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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.07.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 1899/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 25.08.2005 - 1 Ca 1083/05 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das angegriffene Urteil im Feststellungsausspruch wie folgt abgeändert wird:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 21. Mai 2005 und 24. Mai 2005 nicht aufgelöst worden ist.

Die weitergehende Feststellungsklage wird abgewiesen.

2) Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3) Der Streitwert wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

Der am 15.08.1972 geborene Kläger ist seit dem 07.08.1995 bei der Beklagten in deren Logistikzentrum als Tischler beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 02.06.1995 (Kopie Bl. 30 - 32 d.A.). Die zuletzt bezogene Bruttomonatsvergütung des Klägers lag bei etwa 2.500,00 €.

Die Beklagte betreibt mehrere Möbelhäuser, in denen jeweils mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Im Logistikzentrum in P2xxxxxxx-M2xxxxxx sind ca. 130 Arbeitnehmer tätig. Leiter des Logistikzentrums ist Herr Z1xxxxxxx. Zumindest in den Arbeitsverträgen, die die Beklagte ab dem Jahre 2000 mit ihren Arbeitnehmern abgeschlossen hat, ist dokumentiert, dass der Leiter des Logistikzentrums auch zum Ausspruch von Kündigungen berechtigt ist.

Ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gewählt.

Am 18.05.2005 kam es zwischen dem Kläger und dem Arbeitnehmer W3xxxxxxxx zu einer Auseinandersetzung, deren Ablauf im Einzelnen zwischen den Parteien streitig ist. Fest steht jedenfalls, dass der Kläger den Arbeitskollegen W3xxxxxxxx zumindest an den Kragen gefasst hat.

Am 20.05.2005 begab sich der Kläger zusammen mit dem Arbeitskollegen W5xxxxx in das Büro des Logistikleiters Z1xxxxxxx vor dem Hintergrund, dass sie mit ihm über die Frage der Vergütung von Überstunden sprechen wollten. In diesem Zusammenhang sprach der Kläger Herrn Z1xxxxxxx auch auf den Vorfall vom 18.05.2005 an. Wie Herr Z1xxxxxxx darauf reagierte, ist zwischen den Parteien ebenfalls im Streit.

Jedenfalls wurde der Kläger bei Arbeitsaufnahme am 23.05.2005 in das Büro des Logistikleiters Z1xxxxxxx zitiert, der ihn jetzt auf den Vorfall vom 18.05.2005 ansprach und nach einer Unterbrechung des Gesprächs eine auf den 21.05.2005 datierte, von ihm unterzeichnete Kündigung überreichte. In dieser Kündigung heißt es unter anderem wörtlich:

"Sehr geehrter Herr S2xxxxxxxxxxxx,

am 18.05.2005 vor Auslieferung kam es zwischen Ihnen und Herrn A2xxxx W3xxxxxxxx im Lagerbereich des Logistikzentrums zu einer verbalen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Sie Herrn W3xxxxxxxx tätlich angriffen.

..."

Wegen der weiteren Einzelheiten der Kündigung vom 21.05.2005 wird auf die Kopie Bl. 9 d.A. Bezug genommen.

Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 24.05.2005 (Bl. 11 ff. d.A.) die - streitlos - fehlende Kündigungsvollmacht des Logistikleiters gegenüber der Beklagten gerügt hatte, kündigte die Beklagte, diesmal unterzeichnet vom - mittlerweile unstreitig - alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer N1xxxxx P5xxxxxxxx, das Arbeitsverhältnis erneut fristlos. Auf die Kopie Bl. 10 d.A. wird Bezug genommen.

Wegen der Vorgänge am 18.05.2005 hatte der Mitarbeiter W3xxxxxxxx gegenüber der Beklagten eine schriftliche Stellungnahme verfasst. Wegen dieser schriftlichen Stellungnahme wird auf die Fotokopie Bl. 36 d.A. (Anlage B 5 zur Klageerwiderung) Bezug genommen.

