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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.03.2007
Aktenzeichen: 18 Sa 687/06
Rechtsgebiete: BGB, BUrlG, MTV


Vorschriften:

BGB § 611 Abs. 1
BUrlG § 1
BUrlG § 11 Abs. 1
BUrlG § 13 Abs. 1
MTV vom 26.04.2005 für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW § 9 Ziff. 9 Satz 2
Die Begrenzung der Urlaubsentgeltzahlung auf höchstens 48 Stunden wöchentlich in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV für gewerbliche Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW vom 26.04.2005 verstößt, soweit der gesetzliche Mindesturlaub beschränkt wird, gegen § 1 BUrlG.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.03.2006 - 1 (5) Ca 2955/05 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 529,10 € brutto zu zahlen nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2005.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger zu 1/11 und der Beklagten zu 10/11 auferlegt.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Die Revision wird für den Kläger nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Resturlaubsvergütung für die Zeit vom 05.09.2005 bis zum 16.09.2005 und für einen Urlaubstag im August 2005.

Der am 12.07.1950 geborene Kläger ist seit dem 01.08.1980 bei der Beklagten als Kraftfahrer im Fernverkehr tätig. Die Beklagte betreibt ein Transportunternehmen und beschäftigt cirka 60 Arbeitnehmer, darunter 38 Kraftfahrer, von denen 25 im Fernverkehr tätig sind.

Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die tariflichen Vorschriften für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft NRW Anwendung, so auch der Manteltarifvertrag vom 26.04.2005 (MTV), in dem u.a. in § 9 Ziffer 9 Folgendes geregelt ist:

§ 9

Urlaub

...

9. Die Urlaubsvergütung ist auf Verlangen bei Antritt des Urlaubs im Voraus zu zahlen. Das Urlaubsentgelt wird aufgrund der gesetzlichen Regelung, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich berechnet.

...

Die Beklagte zahlt an die Kraftfahrer im Fernverkehr pro Schicht einen Schichtlohn, der zum Zeitpunkt der Freistellung zu Urlaubszwecken, die Gegenstand des Rechtsstreits ist, 149,10 € betrug. Dieser Schichtlohn ist in der Betriebsvereinbarung vom 28.09.2002 festgehalten. Er basiert auf einer Arbeitszeit von 14,88 Stunden, die mit dem Tariflohn vergütet werden.

Mit Aushang vom 25.07.2005 teilte die Beklagte ihren Mitarbeitern u.a. Folgendes mit:

Als wesentliche Neuerung haben die Tarifvertragsparteien geregelt, dass der Anspruch der Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung (z.B. im Krankheitsfall) und das Urlaubsentgelt entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu berechnen ist, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich. Dies entspricht bei fünf Arbeitstagen pro Woche einer maximalen Berechnungsgröße von 9,6 Stunden täglich. Diesen Grenzwert werden wir ab 01.07.2005 entsprechend anwenden, sofern die Durchschnittsberechnung nicht zu einem niedrigen Ergebnis führt. Von der Neuregelung sind sowohl die Mitarbeiter, deren Lohnabrechnungen auf Stundenbasis erfolgt als auch die Schichtlohnfernfahrer betroffen, da es sich beim Schichtlohn um die Vergütung einer pauschalen Stundenzahl auf Stundenlohnbasis handelt (15 Stunden bzw. seit der Kürzungsregelung aufgrund Betriebsvereinbarung vom 28.09.2002 noch 14,88 Stunden täglich.

Im Jahre 2005 erteilte die Beklagte dem Kläger insgesamt an folgenden Tagen Urlaub:

21.01.2005 01 Tag

06.05.2005 01 Tag

17.05. - 27.05.2005 08 Tage

05.09. - 16.09.2005 10 Tage

14.11. - 16.11.2005 03 Tage

23.12. - 30.12.2005 05 Tage

Die Beklagte rechnete den in der Zeit vom 05.09. bis 16.09.2005 gewährten Urlaub mit einem Tagessatz von 96,19 € ab.

