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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.03.2007
Aktenzeichen: 18 Sa 683/06
Rechtsgebiete: BGB, BUrlG, MTV


Vorschriften:

BGB § 611 Abs. 1
BUrlG § 1
BUrlG § 11 Abs. 1
BUrlG § 13 Abs. 1
MTV vom 26.04.2005 für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW § 9 Ziff. 9 Satz 2
Die Begrenzung der Urlaubsentgeltzahlung auf höchstens 48 Stunden wöchentlich in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV für gewerbliche Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Trans-portwirtschaft NRW vom 26.04.2005 verstößt, soweit der gesetzliche Mindesturlaub beschränkt wird, gegen § 1 BUrlG.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.03.2006 - 1 Ca 2331/05 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Urlaubsentgelt und Restforderungen für die Zeit des Urlaubs vom 01.07.2005 bis 08.07.2005.

Der am 08.04.1958 geborene Kläger ist seit dem 26.10.1987 im Betrieb der Beklagten als Kraftfahrer im Fernverkehr tätig. Die Beklagte betreibt in B1 ein Transportunternehmen. Sie beschäftigt ca. 60 Arbeitnehmer, darunter 38 Kraftfahrer, von denen 25 im Fernverkehr eingesetzt werden. Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gewählt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die tariflichen Vorschriften für gewerbliche Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW Anwendung, so auch der Manteltarifvertrag vom 26.04.2005 (MTV), in dem u.a. Folgendes geregelt ist:

§ 9

Urlaub

...

9. Die Urlaubsvergütung ist auf Verlangen bei Antritt des Urlaubs im Voraus zu zahlen. Das Urlaubsentgelt wird aufgrund der gesetzlichen Regelung, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich berechnet.

...

Die Beklagte zahlt an die Kraftfahrer im Fernverkehr pro Schicht einen Schichtlohn, der zum Zeitpunkt der Freistellung zu Urlaubszwecken, die Gegenstand des Rechtsstreits ist, 149,10 € betrug. Dieser Schichtlohn ist in der Betriebsvereinbarung vom 28.09.2002 festgehalten. Er basiert auf einer Arbeitszeit von 14,88 Stunden, die mit dem Tariflohn vergütet werden.

Mit Aushang vom 25.07.2005 teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern u.a. Folgendes mit:

Als wesentliche Neuerung haben die Tarifvertragsparteien geregelt, dass der Anspruch der Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung (z.B. im Krankheitsfall) und das Urlaubsentgelt entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu berechnen ist, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich. Dies entspricht bei fünf Arbeitstagen pro Woche einer maximalen Berechnungsgröße von 9,6 Stunden täglich. Diesen Grenzwert werden wir ab 01.07.2005 entsprechend anwenden, sofern die Durchschnittsberechnung nicht zu einem niedrigen Ergebnis führt. Von der Neuregelung sind sowohl die Mitarbeiter, deren Lohnabrechnungen auf Stundenbasis erfolgt als auch die Schichtlohnfernfahrer betroffen, da es sich beim Schichtlohn um die Vergütung einer pauschalen Stundenzahl auf Stundenlohnbasis handelt (15 Stunden bzw. seit der Kürzungsregelung aufgrund Betriebsvereinbarung vom 28.09.2002 noch 14,88 Stunden täglich.

Die Beklagte rechnete dementsprechend die Urlaubsvergütung des Klägers im Juli 2005 lediglich mit dem Tagessatz von 96,19 € ab.

