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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.07.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 512/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 17
KSchG § 18
Mit Urteil des EuGH vom 27.01.2005 - C - 188/03 - wurde der nationale Gesetzgeber aufgefordert, die §§ 17, 18 KSchG an die Ratsrichtlinie 98/59/EG vom 20.07.1998 entsprechend seiner Auslegung (Entlassung = Kündigung) anzupassen. Der private Arbeitgeber ist hieraus noch nicht verpflichtet, zumal eine Richtlinien konforme Auslegung über die allgemeinen Auslegungskriterien nicht erreicht werden kann.
Tenor:

führende Parallelsache

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 10.02.2005 - 4 Ca 2532/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen zum 01.08.1987 begründete Arbeitsverhältnis als Versandmitarbeiter aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung der Beklagten vom 26.07.2004 mit dem 31.01.2005 beendet worden ist oder darüber hinaus fortbesteht. Die Beklagte war Zulieferer für den Automobilsektor. Sie war in die Großserienfertigung eingebunden. Aufgrund sich abzeichnender Absatzprobleme und einer nicht mehr kostendeckenden Produktion entschloss sich der Gesellschafter/Geschäftsführer R2xx D1xx im ersten Halbjahr 2004, wegen mangelnder Auslastung der Maschinen und nicht kostendeckender Produktion den Betrieb stillzulegen. Inhalt dieser Entschließung war, keine neuen Kunden (Aufträge) anzunehmen, die Maschinen nach Tschechien und Großbritannien auszulagern und die Hallen zu verwerten. Diesen Beschluss formulierte er am 22.07.2004 schriftlich und legte den Endzeitpunkt der Stilllegung auf den 31.03.2005 fest. Zugleich wies er die Geschäftsführung an, diesen Beschluss so schnell als möglich umzusetzen und die Arbeitsverhältnisse unter Beachtung der Kündigungsfristen zeitnah aufzukündigen. Dieser Beschluss wurde von der Geschäftsführung dergestalt umgesetzt, dass am 26.07.2004 nahezu 100 Kündigungen geschrieben und unterschrieben waren. Zeitgleich wurde beim Integrationsamt die Zustimmung zur Entlassung von drei schwerbehinderten Arbeitnehmern beantragt. Entgegen dem betrieblichen Ansinnen konnten die Kündigungen wegen des am Betriebssitz stattfindenden Schützenfestes nicht schon am 26.07.2004 als Einschreiben aufgegeben werden. Die zuständige Sachbearbeiterin bei der Post gab der kaufmännischen Mitarbeiterin der Beklagten die Briefe mit der Auflage mit, eine Liste über alle aufzugebenden Einschreiben zu erstellen. Dieser Verpflichtung kam die Beklagte nach. Die Kündigungen gelangten deshalb erst am 27.07.2004 endgültig zur Post. Zuvor hatte der Prokurist und Personalleiter der Beklagten, U2xxxx H2xxxxx, am 27.07.2004 gegen 10.00 Uhr die Massenentlassungsanzeige im Büro W1xxxxx der Agentur für Arbeit Iserlohn eingereicht. Mit der beim Arbeitsgericht Iserlohn am 05.08.2004 erhobenen Feststellungsklage wehrt sich der Kläger gegen die ihm am 28.07.2004 zugegangene Kündigung. Seiner Meinung nach sei die Kündigung nicht nur wegen nicht ordnungsgemäßer Massenentlassungsanzeige rechtsunwirksam sondern auch mangels dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertigt. Zur Begründung bestritt er die rechtzeitige Einreichung der Massenentlassungsanzeige sowie die behauptete unternehmerische Entscheidung. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Beklagte habe die Produktion nicht stillgelegt sondern auf die D1xx K2xxxxxxxxxxxxx GmbH, A1xxxx, und auf die am 08.08.2004 gegründete A2x W2xxxxxxxxxxxxx GmbH, N1xxxxxxx, übertragen. Die Tatsache, dass diese Gesellschaft ihre Tätigkeit in den Hallen der Beklagten aufgenommen habe bewertete er als Teilbetriebsübergang, der den betriebsbedingten Kündigungsgrund entfallen ließe. Mit Urteil vom 10.02.2005 hat das Arbeitsgericht seine Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt (§ 1 Abs. 2 KSchG). Mit Auslaufen der Kündigungsfrist bestehe für den Kläger kein weiterer Beschäftigungsbedarf. Die Beklagte habe ihren Stilllegungsbeschluss umgesetzt. Sie habe die Arbeitsverhältnisse aufgekündigt, die vorliegenden Aufträge im Wesentlichen durch Vorproduktion abgearbeitet, keine neuen Aufträge angenommen und die Maschinen entweder endgültig stillgelegt und verschrottet oder an andere Standorte verlagert. Dadurch, dass die Beklagte der neu