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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.06.2003
Aktenzeichen: 4 Ta 355/03
Rechtsgebiete: ZPO, BSHG, RPflG


Vorschriften:

ZPO § 115 Abs. 2
ZPO § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1
ZPO § 124 Nr. 3 Hs. 1
BSHG § 88 Abs. 2 Ziff. 8 Hs. 2
BSHG § 88 Abs. 3
RPflG § 20 Nr. 4 Buchst. c
1. Aus Gründen des Vertrauensschutzes darf das Gericht die ihm bekannten und für seine Entscheidung maßgebenden Angaben der Partei zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht nachträglich abweichend bewerten. Diese Grundsätze, die zur nachträglichen Ratenzahlungsanordnung entwickelt worden sind, lassen sich auch auf die Fallgestaltungen übertragen, bei denen das Gericht bei der PKH-Bewilligung der PKH-Partei versehentlich oder rechtsirrig nicht aufgegeben hat, zum Bestreiten der Verfahrenskosten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO einen Einmalbetrag aus dem Vermögen einzusetzen, soweit es das sog. Schonvermögen übersteigt (hier: 10% der Kündigungsabfindung).

2. Wenn das gesetzliche Schonvermögen durch die Abfindung überschritten wird, hat der PKH-Empfänger im Kosteninteresse grundsätzlich mit einem Betrag in Höhe von 10% des Nennwertes einer Kündigungsabfindung (die Steuern ermäßigen den einzusetzenden Betrag nicht) für die entstandenen Kosten einzustehen. Allerdings muß die (restliche) Abfindung dem Arbeitnehmer auch tatsächlich zufließen. Soweit Abtretungen und Pfändungen den Ansprüchen der Landeskasse zeitlich vorgehen, kann der Einmalbetrag in Höhe von 10% des Nennwertes der Abfindung nicht realisiert werden.


LANDESARBEITSGERICHT HAMM BESCHLUSS

Geschäfts-Nr.: 4 Ta 355/03

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts HAMM ohne mündliche Verhandlung am 04. Juni 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Berscheid

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde wird der PKH-Abänderungsbeschluß des Arbeitsgerichts /Gerichtstag Coesfeld vom 28.04.2003 - 2 Ca 2134/02 - aufgehoben.

Gründe:

I. hat im Kammertermin vom 07.02.2003 für eine Kündigungsschutzklage um ratenfreie Prozeßkostenhilfe sowie um Beiordnung von M1xx aus B1xxx nachgesucht. Nachdem vom Vorsitzenden die Nachreichung des amtlichen Vordrucks bis zum 28.02.2003 nachgelassen worden war, haben die Parteien in diesem Termin einen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger, betriebsbedingter Kündigung mit dem 31.12.2002 beendet worden ist und an wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 11.500,00 € zahlt. Der Vorsitzende der 2. Kammer des Arbeitsgerichts /Gerichtstag Coesfeld hat nach Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 26.02.2003 folgenden PKH-Beschluß erlassen:

Dem Kläger wird für den 1. Rechtszug Prozeßkostenhilfe in vollem Umfang mit Wirkung vom 07.02.2003 bewilligt. Zur Wahrnehmung der Rechte in diesem Rechtszug wird ihm Rechtsanwalt M1xx, B1xxx, beigeordnet. Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, daß der Kläger keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozeßführung zu leisten braucht.

Nach Anhörung hat der Rechtspfleger beim Arbeitsgericht /Gerichtstag Coesfeld mit Beschluß vom 28.04.2003 - 2 Ca 2134/02 - die PKH-Bewilligung vom 26.02.2003 unter Bezugnahme auf § 120 Abs. 4 ZPO abgeändert und angeordnet, "daß aus Vermögen auf die Kosten der Prozeßführung einen einmaligen Betrag in Höhe von 1.150,00 € zu zahlen hat".

Gegen den am 29.04.2003 zugestellten Beschluß hat mit vom 14.05.2003, bei dem Arbeitsgericht am 16.05.2003 eingegangen, sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, habe von der Abfindung keine einzigen Euro gesehen. Wie aus dem eingereichten Schreiben der Prozeßbevollmächtigten vom 07.04.2003 zu ersehen sei, habe mitteilen lassen, habe aufgrund einer vorliegenden Abtretungserklärung den sich aus der Abrechnung der Abfindung ergebenden Nettobetrag am 19.02.2003 an die Sparkasse Herford überwiesen.

II. Die nach § 11 RPflG i.V.m. §§ 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, 127 Abs. 2, 222 Abs. 2 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet, denn es liegen weder die Voraussetzung für eine Abänderungsentscheidung nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO noch für eine Aufhebungsentscheidung nach § 124 Nr. 3 ZPO vor.

1. Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Nach § 124 Nr. 3 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die PKH-Bewilligung aufheben, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse "von vornherein" nicht vorgelegen haben.

1.1. Hat die Partei richtige und vollständige Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht und hat das Prozeßgericht uneingeschränkt Prozeßkostenhilfe bewilligt, ist eine Abänderung oder Aufhebung von Amts wegen aufgrund einer geänderten Beurteilung der Sach- und Rechtslage (OLG Stuttgart v. 05.04.1984 - 15 WF 140/84, FamRZ 1984, 722 = Justiz 1984, 397; OLG Hamburg v. 15.11.1995 - 12 WF 146/95, FamRZ 1996, 874 = Rpfleger 1996, 163; OLG Karlsruhe v. 31.05.2000 - 2 WF 40/00 + 2 WF 41/00, n.v.; a.A. OLG Köln v. 08.06.1982 - 21 WF 78/82, FamRZ 1982, 1226; OLG Zweibrücken v. 26.09.1984 - 2 WF 172/83, Rpfleger 1985, 165) oder einer rechtsirrig erfolgten Bewilligung nicht zulässig (OLG Hamm v. 28.05.1984 - 3 WF 125/84, JurBüro 1985, 1266 = NJW 1984, 2837 = Rpfleger 1984, 432; OLG Brandenburg v. 01.07.1999 - 9 WF 94/99, FamRZ 2000, 1229 = MDR 2000, 174 = OLGR Brandenburg 2000, 61; a.A. OLG Bremen v. 05.03.1985 - 5 WF 237/84 [b], FamRZ 1985, 728; OLG Zweibrücken v. 07.03.1988 - 2 WF 12/88, JurBüro 1988, 1062 [Mümmler]). Dabei macht es keinen Unterschied, daß nachträglich nicht der Richter nach §§ 119, 114 ZPO, sondern aufgrund der Zuständigkeitsregelung in § 20 Nr. 4 Buchst. c RPflG an seiner Stelle der Rechtspfleger entscheidet (OLG Düsseldorf v. 13.08.1984 - 5 WF 180/84, JurBüro 1986, 122; OLG Zweibrücken v. 25.08.1986 - 2 WF 38/86, JurBüro 1987, 140 = Rpfleger 1987, 36). Aus Gründen des Vertrauensschutzes darf das Gericht die ihm bekannten und für seine Entscheidung maßgebenden Angaben der Partei zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht nachträglich abweichend bewerten (OLG Bamberg v. 30.05.1984 - 2 WF 108/84, FamRZ 1984, 1244 = JurBüro 1985, 463; OLG Köln v. 08.01.2001 - 27 WF 216/00, FamRZ 2001, 1534 = OLGR Köln 2002, 133; a.A. OLG Schleswig v. 11.01.1983 - 8 WF 210/82, SchlHA 1983, 60); eine freie Abänderbarkeit besteht nicht (OLG Hamm v. 12.03.1986 - 1 WF 75/86, FamRZ 1986, 583; a.A. OLG Hamburg v. 05.11.1985 - 5 W 69/85, MDR 1986, 243).

1.2. Diese Grundsätze, die zur nachträglichen Ratenzahlungsanordnung entwickelt worden sind, lassen sich auch auf die Fallgestaltungen übertragen, bei denen das Gericht bei der PKH-Bewilligung der PKH-Partei versehentlich oder rechtsirrig nicht aufgegeben hat, zum Bestreiten der Verfahrenskosten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO das Vermögen einzusetzen, soweit es das sog. Schonvermögen übersteigt (§ 88 Abs. 2 BSHG). Berücksichtigungsfähige Vermögenswerte sind danach gegeben, wenn die Schongrenze des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG, die sich auf 2.301,00 € beläuft und sich für jede unterhaltsberechtigte Person um 256,00 € erhöht, überschritten wird (siehe dazu LAG Hamm v. 01.02.2002 - 4 Ta 769/01, AE 2002, 79). In einem solche Fall hat der PKH-Empfänger im Kosteninteresse grundsätzlich mit einem Betrag in Höhe von 10% des Nennwertes einer Kündigungsabfindung für die entstandenen Kosten einzustehen (LAG Hamm v. 03.04.2002 - 4 Ta 636/01, BuW 2002, 748 = LAGReport 2002, 154 = ZVI 2002, 124; LAG Hamm v. 29.05.2002 - 4 Ta 320/02, LAGReport 2003, 125 m. zust. Anm. Schwab). Die entsprechende Anordnung trifft dann, wenn der Vergleichsabschluß nach der PKH-Bewilligung erfolgt, kraft funktioneller Zuständigkeit der Rechtspfleger (§ 20 Nr. 4 Buchst. c RPflG i.V.m. § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO). Geht der Vergleichabschluß der PKH-Bewilligung voraus und wird danach ausnahmsweise Prozeßkostenhilfe auf eine Zeitpunkt vor dem Vergleichabschluß bewilligt, so muß der Richter die vereinbarte Abfindung als (zumindest teilweise) einsetzbaren Vermögenswert berücksichtigen. Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO ist nämlich eine Änderung einer PKH-Bewilligungsentscheidung nicht bei gleichgebliebenen Sachverhalts, sondern nur dann, wenn sich die für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse "wesentlich geändert haben". Die gesetzliche Regelung setzt mithin voraus, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse "nachträglich", das heißt zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses des PKH-Bewilligungsbeschlusses und dem des PKH-Änderungsbeschlusses, geändert haben. Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn der Vorsitzende hat ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 07.02.2003 zunächst den gerichtlichen Vergleich mit der vereinbarten Abfindungssumme in Höhe von 11.500,00 € protokolliert und erst nach nachgelassener Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 26.02.2003, also nach dem Vergleichsabschluß, die begehrte Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M1xx aus B1xxx rückwirkend ab dem 07.02.2003, und zwar ohne Festsetzung eines Einmalbetrages bewilligt. Gegenüber der Situation bei der PKH-Bewilligung ist im Zeitpunkt der PKH-Abänderung keine Veränderung eingetreten, so daß die Festsetzung des Einmalbetrages schon aus diesem Grunde nicht hätte erfolgen dürfen.

