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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.02.2006
Aktenzeichen: 18 Sa 425/05
Rechtsgebiete: AWbG NRW, ZPO


Vorschriften:

AWbG NRW § 1 Abs. 1
AWbG NRW § 7
AWbG NRW § 9 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 256 Abs. 1
Eine Weiterbildungsveranstaltung zum Thema "Leben an der deutsch-polnischen Grenze" findet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland statt, wenn die Teilnehmer in einem Hotel in Polen wohnen und die überwiegenden Veranstaltungen auf polnischem Gebiet stattfinden.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 25.01.2005 - 2 Ca 5542/04 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Vergütungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 24.10.2004 bis zum 29.10.2004.

Der am 17.05.1951 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 01.03.1999 als erster Offizier beim fliegenden Personal der Beklagten tätig. Er ist Mitglied der Personalvertretung Bord im Betrieb der Beklagten. Seine Vergütung betrug zuletzt im Teilzeitarbeitsverhältnis 3.600,-- € brutto monatlich.

Der Kläger wohnt in B1xxx. Seine H3xxxxxxist D4xxxxxxxx.

Zum Flugeinsatz begibt sich der Kläger zu dem im Dienstplan verzeichneten Einsatzort in Deutschland. Der Einsatzort ist nicht immer die H3xxxxxx, sondern es sind auch andere Orte in Deutschland. Von diesem ersten Einsatzort aus werden Ziele in Deutschland und im europäischen Ausland angeflogen. Teilweise wird nach dem monatlichen Dienstplan auch eine sogenannte "Kette" geflogen, d.h., nach dem letzten Flug wird im Hotel übernachtet und an diesem Einsatzort die Tätigkeit wieder fortgesetzt. Die Ketten dauern teilweise mehrere Tage an. Unabhängig vom tatsächlichen Abflugsort beginnt der Dienst abrechnungsmäßig immer an der H3xxxxxx.

Mit Schreiben vom 08.09.2004 (Bl. 11. d.A.) beantragte der Kläger bei der Beklagten die Genehmigung von Bildungsurlaub gemäß § 5 Abs. 1 AWbG NRW vom 28.03.2000 (AWbG). Das Schreiben ging der Beklagten am 09.09.2004 zu. In dem Schreiben heißt es u.a.:

Ich beabsichtige, an der Bildungsveranstaltung

Hallo Europa! - Leben an der deutsch-polnischen Grenze (Usedom II)

in Usedom vom 24.10.2004 bis 29.10.2004

teilzunehmen und beanspruche dafür eine Freistellung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz NRW. Das Seminar wird vom Forum Unna durchgeführt. Die Bildungsveranstaltung ist nach § 9 des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes anerkannt und dient der politischen Weiterbildung im Sinne dieses Gesetzes.

Beigefügt war dem Antrag eine Ablichtung des Schreibens der Bezirksregierung Arnsberg an den Veranstalter, das Forum Unna, vom 19.06.2000 über die Anerkennung von Veranstaltungen nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz (Bl. 12 d.A.) und das geplante Programm der Veranstaltung (Bl. 13 f d.A.).

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 14.09.2004 (Bl. 15 f d.A.) die begehrte Zustimmung ab. Sie bot dem Kläger an, bezüglich der Teilnahme folgende Vereinbarung zu treffen:

a) Sie nehmen in der Zeit vom 24. bis 29. Oktober 2004 an der vom Forum Unna durchgeführten Bildungsveranstaltung "Hallo Europa! - Leben an der deutsch-polnischen Grenze" in Usedom teil.

b) Die E1xxxxxxx L1xxxxxxxxxx AG wird Sie hierfür unbezahlt freistellen.

c) Sie lassen arbeitsgerichtlich klären, ob es sich bei der hier streitbefangenen Veranstaltung um eine Bildungsmaßnahme handelt, die alle Voraussetzungen des AWbG NRW erfüllt und ob dieses Gesetz überhaupt auf fliegendes Personal mit ständig wechselndem Erfüllungsort anwendbar ist.

d) Sollten Sie rechtskräftig gewinnen, werden wir Ihnen die Vergütung für die Tage, an denen Sie unbezahlt freigestellt waren, nachzahlen.

Der Kläger war mit dieser Regelung einverstanden und nahm in der Zeit vom 24.10.2004 bis 29.04.2004 an der geplanten Veranstaltung teil.

Der Veranstalter der Weiterbildungsmaßnahme, das Forum für Politik, Wirtschaft und internationale Begegnung e.V., Burgstraße 31, 4750 Unna, ist durch Bescheid des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27.07.1992 als Einrichtung der Weiterbildung in anderer Trägerschaft gemäß § 23 WbG NRW anerkannt.

Das Programm lief teilweise abweichend von der Planung wie folgt ab: Am Sonntag, dem 24.10.2004 erfolgte die Anreise bis 17.00 Uhr zum Hotel "EL PaK" im polnischen Swinoujscie (Swinemünde), in dem die Teilnehmer während der Veranstaltung wohnten. Nach einer Einführung und dem Abendessen erfolgte ab 19.30 Uhr bis 21.00 Uhr der Einführungsvortrag "Polen und die EU".

