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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.03.2004
Aktenzeichen: 8 Sa 891/02
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 72 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 27.02.2002 - 1 Ca 2456/01 - teilweise abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kläger den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31.12.2001 hinaus geltend macht.

Von den Kosten der ersten Instanz tragen beide Parteien je die Hälfte. Die Kosten des zweiten Rechtszuges - mit Ausnahme der Kosten der Beweisaufnahme - trägt die Beklagte allein. Die durch die Beweisaufnahme veranlassten Kosten werden dem Kläger auferlegt.

Tatbestand:

Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1942 geborene und einem Schwerbehinderten gleichgestellte Kläger, welcher aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 24 d.A.) seit dem Jahre 1998 bei der beklagten Einrichtung als Verwaltungskraft mit Außendiensttätigkeit beschäftigt war, gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung vom 04.10.2001 und nachfolgende fristgerechte Kündigung vom 19.11.2001 mit Wirkung zum 31.12.2001.

Diese Kündigungen stützt die Beklagte im Wesentlichen auf den Vorwurf, der Kläger habe im Besuchsbericht vom 16.08.1991 (Bl. 16 d.A.) unrichtige Angaben über die angeblich an diesem Tage durchgeführten Kundenbesuche gemacht und so einen Lohnbetrug begangen. Soweit der Kläger angebe, er habe den Besuchsbericht aus Krankheitsgründen erst nachträglich - aus dem Gedächtnis heraus - ausgefüllt und hierbei irrtümlich falsche Uhrzeiten angeben, tatsächlich seien die aufgeführten Kunden jedoch von ihm am Nachmittag aufgesucht worden, handele es sich um eine reine Schutzbehauptung. Demgegenüber hat der Kläger vorgetragen, er habe die im Besuchsbericht vom 16.08.2001 genannten Kunden am Nachmittag des 16.08.2001 besucht, nachdem er zunächst seine Mutter zu einem Arztbesuch in der Mittagszeit von 13.00 bis 14.00 Uhr begleitet habe. Die abweichenden zeitlichen Angaben im Besuchsbericht beruhten allein auf einem Irrtum.

Durch Urteil vom 27.02.2002 (Bl. 65 d.A.) auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 04.10.2001 mit sofortiger Wirkung noch durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 19.11.2001 mit Ablauf des 31.12.2001 beendet worden sei. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die fristlose Kündigung vom 04.10.2001 scheitere bereits daran, dass im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs die Zustimmung des Integrationsamts noch nicht vorgelegen habe. Die behauptete telefonische Ankündigung von Seiten des Integrationsamtes, man werde der Kündigung zustimmen, stehe der behördlichen Zustimmungsentscheidung nicht gleich. Ebenso wenig greife die ausgesprochene ordentliche Kündigung durch, da dem Kläger nicht widerlegt werden könne, dass er den Besuchsbericht vom 16.08.2001 aus dem Gedächtnis heraus erstellt und dabei allein unrichtige Zeitangaben gemacht, tatsächlich aber die aufgeführten drei Kunden besucht habe. Allein auf den Vorstoß verspäteter Vorlage von Besuchsberichten könne die Beklagte die Kündigung nicht stützen. Soweit sich die Beklagte zusätzlich zur Rechtfertigung der Kündigung auf personenbedingte oder betriebsbedingte Gründe stütze, sei ihr Vorbringen nicht ausreichend substantiiert.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Würdigung des arbeitsgerichtlichen Urteils und führt im Wesentlichen aus, eine Rückfrage bei den angeblich vom Kläger besuchten Kunden O1xxxxxx und H4xxxxxxxx, H9xxxxxx H5xxxxxx sowie B3xxxxx und L1xxxxx habe ergeben, dass der Kläger dort nirgends bekannt sei. In Wahrheit habe der Kläger also die angeblichen Kundenbesuche gar nicht durchgeführt und durch Vorlage des Besuchsberichts vom 16.08.2002 einen entsprechenden Arbeitseinsatz nur vorgetäuscht. Gegen die inhaltliche Richtigkeit des Besuchsberichts sprächen im Übrigen weitere Indizien. Aus welchem Grunde der Kläger nämlich angeblich nochmals am 16.08.2001 bei der Firma O1xxxxxx und H4xxxxxxxx vorstellig geworden sei, obgleich er dort schon am 25.07.2001 erfolglos vorgesprochen habe, sei in keiner Weise plausibel. Entsprechendes gelte für den Besuch bei der Firma H5xxxxxx, welche der Kläger laut Besuchsbericht vom 02.08.2001 schon einmal aufgesucht habe. Eine Durchsicht der früher vorgelegten Besuchsberichte lasse weitere Ungereimtheiten erkennen, weswegen die Beklagte zu Recht ein Detektivbüro eingeschaltet habe, um die Arbeitsweise des Klägers zu beobachten.

