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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 28.02.2006
Aktenzeichen: 19 Sa 1774/05
Rechtsgebiete: SGB III, BGB, KSchG, ArbGG, ZPO, TVG


Vorschriften:

SGB III § 175
BGB § 151
BGB § 174
BGB § 242
KSchG § 15
KSchG § 1 Abs. 5
ArbGG § 8 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 c
ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 6
ZPO §§ 517 ff.
ZPO §§ 519 ff.
TVG § 3 Abs. 1
Eine Beschäftigungssicherungsregelung in einem Standorttarifvertrag, wonach Kündigungen, die wider Erwarten aufgrund starker Auftragseinbrüche betriebsbedingt notwendig werden, der Zustimmung der Tarifparteien bedürfen, ist so auszulegen, dass es der Zustimmung der Tarifparteien und des unerwarteten Auftragseinbruchs bedarf.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Teil-Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 18.08.2005 - 1 Ca 883/05 - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung vom 29.04.2005 nicht beendet wurde.

2. Die Kosten der Berufung tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Berufung über die Wirksamkeit einer ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung.

Der am 01.02.1968 geborene, verheiratete und gegenüber einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit dem 06.01.1997 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt, wo er zuletzt einen Bruttomonatsverdienst von 2.800,00 € erzielte. Der Kläger ist nicht gewerkschaftlich organisiert.

Die Beklagte stellt insbesondere Türen her. Sie beschäftigte im Zeitpunkt des Zugangs der hier streitigen Kündigung 195 Mitarbeiter. Es besteht ein Betriebsrat. Sie weiß nicht, welche Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert sind.

Die Parteien haben einen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen, wegen dessen Inhalts auf Blatt 7 GA Bezug genommen wird. In dem Arbeitsvertrag wird auf die "Tarifverträge für Arbeitnehmer in Betrieben der Holzindustrie und im Serienmöbelhandwerk in Westfalen-Lippe in den jeweils geltenden Fassungen" Bezug genommen. Im Arbeitsvertrag findet sich eine Versetzungsklausel des Inhaltes, dass der Kläger damit einverstanden ist, "in sämtlichen Abteilungen des Betriebes mit zumutbaren Arbeiten beschäftigt zu werden".

Mit Schreiben vom 29.04.2005, das dem Kläger am 29.04.2005 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.07.2005. Wegen des Inhalts des Kündigungsschreibens wird auf Blatt 44 GA Bezug genommen.

Gegen diese Kündigung erhob der Kläger beim Arbeitsgericht am 19.05.2005 eingehend Kündigungsschutzklage.

Der Kläger war zuletzt als Maschinenbediener in der Zargenfertigung am Standort H2xxxxxxxx eingesetzt. Zuvor wurde er auch an der Faltanlage, der Futterkantenanlage, in der Materialbereitstellung Bekleidungen, im Bereich HADI-quer und im Zuschnitt eingesetzt.

Der Kläger ist Ersatzmitglied des Betriebsrats. An Betriebsratssitzungen hat er bis zum Zugang der streitigen Kündigung nicht teilgenommen. Er macht geltend, als Betriebsrat Mitarbeiter in arbeitsrechtlichen Fragen und Problemen beraten zu haben. So stand er im Februar oder März 2005 dem Mitarbeiter der Beklagten H6xx Rede und Antwort, als dieser ihn wegen einer Änderungskündigung ansprach. Damals war ein Betriebsratsmitglied abwesend.

Die Beklagte vereinbarte unter dem 06.12.2004 mit der IG Metall, Bezirksleitung NRW vertreten durch die IG Metall Verwaltungsstelle Bocholt einen "Standorttarifvertrag", wegen dessen Inhalts auf Blatt 52 f GA Bezug genommen wird. In diesem Tarifvertrag heißt es auszugsweise wie folgt:

"§ 1 Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für alle gewerblichen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen und alle Angestellten der Firma L2xx T2xxxxxxxx L3xxxxx GmbH & Co. KG, soweit für sie die zur Zeit geltenden Tarifverträge des MTN für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum Anwendung finden.

...

§ 3 Beschäftigungssicherung

Die Firma L2xx T2xxxxxxxx L3xxxxx GmbH & Co. KG wird in der Zeit vom 01. Oktober 2004 bis zum 31.12.2006 keine der derzeit beschäftigten Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen entlassen. Sollten wider Erwarten aufgrund starker Auftragseinbrüche betriebsbedingte Kündigungen notwendig werden, bedürfen diese der Zustimmung der Tarifvertragsparteien.

...

§ 5 Inkrafttreten und Laufzeiten

Dieser Tarifvertrag tritt am 01. Oktober 2004 in Kraft und endet ohne Nachwirkung am 31.12.2006."

Ergänzend zu diesem Standorttarifvertrag vereinbarten die Tarifvertragsparteien eine "Protokollnotiz zu dem Standort Tarifvertrag" unter dem 06.10.2004, die folgenden Wortlaut hat:

"Die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass mit § 3 "Beschäftigungssicherung" die Beschäftigungssicherung für IG Metall-Mitglieder gemeint ist."