gegründeten A2x W2xxxxxxxxxxxxx GmbH neun CNC Pressen und Biegemaschinen sowie fünf Schweißanlagen zur Nutzung überlassen habe, habe sie keinen Betriebsteil im Sinne des § 613 a BGB übertragen. Hierdurch sei der Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf diese Gesellschaft nicht vermittelt worden. Hierfür fehle ein bei der Beklagten schon vorhandener organisatorisch verselbständigter Betriebsteil (BAG, Urteil vom 17.04.2003 - 8 AZR 253/02 - AP Nr. 253 zu § 613 a BGB). Gegen dieses, ihm am 18.02.2005 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen Einzelheiten in Bezug genommene Urteil wehrt sich der Kläger mit der am 17.03.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung, die nach vorausgehender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 18.05.2005 am 17.05.2005 begründet worden ist. Der Kläger greift das angefochtene Urteil insoweit an, als eine Rechtsunwirksamkeit der Kündigung wegen nicht Einhaltung der Grundsätze der Massenentlassung nicht überprüft worden sei. Er wiederholt deshalb sein erstinstanzlich vorgetragenes Bestreiten bzgl. einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige. Ergänzend beruft er sich auf das Urteil des EuGH vom 27.01.2005 (C - 188/03) zur Massenentlassung und vertritt hierzu die Auffassung, die Kündigung sei schon deshalb rechtswidrig, zumal diese nicht nach erfolgter Anzeige bei der Agentur für Arbeit erklärt worden sei. Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils 1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.07.2004 mit Wirkung zum 31.01.2005 beendet worden ist, 2. hilfsweise, für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziff. 1, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Mitarbeiter im Versand weiterzubeschäftigen. Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Sie bezweifelt die vom Kläger beschriebene Rechtsfolge des Urteils des EuGH. Ihrer Meinung nach sei die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nicht zwingend. Zum einen sei sie ihrer Anzeigepflicht gerecht geworden. Zum anderen sei zu berücksichtigen, dass der EuGH europäisches Recht ausgelegt habe. Mit der Bewertung der Entlassung i. S. des Art. 1 Abs. 4 der Ratsrichtlinie 98/59 vom 20.07.1998 sei auch die Kündigung angesprochen, verpflichte der Gerichtshof ausschließlich den nationalen Gesetzgeber, seine gesetzlichen Bestimmungen anzupassen. Der privatrechtlich organisierte Arbeitgeber sei durch diese Bewertung nicht unmittelbar betroffen. Obwohl nationales Recht richtlinienkonform auszulegen sei, seien die Grenzen einer Auslegung contra legem zu beachten. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass die Agentur für Arbeit am 10.08.2004 ihre Anzeige als rechtswirksam erstattet bewertet und das Ende der Sperrfrist auf den 27.08.2004 festgelegt habe. Äußerst hilfsweise berufe sie sich auf einen durch das BAG mit der Entscheidung vom 18.09.2003 begründeten Vertrauensschutz. Wegen der sonstigen Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 28.10.2004 eine weitere Massenentlassung angezeigt. Die Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Iserlohn hat mit Bescheid vom 20.11.2004 das Ende der Sperrfrist mit dem 28.11.2004 festgelegt. Entscheidungsgründe: Die nach der Beschwer statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 2 und 5, 64 Abs. 6 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) hat keinen Erfolg. I. Die gem. § 256 ZPO allgemein zulässige und in der Frist des § 4 KSchG erhobene Feststellungsklage ist nicht begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 26.07.2004 ist nicht nur wegen dringender betrieblicher Erfordernisse sozial gerechtfertigt i. S. des § 1 Abs. 1 und 2 KSchG. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen i. S. des § 13 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam. Da der Kläger die Rechtsprüfung im Berufungsrechtszug auf die §§ 17 ff. KSchG beschränkt hat, ist eine umfassende Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil nicht geboten. Die Kündigung ist aber auch nicht wegen verspätet eingereichter Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit rechtsunwirksam (§§ 17, 18 KSchG i. V. m. § 134 BGB). 