Am Montag, dem 25.10.2004, fuhren die Teilnehmer nach dem Frühstück über die Grenze, um an dem Referat "Was wird mit der Grenze" des Herrn Lars Petersen, BGS Öffentlichkeitsarbeit, von ca. 9.00 Uhr bis 10.00 Uhr teilzunehmen. Hieran schloss sich der Vortrag von Herrn Gutsche im Rathaus von Ahlbeck über das Thema "Auswirkungen des EU-Beitritts auf den Tourismusbetrieb der deutschen Seite Usedoms" an. Nach dem Mittagessen wurde die Gruppenarbeit in Ahlbeck und Heringsdorf zum Thema "Welche Auswirkungen hat die Grenzöffnung für die Wirtschaftsentwicklung der Grenzregion" bei Kaufleuten, Gewerbetreibenden und Gaststätten durchgeführt.

Am Dienstag, dem 26.10.2004, besuchte die Hälfte der Kursteilnehmer, darunter auch der Kläger, den Unterricht des Gymnasiums in Heringsdorf, an dem auch polnische Gymnasiasten teilnahmen. Die zweite Hälfte der Kursteilnehmer nahm an dem Unterricht in einem polnischen Gymnasium in Swinemünde teil, an dem auch deutsche Gymnasiasten teilnahmen.

Nachmittags erfolgte das Projekt "Deutsche Gymnasiasten zeigen ihre Stadt". Der Tag endete mit einem von 19.30 Uhr bis 21.00 Uhr dauernden Vortrag des Herrn Dr. Abraham über "Das regionale Verkehrskonzept der Grenzregion".

Am Mittwoch, dem 27.10.2004, wurden bis 15.00 Uhr verschiedene soziale Einrichtungen auf der polnischen Seite Usedoms in Swinoujscie besucht. Ab 15.00 Uhr stand der Tag zur freien Verfügung.

Am Donnerstag, dem 28.10.2004, wurde eine Ganztagsexkursion ins polnische Hinterland mit Dolmetscher durchgeführt.

Nach dem gegen 18.00 Uhr durchgeführten Abendessen erfolgte zwischen 19.30 Uhr und 21.15 Uhr die Auswertung der Gruppenarbeit und Gespräche mit geladenen Gästen.

Am Freitag, dem 29.10.2004, erfolgte dann zwischen 9.00 Uhr und 9.45 Uhr das Abschlussgespräch und die Auswertung der Teilnehmer und der Kursleitung.

Danach erfolgte die Heimreise.

Die vorliegende Klage hat der Kläger am 01.10.2004 anhängig gemacht. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, Schwerpunkt seines Arbeitsverhältnisses sei der Betriebssitz des Arbeitgebers, so dass das Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz NRW anzuwenden sei. Sämtliche Nebenpflichten aus seinem Arbeitsverhältnis seien am Sitz der Beklagten in D3xxxxxx zu erfüllen. Im Übrigen sei die durchgeführte Veranstaltung nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz anerkannt und auch inhaltlich im Sinne der gesetzlichen Vorgaben zur Arbeitnehmerweiterbildung geeignet. Letztendlich habe die Veranstaltung - jedenfalls überwiegend - auf Usedom innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen ist, ihn in der Zeit vom 24.10.2004 bis 29.10.2004 unter Fortzahlung des Arbeitsentgeltes zur Teilnahme an der Bildungsveranstaltung "Hallo Europa - Leben an der deutsch-polnischen Grenze (Usedom II)" freizustellen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Anknüpfung des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes an den Schwerpunkt des Beschäftigungsverhältnisses stelle auf den Ort der tatsächlichen Arbeitsleistung. Es komme für die Anwendbarkeit dieses Gesetzes also darauf an, wo der betroffene Arbeitnehmer seine Beschäftigung überwiegend verrichte. Dies sei bei Mitarbeitern des fliegenden Personals, wie dem Kläger, jedoch keineswegs auf Nordrhein-Westfalen beschränkt. Im Gegensatz zu Regelungen in anderen Bundesländern sei nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz NRW der Sitz des Arbeitgebers gerade nicht maßgeblich. Da Regelungen in Bildungsangelegenheiten jedoch Ländersache seien, könne dieses Landesgesetz keine länderübergreifende Wirkung haben. Die Tätigkeit des Klägers sei jedoch länderübergreifend, ein Schwerpunkt in NRW sei nicht gegeben. Weiterhin erfülle der Inhalt der streitbefangenen Veranstaltung nicht die Voraussetzungen des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes NRW. Jedenfalls habe die Veranstaltung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, nämlich in Polen stattgefunden, so dass auch aus diesem Grund die Voraussetzungen für einen Bildungsurlaubsanspruch des Klägers nicht vorgelegen hätten.

Durch Urteil vom 25.01.2005 ist das Arbeitsgericht der Auffassung des Klägers gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Beklagten auferlegt worden. Der Streitwert ist auf 900,-- € festgesetzt worden.