Mit Schreiben vom 15.03.2005 wegen dessen Inhalts auf Blatt 31 GA Bezug genommen wird, gab die IG Metall Verwaltungsstelle Bocholt folgende Erklärung ab:

"... aufgrund der aktuellen Situation und der Tatsache, dass zwischen den Betriebsparteien ein Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart werden musste, erklärt IG Metall Bezirksleitung NRW, Roßstr. 91, 40476 Düsseldorf, vertreten durch die IG Metall, Verwaltungsstelle Bocholt, Wesemannstr. 13, 46395 Bocholt gemäß des Standorttarifvertrages, § 3, ihre Zustimmung zu den auf der Anlage zum Interessenausgleich und Sozialplan, Liste 1, aufgeführten IG Metall Mitglieder ihre Zustimmung zu den betriebsbedingten Kündigungen."

Unter dem 18.03.2005 vereinbarten die Betriebsparteien einen Interessenausgleich mit Namensliste und einen Sozialplan. Unter der Präambel dieser Betriebsvereinbarung trafen die Betriebsparteien folgende Feststellungen:

"I. Präambel

Das Unternehmen musste feststellen, dass sich die wirtschaftliche Situation auch im Kalenderjahr 2005 weiterhin verschlechtert hat. Verantwortlich für die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ist der Preisdruck der Lieferanten bei gleichzeitigem Preisverfall auf dem Markt, die Erhöhung der Rohstoffpreise, eine generelle Kostensteigerung, die Erhöhung der Lohnkosten bei gleichzeitiger Wettbewerbsverzerrung Ost-West, gestiegene Lohnnebenkosten sowie die Erhöhung von Reklamationen/Retouren.

Wie dem Betriebsrat von dem Unternehmen in den Sitzungen im Kalenderjahre 2005 - u.a. auch unter Einbindung der Wirtschaftsprüfer - mitgeteilt wurde, betrugen die Verluste des Kalenderjahres 2004 ca. 317 Tsd. Euro vor Beendigung der abschließenden Arbeiten und Prüfungen bzw. Testierung durch den Wirtschaftsprüfer.

Das Unternehmen musste des weiteren einen rückläufigen Auftragseingang feststellen, der gegenüber den letzten Monaten in 2004/2005 zum ersten Halbjahr 2004 um ca. 30 % unter der Planung 2005 liegt.

Das Unternehmen kann für das Kalenderjahr 2005 nur einen Umsatz in Höhe von ca. Euro 27 - 28 Mio. planen. Die Monate Januar bis März 2005 belaufen sich auf ca. 28 % Umsatzrückgang zum Vorjahr.

Hieraus ergibt sich die zwingende Notwendigkeit, die vorhandene Personalstärke dem zu erwartenden Auftragseingang und Umsatz anzupassen, da eine Belebung des Marktes nicht abzusehen ist.

Prognosen gehen bis Ende 2006 von ca. 23 % Marktrückgang aus. Der Betriebsrat nimmt dieses zur Kenntnis."

Sodann trafen die Betriebsparteien unter der Ziffer II Interessenausgleich folgende Regelung:

"II.

Interessenausgleich

1. Unter Bezugnahme auf die Präambel der vorliegenden Betriebsvereinbarung und als Folge der dort geschilderten äußeren Umstände muß das Beschäftigungsvolumen von derzeit 185 - auch teilzeitbeschäftigten - Mitarbeitern um 22 beschäftigte Mitarbeiter auf 163 Mitarbeiter gesenkt werden bzw. durch Versetzung angepasst werden. (Transfer, Versetzung) Inclusive Eigenkündigung von 3 Mitarbeiter, 2 Mitarbeiter verhaltensbedingte und 1 Mitarbeiter Ende der Befristung. (sozialplanfähige Mitarbeiter 16).

2. Unter Berücksichtigung dieser Umstände haben die Betriebsparteien die betroffenen 16 Mitarbeiter ermittelt und in der beigefügten Liste Anlage S1 zusammengestellt. Die Liste S1 ist fester Bestandteil der vorliegenden Betriebsvereinbarung. Die Auflistung der Mitarbeiter entsprechend der Liste Anlage S1 ist das Ergebnis der zwischen den Betriebsparteien vorgenommenen Bewertung der individuellen Sozialdaten, also das Ergebnis der Sozialauswahl.

3. Die Betriebsparteien vereinbaren für die betroffenen Arbeitnehmer der Liste Anlage S1 im nachfolgenden Sozialplan in Zusammenarbeit mit der "P2xxxxxxxxx GmbH" Qualifizierungsmaßnahmen im Sinne des § 175 SGB III (Strukturkurzarbeitergeld) durchzuführen.

4. Zwischen den Betriebsparteien besteht Einigkeit dahingehend, dass gegenüber denjenigen Mitarbeitern (interne Versetzung und Transfergesellschaft) der Liste Anlage S1, die von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen, betriebsbedingte Kündigungen unter Beachtung der jeweiligen Kündigungsfristen ausgesprochen werden.

