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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 29.06.2005
Aktenzeichen: 18 Sa 63/05
Rechtsgebiete: TVG, TV Sonderzahlungen Einzelhandel, MTV 1996 Einzelhandel


Vorschriften:

TVG § 4 Abs. 5
TVG § 5
TV Sonderzahlungen Einzelhandel Abschn. A § 1
TV Sonderzahlungen Einzelhandel Abschn. B § 1
MTV 1996 Einzelhandel § 24 Abs. 1 b
Nach Ablauf eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags erfasst die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG sowohl die organisierten als auch die nicht organisierten Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnisse der Tarifvertrag zur Anwendung kam.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 02.12.2004 - 1 Ca 1553/04 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Urlaubsgeld und der Sonderzuwendung (Weihnachtsgeld) für das Jahr 2003.

Der Kläger trat am 01.09.2002 in den Betrieb der Beklagten in P1xxxxxxx ein. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war der am 13.06.2002 zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag (Bl. 4 bis 8 d.A.), in dem u.a. Folgendes vereinbart wurde:

§ 4 Vergütung

...

2. Das vereinbarte Entgelt beträgt DM / /EURO 3.000,--

Außerdem wird vereinbart: Hinzu kommen Urlaubs- und Weihnachtsgeld gemäß Tarifvertrag des Einzelhandels NRW.

...

§ 7 Urlaub und Urlaubsgeld

...

3. Der/Die Arbeitnehmer/in erhält ein Urlaubsgeld entsprechend den tariflichen Bestimmungen.

...

Für das Kalenderjahr 2003 erhielt der Kläger lediglich eine Sonderzahlung über 900,-- €. Nach dem Bekanntwerden der geplanten Betriebsstilllegung zum Jahresende 2004 ließ der Kläger mit einem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15.07.2004 einen Anspruch auf Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld für 2003 in Höhe von 2.100,-- € brutto geltend machen. Die Beklagte lehnte unter dem Datum des 20.07.2004 eine Zahlung ab.

Das von der Beklagten in P1xxxxxxx betriebene Einzelhandelsgeschäft für Haushaltsgeräte, Hausrat und Küchen wurde zum 31.12.2004 geschlossen. Der Kläger schied durch betriebsbedingte Kündigung mit Ablauf des 31.12.2004 aus dem Arbeitsverhältnis aus.

Mit der der Beklagten am 07.08.2004 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst einen Betrag in Höhe von 1.481,72 € brutto an Urlaubs- und Weihnachtsgeld gerichtlich geltend gemacht. Im Kammertermin vom 02.12.2004 hat er die Klage auf eine Forderung in Höhe von 1.066,42 € brutto reduziert.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten:

Er könne für das Jahr 2003 restliches Weihnachtsgeld in Höhe von 184,70 € brutto sowie Urlaubsgeld in Höhe von 881,72 € brutto verlangen. Der Anspruch sei nicht verfallen. Die maßgebliche tarifvertragliche Verfallfrist aus dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen gelte hier nicht, da sie nicht vereinbart worden sei. Der Arbeitsvertrag beinhalte keine sonstigen Verfallklauseln.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.066,42 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 07.08.2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten:

Etwaige Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld seien gemäß § 24 Abs. 1 b des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen verfallen. Entgegen der vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung beziehe sich die im Arbeitsvertrag enthaltene Vereinbarung über die Gewährung der tariflichen Sonderzuwendungen nicht nur auf deren Höhe, sondern auf alle mit diesen Sonderzuwendungen in Zusammenhang stehenden, nach dem Tarifvertrag anspruchsbegründenden und auch anspruchsvernichtenden rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen einschließlich der Verfallfrist für deren Geltendmachung.

Im Übrigen habe der Kläger die Kürzung der Leistungen nach dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen widerspruchslos hingenommen.

Durch Urteil vom 02.12.2004 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 1.066,42 € festgesetzt.

In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die unstreitig entstandenen Ansprüche seien nicht verfallen, da der ab 01.04.2004 in Kraft getretene Manteltarifvertrag vom 25.07.2003 nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden sei. Die Vereinbarung der Leistungen im Arbeitsvertrag erfasse nicht auch die Geltung der tariflichen Verfallfrist.

Gegen dieses ihr am 15.12.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 12.01.2005 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.03.2005 am 15.03.2005 begründet.

Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Sie weist darauf hin, dass der am 31.03.2004 außer Kraft getretene Manteltarifvertrag für den Einzelhandel vom 20.09.1996 kraft Nachwirkung weiterhin auf das Arbeitsverhältnis zur Anwendung gekommen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 02.12.2004 - 1 Ca 1553/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 02.12.2004 - 1 Ca 1553/04 - zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Der Anspruch des Klägers auf Zahlung der Restsonderzuwendung für das Jahr 2003 in Höhe von 184,70 € ist zwar gemäß § 4 Ziffer 2 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit Teil B § 1 des Tarifvertrages über Sonderzahlungen im Einzelhandel vom 20.09.1996 entstanden. Der Anspruch ist aber nach § 24 Abs. 1 Buchst. b des für allgemeinverbindlich erklärten Manteltarifvertrages vom 20.09.1996 in der Fassung der Protokollerklärung vom 04.12.1996 (MTV) verfallen.