Im Jahre 2005 erteilte die Beklagte dem Kläger insgesamt an folgenden Tagen Urlaub:

03.01.05 bis 07.01.05 05 Tage

25.02.05 01 Tag

08.04.05 01 Tag

06.05.05 01 Tag

27.05.05 01 Tag

13.06.05 bis 30.06.05 14 Tage

01.07.05 bis 08.07.05 06 Tage

Mit der an 08.07.2005 erhobenen Klage hat der Kläger die Differenz (52,91 €) zwischen dem herabgesetzten Tagessatz (96,19 €) und dem Schichtlohn (149,10 €) für den Zeitraum 01.07. bis 08.07.2005 (sechs Tage) geltend gemacht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass er von der tariflichen Begrenzung des Urlaubsentgelts auf 48 Stunden wöchentlich nicht betroffen sei, da seine tägliche Arbeitszeit mit einem pauschalen Schichtlohn von 149,10 € vergütet werde.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 317,46 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.07.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die tarifliche Beschränkung der Urlaubsvergütung in § 9 Ziffer 9 MTV finde auch auf den Schichtlohn des Klägers Anwendung. Die tarifliche Vorschrift differenziere nicht, ob ein Arbeitnehmer im Stundenlohn oder im Schichtlohn vergütet werde.

Durch Urteil vom 03.03.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Die Berufung ist zugelassen worden. Den Streitwert hat das Arbeitsgericht auf 317,46 € festgesetzt.

In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Regelung in § 9 Ziffer 9 MTV komme sowohl auf die Arbeitnehmer im Monatslohn als auch auf die Arbeitnehmer mit Schichtlohn zur Anwendung.

Gegen dieses ihm am 06.04.2006 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 19.04.2006 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.07.2006 am 23.06.2006 begründet.

Der Kläger greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Er stützt sich weiterhin maßgeblich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.03.2006 - 1 Ca 2331/05 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 317,46 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.07.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.03.2006 - 1 Ca 2331/05 - zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Das Arbeitsgericht hat bei den Tarifvertragsparteien des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW vom 26.04.2005 eine Tarifauskunft eingeholt. Wegen des Inhaltes der Auskünfte wird auf Bl. 109 bis 112 und Bl. 129 ff. d.A. verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen. Wegen des Vortrags der Parteien in der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen auf die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Dem Kläger steht ein weiteres Entgelt für den in der Zeit vom 01.07.2005 bis 08.07.2005 gewährten Urlaub nicht zu.

I. Der begehrte Vergütungsanspruch ergibt sich nicht aus § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 9 MTV.

1. Die tariflichen Vorschriften des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Spedition-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW vom 26.04.2005 kommen auf das Arbeitsverhältnis mit zwingender Wirkung gemäß § 4 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 TVG zur Anwendung. Beide Parteien sind tarifgebunden.

2. Nach § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV steht dem Kläger die mit der Klage verlangte weitere Urlaubsvergütung nicht zu.

a) Die Urlaubstage, für die der Kläger weitere Vergütung verlangt, übersteigen den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch des Klägers für das Urlaubsjahr 2005.

aa) Dieser beträgt nach § 3 BUrlG in der Fünftagewoche 20 Arbeitstage. Diese waren dem Kläger schon zuvor von der Beklagten gewährt und vergütet worden. Gewährt ein Arbeitgeber Urlaub, so ist dieser grundsätzlich zunächst auf den gesetzlichen Mindesturlaub anzurechnen (vgl. BAG, Urteil vom 12.01.1989 - 8 AZR 404/87 - NZA 1989, 758).

bb) Für den Urlaub, der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, sind die Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht ohne Weiteres anwendbar. Das Bundesurlaubsgesetz regelt nur den gesetzlichen Mindesturlaub. Es steht sowohl den Arbeits- als auch den Tarifvertragsparteien frei, für weitergehende Urlaubsansprüche, auch hinsichtlich der Berechnung des Urlaubsanspruchs, eigenständige Regelungen zu treffen (vgl. BAG, Urteil vom 12.01.1989, a.a.O.; BAG, Urteil vom 22.01.2002 - 9 AZR 611/00 - NZA 2002, 1042). Im vorliegenden Fall haben die Tarifvertragsparteien den tariflichen Urlaubsanspruch in § 9 MTV geregelt. In § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV ist tariflich bestimmt, dass das Urlaubsentgelt aufgrund der gesetzlichen Regelung berechnet wird, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich.

b) Die Beschränkung der Urlaubsvergütung auf das Urlaubsentgelt für höchstens 48 Stunden wöchentlich in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV kommt auf den tariflichen Urlaubsanspruch des Klägers, soweit dieser den gesetzlichen Urlaub übersteigt, zur Anwendung.

aa) Mit Inkrafttreten der Urlaubsregelung in § 9 MTV (siehe § 17 Abs. 3 MTV) sind die vorher geltenden tariflichen Urlaubsregelungen abgelöst worden.

