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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.07.2006
Aktenzeichen: 8 Sa 2270/04 (1)
Rechtsgebiete: TV Beschäftigungsbrücke in der Metall- und Elektroindustrie NRW, MTV Metallindustrie NRW


Vorschriften:

TV Beschäftigungsbrücke in der Metall- und Elektroindustrie NRW § 8
MTV Metallindustrie NRW § 19
1. Die in § 8 TV Beschäftigungsbrücke Metallindustrie NRW geregelte Verpflichtung des Arbeitgebers, den Auszubildenden nach bestandener Abschlussprüfung für mindestens zwölf Monate in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen, steht der Zulässigkeit einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung entgegen, welche während der vereinbarten Befristungsdauer eine vorzeitige Kündigung des Arbeitsverhältnisses erlaubt.

2. § 19 Ziff. 5 MTV Metallindustrie enthält mit dem Hinweis auf die gesetzliche Verjährungsfrist keine zweijährige Ausschlussklausel, so dass Verzugslohnansprüche bereits mit der Kündigungsschutzklage geltend gemacht sind


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 08.10.2004 3 Ca 1367/03 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger, welcher im Anschluss an das vorangehende Ausbildungsverhältnis von der Beklagten mit schriftlichem, bis zum 21.01.2004 befristeten Arbeitsvertrag in ein Arbeitsverhältnis als Schlosser übernommen worden ist, gegen die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 30.04.2003 zum 31.05.2003 (Bl. 4 d.A.).

Hierzu vertritt der Kläger den Standpunkt, das in Ziff. 8 des Arbeitsvertrages (Bl.14 d.A.) vorbehaltene Recht des Arbeitgebers, den befristeten Arbeitsvertrag vorzeitig zu kündigen, verstoße gegen die Regelung des § 8 des Tarifvertrages zur Beschäftigungsbrücke in der Metall- und Elektroindustrie NRW vom 28.03.2000, welcher unstreitig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Indem die tarifliche Regelung den Arbeitgeber verpflichte, Auszubildende nach erfolgreich bestandener Abschlussprüfung im Grundsatz für mindestens zwölf Monate in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen, soweit dem nicht betriebsbedingte Gründe entgegenstünden oder der Betriebsrat einer Abweichung von dieser Verpflichtung zustimme, sei die Vereinbarung eines Kündigungsrechts für die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses unzulässig. Mit Rücksicht auf die Unwirksamkeit der Kündigung macht der Kläger weiter Verzugszinsenansprüche für die Zeit vom 01.06.2003 bis 21.01.2004 geltend.

Der Kläger hat im ersten Rechtszuge beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 30.04.2003, dem Kläger am 02.05.2003 zugegangen, mit dem 31.05.2003 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 18.684,85 Euro brutto abzüglich 2.888,34 Euro netto von dem Kläger bezogenen Arbeitslosengeldes zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung beschränkt sich der Regelungsgehalt des § 8 TV Beschäftigungsbrücke allein auf die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Übernahme von Auszubildenden nach erfolgreich bestandener Abschlussprüfung, ohne jedoch das Recht zur Kündigung des so begründeten Arbeitsverhältnisses auszuschließen. Hilfsweise hat sich die Beklagte gegenüber den verfolgten Zahlungsansprüchen auf den Gesichtspunkt des tariflichen Verfalls berufen.