Mit der vorliegenden, beim Arbeitsgericht Paderborn am 13.06.2005 eingegangenen Klage wehrt sich der Kläger gegen beide fristlose Kündigungen.

Er hat vorgetragen, dass die Auseinandersetzung am 18.05.2005 sich anders abgespielt habe, als der Arbeitskollege W3xxxxxxxx gegenüber der Beklagten geschildert habe. Hintergrund sei gewesen, dass die Beklagte seit längerer Zeit versuche, mit den Mitarbeitern neue Arbeitsverträge abzuschließen, die eine Ausweitung der Arbeitszeit ohne gesonderte Vergütung sowie eine teilweise Streichung von Weihnachtsgeld beinhalten sollen. Der Kläger, der seinerzeit von der Notwendigkeit der Einrichtung eines Betriebsrates gesprochen habe, habe am 18.05.2005 lautstark mit Herrn W3xxxxxxxx über die Problematik diskutiert. Herr W3xxxxxxxx habe das Streitgespräch durch ein Zeichens der Missachtung in Richtung des Klägers zu beenden versucht, indem er die erhobene Faust demonstrativ gegen den Unterarm des anderen Armes geschlagen und sinngemäß gesprochen habe: "Du und Deine polnische Frau". Dies habe den Kläger sehr getroffen und wütend gemacht, weshalb er Herrn W3xxxxxxxx festgehalten und ihm eine Entschuldigung abverlangt habe. Herr W3xxxxxxxx habe ebenfalls den Kläger umklammert. Der weitere Mitarbeiter L1xxxxxxx sei dann hinzugekommen und habe beide getrennt. Zu Faustschlägen oder sonstigen Schlägen sei es zu keinem Zeitpunkt gekommen.

Die Kündigungen seien aber auch deswegen unwirksam, weil die Beklagte nicht alles Zumutbare getan habe, den Sachverhalt aufzuklären. Insbesondere habe sie den Kläger nicht gebührend angehört. Auch im Zusammenhang mit der Aushändigung der Kündigung am 23.05.2005 habe der Kläger keine Gelegenheit erhalten, seine Sicht der Dinge umfassend zu schildern. Außerdem habe Herr Z1xxxxxxx im Gespräch vom 20.05. dem Kläger entgegnet, es handele sich um eine Lappalie.

Beide Kündigungen seien schließlich auch aus formellen Gründen unwirksam. Die Kündigung vom 21.05. scheitere an der fehlenden Vollmacht des Logistikleiters Z1xxxxxxx ebenso wie die Kündigung vom 24.05.2005. Insoweit hat der Kläger bestritten, der Geschäftsführer N1xxxxx P5xxxxxxxx sei alleinvertretungsberechtigt.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die beiden fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 21.05.2005 und vom 24.05.2005 nicht beendet worden ist, sondern unverändert fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: Herr W3xxxxxxxx sei an den Kläger herangetreten und habe ihn gebeten, nicht jedem wahrheitswidrig zu erzählen, dass er, Herr W3xxxxxxxx, als erster die Vereinbarung über die abgeänderten Arbeitsbedingungen unterzeichnet habe. Zur weiteren Aufklärung habe man sich in das Büro des technischen Leiters, Herrn W8xxxxxx, begeben. Nach Verlassen des Büros auf dem Weg ins Lager sei der Kläger immer aggressiver geworden. Er habe den Mitarbeiter W3xxxxxxxx am Kragen gepackt, worauf dieser ihn gebeten habe, ihn in Ruhe zu lassen. Der Kläger habe Herrn W3xxxxxxxx heftig beschimpft, worauf dieser geäußert habe, der Kläger solle ihn und seinen polnischen Kollegen in Ruhe lassen. Der Kläger sei daraufhin noch aggressiver geworden, habe an seinem Hemd gerissen, worauf dieses etwa mit einem Haken von 10 x 10 cm eingerissen worden sei. Der Kläger habe dann Herrn W3xxxxxxxx - wie schon vor dem Büro des Mitarbeiters W8xxxxxx - erneut am Kragen gepackt und habe ihm mit der linken Faust einen Schlag gegen das Kinn versetzt.

