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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 73/06
Rechtsgebiete: BetrVG, InsO


Vorschriften:

BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG § 26 Abs. 2 S. 1
InsO § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Zur Frage der Betriebsratsanhörung gem. § 102 Abs. 1 BetrVG bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 125 Abs. 1 InsO.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Schlussurteil des Arbeitgerichts Dortmund vom 10.06.2005 - 1 Ca 7071/02 - teilweise wie folgt abgeändert:

Der Feststellungsantrag zu 1) der Klägerin wird abgewiesen.

Im Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten hat die Klägerin von den Kosten 1. Instanz 3/4 und der Beklagte 1/4 zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt allein die Klägerin.

Der Streitwert für das Verfahren 1. Instanz wird auf 14.330,00 € festgesetzt und der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 10.680,00 €.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

Die am 19.07.1947 geborene Klägerin war seit dem 27.06.1983 bei der in K1xxx ansässigen Firma O1xx S2xxxxx H1xx-, T1xx-, S7xxxxxxxx GmbH & Co. KG als kaufmännische Angestellte tätig, über deren Vermögen am 01.10.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste, auf der sich auch der Name der Klägerin befindet, am 28.10.2002 fristgemäß gemäß § 113 InsO zum 31.01.2003.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 19.11.2002 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage. Streitig ist insbesondere, ob der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden ist.

Gegenstand des Unternehmens der Insolvenzschuldnerin war die Ausführung von Hoch- und Tiefbauarbeiten. Bei Insolvenzantragstellung beschäftigte sie 145 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nach Darstellung des Beklagten wurden diejenigen Mitarbeiter, die nicht für Abwicklungsarbeiten benötigt worden seien, zum 30.09.2002 freigestellt. Am 28.10.2002 seien alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entlassen worden. Nachdem die Arbeiten im Geschäftsbereich Hochbau bereits zum 30.09.2002 eingestellt worden seien, sei der gesamte Geschäftsbetrieb endgültig zum 31.10.2002 stillgelegt worden. Die restlichen Abwicklungsarbeiten im Rahmen des Insolvenzverfahrens seien endgültig zum 31.03.2003 beendet worden.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 24.04.2003 gegenüber dem Insolvenzgericht die Unzulänglichkeit der Masse angezeigt.

Der Beklagte richtete am 09.10.2002 folgendes Schreiben an den Betriebsratsvorsitzenden der Insolvenzschuldnerin:

"Insolvenzverfahren über das Vermögen de Firma O1xx S2xxxxx H1xx-, T1xx-, S7xxxxxxxx GmbH & Co. KG, G3xxxxxxxxxxxxx 12, 53xxx K1xxx

Interessenausgleich/Sozialplan

Anhörung §§ 102, 103 BetrVG

§ 17 KSchG

Sehr geehrte Damen und Herren,

sehr geehrter Herr D3xxx,

über das Vermögen der Firma O1xx S2xxxxx H1xx-, T1xx-, S7xxxxxxxx GmbH & Co. KG wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom 26.08.2002 (Aktenzeichen 258 IN 126/02) das Insolvenzverfahren eröffnet und Herr Rechtsanwalt R2xxxx S1xxxx zum Insolvenzverwalter bestellt.

In meiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter teile ich Ihnen mit, dass ich aufgrund der wirtschaftlichen und finanziellen Situation der Firma O1xx S2xxxxx H1xx-, T1xx-, S7xxxxxxxx GmbH & Co. KG gezwungen bin, die Betriebseinstellung vorzunehmen.

Aus diesem Grunde bin ich leider nicht in der Lage, die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer weiterhin zu beschäftigen. Ich beabsichtige daher nach Abschluss eines Interessenausgleichs, allen aus der Anlage ersichtlichen Arbeitnehmern unter Beachtung der gesetzlichen, tarifvertraglichen oder vertraglichen Bestimmungen zum nächst zulässigen Termin zu kündigen. Soweit im Einzelnen längere gesetzliche, tarifvertragliche oder vertragliche Kündigungsfristen bestehen, werden die Arbeitsverhältnisse mit der Höchstfrist von drei Monaten nach § 113 Abs. 1 S. InsO gekündigt werden.