Durch Urteil vom 08.10.2004 (Bl. 137 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach Einholung von Auskünften der Tarifparteien (Bl. 70, 71 d.A.) nach den Klageanträgen erkannt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, das im Arbeitsvertrag vorbehaltene Recht zur Kündigung des befristeten Arbeitsverhältnisses stehe mit Sinn und Zweck der tariflichen Regelung nicht in Einklang. Dieser bestehe darin, dem Auszubildenden durch Begründung eines mindestens zwölf Monate dauernden Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit einzuräumen, die Anwartschaft für den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erlangen. Sofern sich tatsächlich - wie die Beklagte behaupte - bereits in den Monaten Januar und Februar 2003 ein erheblicher Auftragsrückgang abgezeichnet habe, habe der Beklagten die Möglichkeit zur Verfügung gestanden, beim Betriebsrat die Zustimmung zur Abweichung von der tariflichen Verpflichtung zu beantragen. Demgegenüber scheide nach der tariflichen Regelung eine nachträgliche Berücksichtigung betriebsbedingter Gründe aus. Wegen des bis zum 21.01.2004 fortbestehenden Arbeitsverhältnisses sei die Beklagte zur Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges verpflichtet, ohne dass sich die Beklagte erfolgreich auf den Gesichtspunkt tariflichen Verfalls berufen könne. Durch die am 19.05.2003 bei Gericht eingegangene und der Beklagten am 26.05.2003 zugestellte Kündigungsschutzklage seien nämlich die vom Ausgang des Verfahren abhängigen Zahlungsansprüche rechtzeitig im Sinne der tariflichen Regelung geltend gemacht worden.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung begehrt die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Entgegen dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils umfasse die tarifliche Regelung allein ein entsprechendes Einstellungsgebot, schließe hingegen die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit nicht aus. Die vom Arbeitsgericht vertretene Auslegung führe insofern zu untragbaren Ergebnissen, als im Falle betriebsbedingt notwendiger Kündigungen die Grundsätze der Sozialauswahl nachhaltig gestört würden. Gehe man nämlich von der Unkündbarkeit der befristet übernommenen Auszubildenden aus, so falle gegebenenfalls die Sozialauswahl auf langjährig beschäftigte Mitarbeiter mit familiären Unterhaltspflichten.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht im Übrigen auch die Voraussetzungen des tariflichen Verfalls verneint. Auch wenn die in § 19 MTV der Eisen- und Metallindustrie NRW enthaltene Verfallklausel zunächst allein die "Geltendmachung" innerhalb von zwei bzw. drei Monaten nach Fälligkeit fordere und nach dem Tarifvertrag - anders als im Fall einer zweistufigen Klausel - eine gerichtliche Geltendmachung an sich entbehrlich sei, ergebe sich ein entsprechendes Erfordernis letztlich doch aus der Regelung des § 19 Ziff. 5 MTV. Die genannte Regelung lautet wie folgt:

"Bleibt die Geltendmachung erfolglos, so tritt der Ausschluss nicht ein. Vielmehr gilt dann die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB. Sie beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist."

Im Ergebnis fordere danach auch die Regelung des § 19 Ziff. 5 MTV eine Klageerhebung, um die gesetzliche Verjährungsfrist zu unterbrechen. Dann könne aber durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage die Verfallfrist hinsichtlich der vom Ausgang des Verfahrens abhängigen Zahlungsansprüche nicht gewahrt werden.

Die Beklagte beantragt,

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

Das zwischen den Parteien begründete und bis zum 21.01.2004 befristete Arbeitsverhältnis ist durch die ausgesprochene Kündigung nicht wirksam beendet worden.

Die Kammer folgt in vollem Umfang den zutreffenden Ausführungen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung. Die mit der Berufung vorgetragenen Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Insbesondere tritt die Kammer dem Standpunkt des Arbeitsgerichts bei, nach welchem der Sinn der tariflichen Regelung darin liegt, dem Auszubildenden nach erfolgreich abgelegter Abschlussprüfung eine Mindestbeschäftigungsdauer von zwölf Monaten zu gewährleisten, um zum einen eine bessere soziale Absicherung für den Fall späterer Arbeitslosigkeit zu erreichen und zum anderen, um durch den Erwerb von Berufspraxis die Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Diese Ziele lassen sich nicht schon durch den Abschluss eines auf zwölf Monate befristeten Arbeitsvertrages, sondern allein durch eine entsprechende tatsächliche Vertragslaufzeit erreichen. Im Wortlaut des Tarifvertrages findet dies durch die Formulierung "mindestens" einen hinreichenden Anhaltspunkt. Hätten die Tarifparteien hiermit allein zum Ausdruck bringen wollen, der im Arbeitsvertrag genannte Endtermin müsse allein rechnerisch eine vorgesehene Mindestlaufzeit von 12 Monaten vorsehen, eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch zugelassene arbeitgeberseitige Kündigung bleibe aber selbstverständlich möglich, so wäre der tariflich vorgesehene Zeitraum von zwölf Monaten ohne jede Bedeutung. Gleich ob das Arbeitsverhältnis auf sechs Monate, zwölf Monate oder einen noch längeren Zeitraum befristet ist, wäre jederzeit die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung möglich.