Auch sonst seien die Kündigungen nicht zu beanstanden.

Keinesfalls habe der Logistikleiter, Herr Z1xxxxxxx, gegenüber dem Kläger noch am 20.05.2005 erklärt, dieser Vorfall mit Herrn W3xxxxxxxx ginge ihn nichts an, es sei eine Lappalie. Auch habe Herr Z1xxxxxxx vor Aushändigung der Kündigung Herrn W3xxxxxxxx ausdrücklich zu den Vorfällen befragt, weshalb es auch am Morgen des 23.05.2005 eine Unterbrechung des Gesprächs mit dem Kläger vor Aushändigung der Kündigung gegeben habe.

Herr Z1xxxxxxx sei auch kündigungsberechtigt, wie in den Arbeitsverträgen ab dem Jahre 2000 dokumentiert sei. Dem Kläger sei dies bekannt gewesen.

Der Geschäftsführer P5xxxxxxxx sei alleinvertretungsberechtigt, wie sich aus den Eintragungen im Handelsregister ergebe.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen W3xxxxxxxx, W5xxxxx und L1xxxxxxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 25.08.2005 (Bl. 46 - 49 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage im Wesentlichen mit der Begründung stattgegeben, nach der durchgeführten Beweisaufnahme fehle dem Gericht die hinreichende Überzeugung, der Kläger habe den Arbeitskollegen W3xxxxxxxx tatsächlich mit der Faust an das Kinn geschlagen. Wenn auch der Zeuge W3xxxxxxxx dies so bekundet habe, so könne das Arbeitsgericht ihm gleichwohl nicht folgen, da die weiteren Zeugen W5xxxxx und L1xxxxxxx den Vorfall vom 18.05.2005 nicht in gleichem Umfang hätten bestätigen können und der Zeuge W3xxxxxxxx aufgrund der zuvor gegenüber der Beklagten gefertigten schriftlichen Aussage ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits habe.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 25.08.2005, dem Beklagtenvertreter zugestellt am 14.09.2005, wehrt sich die Beklagte mit der vorab per Telefax beim Landesarbeitsgericht am 04.10.2005 eingegangenen und nach Verlängerungsbeschluss bis zum 14.12.2005 begründeten Berufung, am 14.12.2005 vorab per Telefax beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Die Beklagte trägt vor:

Das Arbeitsgericht sei den Beweisantritten der Beklagten nicht im vollen Umfange nachgegangen. Bereits in der Klageerwiderung sei dargestellt worden, dass der weitere Mitarbeiter, Herr M1xxxxx, bezeugen könne, dass das Hemd des Zeugen W3xxxxxxxx frisch am Arm eingerissen gewesen sei. Eine solche Bekundung sei wichtig, da der weitere Zeuge, Herr L1xxxxxxx, gerade nicht ausgesagt habe, das Hemd des Herrn W3xxxxxxxx sei nicht eingerissen gewesen, sondern lediglich, dass ihm dies nicht aufgefallen sei.

Die Aussagen des Zeugen W5xxxxx halte die Beklagte für unwahr. Er habe insbesondere eingeräumt, mit dem Kläger eng befreundet zu sein und sich mehrfach über den Vorfall vom 18.05.2005 unterhalten zu haben. Die Wahrheitswidrigkeit der Aussage des Zeugen W5xxxxx ergebe sich schon daraus, dass er nicht gesehen haben will, dass der Zeuge L1xxxxxxx zwischen den Mitarbeiter W3xxxxxxxx und den Kläger gegangen ist, um eine weitere Auseinandersetzung zu verhindern. Dies stehe im direkten Wiederspruch zu der von Herrn L1xxxxxxx bekundeten und im Übrigen eigentlich unstreitigen Tatsache, dass er, der Zeuge L1xxxxxxx, dazwischen gegangen sei.