Ich stelle hiermit den Antrag gem. §§ 102, 103 BetrVG auf Anhörung bzw. Zustimmung des Betriebsrates zu den beabsichtigten Kündigungen und gem. § 17 KSchG zu der Massenentlassung. Die Liste der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer ist dem anliegenden Entwurf des Interessenausgleichs beigefügt. Der Betriebsrat wird gebeten, den Kündigungen zuzustimmen. Für den Fall, dass der Betriebsrat nicht zustimmt, wird er gebeten, binnen einer Woche schriftlich seine Bedenken gegen die Kündigungen mitzuteilen.

Einen Entwurf des Sozialplans habe ich ebenfalls beigefügt."

Ob der Betriebsratsvorsitzende D3xxx dieses Schreiben erhalten hat, ist im Laufe des Rechtsstreits streitig geworden.

Der Interessenausgleich über die Stilllegung des Betriebes und die Entlassung sämtlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist am 22.10.2002 von dem Beklagten und dem Betriebsratsvorsitzenden P2xxx D3xxx unterschrieben worden. Auch die einzelnen Seiten der Namensliste über die Entlassung von insgesamt 152 namentlich genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen auf jeder einzelnen Seite sowohl die Unterschriften des Betriebsratsvorsitzenden als auch die des Beklagten. In dem Interessenausgleich vom 22.10.2002 heißt es:

"(2) Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Betrieb stillgelegt wird und der Insolvenzverwalter berechtigt ist, sämtliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen und unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen zum nächst zulässigen Termin zu kündigen....

(5) Der Betriebsrat wurde zu den betriebsbedingten Kündigungen nach §§ 102 und 103 BetrVG angehört. Die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Insolvenzverwalter erfolgte umfassend und in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vorschriften. Der Betriebsrat hat beschlossen, den Kündigungen zuzustimmen. Das Anhörungsverfahren nach §§ 102 und 103 BetrVG ist abgeschlossen. ...

(7) Der Betriebsrat wurde rechtzeitig gemäß § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet. Die nach § 17 Abs. 2 S. 2 KSchG erforderlichen Beratungen wurden im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen durchgeführt. Der Betriebsrat stimmt der Massenentlassung zu."

Die Klägerin hält die Kündigung nicht für sozial gerechtfertigt, weil der Geschäftsbetrieb nicht zum 31.10.2002 stillgelegt worden sei. Sie sei noch bis zum 30.11.2002 in den Geschäftsäumen in K1xxx tätig gewesen; andere Mitarbeiter mindestens noch bis zum 31.01.2003.

Zur Betriebsratsanhörung hat die Klägerin zunächst vorgetragen, das Schreiben des Beklagten vom 09.10.2002 genüge nicht den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats. Dem Schreiben lasse sich entnehmen, dass bereits vor Abschluss eines Interessenausgleichs das Anhörungsverfahren eingeleitet worden und damit bereits der Kündigungsentschluss des Beklagten festgestanden habe. Über den Inhalt der Betriebsänderung sei zu diesem Zeitpunkt mit dem Betriebsrat aber noch keine Einigung erzielt worden. Dem ist der Beklagte wie folgt entgegengetreten: Mit dem Schreiben vom 09.10.2002 habe der Betriebsrat alle die zu seiner Anhörung erforderlichen Informationen erhalten. Es hätten in der Folgezeit mehrfach Gespräche mit dem Betriebsratsvorsitzenden über den abzuschließenden Interessenausgleich stattgefunden. Das Schreiben vom 09.10.2002 sei dem Betriebsrat auch zugegangen, denn andernfalls hätten Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan nicht aufgenommen werden können.

Die Klägerin bestreitet, dass das vom Beklagten nicht unterzeichnete Schreiben vom 09.10.2002 dem Betriebsratsvorsitzenden zugegangen sei. Dem Inhalt des Interessenausgleichs könne sie keine ausreichende Dokumentation über die Durchführung des Anhörungsverfahrens gem. § 102 BetrVG entnehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung des Zeugen D3xxx antragsgemäß durch Urteil vom 10.06.2005 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum Beklagten gemäß Schreiben vom 28.10.2002, zugegangen am 29.10.2002, nicht beendet ist. Es hat ferner die Vergütungsansprüche der Klägerin für die Monate Dezember 2002 und Januar 2003 in Höhe von jeweils 3.560,00 € brutto abzüglich Arbeitslosengeld festgestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung sei gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Zum einen sei nicht nachgewiesen, dass eine ausreichende Information des Betriebsrats stattgefunden habe. Zum anderen habe der Zeuge den Zugang des Anhörungsschreibens vom 09.10.2002 nicht bestätigt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Das erstinstanzliche Urteil ist dem Beklagten am 05.07.2005 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 13.07.2005, der am 14.07.2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist, hat der Beklagte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung beantragt, dem das Berufungsgericht durch Beschluss vom 04.01.2006, welcher dem Beklagten am 10.01.2006 zugestellt worden ist, entsprochen hat. Die vom Beklagten daraufhin eingelegte Berufung nebst Begründung und Wiedereinsetzungsantrag ist am 12.01.2006 eingegangen.