Die Tarifvertragsparteien haben bezüglich der Beschränkung in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV hinsichtlich des tariflichen Urlaubs, der den gesetzlichen Urlaub überschreitet, nicht unzulässig in die Rechte des Klägers eingegriffen. Die Tarifvertragsparteien können die Arbeitsbedingungen den veränderten Verhältnissen anpassen. Wenn, wie hier, ein neuer Tarifvertrag einen Teil der bisherigen Berechnungsvorschriften für die Urlaubsvergütung modifiziert, dann gelten die neuen Tarifnormen für den Arbeitnehmer auch dann, wenn die alten tariflichen Bestimmungen für ihn günstiger waren als die neuen. Ein Anspruch auf Besitzwahrung besteht nicht (vgl. BAG, Urteil vom 22.02.2000 - 9 AZR 107/99 - NZA 2001, 268; BAG, Urteil vom 23.11.1994 - 4 AZR 879/93 - NZA 1995, 844).

bb) Mit der Begrenzung des Urlaubsentgeltes auf die Vergütung von 48 Stunden wöchentlich haben die Tarifvertragsparteien, soweit es um den den gesetzlichen Urlaub überschreitenden Tarifurlaub geht, auch nicht das ihnen eingeräumte Ermessen überschritten.

Die Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 48 Stunden ergibt sich aus § 3 ArbZG. Die Arbeitszeit der Kraftfahrer ist in § 2 a II Ziffer 1 und 2 MTV geregelt. In § 2 a II Ziffer 2 MTV ist die monatliche Höchstarbeitszeit im Hinblick auf § 3 ArbZG auf 208 Stunden begrenzt worden. Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst dürfen monatlich 242 Stunden übersteigen. Durch die Begrenzung in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV wird erreicht, dass die Bereitschaftszeiten, die nach § 21 a Abs. 3 ArbZG keine Arbeitszeit sind, bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes unberücksichtigt bleiben.

II. Der Kläger kann sich auch nicht auf eine im Vergleich zu der tariflichen Bestimmung günstigere arbeitsvertragliche Vereinbarung zur Stützung seines Anspruchs berufen.

Entgegen der Auffassung des Klägers erfasst die tarifliche Beschränkung in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV auch den sogenannten Schichtlohn des Klägers bei der tariflichen Vergütung des Urlaubs, der den gesetzlichen Urlaubsanspruch übersteigt. Der Kläger kann sich nicht auf das Günstigkeitsprinzip berufen.

1. Unstreitig berechnet sich der sogenannte Schichtlohn aus dem Zeitfaktor 14,88/Stunde multipliziert mit dem tariflichen Stundenlohn.

Dieser Zeitfaktor ist zwischen den Parteien einvernehmlich bzw. durch Betriebsvereinbarung festgelegt worden. Es handelt sich um die Festlegung einer Berechnungsgrundlage bei schwankender Arbeitszeit. Die Vergütung des Zeitfaktors mit dem tariflichen Stundenlohn zeigt, dass die Parteien durch die Festlegung der Schichtstunden keine über den tariflichen Vergütungsanspruch hinausgehende Vergütung gewollt haben.

2. Im Übrigen unterscheidet die tarifliche Vorschrift schon vom Wortlaut her nicht zwischen Arbeitnehmern im Zeitlohn und Arbeitnehmern im Schichtlohn, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat.

B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für den Kläger zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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