Aus der Position des Zeugen W5xxxxx heraus habe keine Möglichkeit bestanden, irgendwelche Schläge des Klägers wahrzunehmen. Herr W5xxxxx habe auf dem Rücken des Klägers geblickt, was wiederum die Sichtmöglichkeit auf den Kinnbereich des Zeugen W3xxxxxxxx verhindert habe.

Im Übrigen sei es wichtig, anhand der Aussage des Zeugen W3xxxxxxxx festzuhalten, dass es letztendlich um insgesamt drei Vorfälle gehe: Zum einen gehe es um eine Handgreiflichkeit vor dem Büro des Herrn W6xxxxxx. Zum anderen habe der Zeuge W3xxxxxxxx einen Handschlag des Klägers in sein Gesicht vor dem Fahrstuhl sowie schließlich zwei Kinnschläge im Lager bekundet. Da der Zeuge W5xxxxx ausdrücklich erläutert habe, zunächst eine Runde im Lager gedreht zu haben, sei der Zeuge nicht brauchbar für die Vorgänge unmittelbar vor dem Fahrstuhl. Der Zeuge W5xxxxx könne hier noch nicht zugegen gewesen sein. Sämtliche Schilderungen des Zeugen W5xxxxx hätten sich in 20 Meter Entfernung von dem Fahrstuhl abgespielt, nämlich im Lager.

Dies rechtfertige in jedem Fall eine außerordentliche, vorsorglich ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung.

Auch habe eine ordentliche Anhörung des Klägers stattgefunden. Herr Z1xxxxxxx habe dem Kläger vorgehalten, der Mitarbeiter W3xxxxxxxx habe eine tätliche Auseinandersetzung für den 18.05.2005 in der Art und Weise angegeben, dass der Kläger Herrn W3xxxxxxxx mit der linken Hand (Faust) ans Kinn geschlagen und das Hemd zerrissen habe. Dies wolle man zum Anlass für eine fristlose Kündigung nehmen. Nachdem der Kläger diese Vorwürfe abgestritten und lediglich eine lautstarke Unterhaltung eingeräumt habe, habe Herr Z1xxxxxxx erneut mit dem Mitarbeiter W3xxxxxxxx gesprochen, der allerdings bei seiner Aussage geblieben sei. Erst danach sei die Kündigung überreicht worden.

Die Beklagte beantragt,

das am 25.08.2005 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn - zugestellt am 14.09.2005 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend und meint, die Beweiswürdigungen seien nicht zu beanstanden. Insbesondere sei zu bedenken, dass nicht nur die Vernehmung der Zeugen, sondern auch der sonstige Akteninhalt heranzuziehen sei. So sei zu beachten, dass in der schriftlichen Darstellung des Zeugen W3xxxxxxxx gegenüber der Beklagten von einem Schlag mit der Hand ins Gesicht ebenso wenig die Rede gewesen sei, wie von einer zerrissenen Kette.

Der Zeuge M1xxxxx sei nicht zu vernehmen gewesen, da dieser zum eigentlichen Vorgang nichts habe aussagen können. Selbst wenn er das eingerissene Hemd als Tatsache bestätigt hätte, würde dies keinen kausalen Zusammenhang mit einer irgendwie gearteten Handlung des Klägers ergeben.

Nach wie vor fehle es an einer ordentlichen Anhörung des Klägers.

Soweit die Beklagte meint, wegen der von ihr behaupteten ordentlichen Anhörung des Klägers könnten die Kündigungen jedenfalls als Verdachtskündigungen wirksam sein, müsse der Kläger dem entgegentreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegt und begründete Berufung der Beklagten (§§ 66 Abs. 1 Satz 1; 64 Abs. 6 ArbGG; 516 ff. ZPO) hat mit Ausnahme einer geringfügigen Abänderung im Feststellungstenor des angegriffenen Urteils keinen Erfolg, da die Kündigungen der Beklagten vom 21.05.2005 und 24.05.2005 das Arbeitsverhältnis zum Kläger nicht aufgelöst haben.

