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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.10.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 429/07
Rechtsgebiete: BGB, InsO


Vorschriften:

BGB § 812
InsO § 123
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 13.02.2007 - 1 Ca 1332/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.911,50 € festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Rückzahlung einer Sozialplanabfindung in Anspruch.

Die Beklagte war seit dem 01.08.1999 als Verkäuferin bei der Firma M1 M2 GmbH tätig. Gemäß § 1 Nr. 3 des Arbeitsvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Niedersachsen in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Gemäß § 14 Nr. 2 des einschlägigen Manteltarifvertrages für den Einzelhandel in Niedersachsen sind gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten seit Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.

Über das Vermögen der Firma M1 M2 GmbH wurde am 01.02.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Da der Betrieb stillgelegt werden musste, vereinbarte der Kläger mit dem Betriebsrat der Insolvenzschuldnerin unter dem 10.02.2003 einen Sozialplan gemäß den §§ 112 BetrVG, 123 InsO, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 7 ff d.A. verwiesen wird. Danach betrug das Sozialplanvolumen unter Berücksichtigung der 2,5-fachen Lohn/Gehaltssumme 199.234,95 €. Die Abfindungsansprüche der Arbeitnehmer im Einzelnen errechnen sich nach einem Punktsystem. Danach steht der Beklagten eine Abfindung in Höhe von 891,00 € zu. Tatsächlich zahlte der Kläger ihr jedoch 3.802,50 €, d.h. 2.911,50 € zu viel aus, weil eine Mitarbeiterin seines Büros irrtümlich - wie auch bei allen anderen Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin - den in der letzten Spalte der handschriftlichen Aufstellungen ausgewiesenen Betrag des 2,5-fachen Gehalts als Abfindungsauszahlungsbetrag übernahm und die Anweisung dieses Betrages an die Beklagte veranlasste, der am 06.01.2006 auf dem Konto der Beklagten bei der Volksbank L1 L2 eG einging. Die Klägerin war am 01.12.2003 von ihrem bisherigen Wohnsitz in B5 E1 nach P2.-O2/G2 umgezogen. Ende 2005 hatte eine Mitarbeiterin des Klägers telefonisch die neue Bankverbindung der Beklagten erfragt.

Die Beklagte hatte sich vor ihrem Umzug ordnungsgemäß im November 2003 bei der Gemeinde B5 E1 ab- und bei der Gemeinde P2.-O2 angemeldet und für sechs Monate einen Nachsendeauftrag bei der Post gestellt. Erstmals mit Schreiben vom 13.01.2006, welches an die frühere Anschrift der Beklagten in B5 E1 gerichtet war, verlangte der Kläger die Rückzahlung der zu viel geleisteten 2.911,50 €. Gemäß postalischer Rückantwort vom 17.01.2006 erfuhr der Kläger, dass die Beklagte unter der angegebenen Anschrift in B5 E1 nicht zu ermitteln war. Nach mehreren vergeblichen Bemühungen, die neue Anschrift der Beklagten ausfindig zu machen, wurde ihm am 23./04.08.2006 von dem Einwohnermeldeamt B5 E1 die neue Anschrift der Beklagten mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 01.09.2006 forderte der Kläger die Beklagte vergeblich auf, an ihn 2.006,97 € zurückzuzahlen. Diesen Betrag hatte der Kläger anhand der Gehaltsabrechnung für die Monate Februar und März 2003 errechnet, die mit einem Nettoverdienst der Beklagten von 1.982,16 € abschließt. Davon hat der Kläger Arbeitslosengeld für den Zeitraum 09.02. bis 31.03.2003 sowie die überzahlte Abfindung in Höhe von 2.911,50 € abgezogen.

Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe ein bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch wegen der rechtsgrundlos erfolgten Überzahlung der Sozialplanabfindung zu. Er meint, die Regelungen der Insolvenzordnung gingen eventuell eingreifenden tarifvertraglichen Ausschlussfristen vor, die ohnehin auf seinen Rückforderungsanspruch keine Anwendung fänden; jedenfalls sei es der Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die tariflichen Ausschlussfristen zu berufen, weil sie verpflichtet gewesen wäre, ihm ihre aktuelle Anschrift mitzuteilen.

Die Beklagte vertritt den Standpunkt, der Rückforderungsanspruch des Klägers sei gemäß § 814 BGB ausgeschlossen, weil dieser gewusst habe, dass er zur Zahlung einer Abfindung in dieser Höhe nicht verpflichtet gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 13.02.2007 abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage der Beklagten zur Zahlung von 904,53 € netto nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der zu viel gezahlten Abfindung sei verfallen. Der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch unterliege den tariflichen Verfallfristen. Der Rückzahlungsanspruch sei am 06.01., spätestens aber am 13.01.2006 fällig gewesen. Die schriftliche Geltendmachung durch den Kläger mit Schreiben vom 01.09.2006 habe die Beklagte aber erst nach Ablauf der dreimonatigen Verfallfrist erreicht. Es sei der Beklagten nicht verwehrt, sich auf die tarifliche Verfallfrist zu berufen, denn sie habe es dem Kläger keineswegs unmöglich gemacht, die Forderung innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Der Kläger habe weder nach Bekanntwerden der neuen Bankverbindung der Beklagten noch nach der Rückantwort der Post am 17.01.2006 die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um die neue Anschrift der Beklagten zu erfahren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger nur gegen die abgewiesene Zahlungsklage. Zur Begründung des Rechtsmittels trägt er vor, die Rückforderung der Sozialplanabfindung unterliege nicht der tariflichen Ausschlussfrist. Das Arbeitsgericht habe die insolvenzrechtlichen Besonderheiten nicht berücksichtigt. Da § 123 Abs. 3 InsO lediglich Abschlagszahlungen anordne, aber keine Zwangsvollstreckung zulasse, seien die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinreichend und abschließend geschützt. Für die Geltung tarifvertraglicher Verfallfristen sei daneben kein Raum.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Minden vom 13.02.2007 - 1 Ca 1332/06 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 2.911,50 € nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt der Auffassung des Klägers entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Der Rückforderungsanspruch ist gemäß § 14 Nr. 2 MTV Einzelhandel für das Land Niedersachsen verfallen. Auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts, denen das Berufungsgericht folgt, wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung bleiben erfolglos.