5. Hiermit ist das Anhörungsverfahren an den Betriebsrat gemäß § 99 und § 102 abgeschlossen."

In der von den Betriebsparteien unterzeichneten Namensliste "S1", wegen deren Inhalts auf Blatt 27 GA Bezug genommen wird, wurde der Kläger namentlich benannt. Seine Sozialdaten wurden dort aber fehlerhaft beschrieben. Es wurde versäumt, ihm für die Steuerklasse III und dem Bestehen einer Unterhaltspflicht für ein Kind acht Punkte zuzuordnen.

Der Kläger hat beanstandet, dass die Beklagte im März 2005 sechs neue Mitarbeiter eingestellt hat. Dabei ging es um Mitarbeiter, die in der Zeit vom 01.07.2004 bis 31.12.2004 als Leiharbeitnehmer beschäftigt wurden. Sie wurden anschließend bis zum 31.03.2005 in befristete Arbeitsverhältnisse übernommen, die am 01.04.2005 bis zum 31.12.2005 verlängert wurden. Es handelte sich um qualifizierte Mitarbeiter mit abgeschlossener Schreiner- oder Tischlerausbildung, die im Bereich Stil- und Sondertüren/Versand am Standort B1xxxxx eingesetzt wurden. Der Kläger war nicht qualifiziert, die von diesen Mitarbeitern wahrgenommenen Tätigkeiten auszuüben.

Im Rahmen der Sozialauswahl hatte die Beklagte den Kläger mit den beschäftigten Helfern/Hilfsarbeitern verglichen. Streit besteht zwischen den Parteien über die Vergleichbarkeit des Klägers mit dem Mitarbeiter P3xxxxx, der mit 29 Sozialpunkten weniger Sozialpunkte als der Kläger aufwies. Dieser bediente eine Sonderpresse und eine Serienpresse und führt Reparaturen an Türen aus. Er war im Standort B1xxxxx eingesetzt. Der Kläger verfolgte im Jahr 2003 vor dem Arbeitsgericht Bocholt (Az.: 1 Ca 2367/03) einen Antrag, wonach ihn die Beklagte im Betrieb in H2xxxxxxxx beschäftigen sollte. Mit diesem Antrag wehrte er sich gegen eine "Versetzung" nach Mussum, womit der Standort in B1xxxxx gemeint war.

Die Beklagte beschäftigte sonst keine Helfer/Hilfsarbeiter weiter, die über weniger Sozialpunkte als der Kläger verfügen.

Die Betriebsratsanhörung ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 26.04.2005 nahm die Beklagte eine Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit in Coesfeld vor. Die Agentur für Arbeit Coesfeld kürzte mit Bescheid vom 12. Mai 2005 die Sperrfrist ab. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf Blatt 50 der Akte Bezug genommen. Zum 31.07.2004 kündigte die Beklagte vier Mitarbeitern.

Die Kündigung wurde von dem Prokuristen der Beklagten, dem Betriebsleiter T3xxxxx unterzeichnet und von einem weiteren Unbekannten paraphiert. Der Kläger bestritt die Vertretungsmacht des Zeugen T3xxxxx im Schriftsatz vom 18.05.2005. Er hatte die Rüge nach § 174 BGB bereits in der ursprünglichen Klage vom 08.04.2005, die gegen eine inzwischen zurückgenommene und erledigte Kündigung vom 30.03.2005 gerichtet war, erhoben.

Die Parteien streiten erstinstanzlich über die Wirksamkeit dreier Abmahnungen vom 11.03.2005, 24.03.2005 und 18.03.2005 sowie über weitere ordentliche Kündigungen, die die Beklagte unter dem 31.08.2005, 30.09.2005 und 28.10.2005 ausgesprochen hat. Die Kündigungsschutzverfahren werden unter dem Aktenzeichen 1 Ca 2024/05 vor dem Arbeitsgericht Bocholt geführt. Hintergrund der Kündigung vom 31.08.2005 ist die Umsetzung eines neuen Interessenausgleichs mit Sozialplan.

Der Kläger hat geltend gemacht, dass ihm der Sonderkündigungsschutz nach Maßgabe des § 15 KSchG zur Seite steht. Er sei erster Nachrücker auf der Liste der Ersatzmitglieder des Betriebsrates. Die Beratung von Kollegen im Betrieb zu arbeitsrechtlichen Fragen sei in Zeiten der Abwesenheit von ordentlichen Betriebsratsmitgliedern als Betriebsratstätigkeit anzusehen.

Er hat sich auf den tariflichen Sonderkündigungsschutz des Standorttarifvertrages bezogen. Er hat eine etwaige Differenzierung zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtgewerkschaftsmitgliedern im Hinblick auf die Beschäftigungssicherung für unwirksam erachtet. Er hat geltend gemacht, dass nicht erkennbar ist, dass die Ausnahmen für eine Kündigung nach § 3 des Standorttarifvertrags vorliegen. Ein unerwarteter starker Auftragseinbruch, der betriebsbedingte Kündigungen notwendig gemacht habe, sei nicht erkennbar. Auch sprächen die Verlängerungen der befristeten Verträge vom 01.04.2005 bis 31.12.2005 gegen eine solche Annahme.