Auch aus zeitlichen Gründen könne der Kläger die aufgeführten Kundenbesuche gar nicht durchgeführt haben. Nach dem Inhalt der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung der Praxis D1. K4xxxxxx vom 11.10.2001 (Bl. 22 d.A.) habe der Kläger in der Zeit von 13.00 bis 14.00 Uhr seine Mutter bei einem Arztbesuch begleitet. Der Zeitraum von 1,5 Stunden bis 15.30 Uhr, als der Kläger vertragsgemäß am Betriebssitz erschienen sei, reiche aber keinesfalls aus, um die angeblichen Kundenbesuche zu absolvieren.

Die betreffende Bescheinigung hat folgenden Wortlaut:

"Herr H6xx I1xx war wegen Frau I1xx, H7xxx am 16.08.01 von 13.00 Uhr bis 14.00 Uhr zur ärztlichen Behandlung in meiner Praxis."

i. A. (unleserlich)"

Soweit der Kläger im Zuge des Berufungsverfahrens nunmehr vortrage, er habe seine Mutter lediglich mit dem Auto zur Arztpraxis gefahren und die Kundenbesuche sogleich anschließend durchgeführt, sei auch dieser Vortrag unrichtig und keinesfalls glaubhaft. Wie sich nämlich aus der vom Landesarbeitsgericht eingeholten Auskunft des D1. K4xxxxxx ergebe, sei die Arztpraxis in der angegebenen Zeit zwischen 13.00 und 14.00 Uhr geschlossen. Selbst wenn die Mutter des Klägers zum frühestmöglichen Behandlungstermin um 14.30 Uhr einbestellt worden sei, gebe es keinen Sinn, dass der Kläger angeblich seine Mutter bereits um 13.00 Uhr zum Arzt gefahren habe. Gehe man demgegenüber - entsprechend der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung - davon aus, dass der Kläger erst nach 14.00 Uhr zu den Kundenbesuchen aufgebrochen sei, seien die aufgeführten Kundenbesuche keinesfalls bis 15.30 Uhr zu erledigen gewesen. Soweit das vom Landesarbeitsgericht eingeholte Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis gelange, die entsprechende Wegstrecke sei in weniger als 90 Minuten zu bewältigen, sei zum einen zu beachten, dass die vom Sachverständigen ermittelten Zeitangaben auf einen Fahrtbeginn ab 13.00 Uhr bezogen und schon aus diesem Grunde unbrauchbar seien. Zum anderen seien die vom Sachverständigen ermittelten Zeitangaben vollkommen unrealistisch. Tatsächlich sei die vom Kläger genannte Strecke in der angegebenen Zeit nur unter Missachtung der maßgeblichen Geschwindigkeitsbegrenzung zu bewältigen.

Ein weiterer Kündigungsgrund liege im Übrigen in den hohen, krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers. Schließlich habe die Beklagte den Entschluss gefasst, die Stelle des Klägers einzusparen. Künftig erfolge die Akquisition von Aufträgen nicht mehr durch einen Außendienstmitarbeiter, sondern telefonisch durch Herrn K5xxxxxx.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 27.02.2002 die Kündigungsschutzklagen insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und wendet sich insbesondere gegen den Vorwurf, er habe in der Vergangenheit und konkret am 16.08.2002 unrichtige Angaben über die durchgeführten Kundenbesuche gemacht. Richtig sei allein, dass er bei der Erstellung des Besuchsberichts aus den dargestellten Gründen den Zeitpunkt der durchgeführten Besuche unzutreffend angegeben habe. Dies ändere aber nichts daran, dass er sämtliche aufgeführten Kunden tatsächlich am besagten Tage besucht und dort jeweils das übliche Informationsblatt (Kopie Bl. 265 d.A.) abgegeben habe.