I.

Das Urteil des Arbeitsgerichts war im Feststellungsausspruch insoweit abzuändern, als dass die Klage mit dem Zusatz "sondern unverändert fortbesteht" abzuweisen war. Für diesen sogenannten allgemeinen Fortbestandsantrag fehlt nämlich § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 256 Abs. 1 ZPO das erforderliche Feststellungsinteresse.

Wenn auch der Streit um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO eine Streitigkeit um das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses darstellt, so ist zu bedenken, dass der Kläger mit der vorliegenden Klage beide ausgesprochenen Kündigungen ausdrücklich mit dem Feststellungsantrag angegriffen hat. Dieser Feststellungsantrag ist durch § 4 KSchG vorgesehen und bezieht schon wegen seiner Formulierung beide streitgegenständlichen Kündigungen ein.

Da beide Parteien bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz keine Tatsachen vorgetragen haben, die den Schluss auf weitere Beendigungstatbestände zulassen, fehlt dem sogenannten allgemeinen Fortbestandsantrag das erforderliche Rechtsschutzinteresse. Dieses Rechtsschutzinteresse ergibt sich nämlich nicht aus § 4 KSchG, da - wie dargelegt - hiervon bereits der punktuell gestellte Antrag des Klägers bezogen auf die beiden streitgegenständlichen Kündigungen abgedeckt ist (vgl. grundlegend: BAG, Urteil v. 21.01.1988, 2 AZR 581/86, NZA 1988, S. 651; BAG, Urteil v. 27.01.1994, 2 AZR 484/93, NZA 1994, S. 812, jeweils m.w.N.).

II.

Die Kündigungen vom 21.05. und 24.05.2005 haben das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst, da der Beklagten im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ein wichtiger Grund für die Kündigungen nicht zur Seite steht.

1.

Bei der Prüfung der Rechtswirksamkeit dieser Kündigungen ist die Berufungskammer von einem einheitlichen Lebenssachverhalt ausgegangen, der den Kündigungen zugrunde liegt. Erkennbar ist die Kündigung vom 24.05.2005 nur vorsorglich für den Fall ausgesprochen worden, dass die Kündigung vom 21.05.2005 sich aus dem formellen Grunde einer eventuell fehlenden Vollmacht als unwirksam erweisen würde.

2.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsvertrages bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

Nach Rechtsprechung und Rechtslehre kommt danach eine außerordentliche Kündigung in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und milderen Mittel (z.B. Abmahnung, Versetzung, einvernehmliche Abänderung des Vertrages u.ä.) erschöpft sind, das in der bisherigen Form nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist (z.B. BAG, Urteil v. 30.05.1978, 2 AZR 630/76, AP 70 zu § 626 BGB zu II b der Gründe m.z.N.).

Dabei hat die Prüfung des wichtigen Kündigungsgrundes in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen, nämlich zum einen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben, zum anderen, ob unter Berücksichtigung dieses Umstandes und einer Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist (so schon: BAG, Urteil v. 24.03.1958, 2 AZR 567/55, AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

Bei der Prüfung der Frage, ob "an sich" ein Kündigungsgrund vorliegt, ist zu bedenken, dass eine Kündigung keine Sanktion für ein zurückliegendes Verhalten des Arbeitnehmers ist (BAG, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, BB 1992, S. 2076), so dass es einen sogenannten absoluten Kündigungsgrund nicht gibt (BAG, AP Nr. 80 zu § 626 BGB). Der Kündigungszweck ist stets zukunftsbezogen (BAG, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung).