Er hat geltend gemacht, dass er seit 2000 eine um fünf Stunden verlängerte Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich als Gegenleistung für die tariflich zugesicherte Beschäftigungssicherung erbracht habe. In deren Genuss müsse er darum auch kommen.

Schließlich habe die IG Metall seiner ordentlichen Kündigung nicht zugestimmt.

Er hat gerügt, dass die Beklagte eine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige versäumt habe. Er hat mit Nichtwissen bestritten, dass die Beklagte am 26.04.2005 eine Massenentlassungsanzeige vorgenommen hat.

Er hat geltend gemacht, dass der Interessenausgleich mit Namensliste vom 18.03.2005 wegen Gesetzesverstoßes unwirksam sei. Durch den Interessenausgleich würden Gewerkschaftsmitglieder auf Kosten der nicht organisierten Mitarbeiter geschützt. Die Namensliste sei grob fehlerhaft, da dem Kläger fälschlich 25 statt 33 Sozialpunkte zugeordnet worden seien.

Er hat die Betriebsratsanhörung beanstandet. Er hat mit Nichtwissen bestritten, dass ein Informationsschreiben vom 22.04.2005 am 22.04.2005 dem Betriebsratsvorsitzenden übergeben worden sei. Er hat gerügt, dass die falsche Angabe zu den Sozialpunkten gegenüber dem Betriebsrat nicht korrigiert wurde.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung vom 29.04.2005 nicht aufgelöst wird,

2. die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Datum vom 11.03.2005 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen,

3. die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Datum vom 24.03.2005 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen,

4. die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger mit Datum vom 18.03.2005 erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen,

5. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen und über den 31.07.2005 hinaus weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die streitgegenständliche Kündigung verteidigt.

Sie hat vorgetragen, dass der Kläger dritter Nachrücker auf der Ersatzliste des Betriebsrates sei. Beratungsgespräche des Klägers im Kollegenkreis seien keine formelle Betriebsratshandlung. Sie würden den Sonderkündigungsschutz nach Maßgabe des § 15 KSchG nicht auslösen.

Der Standorttarifvertrag und die dort geregelte Beschäftigungssicherung gelte auch für den Kläger. Denn betriebsüblich würde der MTN für die Holz- und Kunststoff verarbeitende Industrie im Nordwestdeutschen Raum auf alle Arbeitsverhältnisse der bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter angewendet.

Die Beklagte habe sich mit der IG Metall am 06.10.2004 über den Inhalt des Standorttarifvertrages geeinigt. Die Unterzeichnung sei durch die IG Metall aber erst am 06.12.2004 erfolgt. Eine etwaige Unwirksamkeit der Beschäftigungssicherungsregelung aus dem Standorttarifvertrag würde nicht die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge haben.

Sie habe am 26.04.2005 die Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit Coesfeld unter Anzeige des Klägers als zu kündigenden Mitarbeiter vorgenommen.

Der Interessenausgleich sei nicht zu beanstanden. Er löse die Vermutungswirkung nach Maßgabe des § 1 Abs. 5 KSchG aus.

Die Sozialauswahl sei nicht grob fehlerhaft. Der Kläger sei nicht mit dem Mitarbeiter Polkert vergleichbar. Dieser führe Arbeiten aus, zu denen der Kläger nicht qualifiziert sei. Auch habe der Kläger selber gerichtlich geltend gemacht, nur im Standort H2xxxxxxxx, also nicht in B1xxxxx, eingesetzt zu werden.

Am 22.04.2005 sei dem Betriebsratsvorsitzenden M1xxxxxxx das Informationsschreiben zur Kündigung, wegen dessen Inhalt auf Blatt 51 GA Bezug genommen wird, ausgehändigt worden. Die Kündigung vom 29.04.2005 sei als Folgekündigung vorgenommen worden, da die Wirksamkeit der ursprünglichen Kündigung vom 30.03.2005 unter Berücksichtigung einer neuen Rechtsprechung zur Massenentlassungsanzeigen Bedenken unterlag. Am 27.04.2005 habe der Betriebsratsvorsitzende M1xxxxxxx gegenüber dem Prokuristen T3xxxxx erklärt, dass der Betriebsrat keine weitere Stellungnahme zur erneuten Kündigung abgeben werde. Danach habe die Beklagte die Kündigung ausgesprochen.

In dem Informationsschreiben für den Betriebsrat zu der ersten Kündigung vom 30.03.2005, das unter dem 23.03.2005 datiert, habe die Beklagte richtig angegeben, dass der Kläger verheiratet und gegenüber einem Kind unterhaltsverpflichtet sei. Dieses Schreiben sei dem Betriebsratsvorsitzenden am 23.03.2005 ausgehändigt worden.