Gegen dieses ihr am 08.02.2005 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 04.03.2005 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 09.05.2005 am 06.05.2005 begründet.

Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich maßgeblich weiterhin auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 25.01.2005 - 2 Ca 5542/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 25.01.2005 - 2 Ca 5542/04 - zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Die Akte des Parallelverfahrens LAG Hamm 18 Sa 1010/05 war zu Informationszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig (§ 256 Abs. 1 ZPO).

Zwar ist der Feststellungsantrag auf einen in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalt gerichtet. Feststellungsanträge mit diesem Inhalt sind jedoch zulässig, wenn sich daraus Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 17.02.1998 - 9 AZR 100/97 - NZA 1999, 87; BAG, Urteil vom 24.09.1997 - 4 AZR 429/95 - NZA 1998, 330).

Solche Rechtsfolgen liegen vor. Die Beklagte hat sich für den Fall ihres Unterliegens in diesem Rechtsstreit verpflichtet, dem Kläger die Vergütung für die Zeit der Bildungsveranstaltung nachzuzahlen.

II. Die Klage ist aber nicht begründet.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 7 AWbG i.V.m. § 1 Abs. 1 AWbG. Nach § 1 Abs. 1 AWbG erfolgt die Arbeitnehmerweiterbildung über die Freistellung von der Arbeit durch den Arbeitgeber. Eine solche Freistellungserklärung ist von der Beklagten verweigert worden.

2. Dem Kläger steht die begehrte Vergütung auch nicht aufgrund der zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung zu. In der Vereinbarung hat sich die Beklagte verpflichtet, dass sie im Fall eines rechtskräftigen Unterliegens die Vergütung für die Tage, an denen der Kläger freigestellt war, nachzahlt.

Die Voraussetzungen der Vereinbarung sind nicht erfüllt. Dem Kläger steht nach den Vorschriften des Arbeitnehmerweiterbildungsgesetzes ein Anspruch auf vergütete Freistellung für die Zeit der Teilnahme an der Bildungsveranstaltung vom 24.10. bis 29.10.2004 nicht zu.

Bei der vom Kläger besuchten Bildungsveranstaltung handelt es sich schon nicht um eine nach § 9 AWbG anerkannte Bildungsveranstaltung.

a) Nach § 9 Abs 3 Nr. 2 AWbG sind von der Anerkennung ausgeschlossen Veranstaltungen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie nicht in den an Nordrhein-Westfalen unmittelbar angrenzenden Nachbarländern oder am Sitz des europäischen Parlaments stattfinden oder am Ort von Gedächtnisstätten oder an Gedächtnisorten der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dienen.

Nach dieser gesetzlichen Regelung können Bildungsurlaubsveranstaltungen, die nicht der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dienen, nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz NRW nur solche sein, die in der Bundesrepublik Deutschland, in Belgien oder den Niederlanden stattfinden (vgl. Schiefer, DB 2000, Beilage 7 S. 5).

Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

b) Entgegen der Auffassung des Klägers und des Arbeitsgerichts hat der Kläger an einer Bildungsveranstaltung teilgenommen, die in Polen stattgefunden hat.

aa) Die konkreten Seminarveranstaltungen haben überwiegend in Polen stattgefunden, so die gesamten Veranstaltungen am Mittwoch, dem 27.10.2004 und am Donnerstag, dem 28.10.2004. Ebenfalls dort im Hotel "EL PaK" haben die Einführungsveranstaltungen am Sonntag, dem 24.10.2004 und die Abschlussveranstaltungen am Freitag, dem 29.10.2004 stattgefunden. Bei dem Programmpunkt "Besuch der deutsch-polnischen Schulen" am Morgen des Dienstags, des 26.10.2004 ist zu berücksichtigen, dass die Hälfte der Kursteilnehmer an dem deutsch-polnischen Unterricht am Gymnasium in Heringsdorf und die andere Hälfte der Kursteilnehmer an dem deutsch-polnischen Unterricht in Swinemünde teilgenommen hat. Für alle Teilnehmer des Kurses fanden auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nur die Veranstaltungen am Montag und am Nachmittag des Dienstags statt.

bb) Die Tatsache, dass die Teilnehmer in dem Hotel "EL PaK" in Swinemünde gewohnt haben, muss weiter prägend für die Bestimmung des Ortes der Veranstaltung gesehen werden. Das Hotel war Ausgangspunkt der verschiedenen Veranstaltungen in Polen und in Deutschland, insoweit der Mittelpunkt. Auch haben hier Veranstaltungen stattgefunden.

cc) Die Frage, in welchem Land die Veranstaltung stattgefunden hat, kann nur einheitlich entschieden werden. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Veranstaltungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden haben, ergibt die abschließende Wertung, dass es sich um eine Veranstaltung handelte, die überwiegend und schwerpunktmäßig auf polnischem Gebiet stattgefunden hat.

B. Nach alledem hat das Rechtsmittel Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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