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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 01.09.2004
Aktenzeichen: 18 Sa 697/04
Rechtsgebiete: MTV Metall, EFZG


Vorschriften:

MTV Metall § 5 I. Nr. 1
MTV Metall § 9
MTV Metall § 9 Nr. 2
MTV Metall § 16
MTV Metall § 16 Nr. 1 a
EFZG § 4 Abs. 1
§ 9 Nr. 2 MTV Metall legt bei der Festlegung des Zeitfaktors für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall das Lohnausfallprinzip zugrunde.

Zusatzschichten zur Herausholung von bestimmten Freischichten an Brückentagen und Werksferientagen sind keine Mehrarbeit im Sinne von § 5 I. Nr. 1 MTV Metall und im Sinne der Protokollnotiz zu § 9 Nr. 2 MTV Metall. Es handelt sich lediglich um die ungleichmäßige Verteilung der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche über einen längeren Zeitraum.

Kann ein Arbeitnehmer eine solche angeordnete Zusatzschicht (Rausholschicht) wegen Krankheit nicht leisten, so ist die Zusatzschicht dem Schichtkonto gutzuschreiben.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 25.11.2003 - 2 Ca 1586/03 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Vergütung von Zusatzschichten im Zusammenhang mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Der am 20.04.1966 geborene Kläger ist seit dem 01.10.1990 als Montagearbeiter im Betrieb der Beklagten in B1xxxx tätig. Seine Vergütung beträgt 2.573,-- EUR brutto. Eingesetzt wird der Kläger in Dauernachtschicht. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit nach dem Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens (im Folgenden: MTV Metall). Am 03.02.2003 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat des Betriebs in B1xxxx die Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 "Werksferien 2003", in der u.a. Folgendes geregelt ist: ... II. Korridorzusatzschichten 2003 1. Im Jahre 2003 werden 5 Korridorzusatzschichten unter Anrechnung auf das Korridor-Arbeitszeitkonto verfahren werden, die sodann binnen Jahresfrist wieder ausgeglichen werden. Können Korridorzusatzschichten wider Erwarten nicht jeweils innerhalb eines Jahres ausgeglichen werden, werden sie als Mehrarbeit vergütet. Schwerbehinderte Mitarbeiter sind von der Teilnahme an den Korridorzusatzschichten zu befreien, soweit sie ausweislich eines werksärztlichen Attestes aus gesundheitlichen Gründen an den Korridorzusatzschichten nicht teilnehmen sollen. 2. Weitere drei Korridorzusatzschichten werden zum Ausgleich für die in Ziffer III geregelten Korridorfreischichten an den Brückentagen (2.5., 30.5. und 20.6.2003) verfahren. ... IV. Werksschließung Weihnachten 2003/Neujahr 2004 1. Wegen betrieblich notwendiger Umbaumaßnahmen im Zusammenhang mit der Einführung des Modells A 3300 ruht im Werk I die Produktion vom 22.12.2003 bis 16.1.2004. Ausgenommen hiervon sind Mitarbeiter aller Bereiche, die während dieser Zeit zur Durchführung der Umbaumaßnahmen arbeiten müssen. 2. ...

3. Mitarbeiter der Produktion und der produktionsabhängigen Bereiche des Werkes I müssen die Arbeitstage in der Zeit vom 22.12.2003 bis 16.1.2004 zunächst mit Korridorfreischichten für gemäß Ziffer II verfahrene Korridorzusatzschichten belegen. Für die danach noch verbleibenden Arbeitstage werden den Mitarbeitern nach ihrer Wahl Freischichten, Tarifurlaub oder Zeitausgleich gewährt. Abweichend von der sonst üblichen Regelung ist es ausnahmsweise zulässig, die Tage vom 2.1. bis 16.1.2004 auch noch mit Tarifurlaub des Jahres 2003 zu belegen. Sollte für den Zeitraum vom 22.12. bis 30.12.2003 kein ausreichender Anspruch auf Korridorfreischichten, Freischichten, Tarifurlaub oder Zeitausgleich mehr vorhanden sein, wird das Freischichtenkonto ins Minus geführt. Sollte für den Zeitraum vom 2.1. bis 16.1.2004 kein ausreichender Anspruch auf Korridorfreischichten, Freischichten, Zeitausgleich oder Tarifurlaub des Jahres 2003 vorhanden sein, muss Tarifurlaub des Jahres 2004 genommen werden. ... In der Absprache zur Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 vom 03.02.2003 wurde die Schichteinteilung vorgenommen, u.a. wie folgt: 1. Zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat wird vereinbart, dass die gemäß Ziffer II 1 der Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 möglichen 5 Korridorzusatzschichten, für die bei vollständiger Teilnahme an einer Schicht jeweils eine bezahlte Freischichtstunde auf dem FS-Konto gutgeschrieben wird, von den Mitarbeitern der Produktion und der produktionsabhängigen Bereiche des Werkes I wie folgt verfahren werden: Schicht A|Schicht B|Schicht C Samstag, 22.02.2003|Samstag, 01.03.2003|Sonntag, 23.02. 2003 Samstag, 08.03.2003|Samstag, 15.03.2003|Sonntag, 09.03.2003 Samstag, 05.04.2003|Samstag, 29.03.2003| Sonntag, 06.04.2003 Samstag, 12.07.2003|Samstag, 12.04.2003|Sonntag, 27.04.2003 Samstag, 26.07.2003|Samstag, 19.07.2003|Sonntag, 13.07.2003