Das Arbeitsgericht Bocholt hat am 18.08.2005 durch Teil-Urteil über den Feststellungs- und Beschäftigungsantrag entschieden und das Verfahren hinsichtlich der auf die Entfernung von drei Abmahnungen gerichteten Anträge ausgesetzt. Das Arbeitsgericht hat die Wirksamkeit der Kündigung bestätigt und den Beschäftigungsantrag zurückgewiesen. Der Kläger habe die die aus § 1 Abs. 5 KSchG wegen des Interessenausgleichs vom 18.03.2005 ergebende Vermutungswirkung hinsichtlich des Vorliegens von betriebsbedingten Gründen für die Kündigung nicht erschüttern können. Die Sozialauswahl sei nicht fehlerhaft. Der Kläger habe es versäumt, für seine Behauptung, mit anderen Mitarbeitern vergleichbar zu sein, Beweis anzutreten. Die Betriebsratsanhörung sei nicht zu beanstanden, denn der Betriebsrat habe in der Betriebsvereinbarung vom 18.03.2005 unter II 5 erklärt, dass das Anhörungsverfahren abgeschlossen sei. Der Kläger könne sich nicht auf den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG beziehen, da er es versäumt habe, seine Behauptung, als Ersatzmitglied des Betriebsrates tätig geworden zu sein, zu substantiieren. Die Kündigung scheitere nicht an einer fehlenden Massenentlassungsanzeige, da eine Zustimmung der Agentur für Arbeit Coesfeld für den Ausspruch der Kündigung vorliege. Schließlich stände der Wirksamkeit der Kündigung auch nicht die Regelung des § 3 Standorttarifvertrag entgegen. Der Tarifvertrag sei dahin zu verstehen, dass nur bei einer Kündigung von Gewerkschaftsmitgliedern eine Zustimmung der Tarifvertragsparteien zur Kündigung notwendig sei. Die weiteren Voraussetzungen für eine Kündigung nach § 3 Abs. 3 Standorttarifvertrag seien nicht justiziabel. Die Ausübung der tariflichen Rechte unterlägen nicht der Rechtsprechung.

Das Teil-Urteil vom 18.08.2005 wurde dem Kläger am 31.08.2005 zugestellt. Seine hiergegen gerichtete Berufung ist am 12.09.2005 und die Berufungsbegründung am 29.11.2005 innerhalb der bis zum 02.12.2005 verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Der Kläger wiederholt seine erstinstanzlich vorgebrachten Argumente. Er macht geltend, dass die Beklagte zwischenzeitlich drei Mitarbeiter aus der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zurück in den Betrieb geholt hat und dort weiter beschäftigt. Er bestreitet, den seitens der Beklagten beschriebenen Ablauf der Betriebsratsanhörung. Das Informationsschreiben vom 23.03.2005 sei erst nach der ersten Kündigung vom 30.03.2005 gefertigt worden. Denn die Beklagte habe ja angeblich die Unterhaltspflichten damals nicht gekannt.

Er beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 18.08.2005 (1 Ca 883/05) wird abgeändert,

2. es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung vom 29.04.2005 nicht aufgelöst wurde.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die streitgegenständliche Kündigung unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens. Sie macht geltend, dass die fehlerhaften Angaben in der Liste SI zum Interessenausgleich vom 18.03.2005 hinsichtlich der Sozialdaten des Klägers auf einem Versehen beruht haben.

Die seitens der Beklagten aus der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft zurückgeholten drei Mitarbeiter seien mit dem Kläger nicht vergleichbar. Die Mitarbeiter G1xxxx W2xxxxx und A2xxxxx S4xxxxxxxxx werden im Bereich des Versandes/Lagers eingesetzt. Der weitere Mitarbeiter T4xxxx K4xxxx wird im Bereich der Sonderfertigung eingesetzt.

Die Betriebsratsanhörung sei nicht zu beanstanden. Dem Betriebsrat sei die Information zur ersten Kündigung vom 30.03.2005 mit den richtigen Sozialangaben über den Kläger am 23.03.2005 überreicht worden. Der Betriebsrat habe also die richtigen Informationen rechtzeitig erhalten.

Die Beklagte habe sich über den Abschluss des Standorttarifvertrags die Möglichkeit versprochen, geringere Preise anbieten zu können und so eine bessere Wettbewerbsposition zu erreichen. Über diese bessere Wettbewerbsposition sollten auch höhere Umsatzzahlen erreicht werden. Geplant sei ein Umsatz von ca. 30 Mio. Euro im Kalenderjahr 2005 gewesen. Das sei mit der IG Metall bei Abschluss des Standorttarifvertrages auch so besprochen gewesen. Diese Annahme habe sich aber nicht realisieren lassen. Denn ein Wettbewerber habe in unerwartetem Maße preiswerte Türen auf den Markt gedrückt. Außerdem habe es seit Anfang Februar 2005 Bedenken hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit von zwei Großkunden gegeben, da Hermesbürgschaften nicht mehr ohne Problem erreicht wurden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger den auf die Weiterbeschäftigung gerichteten Berufungsantrag zurückgenommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

A.