Dabei ist derjenige, der eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, darlegungs- und beweisbelastet für alle Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Der Kündigende muss also die Voraussetzungen für die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung in vollem Umfang darlegen und beweisen; die Darlegungs- und Beweislast ist nicht so aufzustellen, dass der Kündigende nur die objektiven Merkmale für einen Kündigungsgrund und die bei der Interessenabwägung für den Gekündigten ungünstigen Umstände und der Gekündigte seinerseits Rechtsfertigungsgründe und ihn entlastende Umstände vorzutragen und zu beweisen hätte (BAG, Urteil v. 24.11.1983, 2 AZR 327/82, AP Nr. 76 zu § 626 BGB m.w.N.).

3.

Ausgehend hiervon ergibt sich vorliegend Folgendes:

Zwar geht auch die Berufungskammer mit den Parteien und dem Arbeitsgericht davon aus, dass Tätlichkeiten unter Arbeitnehmern einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung "an sich" darstellen können (vgl. nur: BAG, Urteil v. 31.03.1993, 2 AZR 492/92, DB 1994, S. 839 m.w.N.).

Allerdings steht nach der durch das Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme auch zur Überzeugung der Berufungskammer nicht fest (§ 525 Satz 1, 286 ZPO), dass der Kläger den Mitarbeiter W3xxxxxxxx mit der Hand in das Gesicht und zweimal mit der Faust unter das Kinn geschlagen hat.

Zunächst wird auf die ausführlichen und überzeugenden Gründen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (vgl. § 69 Abs. 2 ArbGG). Ihnen ist, soweit die Beklagte ihr Vorbringen in der Berufungsinstanz vertieft bzw. ergänzt hat, Folgendes hinzuzufügen:

a.

Der von der Beklagten benannte Zeuge M1xxxxx war nicht zu vernehmen. Wie sich nämlich aus der Klageerwiderung vom 01.07.2005 ergibt, ist dieser Zeuge nicht dafür benannt worden, dass er Einzelheiten der Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Mitarbeiter W3xxxxxxxx mitbekommen hätte. Die in dem Mitarbeiter M1xxxxx zugeschriebene Wahrnehmung des eingerissenen Hemdes bezieht sich ausdrücklich auf einen Zeitpunkt nach der Auseinandersetzung. Dass Herr M1xxxxx die Auseinandersetzung selbst mitbekommen hätte, hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt vorgetragen. Würde also Herr M1xxxxx die Wahrnehmung, für die er als Zeuge von der Beklagten benannt ist, bestätigen, so ergäbe sich keine Veränderung im Rahmen der Beweiswürdigung. Denn die Zeugen W5xxxxx und L1xxxxxxx haben die Tatsache eines eingerissenen Hemdes nicht bestätigen können. Selbst wenn das Hemd des Zeugen W3xxxxxxxx eingerissen gewesen sein sollte, so ist zu bedenken, dass zwischen den Parteien zumindest unstreitig ist, dass es zu einem Festhalten und zu einer Umklammerung des Herrn W3xxxxxxxx durch den Kläger, gegebenenfalls wechselseitig, gekommen ist. Die Berufungskammer geht davon aus, dass auch bei einer solchen Umklammerung eine Beschädigung an einem Hemd eintreten kann, ohne dass dies zwangsläufig den Schluss darauf zulässt, dass der Kläger den Mitarbeiter W3xxxxxxxx tatsächlich geschlagen hatte.

b.

Soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz die Vorgänge um den Zeugen W3xxxxxxxx in drei Teilbereiche aufgegliedert hat (erste Handgreiflichkeit vor dem Büro des Mitarbeiters W8xxxxxx, Schlag ins Gesicht vor dem Aufzug und zwei Schläge unter das Kinn in 20 m Entfernung von dem Aufzug im Lagerbereich), findet sich hierzu keine unmittelbare Entsprechung in der Aussage des Zeugen W7xxxxxxxx. Dieser spricht, soweit es um die Vorgänge vor dem Fahrstuhl ging, von einem einheitlichen Lebenszusammenhang. Er hat bekundet, der Kläger habe ihn vor dem Fahrstuhl mit der Hand ins Gesicht geschlagen und dann an den Kragen gefasst und dann zweimal von unten gegen das Kinn geschlagen.