2. Vorliegend ist aber auch noch folgendes zu beachten: Bei ordnungsgemäßer Anordnung der Zahlung des Einmalbetrages im PKH-Bewilligungsbeschluß vom 26.02.2003 hätte als Beitrag zu den Kosten der Prozeßführung von der im vom 07.02.2003 vereinbarten Abfindungssumme von 11.500,00 € einen Einmalbetrag von 10% (1.150,00 €) zu leisten gehabt (vgl. LAG Hamm v. 29.05.2002 - 4 Ta 320/02, LAGReport 2003, 125 m. zust. Anm. Schwab). Weder Gegenforderungen des Arbeitgebers noch die bei höheren Abfindungen abzuführenden Steuern, die den Auszahlungsbetrag tatsächlich verringern, ermäßigen den für die Prozeßkostenhilfe einzusetzenden Betrag von 10% des Nennwertes der Abfindung (LAG Hamm v. 29.05.2002 - 4 Ta 320/02, LAGReport 2003, 125, 126 m. zust. Anm. Schwab). Nachdem aufgrund der vorliegenden Abtretungserklärung mit dem Nettoabfindungsbetrag ausschließlich die Sparkasse Herford als Gläubigerin bedient hat, stellt sich das Problem, ob dennoch den Einmalbetrag nach dem Nennwert der Abfindungssumme zu zahlen hat. Diese Frage ist zu verneinen, denn die Abfindung muß dem Arbeitnehmer auch tatsächlich zufließen (LAG Hamm v. 03.04.2002 - 4 Ta 636/01, BuW 2002, 748 = LAGReport 2002, 154 = ZVI 2002, 124), was vorliegend nicht der Fall ist. Die Kündigungsabfindung nach §§ 9, 10 KSchG wird von einer Abtretungserklärung hinsichtlich des pfändbaren Teils des "monatlichen Einkommens" ebenso erfaßt (OLG Celle v. 08.11.1996 - 4 U 40/95, OLGR Celle 1997, 132, 133) wie von einem formularmäßig erlassenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß über "Arbeitseinkommen" (BAG v. 13.11.1991 - 4 AZR 39/91, RzK I 11c Nr. 8). Arbeitsrechtliche Abfindungsansprüche unterliegen dem Pfändungsschutz des § 850i Abs. 1 ZPO. Danach ist die Pfändung grundsätzlich zulässig, jedoch ist dem Schuldner auf Antrag so viel zu belassen, als er während eines angemessenen Zeitraums für seinen notwendigen Unterhalt und den von Personen, denen er Unterhalt zu leisten hat, bedarf (LG Mainz v. 15.09.1999 - 8 T 316/99, JurBüro 2000, 157). Maßgebend für die Höhe dieses Betrages sind auch hier die Regelsätze der Sozialhilfe (LG Berlin v. 04.07.1994 - 81 T 274/94, Rpfleger 1995, 170). Soweit Abtretungen und Pfändungen den Ansprüchen der Landeskasse zeitlich vorgehen, kann der Einmalbetrag in Höhe von 10% des Nennwertes der Abfindung nicht realisiert werden. Dies hat im Beschwerdeverfahren durch Vorlage des Schreibens der Prozeßbevollmächtigten vom 07.04. 2003 belegt. Dies hätte das Arbeitsgericht bei seiner Nichtabhilfeentscheidung berücksichtigen müssen.

3. Nach alledem war die PKH-Abänderungsentscheidung aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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