Durchgreifende Bedenken bestehen gegen die Zulässigkeit der Berufung nicht. Diese ist statthaft nach §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 c ArbGG. Sie wurde seitens des Klägers formgerecht eingelegt und begründet nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519 ff. ZPO. Sie wurde auch fristgerecht eingelegt und begründet gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517 ff. ZPO.

B.

Die Berufung ist begründet, denn die zulässige Kündigungsschutzklage ist begründet.

Die Kündigung ist unwirksam nach § 3 Standorttarifvertrag vom 06.12.2004. Denn die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom Verbot der betriebsbedingten Kündigungen sind nicht erfüllt.

I.

Der Standorttarifvertrag findet Anwendung infolge einer auf betrieblicher Übung beruhenden Inbezugnahme.

Mangels Verbandszugehörigkeit des Klägers folgt die Tarifbindung nicht aus § 3 Abs. 1 TVG.

Sie folgt auch nicht aus der Bezugnahme im Arbeitsvertrag. Diese Bezugnahme bezieht sich nur auf die Flächentarifverträge und nicht auf den Standorttarifvertrag. Diese Bezugnahme hat auch nicht den Charakter einer Gleichstellungsabrede. Eine solche kommt nur bei vorformulierten Bezugnahmeklauseln tarifgebundener Arbeitgeber in Betracht (BAG 26.09.2001 - 4 AZR 544/00 - AP Nr. 21 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag). Die Beklagte ist aber ihrerseits nicht organisiert. Auf die vom 4. Senat des Bundesarbeitsgerichts erwogene Änderung der Rechtsprechung zur Auslegung der vertraglichen Bezugnahme auf Tarifverträge (BAG 14. Dezember.2005 - 4 AZR 536/04 -) kommt es daher vorliegend nicht an.

Die vertragliche Bezugnahme ergibt sich vorliegend aus einer betrieblichen Übung.

Auch durch eine betriebliche Übung oder einem konkludenten Verhalten der Arbeitsvertragsparteien kann sich eine vertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Regelungen wirksam ergeben (BAG 19. Januar 1999 - 1 AZR 606/98, EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 10).

Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus dem Verhalten des Arbeitgebers wird konkludent eine Willenserklärung geschlossen, die vom Arbeitnehmer gemäß § 151 BGB angenommen werden kann. Dadurch wird ein vertragliches Schuldverhältnis geschaffen, aus dem bei Eintritt der vereinbarten Anspruchsvoraussetzungen ein einklagbarer Anspruch auf die üblich gewordene Vergünstigung erwächst. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat. Die Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte gem. § 242 BGB und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften (BAG 28. Juli 2004 - 10 AZR 19/04, EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übungen Nr. 2). Vorliegend hat die Beklagte geltend gemacht, dass der MTN und der Standorttarifvertrag betriebsüblich auf alle Arbeitsverhältnisse der bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter angewendet werden.

Seit dem Jahr 2000 und auf der Grundlage des Standorttarifvertrages seit dem 01.10.2004 haben die Parteien eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit von 35 Stunden auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich praktiziert. Mit dieser Übung haben die Parteien die Regelung des § 2 des Standorttarifvertrages in Abweichung zu durch den Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Regelung der Ziffer 19 des MTN angewandt. Durch diese Übung haben die Parteien den Arbeitsvertrag nach Maßgabe des erkennbar gewollten Regelungsinhaltes des Standorttarifvertrages abgeändert.

Die Beklagte wollte erkennbar auch die Regelung des § 3 des Standorttarifvertrages anwenden und gegen sich gelten lassen. Deshalb hat sie die IG Metall um Zustimmung zu den mit dem Interessenausgleich zwischen den Betriebsparteien vereinbarten Kündigungen gebeten. Auch das Interesse des Klägers ist auf die Anwendung des § 3 des Standorttarifvertrages gerichtet. Denn nur die gleichzeitige Anwendung der Regelungen aus § 2 des Standorttarifvertrages und des § 3 des Standorttarifvertrages führen zu einem Ausgleich der Interessen der Arbeitsvertragsparteien.

II.

Der Anwendbarkeit des Standorttarifvertrags steht nicht die Protokollnotiz vom 06.10.2004 entgegen. Diese stellt keine Differenzierungsklausel dar, die es der Beklagten untersagen würde, den Tarifvertrag auch auf nichtorganisierte Mitarbeiter anzuwenden. Das ergibt eine Auslegung der Protokollnotiz.

Protokollnotizen haben Rechtsnormcharakter, wenn sie sich nicht auf die Begründung schuldrechtlicher Verpflichtungen der Tarifvertragsparteien beschränken. Da dies in der Protokollnotiz nicht zu erkennen ist, ist sie wie ein Tarifvertrag auszulegen.

Für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages gelten die für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Wortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 16. Februar 2000, EzA § 4 TVG Eingruppierung Nr. 9).