Hieraus wiederum ergibt sich, dass die Aussagen der Zeugen W5xxxxx und L1xxxxxxx insoweit zweifelsohne unergiebig sind, als dass sie weder die Aussage des Zeugen W3xxxxxxxx bestätigen noch die von ihm bekundeten Folgen gesehen haben. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Herr W3xxxxxxxx in seiner schriftlichen Äußerung gegenüber der Beklagten, die diese schließlich zum Gegenstand der von ihr behaupteten Anhörung des Klägers wie auch zur Kündigung selbst genommen hat, weder von einem Schlag in das Gesicht noch von einer zerrissenen Kette gesprochen hat.

Aus Sicht der Berufungskammer ist auch zu würdigen, dass der Zeuge W3xxxxxxxx nach den von ihm darstellten Vorfällen ohne weiteres seiner ganz normalen Berufstätigkeit nachgegangen ist. Der Zeuge W3xxxxxxxx war für eine Tour eingeteilt, die er nach den Vorfällen mit seinem Kollegen gefahren ist. Dieses Verhalten ist nicht unbedingt mit den tätlichen Auseinandersetzungen, die Zeuge W3xxxxxxxx geschildert hat, in Einklang zu bringen.

Nach alledem geht auch die Berufungskammer davon aus, dass der Vortrag der Beklagten zu den Tätlichkeiten des Klägers gegenüber dem Zeugen W3xxxxxxxx nicht bewiesen ist.

c.

Soweit feststeht, weil es entweder durch die Beweisaufnahme bestätigt oder zwischen den Parteien unstreitig ist, dass eine verbale und auch zum Teil tätliche Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und Herrn W3xxxxxxxx stattgefunden hat (auch das Umklammern und Festhalten kann als Tätlichkeit bewertet werden), würde das allerdings für eine außerordentliche Kündigung nach den eingangs genannten Maßstäben nicht ausreichen. Wenn auch mit dem Bundesarbeitsgericht davon auszugehen ist, dass es bei einer Kündigung wegen Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen grundsätzliche einer Abmahnung nicht bedarf (BAG v. 31.03.1993 aaO), ist hier auch das Prognoseprinzip zu berücksichtigen. Ebenfalls ist hierbei dann zu bedenken, auf welche Art und Weise die Auseinandersetzung zustande gekommen ist, ob gegebenenfalls eine Provokation vorgelegen hat. Insoweit hat der Zeuge W5xxxxx zumindest die Behauptung des Klägers bestätigt, dass der Mitarbeiter W3xxxxxxxx eine Beleidigung gegenüber dem Kläger im Hinblick auf seine Ehefrau ausgesprochen haben soll.

Jedenfalls spricht nach dem feststehenden Sachverhalt alles dafür, dass die Beklagte anderweitige arbeitsrechtliche Reaktionsmöglichkeiten hatte, um zukünftig für reibungslose Abläufe und das Unterbleiben solcher Auseinandersetzungen zu sorgen. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich erkannt (Urteil v. 31.03.1993 aaO), dass auch Umsetzungs- und Versetzungsmöglichkeiten stets zu prüfen sind und dass auch ein einmaliges Fehlverhalten unter Umständen nachgesehen werden kann.

Unter Berücksichtigung dessen widersprechen die Kündigungen in jedem Falle dem eingangs genannten ultima ratio-Prinzip.

III.

Die Kündigungen vom 21.05. und 24.05.2005 haben das Arbeitsverhältnis auch nicht unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet. Selbst wenn man die Kündigungen gemäß § 140 BGB in ordentliche Kündigungen umdeuten würde (was im Text der Kündigungen ausdrücklich nicht beschrieben ist), so würde ihnen die soziale Rechtfertigung des streitlos anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG fehlen. Diese Kündigungen sind dann nicht durch Gründe bedingt, die im Verhalten des Klägers liegen.