Der Beklagte begründet das Rechtsmittel wie folgt:

Das Arbeitsgericht habe zu Unrecht eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats angenommen. Die vorhandenen Beweismittel seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Insbesondere habe das Arbeitsgericht in seine Beweiswürdigung den Interessenausgleich mit Namensliste nicht miteinbezogen. Der Betriebsrat habe darin ausdrücklich seine umfassende Unterrichtung und den Abschluss des Anhörungsverfahrens bestätigt. Schließlich habe der Zeuge D3xxx eingeräumt, dass ihm zumindest beim letzten Interessenausgleich eine Namensliste mit dem Namen der Klägerin vorgelegen habe. Damit hätten dem Betriebsrat alle erforderlichen Informationen vorgelegen. Der Beklagte vertritt den Standpunkt, der Interessenausgleich sei durch Unterzeichnung des Betriebsratsvorsitzenden D3xxx wirksam zustande gekommen, denn dieser vertrete den Betriebsrat im Rahmen der gefassten Beschlüsse. Anhaltspunkte für einen unwirksamen Betriebsratsbeschluss lägen nicht vor.

Der Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 10.06.2005 - 1 Ca 7071/02 - wird abgeändert. Der Kündigungsschutzantrag zu 1) der Klägerin wird abgewiesen.

Dem Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Klägerin beantragt.

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Beklagten entgegen. Sie bekräftigt ihren Standpunkt, dass keine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats stattgefunden habe, weil eine nähere Information über ihre Person, die Art und den Zeitpunkt der Kündigung sowie die dafür maßgeblichen Gründe nicht nachgewiesen sei. Dem Zeugen D3xxx sei nicht erinnerlich gewesen, mündliche Einzelinformationen zu ihrer Kündigung erhalten zu haben. Den Zugang des Anhörungsschreibens vom 09.10.2002 habe der Zeuge D3xxx nicht bestätigen können. Aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich ergebe sich keine ausreichende Information des Betriebsrats bezüglich der beabsichtigten Kündigung. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme habe auch nicht ergeben, dass der Betriebsrat den erforderlichen Kenntnisstand gehabt habe, um sich über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe einen Bild zu machen. Der Beklagte habe den Betriebsrat den Zeitpunkt der Stilllegung des Betriebes nicht oder nicht richtig mitgeteilt, denn es hätten noch bis Januar/Februar 2003 fünf bis sechs Arbeitnehmer im Betrieb gearbeitet. Sie bestreitet nach wie vor, dass die Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden auf dem Interessenausgleich und der Namensliste auf einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Betriebsrats beruhe. Der Zeuge D3xxx habe in Anwesenheit des Beklagten unterschrieben, so dass dieser von einer vorherigen Sitzung und Beschlussfassung des Betriebsrats nicht habe ausgehen dürfen. Der Interessenausgleich sei inhaltlich geändert und erst dann vom Betriebsratsvorsitzenden im Büro des Beklagten unterschrieben worden.

Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis erneut am 08.12.2004 zum 31.03.2005 gekündigt. Diese Kündigung hat die Klägerin gerichtlich nicht angegriffen, sondern ihren Antrag auf Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum 31.03.2005 begrenzt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen. Bezug genommen wird ferner auf das Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme (Bl. 245, 246 d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Feststellungsklage ist abzuweisen, weil das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 28.10.2002 mit Ablauf des 31.01.2003 aufgelöst worden ist.

I.