Nach dem Wortlaut der Protokollnotiz beschreiben die Tarifvertragsparteien den Adressatenkreis der tariflichen Regelung über die Beschäftigungssicherung. Wenn sie beschreiben, dass mit dem Begriff der Beschäftigungssicherung "die Beschäftigungssicherung für IG Metall-Mitglieder gemeint ist" beschreiben sie die Wirkung, die sich aus einer Tarifbindung nach § 3 Abs. 1 TVG ergibt. Denn die IG Metall-Mitglieder sind über ihre Verbandszugehörigkeit unmittelbar der normativen Wirkung des Standorttarifvertrages unterworfen.

Dem Wortlaut der Protokollnotiz kann nicht entnommen werden, dass dem Arbeitgeber untersagt werden sollte, mit nicht organisierten Mitarbeitern individual-rechtliche Regelungen über die Inbezugnahme des Standorttarifvertrages zu treffen.

Ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien kann auch nicht angenommen werden. Denn ein solcher Wille wäre auf einen verfassungsrechtlich problematischen Regelungsinhalt gerichtet. Eine Differenzierungsklausel im Zusammenhang mit kündigungsschutzrechtlichen Regelungen ist nämlich unzulässig (Gammilschegg NZA 2005, 146 ff.; Bauer/Arnold NZA 2005, 1209 ff.). Schließlich wäre eine solche differenzierte Regelung auch kaum praktikabel, da die Beklagte keine Kenntnis über die Gewerkschaftszugehörigkeit ihrer Mitarbeiter hat.

III.

Die streitgegenständliche Kündigung verstößt gegen § 3 Satz 1 Standorttarifvertrag. Nach § 3 Satz 1 Standorttarifvertrag sind betriebsbedingte Kündigungen zum 31.12.2006 ausgeschlossen.

Die individual vertragliche Inbezugnahme dieser Regelung durch betriebliche Übung ist als Verzicht der Beklagten auf den Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen nach Maßgabe der Regelungen des § 3 Standorttarifvertrag zu verstehen. Der Arbeitgeber kann auf das ordentliche Kündigungsrecht wirksam verzichten.

IV.

Die Beklagte ist nicht nach § 3 Satz 2 Standorttarifvertrag zur ordentlichen Kündigung befugt. Nach § 3 Satz 2 Standorttarifvertrag bedürfen Kündigungen, die wider Erwarten aufgrund starker Auftragseinbrüche betriebsbedingt notwendig geworden sind, der Zustimmung der Tarifvertragsparteien.

Diese Regelung ist so zu verstehen, dass zum einen eine Zustimmung der Tarifvertragsparteien zur betriebsbedingten Kündigung vorliegen muss und zum anderen die Kündigung wider Erwarten aufgrund starker Auftragseinbrüche notwendig geworden ist. Dies ergibt eine Auslegung.

Die Auslegung einer in Bezug genommenen tarifvertraglichen Regelung erfolgt nach den für die Auslegung eines Tarifvertrages geltenden Regeln, die bereits unter II. dargestellt wurden.

Der Wortlaut des § 3 Standorttarifvertrages lässt nicht erkennen, dass es nur auf die subjektive Beurteilung der Tarifvertragsparteien aber nicht auf die objektiven Verhältnisse ankommen soll. Vielmehr sind nach dem Wortlaut zwei Aspekte benannt, ohne deren Verhältnis zueinander auszudrücken.

Systematisch ist maßgebend, dass die Regelungen des Satzes 2 eine Ausnahme des Satzes 1 darstellt. Ausnahmen sind aber grundsätzlich eng auszulegen.

Entscheidend ist der Zweck des § 3 des Standorttarifvertrages. Dieser soll den Bestandschutz der Mitarbeiter stärken, die zum Ausgleich auf bestimmte tariflich gesicherte Rechte verzichten sollen. Eine Abweichung von diesem gefundenen Interessenausgleich soll nur in der Situation möglich sein, in der etwas Unterwartetes geschehen ist - nämlich ein Auftragseinbruch, der betriebsbedingte Kündigungen nötig macht. Diesem Ausnahmecharakter trägt die enge Auslegung eher Rechnung, wonach auch diese unerwartete Änderung zur justiziablen Voraussetzung erhoben wird. Denn ein bloßes Abstellen auf das Vorliegen einer formalen Zustimmung der Tarifvertragsparteien sichert die Beachtung der tariflich zugesicherten Ausnahmequalität nicht in gleicher Weise.

Wenn die Tarifvertragsparteien nur auf das Vorliegen ihrer formalen Zustimmung zum Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen hätten abstellen wollen, wäre die gesonderte Erwähnung des Aspektes eines unerwarteten Auftragseinbruchs nicht notwendig gewesen.

Die Voraussetzungen für eine Kündigung nach Maßgabe des § 3 Satz 2 Standorttarifvertrages liegen nicht vor.