Soweit die Beklagte demgegenüber auf die Problematik der Sozialauswahl verweist, trifft es zwar zu, dass durch den Abschluss befristeter Arbeitsverträge ohne vorzeitige Kündigungsmöglichkeit Einfluss auf die Auswahlentscheidung des Arbeitgebers gemäß § 1 Abs. 3 KSchG genommen wird, sofern betriebsbedingt Entlassungen nötig werden. Hierin liegt indessen keine Besonderheit der in § 8 TV Beschäftigungsbrücke getroffenen Regelung, vielmehr gilt dies grundsätzlich für sämtliche befristeten Arbeitsverträge, welche - sofern nicht das Recht zur Kündigung vorbehalten wird - für die Dauer der Befristung eine "Unkündbarkeit" begründen mit der Folge, dass diese Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen sind (KR-Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG Rz 664).

II

Zutreffend hat das Arbeitsgericht weiter dem Kläger Verzugslohnansprüche für die Zeit vom 01.06.2003 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem 21.01.2004 zuerkannt. Auch insoweit wird auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

1. Insbesondere kann dem Standpunkt der Beklagten nicht gefolgt werden, die manteltarifliche Regelung stehe einer zweistufigen Ausschlussklausel gleich und fordere im Falle erfolgloser Geltendmachung eine Klageerhebung, weswegen die Kündigungsschutzklage zur Fristwahrung nicht genüge. Die Vorschrift des § 19 Ziff. 5 MTV, nach welcher im Falle erfolgloser Geltendmachung der in § 19 Nr. 4 MTV vorgesehene Verfall nicht eintritt, vielmehr für diesen Fall die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 BGB gelten soll, stellt allein einen Hinweis auf die ohnehin geltende Rechtslage dar, ohne eigenständige Anforderungen an die tarifliche Geltendmachung im Sinne einer erforderlichen Klageerhebung zu stellen. Die "Geltung" der gesetzlichen Verjährungsfrist versteht sich - gleich ob tarifliche Ausschlussklauseln einschlägig sind oder nicht - von selbst. Ob es zur Unterbrechung der Verjährung der Klageerhebung bedarf, hängt von den weiteren Umständen ab. Mit dem Erfordernis der Klageerhebung im Sinne einer zweiten Stufe einer tariflichen Verfallfrist hat dies nichts zu tun. Im Übrigen wäre auch selbst im gegenwärtigen Zeitpunkt die zweijährige Verjährungsfrist nicht abgelaufen.

2. Soweit sich die Beklagte demgegenüber für ihren Standpunkt, die Forderung sei gemäß § 19 MTV Metallindustrie verfallen, auf die Kommentierung bei Ziepke (§ 19 Anm. 7 Ziff. 2) bezieht, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Wenn es dort heißt, der Manteltarifvertrag enthalte zwar eine ausdrückliche sog. zweite Stufe nicht, bestimme aber in § 19 Nr. 5 MTV im Ergebnis das Gleiche, indem er die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB für anwendbar erkläre, welche regelmäßig nur durch eine Klage unterbrochen werden könne; dementsprechend sei die Erhebung der Kündigungsschutzklage hinsichtlich der Zahlungsansprüche zur Fristwahrung allein nicht ausreichend, so überzeugt dies nicht. Weder ordnet § 19 Ziff. 5 eine eigenständige Klagefrist im Sinne einer zweistufigen Verfallklausel an - vielmehr wird allein auf die gesetzlichen Verjährungsregeln verwiesen -, noch könnte mit Hilfe der zweijährigen Verjährungsfrist eine zeitnahe Klärung der Rechtslage erreicht werden. Wenn der Tarifvertrag für die Geltendmachung von Ansprüchen eine Frist von zwei bzw. drei Monaten vorsieht und insofern eine rechtzeitige Geltendmachung (auch durch Kündigungsschutzklage) erfolgt ist, so muss der Arbeitnehmer zwar aus Gründen des Verjährungsrechts ohnehin Klage erheben, mit einer zweistufigen tariflichen Ausschlussfrist hat dies jedoch nichts zu tun.

III

Die Kosten der erfolglosen Berufung fallen der Beklagten zu Last.

IV

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil zugelassen.

Ende der Entscheidung

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