Zahlung. Gegen dieses dem Kläger am 23.09.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 22.10.2004 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.12.2004 am 21.12.2004 begründet. Der Kläger greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Er stützt die Berufung maßgeblich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er behauptet, schon zum Zeitpunkt der Umbuchung krank gewesen zu sein. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 14.09.2004 - 1 Ca 430/04 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 913,30 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 14.09.2004 - 1 Ca 430/04 - zurückzuweisen. Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt weiterhin die Auffassung, der Beweiswert der vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei durch die gegebenen Umstände erschüttert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen. Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Dem Kläger steht für die Zeit vom 01.09.2003 bis zum 15.09.2003 der begehrte Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG nicht zu. Nach § 3 Abs. 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. 1. Der Arbeitnehmer hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nachzuweisen (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 01.10.1997 - 5 AZR 726/96 - NZA 1998, 370; BAG, Urteil vom 19.02.1997 - 5 AZR 83/96 - NZA 1997, 652). a) In der Regel führt der Arbeitnehmer diesen Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber, wie auch vor dem Gericht, durch die Vorlage einer förmlichen ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist der gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweis für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Einer solchen Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Dies ergibt sich aus der Lebenserfahrung. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt, als erwiesen ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt (vgl. BAG, Urteil vom 19.02.1997 - 5 AZR 83/96 - a.a.O.). Diese Grundsätze gelten auch, wenn die ärztliche Bescheinigung von einem Arzt im Ausland ausgestellt worden ist in einem Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 19.02.1997 - 5 AZR 83/96 - a.a.O.; Schmitt, EFZG, 5. Aufl., § 5 Rz. 152). b) Bestreitet der Arbeitgeber trotz der vorgelegten ordnungsgemäß erteilten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, muss er den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. Dies ist dann der Fall, wenn ernsthafte Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit dargelegt werden. Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann erschüttert werden durch Umstände im Zusammenhang mit der Bescheinigung selbst, durch das Verhalten des Arbeitnehmers vor der Erkrankung und durch das Verhalten des Arbeitnehmers während der bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 20.02.1985 - 5 AZR 180/83 - NZA 1985, 737; BAG, Urteil vom 21.03.1996 - 2 AZR 543/95 - NZA 1996, 1030; BAG, Urteil vom 19.02.1997 - 5 AZR 83/96 - a.a.O.). Stammt die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - wie vorliegend - aus einem ausländischen Staat, der nicht Mitglied der Europäischen Union ist, kann der Arbeitgeber weiter die Richtigkeitsvermutung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dadurch erschüttern, dass er Umstände darlegt, die dafür sprechen, dass dem Arzt die für das deutsche Entgeltfortzahlungsrecht wesentliche Unterscheidung zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht hinreichend bekannt war bzw. er eine entsprechende Unterscheidung nicht vorgenommen hat (vgl. Schmitt a.a.O., § 5 EFZG Rz. 152, weitere Nachweise bei Lepke DB 1993, 2025, 2027). c) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger den Nachweis für eine Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 01.09.2003 bis zum 15.09.2003 durch die Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 01.09.2003 nicht erbracht. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der sich aus der Lebenserfahrung ergibt, ist erschüttert durch Umstände, die zu ernsthaften Zweifeln an der behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 01.09.2003 bis zum 15.09.2003 Anlass geben. aa) Zweifel bezüglich des Vorliegens einer Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 01.09.2003 bis zum 15.09.2003 unmittelbar nach dem gewährten Urlaub ergeben sich aus der Tatsache, dass der Kläger vor Urlaubsantritt um eine Urlaubsverlängerung um eine Woche gebeten hat, die aber abgelehnt worden ist. bb) Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Vorjahr wegen derselben Krankheitsursache gegen Ende des Urlaubs angeblich arbeitsunfähig krank geworden ist. Ein solcher Zufall ist nach der Lebenserfahrung nicht wahrscheinlich. cc) Darüber hinaus ergeben sich auch Zweifel aus der Bescheinigung selbst. In der Bescheinigung wird eine Arbeitsunfähigkeit wegen einer Magen-/Darmerkrankung festgestellt mit Angabe des genauen Endes der Arbeitsunfähigkeit am 15.09.2003, ohne dass eine wietere Kontrolluntersuchung stattfinden sollte. Zu berücksichtigen ist, dass der Kläger sich nach seiner Behauptung schon vor der ärztlichen Untersuchung am 01.09.2003 krank gefühlt hat. dd) Vollständig erschüttert ist nach der Überzeugung des Berufungsgerichts (§ 286 Abs. 1 ZPO) der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 01.09.2003 durch die Umstände, unter denen die Umbuchung des Rückfluges erfolgte. Nach der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. T2xxx war Beginn der Arbeitsunfähigkeit Montag, der 01.09.2003. Ohne vorherige ärztliche Untersuchung konnte der Kläger vor dem 01.09.2003 nicht davon ausgehen, dass er ab 01.09.2003 überhaupt arbeitsunfähig krank sein würde. Dennoch hat er schon am Donnerstag, dem 28.08.2003, den für den 29.08.2003 gebuchten Rückflug auf den 11.09.2003 umgebucht. Zum Zeitpunkt der Umbuchung konnte der Kläger auch nicht wissen, wie lange die Arbeitsunfähigkeit dauern würde, insbesondere nicht, dass sie noch am 11.09.2003 andauern würde. Diese war noch nicht einmal festgestellt. II. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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