Soweit es den genauen Zeitpunkt der Kundenbesuche betrifft, legt der Kläger als Anlage zum Schriftsatz vom 11.02.2003 (Bl. 270 d.A.) eine Aufstellung über Fahrtroute und Uhrzeit vor und behauptet hierzu, die genannten Kundenbesuche hätten problemlos in der Zeit zwischen 13.00 Uhr und 14.23 Uhr durchgeführt werden können. Soweit in der Bescheinigung der Praxis D1. K4xxxxxx eine Anwesenheit von 13.00 bis 14.00 Uhr bescheinigt werde, betreffe dies nicht seine Person, vielmehr beziehe sich der angegebene Zeitraum offenbar auf die vorgesehene Behandlung seiner Mutter. Er selbst habe seine Mutter lediglich zur Arztpraxis gefahren und habe danach mit den Kundenbesuchen begonnen.

Abweichend von der schriftlichen Aussage des D1. K4xxxxxx treffe es im Übrigen nicht zu, dass die Praxis insgesamt in der Zeit von 13.00 bis 14.00 Uhr geschlossen sei. Das Gegenteil werde vielmehr dadurch belegt, dass er selbst noch am 27.01.2004 um 13.25 Uhr in der Praxis bei der Sprechstundenhilfe einen Arzttermin vereinbart habe. Selbst wenn - der Aussage des D1. K4xxxxxx entsprechend - ärztliche Untersuchungen nicht vor 14.30 Uhr stattfänden, sei seine Mutter möglicherweise vor diesem Zeitpunkt durch nichtärztliches Personal untersucht worden, wie dies bei einer augenärztlichen Behandlung häufig der Fall sei. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 08.03.2004 hat der Kläger weiter ausgeführt, es sei im Übrigen nicht auszuschließen, dass seine Mutter den Zeitraum von 13.00 Uhr bis zum vereinbarten Behandlungstermin etwa durch einen Spaziergang oder einen Besuch in einem Café überbrückt habe, weil sie es in Anbetracht ihres Alters jedenfalls vorgezogen habe, ggfls. vorzeitig mit dem Auto mitgenommen zu werden, als den Weg zum Arzt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückzulegen.

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe entgegen seiner Darstellung im Besuchsbericht vom 16.08.2001 die dort genannten Kunden nicht aufgesucht, durch uneidliche Vernehmung der Zeugin L1xxxxx (Steuerbüro B3xxxxx/L1xxxxx/W2xxxxx), ferner durch Einholung einer schriftlichen Aussage des Steuerberaters R1xx H5xxxxxx gemäß gerichtlichem Schreiben vom 22.01.2003 (Bl. 235 d.A.) sowie durch schriftliche Beantwortung der Beweisfrage durch den Zeugen G4xx H4xxxxxxxx gemäß Beweisbeschluss vom 17.02.2003 (Bl. 271 d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Terminsprotokoll vom 03.02.2003 (Bl. 259 ff d.A.), die schriftliche Aussage des Zeugen H4xxxxxxxx vom 12.03.2003 (Bl. 273 d.A.) sowie die vom Zeugen R1xx H5xxxxxx diktierte und vom Steuerbüro H5xxxxxx & Kollegen eingereichte Erklärung vom 27.01.2003 (Bl. 258 d.A.) Bezug genommen. Weiter hat das Landesarbeitsgericht Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die vom Kläger genannte Fahrtstrecke könne nicht innerhalb des angegebenen Zeitraums zurückgelegt werden, durch Einholung eines Gutachtens eines vereidigten Kfz-Sachverständigen. Insoweit wird auf das Gutachten des Sachverständigen D1. H8xxxx (Bl. 297 ff d.A.) nebst weiterer Erläuterung vom 08.01.2004 (Bl. 357 ff d.A.) verwiesen. Weiter hat das Landesarbeitsgericht Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten gemäß dem Schriftsatz vom 16.12.2003 (Bl. 322 ff d.A.), der Kläger habe sich - der vorgelegten Bescheinigung entsprechend - bis mindestens 14.00 Uhr in der Praxis des D1. K4xxxxxx aufgehalten, durch Einholung einer schriftlichen Aussage des D1. K4xxxxxx. Wegen der entsprechenden Fragestellung wird auf das gerichtliche Schreiben vom 05.01.2004 (Bl. 344 d.A.), wegen der Beantwortung durch den Zeugen D1. K4xxxxxx auf Bl. 350 d.A. Bezug genommen. Ferner hat das Landesarbeitsgericht eine schriftliche Aussage des Zeugen D1. K4xxxxxx eingeholt zur Behauptung der Beklagten gemäß Schriftsatz vom 13.01.2004 (Bl. 373 d.A.), der vom Kläger vorgetragene Arztbesuch seiner Mutter in der Zeit von 13.00 bis 14.00 Uhr scheitere daran, dass die Praxis während dieser Zeit geschlossen sei. Wegen der Beantwortung der Beweisfrage wird auf Bl. 392 d.A. verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit der Rechtsstreit die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 19.11.2001 mit Wirkung zum 31.12.2001 betrifft. Soweit die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 04.10.2001 im Streit steht, ist die Berufung hingegen unbegründet.