I

1. Sozialplanansprüche unterliegen nach der ständigen Rechtsprechung des BAG den tariflichen Verfallfristen, weil es sich dabei um Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis handelt (BAG vom 27.03.1996 - 10 AZR 668/95, DB 1997, 234 und vom 30.11.1994 - 10 AZR 79/94, DB 1995, 781 = NZA 1995, 643).

Tarifliche Ausschlussfristen finden in der Insolvenz grundsätzlich uneingeschränkt Anwendung (vgl. BAG vom 18.12.1984 - 1 AZR 588/82 und vom 23.08.1988 - 1 AZR 276/87). Der Insolvenzverwalter tritt gemäß § 80 InsO in die Arbeitgeberstellung ein und bleibt an die für die Insolvenzschuldnerin geltenden Tarifverträge gebunden (BAG vom 20.11.1997 - 2 AZR 52/97, NZA 1998, 334). Nur die aufgrund eines Urteils ausgezahlten Beträge unterliegen bezüglich der Erstattung nicht den tariflichen Verfallfristen (BAG vom 19.03.2003 - 10 AZR 597/01, ZTR 2003, 567). Um diesen Sonderfall handelt es sich hier nicht. Es bleibt daher vorliegend bei dem Grundsatz, dass die Tarifbindung des Betriebes durch die Insolvenzeröffnung ebenso wenig entfällt wie die Geltung der Tarifverträge kraft einzelvertraglicher Vereinbarung. § 123 InsO enthält keine gegenteilige Aussage. Die Verbindlichkeiten aus einem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossenen Sozialplan sind gemäß § 123 Abs. 2 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten. Masseforderungen unterliegen den tariflichen Verfallfristen (vgl. BAG vom 15.02.2005 - 9 AZR 78/04, NZA 2005, 1124). Nur bei Insolvenzforderungen können neben den tariflichen Ausschlussfristen die gesetzlichen Vorschriften über die Anmeldung dieser Forderungen gemäß den §§ 174 ff InsO zu beachten sein (dazu im Einzelnen BAG vom 18.12.1984 - 1 AZR 588/82, NZA 1985, 396). Die insolvenzrechtlichen Vorschriften über die Anmeldung von Insolvenzforderungen werden durch tarifliche Ausschlussfristen, die dem Insolvenzgläubiger weitere Rechtshandlungen vorschreiben, nicht außer Kraft gesetzt. Vorliegend geht es aber um die Rückforderung einer in dieser Höhe zu Unrecht geleisteten Sozialplanabfindung. Das Vollstreckungsverbot gemäß § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO und die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Leistung von Abschlagszahlungen gemäß § 123 Abs. 3 Satz 1 InsO dienen dazu, die Befriedigung anderer Gläubiger nicht zu gefährden und die Einhaltung der relativen Obergrenze gemäß § 123 Abs. 2 Satz 2 InsO sicherzustellen (Oetker/Friese, Der Sozialplan in der Insolvenz, DZWIR 2001, 272, 273).

Tarifliche Verfallfristen dienen nicht wie der Kläger meint allein dem Arbeitnehmerschutz, sondern können beiden Seiten zugute kommen. Tarifliche Verfallfristen verfolgen den Zweck, im Zusammenhang mit der Erhebung von Ansprüchen der Arbeitsvertragsparteien eine möglichst große Sicherheit und schnellstmögliche Klarheit zu schaffen (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 12. Aufl., § 205 Rdnr. 5). Die Besonderheiten des Insolvenzverfahrens stehen diesem Zweck nicht entgegen und rechtfertigen es nicht, den Insolvenzverwalter von seiner bestehenden Bindung an die tariflichen Ausschlussfristen zu befreien. Deshalb hätte der Rückforderungsanspruch innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen.

2. Dem Arbeitsgericht ist auch darin zu folgen, dass es der Beklagten nicht verwehrt ist, sich auf die tarifliche Ausschlussfrist zu berufen. Da die Berufung sich insoweit nicht mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinandersetzt, kann auf seine Begründung Bezug genommen werden.

II

Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

Der Streitwert hat sich in der Berufungsinstanz geändert und ist daher neu festgesetzt worden.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, da Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht zu klären waren.

Ende der Entscheidung

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