Die Berufung des Beklagten ist gemäß §§ 511, 517 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG zulässig, denn ihm war gem. den §§ 233, 234 ZPO bezüglich der versäumten Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Einer Partei, die wegen nicht ausreichender Mittel nicht in der Lage war, ein dem Vertretungszwang unterliegendes Rechtsmittel wirksam zu erheben, ist gem. § 233 ZPO Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn der Rechtsmittelführer ohne Verschulden daran gehindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist der Fall, wenn der Rechtsmittelführer wie vorliegend geschehen innerhalb der Berufungsfrist ein vollständiges Gesuch um Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingereicht hat (vgl. BAG, v. 26.01.2006 - 9 AZR 11/05 -, AuR 2006, 174; BGH, v. 18.10.2000 - IV ZB 9/00, NJW-RR 2001, 570). Der Antrag auf Prozesskostenhilfe nebst Entwurf einer Berufung und einer Berufungsbegründung sind bereits am 14.07.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Der Wiedereinsetzungsantrag ist gem. § 234 ZPO rechtzeitig innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses gestellt worden, denn der Prozesskostenhilfe-Beschluss vom 04.01.2006 ist dem Beklagten am 10.01.2006 zugestellt worden. Wiedereinsetzungsantrag nebst Berufung und Berufungsbegründung sind am 12.01.2006 beim Berufungsgericht eingegangen.

II.

Die Berufung ist auch in der Sache selbst begründet, denn die Feststellungsklage der Klägerin ist abzuweisen. Die angegriffene Kündigung ist gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG aus dringenden betrieblichen Erfordernissen wegen Stilllegung des Betriebes der Insolvenzschuldnerin sozial gerechtfertigt. Ihre Wirksamkeit scheitert nicht an der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG.

1. Dem Arbeitsgericht ist darin beizupflichten, dass die Betriebsratsanhörung nach § 102 BetrVG auch bei Vorliegen eines Interessenausgleichs mit Namensliste im Sinne von § 125 Abs. 1 InsO keinen erleichterten Anforderungen unterliegt (BAG, v. 28.08.2003 - 2 AZR 377/02 - ZIP 2004, 525 = DB 2004, 937; BAG, v. 13.05.2004 - 2 AZR 329/03 - NZA 2004, 1037 = ZIP 2004, 1773). Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters, neben den Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit Namensliste gem. §§ 112 Abs. 1 S. 1 BetrVG, 125 Abs. 1 InsO den Betriebsrat zu jeder einzelnen Kündigung gesondert anzuhören, führt nicht notwendig zu einer Verdoppelung des Beteiligungsverfahrens. Mit dem Abschluss des Interessenausgleichs kann das Verfahren nach § 102 BetrVG verbunden werden. Der Betriebsrat kann bei Abschluss des Interessenausgleichs zugleich zum Ausspruch der beabsichtigten Kündigung angehört werden und eine abschließende Stellungnahme dazu abgeben (BAG, v. 20.05.1999 - 2 AZR 532/98 - NZA 1999, 1101, 1102; vgl. Berscheid Juris Praxisreport Arbeitsrecht 13/04 v. 31.03.2004 Anm. 3). Insbesondere kann im Interessenausgleich dokumentiert werden, dass gleichzeitig das Anhörungsverfahren gem. § 102 BetrVG eingeleitet wird und der Betriebsrat zu den Kündigungen eine abschließende Stellungnahme abgibt. Die für das Insolvenzarbeitsrecht zuständigen Kammern des Landesarbeitsgerichts Hamm haben daher in ständiger Rechtsprechung im Rahmen der Prüfung, ob eine Anhörung des Betriebsrats stattgefunden hat, den Wortlaut des Interessenausgleichs mitherangezogen. Darin kann auslegungsbedürftig zum Ausdruck gebracht werden, dass der Insolvenzverwalter gleichzeitig das Anhörungsverfahren bezüglich der Kündigungen der in der Namensliste genannten Mitarbeiter eingeleitet und der Betriebsrat dazu abschließend Stellung genommen hat (vgl. dazu die Formulierungsbeispiele bei Bertram NZI 2001, 625, 629; Preis, DB 1998, 1614).