2. Die in Ziffer II 2 der Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 zum Ausgleich für Korridorfreischichten an Brückentagen geregelten wieteren drei Korridorzusatzschichten werden im Werk I wie folgt verfahren: Schicht A|Schicht B|Schicht C Samstag, 17.05.2003|Samstag, 26.04.2003|Sonntag, 30.03.2003 Samstag, 14.06.2003|Samstag, 10.05.2003| Sonntag, 18.05.2003 Samstag 28.06.2003|Samstag, 24.05.2003|Sonntag, 15.06.2003

Am 27.02.2003 beschloss eine auf Wunsch des Betriebsrats gebildete paritätisch besetzte Kommission bezüglich der Anwendung der Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002, dass beim Zusammentreffen von Krankheit und Korridorzusatzschicht kein Guthaben und beim Zusammentreffen von Krankheit von Korridorfreischicht kein Minus auf dem Freischichtkonto eingetragen wird. Der Kläger war in der Zeit vom 06.03.2003 bis zum 16.05.2003 arbeitsunfähig krank. Er konnte deshalb die für den 09.03.2003, 30.03.2003 und 06.04.2003 angesetzten Korridorzusatzschichten nicht ableisten. Die Beklagte zahlte bis zum 16.04.2003 Entgeltfortzahlung. Eine Gutschrift für die drei Korridorzusatzschichten erfolgte nicht. Nachdem die Beklagte es mit Schreiben vom 12.06.2003 abgelehnt hatte, die drei Korridorzusatzschichten dem Freischichtkonto des Klägers gutzuschreiben, hat der Kläger am 25.06.2003 den Anspruch gerichtlich geltend gemacht. Der Kläger hat unter Stützung auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.02.2002 - 5 AZR 470/02 - die Auffassung vertreten, die drei Schichtgutschriften ständen ihm als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 22,5 Stunden auf sein Freischichtkonto gutzuschreiben. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe für den 09.03.2003, 30.03.2003 und 06.04.2003 lediglich einen Anspruch auf das regelmäßige Arbeitsentgelt. Diesen Anspruch habe sie durch Zahlung erfüllt. Nach der Protokollnotiz zu § 9 Nr. 2 MTV Metall entstehe für ausgefallene vereinbarte Mehrarbeit kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Durch Urteil vom 25.11.2003 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Streitwert hat es auf 380,24 EUR festgesetzt. Die Berufung ist zugelassen worden. In den Entscheidungsgründen hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass der Anspruch dem Kläger gemäß § 9 Nr. 2 MTV Metall zustehe, weil für die tarifliche Entgeltfortzahlung ebenfalls wie in § 4 Abs. 1 EFZG das Lohnausfallprinzip zur Anwendung komme. Gegen dieses ihr am 22.03.2004 zugestellte und wegen der sonstigen Einzelheiten hiermit in Bezug genommene Urteil hat die Beklagte am 08.04.2004 Berufung eingelegt und diese am 18.05.2004 begründet. Die Beklagte greift das arbeitsgerichtliche Urteil insgesamt an. Sie stützt sich maßgeblich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 25.11.2003 - 2 Ca 1586/03 - abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 25.11.2003 - 2 Ca 1586/03 - zurückzuweisen. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Entscheidungsgründe: A. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Dem Kläger steht die begehrte Schichtgutschrift für den 09.03.2003, 30.03.2003 und 06.04.2003 als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu. Die Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto drückt nur eine andere Form des Vergütungsanspruchs aus (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 13.02.2002 - 5 AZR 470/00 - NZA 2002, 683; BAG, Urteil vom 13.12.2000 - 5 AZR 334/99 - NZA 2002, 390). I. Der Anspruch ist gemäß §§ 9 Nr. 2, 16 Nr. 1 a MTV Metall entstanden. Nach § 9 Nr. 2 MTV Metall in der Fassung vom 24.08./11.09.2001 wird den Arbeitnehmern in Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit sowie einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation das Arbeitsentgelt vom Beginn des Arbeitsverhältnisses für die Zeit der Arbeitsverhinderung bis zur Dauer von sechs Wochen ungekürzt weiter gezahlt. Das weiter zu zahlende Arbeitsentgelt bemisst sich nach § 16 MTV Metall, wo die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsentgelts im Einzelnen geregelt ist. II. Die Voraussetzungen des § 9 Nr. 2 MTV Metall lagen am 09.03.2003, 30.03.2003 und 06.04.2003 vor. 1. Der Kläger war an diesen Tagen arbeitsunfähig krank. Eine Arbeitsunfähigkeit bestand in der Zeit vom 06.03.2003 bis 16.05.2003. 