Insoweit wird auf die Ausführungen zur Frage des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB Bezug genommen. Denn auch bei der ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung bedarf es solcher Umstände im Verhalten des Arbeitnehmers, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert erscheinen lassen (vgl. nur: BAG, Urteil v. 26.06.1986, 2 AZR 358/85, NZA 1986, S. 761).

Steht aber die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten nicht fest, fehlt es auch für die ordentliche Kündigung am Kündigungsgrund.

IV.

Die Kündigungen der Beklagten haben das Arbeitsverhältnis auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Verdachtskündigung beendet, und zwar weder fristlos im Sinne des § 626 BGB noch fristgerecht im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.

Dabei geht die Kammer mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Urteil v. 14.09.1994, 2 AZR 164/94, DB 1995, S. 534) davon aus, dass nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch der schwerwiegende Verdacht einer Verfehlung einen wichtigen Grund zur Kündigung gegenüber dem verdächtigen Arbeitnehmer sein kann.

Eine solche Verdachtskündigung setzt allerdings voraus, dass der Arbeitgeber seine Kündigung ausdrücklich damit begründet, gerade der Verdacht eines vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (BAG v. 14.09.1994 aaO). Dabei liegt eine Verdachtskündigung nur dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung mit der Begründung rechtfertigt, der Verdacht des nicht erwiesenen vertragswidrigen Verhaltens sei maßgeblich (BAG, Urteil v. 26.03.1992, 2 AZR 519/91, NZA 1992, S. 1121). Stützt der Arbeitgeber hingegen die Kündigung auf einen konkreten Tatvorwurf, der sich dann allerdings an den anzusetzenden Maßstäben der Darlegungs- und Beweislast nicht feststellen lässt, so handelt es sich schon begrifflich nicht um eine Verdachtskündigung (BAG, Urteil v. 03.04.1986, 2 AZR 324/85, NZA 1986, S. 677; LAG Köln, Urteil v. 26.11.1999, 11 Sa 1025/99, ARST 2000, S. 162 j.m.w.N.).

Aus diesen Gründen war durch die Berufungskammer nicht weiter nachzuprüfen, ob und inwieweit die nach der o.g. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebotene Anhörung des Klägers vor Ausspruch der Kündigungen ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, was der Kläger in Abrede gestellt hat.

V.

Da sich beide Kündigungen aus den vorstehend genannten Gründen als rechtsunwirksam erweisen, bedurfte es nicht der Aufklärung des Vorbringens der Beklagten, der Kündigung vom 21.05.2005 hätte eine Vollmachtsurkunde für Herrn Z1xxxxxxx deswegen nicht beigefügt werden müssen (§ 174 BGB), weil dem Kläger dessen Kündigungsberechtigung bekannt gewesen sei.

VI.

Das Arbeitsgericht hat dem Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers zu Recht stattgegeben. Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen vom 21.05. und 24.05.2005 nicht aufgelöst ist, hat der Kläger auf der Grundlage des fortbestehenden Arbeitsverhältnisses gemäß § 611 BGB einen entsprechenden Beschäftigungsanspruch (BAG GS, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

VII.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte als unterlegene Partei zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung war trotz Abweisung des allgemeinen Fortbestandszusatzes im Feststellungsantrag nicht geboten, da hier durch diesen zusätzlichen Antrag keine besonderen Kosten ausgelöst worden sind, § 92 Abs. 2 ZPO.

Der Streitwert war neu festzusetzen, da die Parteien letztendlich übereinstimmend einen Bruttomonatsverdienst von etwa 2.500,00 € für den Kläger darstellt haben. Wegen der Bemessung des Streitwertes folgt die Berufungskammer der Begründung der angegriffenen Entscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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