Mit der vorliegenden, am 17.12.2005 erhobenen Klage hat der Kläger die Differenzvergütung für den Urlaub im September 2005 und einen weiteren Tag geltend gemacht.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass er von der tariflichen Begrenzung der Urlaubsvergütungszahlung auf 48 Stunden wöchentlich nicht betroffen sei, da seine tägliche Arbeitszeit mit einem pauschalen Schichtlohn von 149,10 € vergütet werde.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 592,10 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2005 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 52,91 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Vorschrift des § 9 Ziffer 9 MTV komme auch auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Anwendung. Die tarifliche Vorschrift differenziere nicht, ob ein Arbeitnehmer im Stundenlohn oder nach einem pauschalen Schichtlohn vergütet werde.

Durch Urteil vom 03.03.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt. Die Berufung ist vom Arbeitsgericht zugelassen worden. Der Streitwert ist auf 592,10 € festgesetzt worden.

In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass nach § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV die Urlaubsvergütung auf 48 Stunden beschränkt ist, unanhängig davon, ob Arbeitnehmer im Zeitlohn oder im Schichtlohn stehen.

Gegen dieses ihm am 06.04.2006 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat der Kläger am 19.04.2006 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 06.07.2006 am 23.06.2006 begründet.

Der Kläger greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Er stützt die Berufung auch weiterhin maßgeblich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.03.2006 - 1 (5) Ca 2955/05 - abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 592,10 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.09.2005 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 52,91 € brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31.08.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 03.03.2006 - 1 (5) Ca 2955/05 - zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Das Landesarbeitsgericht hat bei den Tarifvertragsparteien des Manteltarifvertrages vom 26.04.2005 eine Tarifauskunft eingeholt (Bl. 88 d.A.). Wegen des Inhaltes der Auskünfte der Tarifvertragsparteien wird auf Bl. 100 bis 103 und Bl. 120 f d.A. verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen. Wegen des Vortrags der Parteien in der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen auf die Niederschriften der mündlichen Verhandlungen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

I. Dem Kläger steht als Restvergütung für den von der Beklagten in der Zeit vom 05.09.2005 bis 16.09.2005 gewährten Urlaub gemäß § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 11 Abs. 1 BUrlG der Betrag von 529,10 € (10 Urlaubstage x 52.91 € Vergütungsdifferenz) zu.

1. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 611 Abs. 1 BGB.

a) Das Urlaubsentgelt ist die Fortzahlung der Arbeitsvergütung für die Urlaubszeit. Durch die Anordnung des "bezahlten" Urlaubs in § 1 BUrlG erhält der Arbeitnehmer den Anspruch auf die Zahlung der vereinbarten Vergütung, auch wenn er wegen der Freistellung zu Urlaubszwecken die geschuldete Arbeitsleistung nicht leistet.

b) Der Kläger verlangt die Vergütung für den ihm zustehenden gesetzlichen Mindesturlaub.

Gewährt ein Arbeitgeber Urlaub, so ist dieser grundsätzlich zunächst auf den gesetzlichen Mindesturlaub anzurechnen. Demnach gelten die ersten 20 Urlaubstage des Jahres 2005 im vorliegenden Fall als gesetzliche Urlaubstage. Die Berechnung der Urlaubsvergütung erfolgt so nach § 11 Abs. 1 BUrlG. Nach der gesetzlichen Bestimmung in § 11 Abs. 1 BUrlG i.V.m. § 9 Ziffer 9 MTV ist der Berechnung der Urlaubsvergütung die Arbeitsvergütung zugrunde zu legen, die der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum jeweils als Gegenleistung für seine Tätigkeit in dem maßgeblichen Abrechnungszeitraum erhalten hat mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsentgelts.