1. Zwar hat die Beklagte zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer die Kündigungserklärungen vor erstatteter Massenentlassungsanzeige abgegeben. Mit der Unterzeichnung durch ihren Prokuristen U2xxxx H2xxxx am 26.07.2004 und dem nachfolgenden einkuvertieren aller Kündigungen hat die Beklagte ihren rechtsgeschäftlichen Willen erkennbar so geäußert, dass an der Endgültigkeit der Kündigung kein Zweifel möglich war. Die Kündigungen waren auch mit ihrem Willen in den Verkehr gebracht worden. Die kaufmännische Mitarbeiterin der Beklagten war mit allen Kündigungen am 26.07.2004 auf der Post erschienen. Dass die Kündigungen entgegen den Vorstellungen der Beklagten nicht schon an diesem Tage in den weiteren Postlauf gelangten, entsprach nicht ihrem Willen. Dies wurde ausschließlich von der Sachbearbeiterin der Post beeinflusst. Diese sah sich wegen des Schützenfestes nicht in der Lage, diese große Anzahl an Einschreiben entgegen zu nehmen. Dass die Kündigungen dementsprechend erst nach erfolgter Massenentlassungsanzeige endgültig in den Postlauf gelangt sind hat nicht zur Rechtsfolge, dass die Beklagte die Kündigungserklärungen erst am 27.07.2004 und nicht schon am 26.07.2004 abgegeben hat (BGH, Urteil vom 18.12.2002 - VI ZR 39/05 - NJW RR 2003, 384: Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen muss die Erklärung mit Willen des Erklärenden in den Verkehr gebracht sein; Palandt/Heinrichs, § 130 Rdnr. 2 BGB). 2. Dieser zeitliche Ablauf bewirkt jedoch nicht die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung. a) Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KSchG war die Beklagte verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, da sie mehr als 10 % der in ihrem Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlassen wollte. Die Anzeige musste vor der Entlassung der für ihren Betrieb zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte gerecht geworden. Ausgehend von der ständigen Rechtsprechung des BAG (BAG, Urt. v. 18.09.2003 - 2 AZR 79/02 - NZA 2004, 375 ff.) ist unter Entlassung i. S. der §§ 17, 18 KSchG nicht schon der Ausspruch der Kündigung, sondern die damit beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint. Danach kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte unter dem Datum des 26.07.2004 eine entsprechende Anzahl an Kündigungen ausgesprochen hat. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt, zudem die betroffenen Arbeitsverhältnisse tatsächlich beendet werden sollten. b) An dieser Beurteilung ändert sich zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer durch das Urteil des EuGH vom 27.01.2005 (C 188/03: Irmtraud Jung ./. Wolfgang Kühnel, NZA 2005, 213) nichts. In diesem Urteil hat der EuGH auf Vorlage des Arbeitsgerichts Berlin vom 30.04.2003 entschieden, dass als Entlassung i. S. der Richtlinie 98/59/EG die Kündigungserklärung zu verstehen ist. Dieses Urteil betrifft unmittelbar nur die Richtlinie 98/59/EG, die im Verhältnis zwischen Privaten keine unmittelbare Wirkung entfaltet. Für die Frage, welche Auswirkungen dieses Urteil auf die streitgegenständliche Kündigung hat, ist entscheidend, ob die Regelungen der §§ 17 ff. KSchG richtlinienkonform ausgelegt werden können und - bei Bejahung - ob die Einbeziehung von "Altfällen" mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar ist. Beides ist zu verneinen. c) Die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG lassen die vom Kläger erhoffte Auslegung nicht zu. Ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privaten anhängig ist, muss bei der Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es soweit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist (EuGH, Urteil vom 05.10.2004 - Rs C 379/01 - Pfeiffer, AP Nr. 12 zu EWG-Richtlinie Nr. 93/104; EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts vom 30.06.2005 - C-144/04 - Mangold ./. Rüdiger Helm, EzA Schnelldienst, Heft 14/05 vom 08.07.2005). Lassen Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang oder Sinn und Zweck des Gesetzes mehrere Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem Gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis führt, so ist die Auslegung geboten, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung darf aber nicht im Widerspruch zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers stehen (BAG, Beschluss vom 18.02.2003 - 1 ABR 2/02 -; BAG, Urteil vom 18.09.2003 - 2 AZR 79/02 -; a. A., K. Riesenhuber/R. Domröse, richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17, 18 KSchG und Rechtsfolgen fehlerhafter Massenentlassungen, NZA 2005, 568 ff.: für deutsche Gerichte bedeutet dies, dass sie nationales Recht grundsätzlich auch contra legem fortbilden müssen). Von diesen Grundsätzen ausgehend ist zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer eine richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17 ff. KSchG nicht möglich. Zwar kann bei isolierter Betrachtung das Wort "Entlassung" sowohl im Sinne von "Ausspruch der Kündigung" wie auch im Sinne von "Zeitpunkt der tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses" verstanden werden. Hätte der Gesetzgeber ein Verständnis im erstgenannten Sinne gewollt, so hätte es nahe gelegen, in §§ 17 ff. KSchG wie in den vorangehenden §§ 1 - 16 KSchG den Begriff der Kündigung zu verwenden. Durch den abweichenden Begriff "Entlassung" wird jedoch bewusst ein anderes Wort verwandt. Hieraus lässt sich ableiten, dass nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich etwas anderes als mit dem Wort "Kündigung" in den §§ 1 - 16 KSchG gemeint sein soll. Dies legt eine Auslegung i. S. des bisherigen Verständnisses nahe, dass mit Entlassung die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint ist (so auch: Bauer/Krieger/Powietzka, Der Betrieb 2005, 445 ff.; a. A., Riesenhuber/Domröse, a. a. O.; ArbG Bochum, Urteil vom 17.03.2005 - 3 Ca 307/04). Die bewusste Verwendung eines anderen Begriffes deutet weiter darauf hin, dass der Gesetzgeber mit den Vorschriften in den §§ 17 ff. KSchG ein bestimmtes Regelungskonzept verfolgte, in das mit einer Auslegung dieser Vorschriften i. S. des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 erheblich eingegriffen würde. Dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Entlassung" in §§ 17 ff. KSchG als tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstanden haben wollte, spricht schließlich, dass diese Regelungen - trotz der häufigen Änderungen im Kündigungsschutzgesetz, Kenntnis der Rechtsprechung des BAG und Kenntnis der Richtlinien - in diesem Punkt nie geändert worden sind. d) Die sofortige Umsetzung des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 auch auf "Altfälle" ist mit den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Prinzips des Vertrauensschutzes nicht vereinbar. Zwar hat der EuGH von der Möglichkeit, die Rückwirkung seiner Entscheidung selbst auszuschließen, im Urteil vom 27.01.2005 keinen Gebrauch gemacht. Zu Berücksichtigen ist aber erneut, dass diese Entscheidung sich unmittelbar nur auf die Richtlinie 1998/59/EG bezieht. Wollte man aus dem Urteil vom 27.01.2005 das Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 17 ff. KSchG auch für die Vergangenheit ableiten, so wäre dies mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes nicht vereinbar (Bauer/Krieger/ Powietzka, Der Betrieb 2005, §§ 445 ff.; LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 - 11 Sa 767/04 -; LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 - 17 Sa 2646/04 -; a. A., ArbG Bochum, a. a. O.; ArbG Berlin, Urteil vom 01.03.2005 - 36 Ca 19726/02 -; Riesenhuber/ Domröse, a. a. O.). Es handelte sich um eine unechte Rückwirkung, da die Parteien über die Frage der Wirksamkeit der Kündigung gerade streiten. Eine solche unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Schranken ergeben sich jedoch aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit. Durfte die betroffene Partei mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und ist dieses Vertrauen bei einer Abwägung der Interessen des Einzelnen mit denjenigen der Allgemeinheit schutzwürdig, ist die unechte Rückwirkung unzulässig. Dieser Schutz ist nicht etwa deshalb eingeschränkt, weil jeder Arbeitgeber mit einer möglichen Änderung in der Rechtsprechung rechnen muss. Schließlich ist eine veränderte Rechtsanwendung aufgrund neuer Rechtserkenntnisse nicht ohne Weiteres mit einer Änderung der objektiven Rechtslage durch ein neues Gesetz und der hierbei zu beachtenden Beschränkung echter Rückwirkung gleichzusetzen. Allerdings gewinnt der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebene Vertrauensschutz um so größere Bedeutung, je mehr die Rechtsprechung sich der Rechtsetzung nähert. Trotz des Vorlagebeschlusses des ArbG Berlin vom 30.04.2003 durfte die Beklagte mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage in einem derartigen Maß rechnen, dass ihr diesbezügliches Vertrauen bei einer Abwägung mit den Belangen der anderen Partei und dem Anliegen der Allgemeinheit den Vorzug verdient. Sowohl die langjährige gefestigte Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG, Urteil vom 18.09.2003 - 2 AZR 79/02 -, NZA 2004, 375 ff.) als auch der Hinweis in den Merkblättern sowie in den Formularen zur Erstattung von Massenentlassungsanzeigen der Bundesagentur für Arbeit gingen ausdrücklich davon aus, dass es für die Erstattung der Massenentlassungsanzeige nicht auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung, sondern auf den der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ablauf der Kündigungsfrist ankomme. Dieses Vertrauen des in Unkenntnis der durch die Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 geänderten Rechtsprechung kündigenden Arbeitgebers ist schützenswert (so ausdrücklich: LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 - 11 Sa 767/04 - und LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 - 17 Sa 2646/04 -). e) Ein weiterer Vertrauenstatbestand ist für die Beklagte dadurch eingetreten, dass die Bundesagentur für Arbeit sowohl mit Bescheid vom 10.08.2004 als auch mit Bescheid vom 20.11.2004 die am 27.07.2004 und am 28.10.2004 erstatteten Anzeigen unter Berücksichtigung der damals hinlänglich bekannten Auslegungskriterien für rechtswirksam erachtet hat. Entgegen der vom Arbeitsgericht Bochum vertretenen Rechtsauffassung erfahren die Verwaltungsakte der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen der §§ 17, 18 KSchG Tatbestandswirkung für das arbeitsgerichtliche Kündigungsschutzverfahren. Die Massenentlassungsanzeige hat ausschließlich arbeitsmarktpolitische Qualität. Der Bundesagentur für Arbeit soll die Möglichkeit eingeräumt werden, einer durch diese unternehmerische Entscheidung auf die Agentur hinzukommende ungewöhnlich hohe Vermittlungspflicht gerecht zu werden. Sie soll rechtzeitig alle erforderlichen Maßnahmen treffen können, um eine Wietervermittlung zu ermöglichen. Bestätigt dann die Bundesagentur für Arbeit der Beklagten ihre ordnungsgemäße Beteiligung, so ist es der Arbeitsgerichtsbarkeit verwehrt, nachträglich deren Rechtswidrigkeit zu überprüfen, um hieraus mögliche individualrechtliche negative Rechtsfolgen für das Kündigungsschutzverfahren abzuleiten. Im Übrigen teilt die erkennende Berufungskammer die vom BAG konsequent vertretende Rechtsauffassung (beispielhaft: BAG, Urteil vom 18.09.2003 - 2 AZR 403/02 -), dass Fehler in der Anzeigepflicht nicht zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Das Kündigungsschutzgesetz sanktioniert Fehler des Arbeitgebers nicht mit der individualrechtlichen Wirksamkeit der Kündigung. Die §§ 17, 18 KSchG sind auch nicht Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB. 3. Die Beklagte ist den Anforderungen ihrer Anzeigepflicht gem. den §§ 17, 18 KSchG gerecht geworden. Mit ihren Anzeigen vom 27.07.2004 und 28.10.2004 hat sie die für den Zeitraum 30.09.2004 bis 31.01.2005 festzustellenden Massenentlassungen ordnungsgemäß vorbereitet. Ob eine solche auch für den 28.02.2005 festzustellen ist, wurde vom Kläger nicht vorgetragen. Die erkennende Berufungskammer hat keine Erkenntnis darüber, dass auch noch zu diesem Zeitpunkt 10 % der Belegschaft aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind. II. Unabhängig von der Bewertung, dass der Berufungsantrag zu 2) nicht als Hilfsbegehren im rechtlichen Sinne zu verstehen ist, ist auch dieser Anspruch auf Beschäftigung im Versand unbegründet. Mit rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfällt der Beschäftigungsanspruch gem. § 611 BGB i. V. m. den Art. 1 und 2 GG. III. Wie zuvor erörtert, war die Kündigung der Beklagten vom 26.07.2004 weder sozial ungerechtfertigt noch aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam. Aus diesem Grunde war der an sich statthaften Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn der gewünschte Erfolg zu versagen. Sie war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Angesichts der ungeklärten Rechtslage zur Massenentlassung hat die erkennende Berufungskammer die Revision ausdrücklich zugelassen.

Ende der Entscheidung

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