a) Das Berufungsgericht ist nach dem Inhalt des Interessenausgleichs, der Aussage des Zeugen D3xxx vor dem Arbeitsgericht und den begleitenden Umständen gem. § 286 ZPO davon überzeugt, dass der Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin angehört worden ist und dazu mit der Unterzeichnung des Interessenausgleichs eine abschließende Stellungnahme abgegeben hat. Dabei kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass es dem Beklagten nicht gelungen ist, den Zugang seines Schreibens vom 09.10.2002 beim Betriebsrat nachzuweisen. Allerdings ist es nachvollziehbar und verständlich, dass der Zeuge bei seiner Vernehmung am 10.06.2005 nichts mehr zu einem fast drei Jahre zurückliegenden Schreiben zu sagen vermochte. Der Zeuge hat aber bestätigt, dass der Betriebsrat den Entwurf eines Interessenausgleichs und Sozialplans erhalten habe. Ob der Beklagte das Ganze dann noch einmal geändert habe, vermöge er nicht zu sagen. Auch von Betriebsratsseite habe es Änderungen gegeben. Bei dem letzten Interessenausgleich sei auch eine Namensliste dabei gewesen, auf der die zu Kündigenden gestanden hätten. Auch die Klägerin habe auf dieser Liste gestanden. Der Zeuge hat ferner bestätigt, mehrere Namenslisten unterschrieben zu haben. Dies ist in dem Sinne zu verstehen, dass er mehrere Seiten einer Namensliste unterschrieben hat. Dies stimmt mit dem vom Beklagten eingereichten Interessenausgleich vom 22.10.2002 nebst vierseitiger Namensliste überein, die der Beklagte in der Berufungsverhandlung im Original zur Einsicht vorgelegt hat. Auf dieser sowohl vom Zeugen D3xxx als auch vom Beklagten unterschriebenen Namensliste befindet sich auch der Name der Klägerin mit ihrem Wohnort und ihren sozialen Daten, nämlich Betriebszugehörigkeit, Alter, Familienstand, Steuerklasse, Tätigkeit und Eintrittsdatum. Daraus geht hervor, dass die Klägerin am 19.07.1947 geborene ist, als Sekretärin im Hochbau seit dem 27.06.1983 in Vollzeit tätig war, die Steuerklasse I hat und zum 31.01.2003 gekündigt werden sollte. Dass der Betriebsrat mit dem Abschluss des Interessenausgleichs gleichzeitig auch zu den beabsichtigten Kündigungen angehört werden sollte, ergibt sich aus Abschnitt 5 des Interessenausgleichs. Aufgrund der Aussage des Zeugen D3xxx steht fest, dass dem Betriebsrat die Entwürfe eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans vorlagen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Änderungen, von denen der Zeuge D3xxx berichtet hat, den Abschnitt 5 des Interessenausgleichs betreffen, der sich über das Anhörungsverfahren verhält. Die Bestätigung über das stattgefundene Anhörungsverfahren setzt denknotwendig voraus, dass es auch eingeleitet worden ist. Für das Berufungsgericht bestehen jedenfalls keine vernünftigen Zweifel, dass der Betriebsrat über den Entwurf eines Interessenausgleichs beraten hat, mit dem der Insolvenzverwalter gleichzeitig und für den Betriebsrat erkennbar das Anhörungsverfahren gem. § 102 BetrVG einleiten wollte. Daher sollte mit dem Abschluss des Interessenausgleichs auch das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG abgeschlossen sein. Dies wird durch den Wortlaut des Interessenausgleichs hinreichend dokumentiert.

b) Die notwendige Unterrichtung des Betriebsrats über die Kündigungsgründe ergibt sich aus dem Interessenausgleich und der ihm beigefügten Namensliste, die durch Unterschrift und durch Bezugnahme im Interessenausgleich dessen Bestandteil geworden ist. Eine weitergehende Individualisierung der Kündigungsgründe brauchte nicht zu erfolgen, weil wegen Stilllegung des Betriebes alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlassen werden sollten und demgemäß für eine soziale Auswahl kein Raum war (vgl. BAG, v. 13.05.2004 - 2 AZR 329/03 - NZA 2004, 1037 = ZIP 2004, 1773). Anders als von der Klägerin angenommen, steht daher zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass der Betriebsrat über alle notwendigen Informationen bezüglich der beabsichtigten Kündigung der Klägerin verfügte. Bezeichnenderweise hat der Betriebsrat nach der Aussage des Zeugen D3xxx die Sozialpunkte ausgerechnet, die sich nach dem Sozialplan für jeden einzelnen Arbeitnehmer ergeben. Dazu war er nur bei Kenntnis derjenigen sozialen Daten imstande, die sich aus der Namensliste ergeben. Der Zeuge D4xxxx hat bekundet, dass ihm eine solche Namensliste, auf der sich auch der Name der Klägerin befand, vorgelegen habe. Damit ist der Beklagte seiner Unterrichtungspflicht gegenüber dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG nachgekommen.

Wenn der Betriebsratsvorsitzende darüber hinaus durch seine Unterschrift eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats gem. den §§ 102, 103 BetrVG dokumentiert, dann kann dies nach den hier vorliegenden Zusammenhängen nur die Bedeutung haben, dass das Anhörungsverfahren gem. § 102 BetrVG eingeleitet und abgeschlossen ist.