I

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 04.10.2001 nicht beendet worden.

In Übereinstimmung mit der arbeitsgerichtlichen Entscheidung scheitert die fristlose Kündigung an der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Zwar hat die Beklagte gegen den Gleichstellungsbescheid, durch welchen der Kläger einem Schwerbehinderten gleichgestellt worden ist, Widerspruch eingelegt. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 57/01 - AP Nr. 1 zu § 2 SchwbG 1986) steht nämlich dem Arbeitgeber kein Anfechtungsrecht hinsichtlich der Gleichstellungsentscheidung zu. Damit steht fest, dass die Kündigung nur mit Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen werden konnte.

II

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist aber durch die nachfolgende, mit bestandskräftiger Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene Kündigung vom 19.11.2001 mit Ablauf des 31.12.2001 wirksam beendet worden.

1. In formeller Hinsicht bestehen gegen die Wirksamkeit der Kündigung keine Bedenken. Unstreitig hat die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung die Rechte der Mitarbeitervertretung gewahrt. Mit Schreiben vom 18.10.2001 (Bl. 210 ff d.A.) hat die Beklagte insbesondere die Mitarbeitervertretung über den Vorwurf informiert, der Kläger habe nachweislich einen unrichtigen Besuchsbericht vorgelegt. Mit Schreiben vom 31.10.2001 (Bl. 207 d.A.) hat die Mitarbeitervertretung der ordentlichen Kündigung zugestimmt.

2. Die Beklagte kann die ausgesprochene Kündigung erfolgreich auf verhaltensbedingte Gründe stützen.

Aufgrund einer umfassenden Würdigung des beiderseitigen Parteivorbringens und der Beweisaufnahme einschließlich der vorgetragenen Indiztatsachen ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger - entgegen seinen Angaben im Besuchsbericht vom 16.08.2001 - die aufgeführten Kundenbesuche nicht durchgeführt hat. Die Darstellung des Klägers, die Angaben im Besuchsbericht seien allein in zeitlicher Hinsicht unzutreffend, er habe - wie in der mit Schriftsatz vom 11.02.2003 vorgelegten Aufstellung ausgeführt - in der Zeit von 13.00 bis 14.23 Uhr die dargestellte Fahrtroute zurückgelegt und bei den besuchten Kunden entsprechende Prospekte abgegeben, stellt nach Überzeugung der Kammer eine bloße Schutzbehauptung dar, welche durch beweiskräftige Indizien widerlegt ist. Anders als eine bloße Versäumung der Arbeitspflicht oder verspätete Vorlage von Besuchsberichten stellt die Einreichung eines inhaltlich unzutreffenden Besuchsberichts - nicht anders als eine Stempelkartenmanipulation - einen Betrugsversuch dar, welcher auch ohne vorangehende Abmahnung den Ausspruch einer Kündigung rechtfertigt.

In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil trifft im Kündigungsschutzprozess die Beweislast für den behaupteten Kündigungsgrund den Arbeitgeber (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG), und zwar auch insoweit, als es die Widerlegung der vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründe betrifft (BAG Urt. v. 12.08.1976 - 2 AZR 237/75 - AP § 1 KSchG 1969 Nr.3; KR- Etzel, 6. Aufl., § 1 KSchG Rz 262).