Zwar kann in dem Schreiben der IG Metall vom 15.03.2005 eine Zustimmung zur Kündigung des Klägers erkannt werden. Aber auch diese Erklärung ist auslegungsbedürftig. Denn nach dem Wortlaut hat die IG Metall ihre Zustimmung auf die Kündigung der in der Namensliste aufgeführten "IG Metall-Mitglieder" bezogen, zu denen der Kläger mangels Verbandszugehörigkeit gerade nicht zählt. Indes entspricht dies erkennbar nicht dem Willen der erklärenden Gewerkschaft. Der Wille der Gewerkschaft ist, wie sich auch aus der Protokollnotiz zu § 3 Standorttarifvertrag ergibt, auf die Beschäftigungssicherung der IG Metall-Mitglieder gerichtet. Es entspricht gerade nicht dem Willen der Gewerkschaft, dass nur IG Metall-Mitglieder gekündigt werden können, nicht organisierte Mitarbeiter aber nicht gekündigt werden können. Wenn die Gewerkschaft daher anlässlich einer Betriebsänderung zu dem Votum kommt, dass ihren Mitgliedern gekündigt werden kann, ist dies so auszulegen, dass erst recht den nicht organisierten Mitarbeitern gekündigt werden kann.

Allerdings hatte die Beklagte es versäumt, darzulegen, dass die betriebsbedingten Kündigungen infolge unerwartet starker Auftragseinbrüche notwendig geworden sind. Insoweit wäre es erforderlich gewesen, die Abweichung der tatsächlichen Auftragseingangsentwicklung von der bei Abschluss des Standorttarifvertrages geplanten Auftragsentwicklung im Einzelnen zu beschreiben und zu erläutern, warum diese Abweichung betriebsbedingte Kündigungen in dem Umfang nötig machen, die der Interessenausgleich geregelt hatte.

Die Darlegungen der Beklagten genügen diesen Anforderungen nicht. Zwar haben die Betriebsparteien in der Präambel der Betriebsvereinbarung vom 18.03.2005 auch den rückläufigen Auftragseingang als eine die Betriebsänderung notwendige machende Entwicklung beschrieben. Allerdings ist dies nur ein Aspekt unter mehreren, die die Betriebsparteien genannt haben. Sie nannten den Preisdruck der Lieferanten, den Preisverfall auf dem Markt, die Erhöhung der Rohstoffpreise, generelle Kostensteigerungen, Erhöhung der Lohnkosten bei Wettbewerbsverzerrung Ost-West, gestiegene Lohnnebenkosten, Erhöhung der Retouren/Reklamationen und den rückläufigen Auftragseingang um ca. 30 % unter der Planung 2005. Der Präambel des Interessenausgleichs kann also gerade nicht entnommen werden, dass nur der Auftragseinbruch die in der Betriebsänderung geregelten personellen Maßnahmen erforderlich gemacht hat. Vielmehr stimmten die Betriebsparteien überein, dass ein Strauß von Entwicklungen zur Notwendigkeit der Kündigungen führte.

Auch die Beschreibung der Strategieplanung, die die Beklagte im Termin der mündlichen Verhandlung vorgenommen hat, genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Es blieb offen, welche Planabweichung vom Auftragseingang in welchem Umfang betriebsbedingte Kündigungen notwendig gemacht hat. Eine nachvollziehbare Relation zwischen der Auftragsentwicklung und dem Bedürfnis zur Personaleinsparung ist nicht beschrieben worden. Nach alledem sind die Voraussetzungen des § 3 Satz 2 Standorttarifvertrag nicht erfüllt. Die Kündigung ist daher unwirksam.

Auf eine Bewertung der weiteren zwischen den Parteien streitigen Aspekte die der Ordnungsgemäßheit von Massenentlassungsanzeige, Betriebsratsanhörung, Betriebsbedingtheit der Kündigung und Sozialauswahl kam es daher nicht an.

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO. Die Kammer konnte nur über die Kosten des Berufungsverfahrens entscheiden. Eine Kostenentscheidung über das erstinstanzliche Verfahren wird das Arbeitsgericht im Zusammenhang mit der vorzunehmenden Schlussentscheidung nachzuholen haben. Dabei wird das Arbeitsgericht sich an dem Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens zu orientieren haben.

Im Berufungsverfahren unterlag die Beklagte im Umfang des Kündigungsschutzverfahrens, das mit einem Bruttomonatseinkommen zu bewerten war. Denn es handelte sich um eine Folgekündigung, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Monat nach der Vorkündigung herbeiführen sollte.

Der Kläger unterlag hinsichtlich des Beschäftigungsantrags, den er im Berufungsverfahren zurück nahm. Dieser ist mit zwei Bruttomonatseinkommen zu bewerten. Denn er hat den Wert von zwei Dritteln des ursprünglichen Kündigungsschutzantrages, der sich gegen die Kündigung vom 30.03.2005 richtete.

VI.

Die Revision war nach Maßgabe des § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen. Die vorgenommene Auslegung des Standorttarifvertrages wirft grundsätzliche Fragen auf.

Ende der Entscheidung

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