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat der Beklagte den Kündigungssachverhalt dem Betriebsrat weder bewusst unrichtig noch unvollständig unterbreitet. Die Klägerin rügt die Verletzung der Unterrichtungspflicht, weil der Betrieb nicht wie vom Beklagten angegeben zum 31.10.2002 stillgelegt worden sei, sondern einige Mitarbeiter noch bis Januar/Februar 2003 gearbeitet hätten. Von einer bewusst unrichtigen Information des Betriebsrats (vgl. BAG, v. 22.09.1994 - 2 AZR 31/94 - AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG) kann vorliegend keine Rede sein, denn der Beklagte hat dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitgeteilt, die aus seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend waren. Dies war die Stilllegung des gesamten Betriebes der Insolvenzschuldnerin. Ein bestimmtes Stilllegungsdatum ist im Interessenausgleich nicht genannt worden. Der Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin ist tatsächlich eingestellt worden. Letzte Abwicklungsarbeiten mit nur wenigen Mitarbeitern sind zum 31.03.2003 abgeschlossen worden. Der Betriebsrat ist daher ordnungsgemäß über die Absicht des Beklagten, den Betrieb stillzulegen und die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer zu den in der Namensliste angegebenen Beendigungsdaten zu beenden, unterrichtet worden.

d) Ob der Betriebsrat sich als Gremium mit den beabsichtigten Kündigungen in einer ordnungsgemäß einberufenen Betriebsratssitzung befasst und darüber einen Beschluss gefasst hat, lässt die Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Etwaige Mängel, die in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats fallen, führen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG (BAG, v. 16.01.2003 - 2 AZR 707/01, NZA 2003, 1791).

2. Die Betriebsbedingtheit der Kündigung ist gem. § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 InsO zu vermuten, denn der Beklagte hat eine Betriebsänderung, nämlich die Stilllegung des Betriebes der Insolvenzschuldnerin geplant und darüber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit beigefügter Namensliste geschlossen. Dieser Interessenausgleich ist ordnungsgemäß zustande gekommen, denn er trägt sowohl die Unterschrift des Beklagten als auch die des Betriebsratsvorsitzenden.

Die R3xx der Klägerin, ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste sie deshalb nicht zustande gekommen, weil der Betriebsratsvorsitzende den Interessenausgleich ohne wirksamen Beschluss des Betriebsratsgremiums vereinbart habe, greift nicht durch. Der Betriebsratsvorsitzende vertritt den Betriebsrat gem. § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG im Rahmen der von ihm gefassten Beschlüsse. Er ist nicht Vertreter im Willen, sondern Vertreter in der Erklärung (BAG, v. 17.02.1981 - 1 AZR 290/78 - NJW 1982, 69). Gibt der Betriebsratsvorsitzende für den Betriebsrat aber eine Erklärung ab, spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass der Betriebsrat einen entsprechenden Beschluss gefasst hat (BAG, v. 24.02.2000 8 AZR 180/99 - NZA 2000, 785) und der Betriebsratsvorsitzende im Rahmen der vom Betriebsrat gefassten Beschlüsse gehandelt hat. Ein unbefugtes Handeln des Betriebsratsvorsitzenden hat die darlegungspflichtige Klägerin nicht substantiiert dargelegt (vgl. BAG v. 24.02.2000 - 8 AZR 180/99 - NZA 2000, 785; BAG v. 21.02.23002 - 2 AZR 581/00 -, NZA 2002, 1360).

III.

Der Streitwert hat sich geändert und ist für das Berufungsverfahren neu festgesetzt worden (§ 47 Abs. 1 S. 1 GKG). Da es im Rechtsmittelverfahren nur noch um die Wirksamkeit der Kündigung vom 28.10.2002 geht, waren gem. § 42 Abs. 4 S. 1 GKG drei Monatsverdienste zu veranschlagen.

Die Streitwertfestsetzung für das Verfahren erster Instanz beruht auf § 63 Abs. 3 GKG.

IV.

Die Klägerin hat gem. § 91 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die erstinstanzlichen Kosten waren gem. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO unter Berücksichtigung des Ergebnisses des Berufungsverfahrens nach dem Verhältnis des Obsiegens und des Unterliegens zu verteilen.

Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen, weil Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG nicht zu klären waren.

Ende der Entscheidung

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