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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Beschluss verkündet am 07.03.2003
Aktenzeichen: 4 Ta 609/02
Rechtsgebiete: BSHG, RPflG, ZPO


Vorschriften:

BSHG § 88 Abs. 2 Ziff. 8 Hs. 2
BSHG § 88 Abs. 3
RPflG § 20 Nr. 4 Buchst. c
ZPO § 115 Abs. 2
ZPO § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1
ZPO § 124 Nr. 3 Hs. 1
1. Aus Gründen des Vertrauensschutzes darf das Gericht die ihm bekannten und für seine Entscheidung maßgebenden Angaben der Partei zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht nachträglich abweichend bewerten. Dabei macht es keinen Unterschied, daß nachträglich nicht der Richter nach §§ 119, 114 ZPO, sondern aufgrund der Zuständigkeitsregelung in § 20 Nr. 4 Buchst. c RPflG an seiner Stelle der Rechtspfleger entscheidet.

2. Diese Grundsätze, die zur nachträglichen Ratenzahlungsanordnung entwickelt worden sind, lassen sich auch auf die Fallgestaltungen übertragen, bei denen das Gericht bei der PKH-Bewilligung der PKH-Partei versehentlich oder rechtsirrig nicht aufgegeben hat, zum Bestreiten der Verfahrenskosten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO einen Einmalbetrag aus dem Vermögen einzusetzen, soweit es das sog. Schonvermögen übersteigt (hier: 10% der Kündigungsabfindung).


LANDESARBEITSGERICHT HAMM BESCHLUSS

Geschäfts-Nr.: 4 Ta 609/02

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm ohne mündliche Verhandlung am 07. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Berscheid

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der PKH-Abänderungsbeschluß des Arbeitsgerichts Hamm vom 23.08.2002 - 2 Ca 662/02 - aufgehoben.

Gründe:

I. Die Klägerin hat mit Klageschrift vom 22.03.2002, bei dem Arbeitsgericht am gleichen Tage per Telefax eingegangen, eine Kündigungsschutzklage erhoben. Mit Schriftsatz vom 02.04.2002, bei dem Arbeitsgericht am 03.04.2002 eingegangen, hat sie unter Vorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 19.03.2002 um ratenfreie Prozeßkostenhilfe sowie um Beiordnung von Rechtsanwalt B3xxxxxxxx aus W1xx nachgesucht.

Im Gütetermin vom 30.04.2002 haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund arbeitgeberseitiger, betriebsbedingter Kündigung mit dem 15.04.2002 beendet worden ist und die Beklagte an die Klägerin wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Abfindung gemäß §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 3.000,00 € zahlt.

Das Arbeitsgericht Hamm hat nach Vergleichsabschluß sodann folgenden PKH-Beschluß erlassen:

Der Klägerin wird Prozeßkostenhilfe gewährt unter Beiordnung von Rechtsanwalt B3xxxxxxxx ab dem 03.04.2002. Die Klägerin ist derzeit nicht zur Ratenzahlung verpflichtet. Die Entscheidung ergeht unter dem Vorbehalt der Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.

Nach Anhörung der Klägerin hat Arbeitsgericht Hamm mit Beschluß vom 23.08.2002 - 2 Ca 662/02 - die PKH-Bewilligung vom 30.04.2002 unter Bezugnahme auf §120 Abs. 4 ZPO abgeändert und angeordnet, daß die Klägerin "nunmehr auf die Kosten des Verfahrens einen Betrag aus der Abfindung von 85,00 € zu zahlen" hat, und dafür den Zahlungsbeginn auf den 15.09.2002 festgesetzt.

Gegen den am 29.08.2002 zugestellten Beschluß hat der Kläger mit Schriftsatz vom 30.08.2002, bei dem Arbeitsgericht am 02.09.2002 eingegangen, sofortige Beschwerde mit der Begründung eingelegt, ein PKH-Abänderungsbeschluß dürfe nur ergehen, wenn sich nach der PKH-Bewilligung die dieser Entscheidung zugrunde liegenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verbessert oder verschlechtert hätte. An einer solchen Änderung fehle es hier, wenn eine solche in dem Vergleichsabschluß vom 30.04.2002 gesehen werde, denn liege zeitlich vor der PKH-Bewilligung.

II. Die nach § 11 RPflG i.V.m. §§ 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, 127 Abs. 2, 222 Abs. 2 ZPO zulässige, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet, denn es liegen weder die Voraussetzung für eine Abänderungsentscheidung nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO noch für eine Aufhebungsentscheidung nach § 124 Nr. 3 ZPO vor.

1. Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die Entscheidung über die zu leistenden Zahlungen ändern, wenn sich die für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Nach § 124 Nr. 3 Hs. 1 ZPO kann das Gericht die PKH-Bewilligung aufheben, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse "von vornherein" nicht vorgelegen haben. Hat die Partei richtige und vollständige Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gemacht und hat das Prozeßgericht uneingeschränkt Prozeßkostenhilfe bewilligt, ist eine Abänderung oder Aufhebung von Amts wegen aufgrund einer geänderten Beurteilung der Sach- und Rechtslage (OLG Stuttgart v. 05.04.1984 - 15 WF 140/84, FamRZ 1984, 722 = Justiz 1984, 397; OLG Hamburg v. 15.11.1995 - 12 WF 146/95, FamRZ 1996, 874 = Rpfleger 1996, 163; OLG Karlsruhe v. 31.05.2000 - 2 WF 40/00 + 2 WF 41/00, n.v.; a.A. OLG Köln v. 08.06.1982 - 21 WF 78/82, FamRZ 1982, 1226; OLG Zweibrücken v. 26.09.1984 - 2 WF 172/83, Rpfleger 1985, 165) oder einer rechtsirrig erfolgten Bewilligung nicht zulässig (OLG Hamm v. 28.05.1984 - 3 WF 125/84, JurBüro 1985, 1266 = NJW 1984, 2837 = Rpfleger 1984, 432; OLG Brandenburg v. 01.07.1999 - 9 WF 94/99, FamRZ 2000, 1229 = MDR 2000, 174 = OLGR Brandenburg 2000, 61; a.A. OLG Bremen v. 05.03.1985 - 5 WF 237/84 [b], FamRZ 1985, 728; OLG Zweibrücken v. 07.03.1988 - 2 WF 12/88, JurBüro 1988, 1062 [Mümmler]). Dabei macht es keinen Unterschied, daß nachträglich nicht der Richter nach §§ 119, 114 ZPO, sondern aufgrund der Zuständigkeitsregelung in § 20 Nr. 4 Buchst. c RPflG an seiner Stelle der Rechtspfleger entscheidet (OLG Düsseldorf v. 13.08.1984 - 5 WF 180/84, JurBüro 1986, 122; OLG Zweibrücken v. 25.08.1986 - 2 WF 38/86, JurBüro 1987, 140 = Rpfleger 1987, 36). Aus Gründen des Vertrauensschutzes darf das Gericht die ihm bekannten und für seine Entscheidung maßgebenden Angaben der Partei zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht nachträglich abweichend bewerten (OLG Bamberg v. 30.05.1984 - 2 WF 108/84, FamRZ 1984, 1244 = JurBüro 1985, 463; OLG Köln v. 08.01.2001 - 27 WF 216/00, FamRZ 2001, 1534 = OLGR K4xx 2002, 133; a.A. OLG Schleswig v. 11.01.1983 - 8 WF 210/82, SchlHA 1983, 60); eine freie Abänderbarkeit besteht nicht (OLG Hamm v. 12.03.1986 - 1 WF 75/86, FamRZ 1986, 583; a.A. OLG Hamburg v. 05.11.1985 - 5 W 69/85, MDR 1986, 243).

2. Diese Grundsätze, die zur nachträglichen Ratenzahlungsanordnung entwickelt worden sind, lassen sich auch auf die Fallgestaltungen übertragen, bei denen das Gericht bei der PKH-Bewilligung der PKH-Partei versehentlich oder rechtsirrig nicht aufgegeben hat, zum Bestreiten der Verfahrenskosten gemäß § 115 Abs. 2 ZPO das Vermögen einzusetzen, soweit es das sog. Schonvermögen übersteigt (§ 88 Abs. 2 BSHG). Berücksichtigungsfähige Vermögenswerte sind danach gegeben, wenn die Schongrenze des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG, die sich auf 2.301,00 € für den Antragsteller beläuft und sich für den Ehepartner um 614,00 € und für jede unterhaltsberechtigte Person um 256,00 € erhöht, überschritten wird. So hat der PKH-Empfänger im Kosteninteresse grundsätzlich mit einem Betrag in Höhe von 10% des Nennwertes einer Kündigungsabfindung für die entstandenen Kosten einzustehen, wenn das gesetzliche Schonvermögen durch die gezahlte Abfindung überschritten wird (LAG Hamm v. 03.04.2002 - 4 Ta 636/01, BuW 2002, 748 = LAGReport 2002, 154 = ZVI 2002, 124; LAG Hamm v. 29.05.2002 - 4 Ta 320/02, n.v.). Die entsprechende Anordnung trifft dann, wenn der Vergleichsabschluß nach der PKH-Bewilligung erfolgt, kraft funktioneller Zuständigkeit der Rechtspfleger (§ 20 Nr. 4 Buchst. c RPflG i.V.m. § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO). Geht der Vergleichabschluß der PKH-Bewilligung voraus und wird danach ausnahmsweise Prozeßkostenhilfe auf eine Zeitpunkt vor dem Vergleichabschluß bewilligt, so muß der Richter die vereinbarte Abfindung als (zumindest teilweise) einsetzbaren Vermögenswert berücksichtigen. Nach § 120 Abs. 4 Satz 1 Hs. 1 ZPO ist nämlich eine Änderung einer PKH-Bewilligungsentscheidung nicht bei gleichgebliebenen Sachverhalts, sondern nur dann, wenn sich die für die Prozeßkostenhilfe maßgebenden persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse "wesentlich geändert haben". Die gesetzliche Regelung setzt mithin voraus, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse "nachträglich", das heißt zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses des PKH-Bewilligungsbeschlusses und dem des PKH-Änderungs-beschlusses, geändert haben. Dies ist vorliegend nicht der Fall, denn der Vorsitzende hat ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 30.04.2002 zunächst den gerichtlichen Vergleich mit der vereinbarten Abfindungssumme in Höhe von 3.000,00 € protokolliert und der Klägerin erst nach dem Vergleichsabschluß die begehrte Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B3xxxxxxxx rückwirkend ab dem 03.04.2002, und zwar ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt. Daß dieser Vergleich unter Widerruf geschlossen worden ist, hätte einer Anordnung in dem PKH-Bewilligungsbeschluß, daß die Klägerin "aus ihrem Vermögen 85,00 € als Beitrag zu den Kosten der Prozeßführung zu zahlen hat", nicht entgegengestanden, denn auch kurz bevorstehende Vermögenszuwächse sind bei der Anordnung nach § 115 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen. Im Falle des Widerrufs des Vergleichs hätte der Rechtspfleger, der den Zahlungsbeginn festzulegen hat, dann zugunsten der Klägerin eine Abänderung vornehmen müssen.

Ende der Entscheidung

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