Dies gilt auch für den Anspruch auf das Urlaubsgeld für das Jahr 2003 in Höhe von 881,72 € brutto. Dieser Anspruch ist zwar gemäß § 4 Abs. 2, § 7 Ziffer 3 des Arbeitsvertrages in Verbindung mit Teil A § 1 des Tarifvertrages über Sonderzahlungen vom 20.09.1996 entstanden, aber wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung nach § 24 Abs. 1 Buchst. b des Manteltarifvertrages vom 20.09.1996 verfallen.

1. Der Tarifvertrag vom 20.09.1996 in der Fassung der Protokollerklärung vom 04.12.1996 fand auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ab Begründung des Arbeitsverhältnisses unmittelbar und zwingend Anwendung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG), da er ab 01.11.1996 für allgemeinverbindlich erklärt worden war (§ 5 Abs. 1 TVG).

Nachdem der Manteltarifvertrag vom 20.09.1996 mit Ablauf des 31.03.2003 außer Kraft getreten ist, endete auch zu diesem Zeitpunkt die Allgemeinverbindlichkeit (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 207 Rz. 25).

Der Manteltarifvertrag vom 20.09.1996 galt jedoch nach seiner Aufhebung für den Kläger weiter kraft Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 TVG).

Nach § 4 Abs. 5 TVG gelten nach Ablauf des Tarifvertrages seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Bei einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag erfasst die Nachwirkung auch nicht organisierte Arbeitnehmer, wie den Kläger (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 18.06.1980 - 4 AZR 463/78 -, AP Nr. 68 zu § 4 TVG, Ausschlussfrist; BAG, Urteil vom 27.11.1991 - 4 AZR 211/91 - NZA 1992, 800; LAG Berlin, Urteil vom 05.12.1994 - 9 Sa 74/94 -; Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 4 Rz. 336; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 207 Rdnr. 27).

2. Die Nachwirkung war im Anspruchszeitraum nicht durch eine andere Abmachung ersetzt.

Der Nachfolgemanteltarifvertrag vom 25.07.2003, in Kraft getreten am 01.04.2003, ist nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden und stellt für die Parteien des Rechtsstreits damit keine andere Abmachung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG dar. Eine die Nachwirkung beendende andere Abmachung ist nur eine solche, die auch auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat.

3. Die schriftliche Geltendmachung vom 15.07.2004 des Klägers erfolgte nach Ablauf der Verfallklausel des § 24 Abs. 1 Buchst. b MTV.

Nach § 24 Abs. 1 Buchst. b MTV verfallen die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis wie folgt: Spätestens drei Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsabgeltung und Sonderzahlung.

a) Die streitigen Ansprüche auf Urlaubsgeld und Sonderzahlungen werden von der Verfallklausel des § 24 Abs. 1 Buchst. b MTV erfasst, auch wenn sie arbeitsvertraglich begründet worden sind. Schon nach dem eindeutigen Wortlaut erfasst die Verfallklausel des § 24 MTV alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, unabhängig davon, ob sie tariflich oder arbeitsvertraglich begründet worden sind (vgl. Decruppe/Rzaza, Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl., § 24 MTV Rz. 1).

b) Zum Zeitpunkt der schriftlichen Geltendmachung vom 15.07.2004 waren die streitigen Ansprüche schon verfallen. Die Verfallfrist begann mit dem Ende des Urlaubsjahres 2003 zu laufen (§ 24 Abs. 1 Buchst. b MTV). Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 MTV ist Ende des Urlaubsjahres das Kalenderjahr. Die dreimonatige Verfallfrist lief am 31.03.2004 ab.

4. Die Berufung der Beklagten auf die tariflichen Verfallfristen ist nicht treuwidrig (§ 242 BGB).

Mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kann der Ablauf einer Ausschlussfrist überwunden werden. Die Berufung auf die tarifliche Ausschlussfrist ist dann als treuwidrig anzusehen, wenn eine Vertragspartei den Vertragspartner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlussfrist abhält oder wenn sie es pflichtwidrig unterlässt, diesem Umstände mitzuteilen, die sie zur Einhaltung der Ausschlussfrist veranlassen könnte. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber den Anschein erweckt, der Arbeitnehmer könne mit der Erfüllung der Ansprüche rechnen (ErfK/Schaub, 5. Aufl., § 4 TVG Rz. 108).

Solche Tatsachen sind von dem Kläger nicht vorgetragen worden.

II. Nach alledem hat das Rechtsmittel Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.



Ende der Entscheidung

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