Die so bestimmte Beweislast bedeutet allerdings nicht, dass der Arbeitgeber gehalten wäre, jeden denkbaren Geschehensablauf auszuschließen, welcher der rechtswidrigen und schuldhaften Pflichtverletzung des Arbeitnehmers entgegen steht. Vielmehr beschränkt sich die Beweislast des Arbeitgebers darauf, diejenigen Gründe zu widerlegen, welche der Arbeitnehmer seinerseits vorgetragen hat, um dem erhobenen Vorwurf entgegen zu treten (KR-Etzel a.a.O.).

b) Auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme muss zu Lasten des Klägers davon ausgegangen werden, dass seine Angaben im Besuchsbericht vom 16.08.2001 zu den angeblich durchgeführten Kundenbesuchen unzutreffend sind. Insbesondere kann dem Kläger nicht abgenommen werden, er habe seine Mutter zum angegebenen Zeitpunkt zu einem Arzttermin gefahren und anschließend ab 13.00 Uhr die Fahrt zu den Kunden aufgenommen. Der Vortrag des Klägers erscheint insgesamt als widersprüchlich und unter Berücksichtigung der Aussage des D1. K4xxxxxx als vollkommen unglaubhaft.

(1) Im ersten Rechtszuge hat der Kläger mit Schriftsatz vom 05.12.2001 (Bl. 19 d.A.) unter Vorlage der Bescheinigung der Praxis D1. K4xxxxxx vom 11.10.2001 vorgetragen, er habe am 16.08.2001 in der Mittagszeit von 13.00 bis 14.00 Uhr seine Mutter zum Arzt gebracht und anschließend die im Bericht angegebenen drei Kunden besucht. Dieser Sachvortrag kann bei unbefangenem Verständnis der Bescheinigung vom 16.08.2001, welche sich nicht etwa auf eine Behandlung der Mutter des Klägers, sondern - in Abweichung vom vorgedruckten Text - auf die Person des Klägers bezieht, nur so verstanden werden, dass der Kläger - und nicht etwa allein seine Mutter - sich (aus Anlass der Behandlung seiner Mutter) zwischen 13.00 und 14.00 Uhr in der Arztpraxis aufgehalten hat. Ausgehend von diesem zeitlichen Hergang müsste der Kläger die fraglichen Kundenbesuche in der Zeit zwischen 14.00 und 15.30 Uhr durchgeführt haben. Ob dies - wie die Beklagte meint - zeitlich gar nicht möglich gewesen wäre oder ob - wie dies nach dem Sachverständigengutachten jedenfalls für die Zeit von 13.00 bis 14.30 Uhr anzunehmen ist - die Kunden tatsächlich während des genannten Zeitraums hätten problemlos besucht werden können, kann letztlich offen bleiben.

(2) Abweichend hiervon und im Gegensatz zum Inhalt der vorgelegten Bescheinigung hat der Kläger im zweiten Rechtszuge nämlich seinen Vortrag dahingehend gefasst, er habe sich nicht mit seiner Mutter in der Arztpraxis aufgehalten, sondern diese allein wegen eines entsprechenden Behandlungstermins zur Arztpraxis gebracht. Während seine Mutter nach dem Arztbesuch selbständig nach Hause gefahren sei, habe er die Kundenbesuche von 13.00 bis ca. 14.30 Uhr durchgeführt.

Die Möglichkeit, die Kundenbesuche in der genannten Zeit durchzuführen, ist zwar durch das eingeholte Sachverständigengutachten bestätigt worden. Nach der zeugenschaftlichen Vernehmung der benannten Kunden lässt sich auch nicht mit Sicherheit ausschließen, dass der Kläger dort vorstellig geworden ist und jeweils einen Prospekt hinterlassen hat. Den ihr obliegenden Beweis der Unrichtigkeit des Besuchsberichtes kann die Beklagte auf diesem Wege nicht führen.

(3) Auf der Grundlage der schriftlichen Aussage des D1. K4xxxxxx muss aber davon ausgegangen werden, dass auch die neu gefasste Sachdarstellung des Klägers, abweichend von der vorgelegten Bescheinigung habe er sich zum genannten Zeitpunkt zwar nicht selbst in der Arztpraxis aufgehalten, vielmehr habe er seine Mutter zur Arztpraxis gefahren, welche dort einen entsprechenden Untersuchungstermin (also zwischen 13.00 und 14.00 Uhr) wahrgenommen habe, nicht zutreffen kann.