2. Die drei durch die Absprache zur Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 vom 03.02.2003 festgesetzten Korridorzusatzschichten (Rausholschichten) lagen im sechswöchigen Bezugszeitraum (06.03.2003 bis 16.04.2003). 3. Auch die drei Zusatzschichten fallen unter die "Zeit der Arbeitsverhinderung" im Sinne des § 9 Nr. 2 MTV Metall. a) Der Manteltarifvertrag legt der Entgeltfortzahlung hinsichtlich der Arbeitszeit (Zeitfaktor) ebenso wie § 4 Abs. 1 EFZG das Lohnausfallprinzip zugrunde (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 13.02.2002 - 5 AZR 470/00 - NZA 2002, 683). Die Zusatzschichten standen nach der Absprache zur Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 vom 03.02.2003 bindend fest. Hätte der Kläger gearbeitet, wären ihm zusätzlich zu der Auszahlung des gleichbleibenden Monatslohns die drei Korridorzusatzschichten (Rausholschichten) auf dem Freischichtkonto gutgeschrieben worden. b) Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei den drei Korridorzusatzschichten nicht um Mehrarbeit im Sinne der Protokollnotiz zu § 9 Nr. 2 MTV Metall. Zwar bestimmt sich der für die tarifliche Entgeltfortzahlung maßgebliche Zeitfaktor nach der regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeitnehmers. Die drei Zusatzschichten sind aber der regelmäßigen Arbeitszeit zuzuordnen. Durch die Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 "Werksferien 2003" vom 03.02.2003 und der Absprache hierzu vom 03.02.2003 wurde die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche lediglich über einen längeren Zeitraum ungleichmäßig verteilt (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 13.02.2002 - 5 AZR 470/00 - NZA 2002, 683). c) Die tarifliche Bestimmung des Zeitfaktors für die Berechnung der Entgeltfortzahlung ist hinsichtlich der Korridorfreischichten auch nicht durch die Entscheidung der paritätischen Kommission der Beklagten vom 27.02.2003 abgeändert worden. Diese Entscheidung, die die durch Arbeitsunfähigkeit ausgefallene Arbeitszeit für die Berechnung der Höhe der Entgeltfortzahlung kürzt, verstößt gegen die höherrangigen tariflichen Vorschriften der §§ 9, 16 MTV Metall, die keine solche Kürzung vorsehen. Von der Bemessungsgrundlage des § 4 Abs. 1 EFZG konnte im Übrigen nur durch Tarifvertrag (§ 4 Abs. 4 EFZG), nicht durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden. III. Der Anspruch des Klägers auf die Schichtgutschriften für den 09.03.2003, 30.03.2003 und 06.04.2003 ist nicht durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen. 1. Durch die Freischicht am Brückentag, dem 02.05.2003, hat sich das Schichtguthaben des Klägers nicht um eine Schicht verringert. a) Zwar kam die für den 30.03.2003 festgesetzte Korridorzusatzschicht nach der Absprache vom 03.02.2003 nur als Ausgleich für die Korridorfreischicht am 02.05.2003 in Betracht. Der Kläger war am 02.05.2003 noch arbeitsunfähig krank. Nach dem Lohnausfallprinzip wäre der Kläger bezüglich des Zeitfaktors so behandelt worden, als wenn er arbeitsfähig gewesen wäre. In diesem Falle wäre für ihn eine schon vorher feststehende Freischicht ausgefallen mit der Folge, dass sein Freischichtkonto entsprechend mit einer Minusschicht belastet worden wäre. b) Im vorliegenden Fall konnte aber keine Erfüllung eintreten, da nach Ablauf der Sechswochenfrist ab 17.04.2003 für den Kläger kein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen die Beklagte mehr bestand und diese auch keine Leistungen erbracht hat. 2. Auch durch die Korridorfreischichten während der Zeit der Werksschließung Weihnachten 2003/Neujahr 2004 ist der Anspruch des Klägers nicht durch Erfüllung untergegangen. a) Zwar waren die Korridorfreischichten vom 09.03.2003 und vom 06.04.2003 nach der Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 und der dazu ergangenen Absprache vom 03.02.2003 festgesetzt zum Ausgleich des Arbeitsausfalls während der Zeit der Werksschließung Weihnachten 2003/Neujahr 2004 (siehe IV. Ziffer 3 der Betriebsvereinbarung Nr. 22/2002 vom 03.02.2003). b) Der Kläger war aber auch zum Zeitpunkt der Werksschließung Weihnachten 2003/Neujahr 2004 arbeitsunfähig krank (05.11.2003 bis 20.02.2004). Auch hier war der Entgeltfortzahlungszeitraum schon vor Beginn des Ausgleichszeitraums (22.12.2003 bis 16.01.2004) abgelaufen. B. Nach alledem hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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