c) Der Kläger hat im Referenzzeitraum eine Schichtvergütung von 149,10 € pro Schicht erzielt. Die Beklagte war so nach § 11 Abs. 1 BUrlG verpflichtet, dem Kläger diese Vergütung pro Urlaubstag in der Zeit des gewährten Urlaubs vom 05.09. bis 16.09.2005 zu zahlen. Tatsächlich gezahlt hat die Beklagte lediglich 96,19 €, so dass sich ein Differenzanspruch pro Urlaubstag in Höhe von 52,91 € ergibt.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten beschränkt sich der gesetzliche Urlaubsvergütungsanspruch des Klägers nicht gemäß § 9 Ziffer 9 MTV auf die Vergütung von 48 Stunden. Diese Regelung ist, soweit es sich um gesetzlichen Urlaub handelt, nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG unwirksam.

a) Nach § 13 Abs. 1 BUrlG können die Tarifvertragsparteien zwar von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes auch zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweichen.

Ausgenommen sind aber die §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG. Dieses Verbot kann auch nicht durch einen mittelbaren Eingriff in die unabdingbaren Bestimmungen umgangen werden (vgl. BAG, Urteil vom 22.01.2002 - 9 AZR 611/00 - NZA 2002, 1042; BAG, Urteil vom 10.02.1966 - 5 AZR 408/65 - , BAGE 18, 129; Leinemann/Linck, Urlaubsrecht 2. Aufl., § 13 BUrlG Rz. 57; ErfK/Dörner, 6. Aufl., § 13 BUrlG Rz. 46; Dersch/Neumann, BUrlG, 8. Aufl., § 13 Rz. 16).

b) Durch die Begrenzung des Urlaubsentgelts für höchstens 48 Stunden wöchentlich auch für den gesetzlichen Urlaub haben die Tarifvertragsparteien die ihnen nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG eingeräumte Befugnis überschritten und gegen § 1 BUrlG verstoßen.

§ 1 BUrlG gewährt jedem Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf einen bezahlten Erholungsurlaub. "Bezahlt" ist der Erholungsurlaub, wenn der den Arbeitnehmern zustehende Lohnanspruch trotz Nichtleistung der Arbeit während des Urlaubs unberührt bleibt. Aus § 1 BUrlG ergibt sich die Verpflichtung, die durch die Freistellung zu Urlaubszwecken ausfallende Arbeitszeit zu vergüten (vgl. BAG, Urteil vom 22.01.2001 - 9 AZR 601/00 - NZA 2002, 1042; BAG, Urteil vom 12.01.1989 - 8 AZR 404/87 -, NZA 1989, 758). Diesen Zeitraum legt der sogenannte "Zeitfaktor" im Rahmen der Berechnung des Urlaubsvergütungsanspruchs fest. Während nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG der sogenannte Geldfaktor, der die Höhe der Urlaubsvergütung bestimmt, tarifdispositiv ist, gilt dies nicht für den Zeitfaktor (vgl. auch Friese Rz. 605 m.w.N.).

c) Die Regelung in § 9 Ziffer 9 Satz 2 MTV "das Urlaubsentgelt wird aufgrund der gesetzlichen Regelung, allerdings höchstens für 48 Stunden wöchentlich berechnet" beschränkt entsprechend den Zeitfaktor, auch wenn der Wortlaut von Berechnung spricht.

Aus dem Wortlaut lässt sich eindeutig entnehmen, dass für einen Arbeitsausfall durch die Freistellung zu Urlaubszwecken von mehr als 48 Stunden wöchentlich eine Vergütung nicht gezahlt werden soll, sondern die Vergütung pro Arbeitstag unabhängig von der tatsächlichen Arbeitszeit auf 9,6 Stunden täglich in der Fünftagewoche beschränkt sein soll.

II. Der Anspruch des Klägers auf Restvergütung für einen Urlaubstag im August 2005 steht dem Kläger nicht gemäß § 611 Abs. 1 BGB zu.

Voraussetzung eines Urlaubsvergütungsanspruchs ist, dass der Arbeitnehmer konkret vorträgt, für welchen konkreten Zeitraum der Freistellung zu Urlaubszwecken er die vertragliche Vergütung fordert. Dieser Zeitraum ist dem Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen.

B. Nach alledem hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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