Nach der Aussage des D1. K4xxxxxx kann als frühestmöglicher Behandlungstermin der Zeitpunkt 14.30 Uhr angenommen werden; nach den Behandlungsunterlagen hat sich die Mutter des Klägers um 15.18 Uhr im Behandlungsraum befunden, Voruntersuchungen durch nichtärztliches Personal, insbesondere vor 14.30 Uhr sind nach der Zeugenaussage auszuschließen. Selbst wenn - wie der Kläger geltend gemacht hat - in der Mittagspause die Arztpraxis keineswegs abgeschlossen ist, sondern Terminsvereinbarungen möglich bleiben, ändert dies nichts daran, dass jedenfalls während der Mittagszeit Patienten nicht einbestellt und behandelt werden. Danach muss es aber - in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Zeugen D1. K4xxxxxx - als vollkommen unrealistisch angesehen werden, dass sich die Mutter des Klägers - wie in der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung vom 11.10.2001 aufgeführt - in der Zeit von 13.00 bis 14.00 Uhr (allein oder mit dem Kläger) in den Räumen der Arztpraxis aufgehalten hat.

(4) Die nachfolgende Erklärung des Klägers, möglicherweise sei zwar der Behandlungstermin erst auf einen späteren Zeitpunkt festgesetzt gewesen, gleichwohl habe er seine Mutter bereits um 13.00 Uhr bei der Arztpraxis abgesetzt, welche etwa die Wartezeit anderweit überbrückt habe, steht nicht nur in einem deutlichen Gegensatz zum vorangehenden Sachvortrag, sondern ist auch mit dem Inhalt der vorgelegten Bescheinigung, welche nicht etwa allein den Arzttermin, sondern eine konkrete Anwesenheitsdauer - sei es des Klägers, sei es seiner Mutter - ausweist, unvereinbar. Soweit der Kläger hierzu ausführt, er habe seinerzeit auf derartige Einzelheiten nicht geachtet, zumal zwischen Arzttermin vom 16.08.2001 und Ausstellung der Bescheinigung vom 11.10.2001 nahezu zwei Monate liegen, überzeugt dies nicht. Ersichtlich hat der Kläger die Bescheinigung vom 11.10.2001 zeitnah zur fristlosen Kündigung vom 04.10.2001 eingeholt, welche ausweislich des Kündigungsschreibens auf den Vorwurf gestützt war, einen unrichtigen Besuchsbericht abgegeben zu haben. Wenn der Kläger sodann diese Kündigung mit der Begründung angriff, die zeitlichen Angaben im Besuchsbericht beruhten auf einem Versehen, tatsächlich habe er die aufgeführten Kunden lediglich zu anderer Zeit aufgesucht, so verstand es sich von selbst, dass die Bescheinigung, welche als Beleg für die Richtigkeit dieses Verteidigungsvorbringens dienen sollte, ihre Bedeutung gerade wegen der darin enthaltenen Zeitangabe erhielt.

Über dies spricht die Tatsache, dass der maßgebliche Arztbesuch die Mutter des Klägers betraf, weswegen der Text der Bescheinigung im Hinblick auf die Person des Klägers abgewandelt werden musste, dafür, dass die Sprechstundenhilfe die Bescheinigung nach Angaben des Klägers erstellt hat. Das gilt erst recht, wenn der Kläger - wie er zuletzt angegeben hat - seine Mutter nur bis zur Arztpraxis begleitet, die Räumlichkeiten selbst jedoch gar nicht betreten hat. Irgendein Beweiswert kann der vorgelegten Bescheinigung danach nicht beigemessen werden, im Gegenteil werden durch die genannten Ungereimtheiten die Zweifel an der Richtigkeit des Verteidigungsvorbringens des Klägers verstärkt. Ersichtlich hat sich der Kläger eine Bescheinigung ausstellen lassen, mit welcher die Sprechstundenhilfe etwas bezeugt hat, was sie nach dem eigenen Vorbringen des Klägers gar nicht wahrgenommen haben kann.

(5) Schließlich fehlt es im Hinblick auf den vom Zeugen D1. K4xxxxxx genannten Behandlungszeitpunkt - frühestens ab 14.30 Uhr - an einer plausiblen Erklärung dafür, warum der Kläger seine Mutter bereits um 13.00 Uhr zum Arzt gebracht haben will. Zwar lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Mutter des Klägers es vorzog, sich vom Kläger mit dem PKW befördern zu lassen und eine längere Wartezeit hinzunehmen, als die Beschwernisse einer Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf sich zu nehmen. Die Kammer hält es jedoch für ausgesprochen realitätsfern, dass ein solcher - jedenfalls doch ungewöhnlicher - Hergang zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Sprache gekommen bzw. in Vergessenheit geraten sein sollte. Wenn der Kläger einerseits dem Wunsch seiner Mutter, mit dem Auto zur Arztpraxis gefahren zu werden, nachkommen wollte und aus diesem Grunde seine Tagesplanung hierauf einrichtete, andererseits aber im Interesse der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen den Beginn der Kundenbesuche nicht länger als bis 13.00 Uhr herausschieben wollte, lag die Frage an die Mutter nahe, zu welcher Uhrzeit denn der Untersuchungstermin angesetzt sei. Wenn der Kläger dann etwa in diesem Zusammenhang verdeutlichte, er müsse spätestens um 13.00 Uhr mit den Kundenbesuchen beginnen, so erscheint es als geradezu lebensfremd, dass die Mutter des Klägers nicht etwa den Zeitpunkt des Untersuchungstermins und die Tatsache erwähnte, sie wolle lieber die sich ergebende Wartezeit in geeigneter Weise überbrücken, statt öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch zu nehmen. Wenn der Kläger demgegenüber ausführt, für ihn sei allein die Tatsache entscheidend gewesen, dass er um 13.00 Uhr mit den Kundenbesuchen beginne, zu welcher Uhrzeit seine Mutter zum Arztbesuch einbestellt worden sei, sei für ihn ohne Belang gewesen, so erscheint dies der Kammer als wenig glaubwürdig. Erst recht passt dies nicht mit der Tatsache zusammen, dass sich der Kläger nachträglich eine Bescheinigung hat ausstellen lassen, in welcher eine Anwesenheit in der Praxis von 13.00 bis 14.00 Uhr - sei es seiner Person, sei es seiner Mutter - bescheinigt wird.

Bei einem Arzttermin seiner Mutter am Nachmittag - etwa ab 14.30 Uhr - stellt sich im Übrigen die Frage, warum nicht der Kläger die geplanten Kundenbesuche planmäßig - wie im Bericht vom 16.08.2001 aufgeführt - ab 10.30 Uhr durchführen konnte. Wenn der Kläger - um seine Mutter rechtzeitig zum Arzt begleiten zu können - die Kundenbesuche ebenso zügig in ca. 90 Minuten abgewickelt hätte, wie er dies für die Zeit ab 13.00 Uhr vorträgt, hätte er unschwer das vorgesehene Pensum bis zum Mittag erledigen und anschließend seine Mutter zum Arzt fahren können. Bei einem Arztbesuch zwischen 13.00 und 14.00 Uhr wäre dies möglicherweise anders. Nachdem ein Arzttermin zu diesem Zeitpunkt widerlegt ist, fehlt dem Vorbringen des Klägers auch unter diesem Gesichtspunkt jede Plausibilität.

(6) Insgesamt hält die Kammer in Anbetracht der dargestellten Ungereimtheiten und Widersprüche den Vortrag des Klägers für widerlegt, er habe im Besuchsbericht vom 16.08.2001 allein unrichtige zeitliche Angaben zu den Kundenbesuchen gemacht. Die unrichtige Angabe nicht durchgeführter Kundenbesuche durch einen Außendienstler stellt aber eine gravierende Arbeitsvertragsverletzung dar, welche - nicht anders als eine Stempelkartenmanipulation (vgl. LAG Hamm Urt. v. 20.02.1986 - 4 Sa 1288/85 -, DB 1986, 1338) das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber zerstört und auch ohne vorangehende Abmahnung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt. Das gilt um so mehr, als die Beklagte bereits in der Vergangenheit - wenn auch nicht in Form einer Abmahnung - hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, sie lege auf einen zeitnahen Arbeitsnachweis in Form von Besuchsberichten Wert. Dass es hierbei im Einzelfall zu irrtümlichen Angaben kommen kann, ist zweifellos richtig. Vorliegend scheidet ein Irrtum des Klägers aus den dargestellten Gründen jedoch aus. Damit erweist sich die ausgesprochene Kündigung in der Sache als berechtigt.

III

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 96, 97 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Dabei war gemäß § 97 Abs. 2 ZPO die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Beklagte erst auf der Grundlage ihres zweitinstanzlichen Vorbringens mit der ordentlichen Kündigung durchdringt, weshalb sie trotz teilweisen Obsiegens die Kosten des zweiten Rechtszuges allein zu tragen hat; allein hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszuges findet damit eine Kostenteilung nach § 92 Abs. 1 ZPO statt. Die Kosten der Beweisaufnahme hat hingegen gemäß § 96 ZPO der Kläger zu tragen.

IV

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 1 ArbGG liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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